Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 42.

42]

Freitag. den 28 Februar.

1902

Nichts... Ich kenne ihn nicht," antwortete Ljubowj

( Nachdrud verboten.) unbestimmt.

Foma Gordjejew. Roman von Maxim Gorki . Deutsch von Klara Brauner Ljuba senkte den Kopf, doch sie erhob ihn gleich wieder und rief voll Schmerz aus:

"

" Ich werde Dich mit ihm bekannt machen. Es ist Zeit, Ljubowi, es ist Zeit! Von Foma ist nichts zu erhoffen.. obgleich ich mich nicht von ihm lossage." Was ist er

" Ich habe auf Foma nicht gerechnet.

mir?"

"

Da hast Du unrecht gehabt. Wenn Du klüger wärst, wäre er vielleicht nicht auf Abwege geraten! Als ich Euch zusammen sah, dachte ich mein Mädel wird den Burschen festhalten! Das wird schon klappen! Ich habe mich aber geirrt, ich dachte, Du kannst Deinen Vorteil verstehen, ohne daß man's Dir sagt. So ist's, Mädchen!" sagte der Vater belehrend.

Sie sagen ja selbst, die Freiheit..." Schweig'!" schrie der Alte sie brutal an. Du siehst selbst das nicht, was jeder Mensch allen sichtbar nach außen trägt. Wie können alle glücklich und gleich sein, wenn jeder über den andern hinaus will? Selbst der Bettler hat seinen Stolz und prahlt mit etwas vor den andern. Ein fleines Kind will seinen Kameraden auch voraus sein. Und ein Sie fann, indem sie seinen eindringlichen Worten lauschte. Mensch wird niemals dem andern weichen nur die n der letzten Zeit kam ihr, die gesund und start war, immer Narren glauben daran. Jeder hat seine Seele und sein Ge- öfter der Gedanke an das Heiraten, denn sie sah keinen sicht, man fann nur diejenigen, die ihre Seele nicht lieben andren Ausweg aus ihrer Einsamkeit. Den Wunsch, und ihr Gesicht nicht schonen, nach einem Muster abhobeln. den Vater zu verlassen und irgend wohin zu reisen, Ach Du! Du hast allerlei Unsinn gelesen, hast Dich damit um zu lernen und zu arbeiten, hatte sie schon längst vollgestopft." überwunden, wie sie einsam in sich viele andre, ebenso scharfe,

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Das Gesicht des Alten drückte bitteren Vorwurf und aber untiefe und unbestimmte Wünsche überwunden hatte. giftige Verachtung aus. Er rückte lärmend seinen Sessel vom Von den verschiedenartigen Büchern, die sie gelesen hatte, Tisch fort, sprang auf, legte die Hände auf den Rücken war in ihr ein trüber Satz zurückgeblieben, es war zwar und begann mit kleinen Schritten, den Kopf schüttelnd, durch etwas Lebendiges, aber in der Art, wie ein Protoplasma das Zimmer zu laufen, wobei er boshaft und pfeifend etwas lebendig ist. Aus diesem Satz entwickelte sich in dem flüsterte. Ljubowi, die vor Aufregung und Kränkung bleich Mädchen das Gefühl der Unzufriedenheit mit ihrem Leben, war und sich vor ihm dumm und hilflos fühlte, lauschte diesem das Streben nach persönlicher Unabhängigkeit und der Flüstern, und ihr Herz schlug unruhig. Wunsch, sich von der schweren Vormundschaft des Vaters

" Ich bin allein geblieben, ganz allein. Wie Hiob ... zu befreien; doch sie hatte weder die Kraft zur Verwirk­Gott, was soll ich thun? O, allein! Bin ich denn nicht lichung ihrer Wünsche, noch eine klare Vorstellung flug? Bin ich nicht schlau? Das Leben hat aber auch mich von der Art dieser Verwirklichung. Dazu übte die Natur überlistet. Wen liebt es? Wen schont es? Es schlägt die ihren Einfluß, und das Mädchen hatte mehr als ein­Guten und sieht den Bösen nichts nach. Und seine Gerechtig- mal beim Anblick junger Mütter mit Kindern am Arm eine teit ist niemand verständlich." bange, quälende Sehnsucht gefühlt. Manchmal, wenn sie vor dem Spiegel stehen blieb, musterte sie traurig ihr volles, frisches Gesicht mit den dunkeln Rändern um die Augen und bemitleidete sich; sie fühlte, daß das Leben sie vergaß und sie beiseite schob.

Es schmerzte das Mädchen, den Alten so zu sehen; sie wurde von demt heißen Wunsche ergriffen, ihm zu helfen; fie wollte ihm etwas sein.

