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hier fort bringen. Nehmen Sie mich mit, Philipp, nehmen mittel zu materialisieren, und der fchiverfällige Mensch gewinnt schier Sie mich mit, fort, fort von hier!"

Sie erfaßte flehentlich feinen Arm, er aber senkte das Haupt und sagte mit tiefer, schwerer Stimme:

Still, Käthe, still! Ich kann nicht und ich will nicht. Sie sind von Sinnen, daß Sie nur daran denken."

die Flügel des elektrischen Funkens, des Sonnenstrahls und des der Freizügigkeit: mögen fie faufen, wohin sie wollen, bitte, nur Schalls. Die Gesetze aber gewähren den Staatsbürgern das Recht einzusteigen! Die Menschen aller Länder find Nachbaren geworden und die Erde ward zum Dorf, in dem man über die Wendekreise spaziert wie über eine Wiese. Die Hero, die am Südpol nach Wieder sant sie zurück in den Stuhl, atemlos und ihrem Leander am Nordpol schmachtet, fie tönnen sich täglich erschlafft mit unterdrücktem Schluchzen. Der Lärm der telegraphische Liebesbriefe spenden und binnen ein paar Tagen werden Tanzenden drang aus der Halle herein, vermischt mit Hoch- fie am Aequator sich in den Armen liegen. rufen und Petes Stimme erscholl:

Springt mit Hacken auf und Beh'n Bis die Diel'n in Stücke geh'n.

Ja, ich bin wahnsinnig oder werd' es bald fein," sagte fie mit hartem Ton; ich dachte es schon, als ich diesen Morgen aus der Kirche über den Fluß ging. Dort unten wäre bald alles vorüber, dachte ich. Keine Not mehr, feine Träume, teine Schlaflosigkeit, die mich zwingt, den Atem des einen neben mir zu hören, während mir eine Stimme aus der Dunkelheit zuruft

Käthe-was sind das für Reden?" unterbrach sie

Philipp.

" O, Sie brauchen nicht zu glauben, daß ich schlecht bin, weil ich Sie bitte, mich von hier fort zu nehmen. Wäre ich ein schlechtes Weib, so würde ich vielleicht mit frecher Stirn weiterleben und heucheln, ich hätte alles vergessen. Man sagt, das thun viele Frauen. Und ich fürchte auch nicht, daß er es jemals entdecken würde. Ich brauche ja nur meine Lippen zu verschließen, und er wird's nie erfahren. Ich aber werde es wissen, Philipp Christian," sagte sie, und ihr heraus­fordernder Blick traf ihn, als er die Augen erhob,

Ihre Vorwürfe thaten ihm weniger weh als ihre jammer­bollen Klagen, und schon im nächsten Augenblick schluchzte sie

wieder:

,,, warum hat mich Gott nicht sterben lassen? Ich dachte, er würde es thun, wenn das Kind käme. Aber es geschah nicht und da 0, das war wirklich schlechtda betete ich, daß er wenigstens mein unschuldiges Kind nähme."

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Im Zorn über ihre Schwäche wischte sie sich jetzt die Thränen ab und sagte:" Ich bin keine schlechte Frau, Philipp Christian, und darum will ich eben nicht länger hier leben. Es handelt sich um etwas, das Ihnen nie eingefallen ist, und auch von mir haben Sie's nicht erfahren; jezt aber muß es heraus, denn ich kann mein Geheimnis nicht länger berbergen."

Er hob den Kopf; es brauste und schwirrte ihm in den Ohren.

Ein Geheimnis, Käthe?"

Wie glücklich war ich," sagte sie. Vielleicht war es ein Unrecht aber ich liebte Sie so sehr, und fürchtete, Sie zu verlieren. Sie glaubten vielleicht, daß alles, was zwischen uns geschehen ist, mit der Zeit immer mehr in Vergessenheit geraten würde. Aber es ist ganz anders gekommen. Ja, und so lange ich lebe und so lange das Kind lebt-"

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Ihre Stimme zitterte und stockte. Er sprang auf. " Das Kind, Käthe? Das Kind sagten Sie?" Sie antwortete nicht sogleich, dann aber murmelte fie mit gesenktem Haupt:" Sagte ich nicht, daß es etwas gäbe, das Ihnen nie in den Sinn gekommen ist?" ,, Und wäre es das?" stieß er in angstvollem Flüsterton hervor. Ja."

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So sieht die Welt des Verkehrs in der Idee, in der Möglichkeit aus. In der Wirklichkeit aber der Mensch noch immer an die Scholle gefesselt. Er wird in einer Gefängniszelle geboren, sieht immer dasselbe Kleine Stid Himmel durch das enge Gitterloch und stirbt an der Stätte der Geburt. Die Erde und ihre Menschen Kaum weiß bleiben ihm fremd wie der Sirius und der Jupiter. er, wie es eine Stunde weiter aussieht. Es giebt zahllose Groß­oder fahren und die außerhalb ihres Winkels nicht Bescheid wissen. städter, die Tag für Tag immer die gleiche Straße entlang gehen Ein paar Meilen bereits von Berlin kann man in märkischen Dörfern erwachsene Leute finden, die niemals in der Hauptstadt ge= wesen und für die der Begriff Berlin ebenso dämmerhaft ist wie der von Peking oder Timbuktu . Denn stärker als Dampf und Elektricität, undurchdringlicher als Stahl und Eisen, mächtiger als Wogen und Gase, gebieterischer als alle Sehnsucht der Menschen, frei über die Erde 3 schweifen, Länder und Völker kennen zu lernen, ist das Gold, das seine Opfer an die Erde kettet und gebeugt im Joche gehen heißt im engen kahlen Geviert eines Gefängnishofes, im steten gleichen Trott. Nur die Beherrscher des Goldes, die über und auf den Massen gebieten, und die Zigeuner, die unterhalb der Kultur vagabondieren, dürfen die Freizügigkeit nügen. Auch Sklaventransporte der Arbeit werden von Zeit zu Zeit vom Osten nach dem Westen und zurück geschafft. Alle andren find unbeweglich, sie grafen auf dem Stück Boden, in das fie ein Ohngefähr gepflanzt, und sie haben nur die Bewegungsfreiheit einer Biege, die an einen Pfahl gebunden ist, und die sich schon frei dünkt, wenn sie nur ein wenig hüpfen kann. Sie geraten in ein Leben, auf eine Erde, die sie nicht fennen, und sie verlassen dieses Leben und diese Erde, ohne daß sie ihnen ver­traut ward. Die Erfindungen des Menschengeistes, der die Schwere aufhob, Raum und Zeit überwand, find für sie umsonst erfunden worden.

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Freilich in diesen Tagen, da die großen Ferien anheben, scheint es, als ob der von frommen Männern der guten alten Zeit der Postkutsche und des Echeiterhaufens viel geschmähte Verkehrsdusel doch eine Wahrheit sei. Alle Bahnhöfe sind überfüllt. Die Eisenbahnzüge schlep­pen ungezählte Maffen in die Ferne. Die gesamte regierende und unters nehmende Intelligenz tritt in den Streif. Die Geheime Kommerzien rätin wird zur Tippelschire und klettert in furzem grauen Rock auf Gipfelpfaden. Die Minister verwandeln sich in Stromer; das Wandern ist Excellenz von Müllers Lust, und sie dürfen einmal nach Willkür die Standpunkte wechseln, ohne daß eine hämische Opposition fie verspottet. Lehmanns siebzehnjährige Tochter badet hener zum ersten Mal im deutschen Familienbad am Ostseestrand mit Strügers zwanzig­jährigem Sohn zusammen- unter der polizeilich verfügten Aufsicht der Eltern. Die Verfetteten und Verstopften der Börse reinigen sich in Karls­oder Marienbad. Ein Gewimmel von Gymnasiasten, höheren Töchtern und Babys stören den Frieden der Natur und gefährden die Unschuld des Landes. Selbst die Staatsanwalte geben demnächst ihr edles Handwerk auf, die Zuchthäuser und Gefängnisse zu versorgen, und auch Staatsanwalte träumen, fern von Mord, Wechselfälschung und Majestätsbeleidigung in den Strandkörben der Nordsee - Inseln.