Sie folgte ihm mit erregten Augen und sagte plötzlich Icije:

,, Lieber Vater! Verzweifeln Sie nicht... Taraß lebt ja noch... vielleicht daß er..."

Majakin blieb plöglich wie angewurzelt stehen und hob Langjam den Kopf.

Der Baum, der sich in der Jugend krümmt und nichts aushält, wird im Alter erst recht brechen. Aber doch... auch Taraß ist für mich jetzt ein Strohhalm, obgleich er wohl kaum mehr wert ist als Foma. Der Gordjejew hat Charakter, er hat den Mut vom Vater her. Er kann viel aus sich machen. Aber Tarap... Du hast zur rechten Zeit an ihn gedacht... ja- a!"

Und der Alte, der vor einer Minute so niedergeschlagen war, daß er flagte und vor Gram im Zimmer herumrannte wie eine Maus in der Falle, trat jetzt mit nachdenklichem Gesicht ruhig und fest wieder an den Tisch, rückte bedächtig seinen Seffel heran und setzte sich, indem er sagte;

,, Wir müssen uns einmal nach Laraß umsehen. Er lebt in einer Fabrik in Ussolje. Ich habe von den Kaufleuten gehört, daß dort Soda fabriziert wird. Ich kann es genau erfahren. Ich werde ihm schreiben."

,, Erlauben Sie, Vater, daß ich ihm schreibe?" bat Ljubowj, vor Freude zitternd und ganz rot.

" Du?" fragte Majakin und blickte sie flüchtig an, dann schwieg er, dachte nach und sagte:

,, Gut! Das ist sogar... besser. Schreibe. Frage ihn, ob er verheiratet ist? Wie er lebt? Was er denkt? Ich werde Dir übrigens fagen, was Du ihm schreiben sollst, wenn es Zeit ist."

"

,, Thun Sie das bald, Vater!" sagte das Mädchen. Man muß Dich bald verheiraten. Ich sehe mir hier einen rothaarigen Burschen an... er scheint nicht dumm zu sein. Er hat übrigens ausländischen Schliff."

" Ist es Smolin, Vater?" fragte Ljubowi neugierig und aufgeregt.

Und wenn er es wäre, was ist dann?" erkundigte sich Jakow Tarassowitsch in geschäftlichem Ton.

Während sie jetzt dem Vater zuhörte, stellte sie sich vor, wie dieser Smolin sein könne. Sie hatte ihn noch als Gym­nasiasten gekannt, er war damals ganz voller Sommer­sproffen gewesen, stumpfnasig, immer rein gewaschen, solid und langweilig. Er tanzte schwer und plump und sprach un­interessant.

Seitdem war viel Zeit vergangen: er war im Ausland gewesen und hatte dort gelernt, wie mochte er jetzt sein? Von Smolin gir jen ihre Gedanken zu ihrem Bruder über, und sie dachte mit Herzklopfen daran, was er ihr auf ihren Brief erwidern würde. Wie er wohl war? Die Gestalt des Bruders, wie sie ihn sich vorstellte, verschlang die Gedanken an den Vater und an Smolin, und sie hatte schon beschlossen, vor Tarah' Ankunft für nichts in der Welt in die Heirat ein­zuwilligen, als der Vater ihr plötzlich zurief:

" He, Ljuba! Worüber dentst Du nach?" So... Alles ist so schnell gekommen," antwortete Ljuba lächelnd.

,, Was ist schnell gekommen?" Alles... vor einer Woche durfte man mit Ihnen nicht von Zarah sprechen, und jetzt..."

" Das macht die Not, Mädel! Die Not ist eine Macht, fie biegt den Stahl zur Springfeder, und der Stahl ist widerspenstig. Wir wollen einmal schauen, wie der Taraß ist! Der Mensch hat Wert, wenn er der Macht des Lebens Widerstand leistet; wenn nicht das Leben ihn, fondern er das Leben nach seiner Art wendet, dann zolle ich ihm meine Hochachtung! Erlauben Sie, daß sich Ihnen die Hand drücke, wir wollen unser Geschäft zu­fammen führen. A- ch, ich bin alt. Und das Leben ist iegt so bewegt! Es wird mit jedem Jahr interessanter, es gewinnt immer mehr an Geschmack! Ich möchte immerzu leben und etwas leisten!"

Der Alte schnalzte mit den Lippen, als koste er etwas Schmackhaftes, rieb sich die Hände, und seine Augen glänzten gierig.

Und Ihr habt dünnes Blut! Ihr seid noch nicht aus­