träumen

o über die edelmütige Barmherzigkeit der christlichen Gesell­Ja sogar ein paar hundert blaffe verkümmerte Volksschiller- fchaft!- werden in die kurze Freiheit von Wald und Wasser auf Kosten der Befißenden gelassen. Diese wenigen Wochen lassen sie ein Lebensgefühl und Lebensglüd ahnen, das ihnen vielleicht niemals mehr beschieden ist. Aber die begüterten Erholungs­reisenden empfinden die Nähe dieser gemischten Gesellschaft armseliger

Sind Sie auch sicher? Täuschen Sie sich nicht vielleicht? Ferienkolonisten unangenehm. An der Mittagstafel des Hotels unter­Ist es keine bloße Einbildung?"

Nein."

,, Sie glauben wirklich, das Kind..."

" Ja."

( Fortsetzung folgt.)

Sonntagsplandevei.

Die raftlose Technik arbeitet daran, elektrische Züge zu schaffen, die 150, 180, 200 kilometer in der Stunde rasen. In schwimmenden Palästen wird der Ocean eilend durchmessen. Fahrräder lassen die längste Chauffee in einen Punkt zusammenschrumpfen. Die auto­mobile Höllenmaschine, der Hai der Landstraßen, vermag in einer Stunde fünfzig Kilometer, 20 Menschen, 40 Hühner, 30 Gänse und 10 Schweine zu verschlingen. Ueber die Alpen fliegt der Luft­ballon, den Tausende von Erfindern lenkbar zu gestalten sien. Durch Granit und Basalt bohren sich kühne Tunnel, über tief ein­geschnittene Flußthäler spannen sich gewaltige Brücken in fast zier­lichem Eisenfiligran. Zeit und Raum selbst scheinen sich in Verkehrs­

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hält man sich über die Frage. Ein alter Gymnasialprofessor spricht seine Freude über den Fortschritt aus: So werden die Klassengegen­säge gemildert, ein Strahl der Freude fällt in das Dasein der Ent­erbten und sie erkennen, daß auch die Befizenden gütige Menschen find." Indessen der Alte findet teine Zustimmung. Ein nervöser Fabrikant, der immer" Post" Artikel redet, wendet sich auf­geregt gegen diese Humanitätsduselei: Wozu dieser Unsinn! Ließe man diefe Jöhren zu Hause, so würden sie sich an ihre Vers hältniffe gewöhnen. So aber reißt man fie heraus, und wenn fie aus dem schönen Bad und der guten Berpflegung in ihre Kellerwohnungen zurückkehren müssen, dann gefällt ihnen natürlich das Leben nicht mehr, sie werden unzufrieden und neidisch. Ich sage Ihnen, die Ferienkolonien sind die Hochschule für Socialdemokraten." Gewiß," fällt ein Kanzleirat ein, der trocken und peinlich ist wie ein Aften bogen, und warum werden gerade die Arbeiterfinder in die Ferien tolonien geschickt? Den Arbeitern geht es viel besser als andren Leuten. Ich kann mir nicht gestatten, meine Kinder ins Bad zu nehmen, und sie hätten's wirklich nötig. Das ist eine umgerechte Bevorzugung der Arbeiterkinder auf unsre Kosten. Ja, und wer hat mich in die Ferienkolonie geschickt, als ich jung war," zürnt der reich gewordene fette Bäckermeister. Für uns hat