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gerichtes waren sie Luft für ihn, Luft! Selbstverständlich hat er zu mir, wenn ich bei Verhandlungen als Sachverständiger war, " Sie" gesagt, aber wie ausgesucht und formell, höflich hat er mit mir verkehrt. Wirst Du's glauben, daß er in den Pausen so einer Berhandlung, während der Gerichtshof beraten, während sonst Verteidiger, Journalisten, Sachverständige plaudernd bei einander stehen, daß er da niemals mit irgendwem auch nur ein Wort geredet hat? Da hat er sich vor ein Fenster gestellt, die Hände in die Hosentaschen gesteckt und gedankenlos in den Hof geschaut. Erst wenn nach einer Stunde die Thür, aus der die Richter kamen, fnarrte, hat er sich wieder umgedreht. Und wie hat er in den Verhand lungen gefragt, geredet, dazwischen gerufen! Kein Elend, das ihn gerührt, teine Jugend, die ihn ergriffen hätte, teine Ergriffenheit, die er nicht durch ein eiskaltes Wigwort zur Komödie gestempelt hätte! Nein, wenn man ihn dort gesehen hat, bei der Arbeit, da begreift man die Worte schon, die Zwölfinger früher erwähnt hat! Da war er fürchterlich."
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Lange wurde hin- und hergestritten. So laut und leidenschaftlich wurde der Streit geführt, daß mancher von der Tischrunde trotz aller Anstrengungen nicht zu Worte kommen konnte. Es war schon über halb zwei Uhr nachts, als plöhlich der alte weißhaarige Realschuldirektor Kupka mit seiner leisen, langsamen, vielleicht deshalb so achtunggebietenden Stimme das Wort nahm:
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ganze Lebenssehnsucht lösten sich in einem unbeschreiblichen Schluchzen an Dunckers Brust auf. Duncker hatte ihn aufgefangen. Die Henker wollten Cafani wegziehen, aber da geschah das Merkwürdige: Mit einer wütenden Geberde, mit einem durchbohrenden Blick, wie er ihn sonst nur in den leidenschaftlichsten Staatsanwaltsmomenten hatte, wies Dunder sie von sich. Und er legte seine Arme über den schönen, dem Tode berfallenen Körper des Jünglings, und er flüsterte dem tief Schluchzenden Worte der reinsten Liebe ins Ohr, und er hielt ihn fest und treu in den Armen wie ein Vater seinen teuersten Sohn. Alle waren starr vor Staunen. Die Henker wagten sich nicht mehr in die Nähe. Die Kreisgerichtsräte warteten eine, warteten awei Minuten. Endlich ging der Gerichtspräsident, ein Kerl, dem jede Ehrfurcht abging, auf Dunder zu und flüsterte ihm halblaut ins Ohr:" Wissen Sie, daß Sie momentan einen Dreihunderts vierzehner, eine Einmengung in eine Amtshandlung, begehen?"
„ Er
Duncker verstand die Worte nicht, aber er ließ die Hände bon dem Jüngling. Ein Wink des Präsidenten genügte, und die Henker traten vor Schaudernd wendeten wir uns ab under ist am selben Tage noch auf Urlaub gegangen. holung von der anstrengenden Thätigkeit der letzten Monate"," hieß es in den Zeitungen. Er hat ein halbes Jahr gebraucht, um diese eine Minute in sich selbst in den Hintergrund zu drängen. Aber ich sage Euch: Ein friedloser Mann ist er sein Lebtag ge=
blieben
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Kleines feuilleton.
" Ich habe ihn einmal in einer Stunde gesehen, wo die zwei Menschen in ihm rauften, der Mensch mit der Amtskappe und der Mensch ohne Amtskappe. Es ist lange her, von Euch weiß es feiner, und dieser Tag hätte ihn leicht ganz aus seiner Bahn werfen fönnen... Ich war damals Geschworner in dem berühmten Mordprozeß Casani. Dieser Casani war ein junger, bildschöner Mensch, ein Thunichtgut, der einmal Geld besessen und seine weißen Hände k. Arnold Böcklin und Gottfried Keller. Fesselnde Erinnerungen für zu wohlgepflegt hielt, um sie durch Arbeit zu beschmuzen. an Arnold Böcklin und Gottfried Keller veröffentlicht Adolf Frey in Wegen seiner Schönheit, mehr noch wegen seines sanften, weibischen dem Juliheft der" Rheinlande"( Düsseldorf ), das der Kunst der Wesens hatte er große Erfolge bei den Weibern , so daß ihm immer deutschen Schweiz gewidmet ist. Keller hatte anfänglich nur eine fünf oder sechs gleichzeitig nachrannten. Er nahm sie alle bedingte Würdigung für die Kunst Böcklins; als er im Sommer 1877 die hübschen nämlich er machte sie schwanger, nahm von ihnen in der Unterhaltung mit Frey auf Böcklin zu sprechen tam, sagte er Geld, und wenn kein Geld mehr herauszulocken und die Stunde nur: Allegorien und Gedankenbilder, wie er sie malt, haben andre der Niederkunft oder unangenehme Eifersuchtsscenen herannahten, auch schon gemalt. Aber er malt sie mit mehr Farbe und mit mehr schüttete er ihnen ein wenig Chantali in den Morgenkaffee, und die Kraft. 3. B. auf einem Bilde in München reitet der Tod auf einem Sache war erledigt. Ich habe trotzdem für Freisprechung gestimmt, fräftigen Hagelshengst daher". Um so größer war die Bewunderung, weil mir der junge Kerl trotz aller Greuel, die er begangen, wie die Böcklin für die Kunst Kellers hegte, deffen Schöpfergaben er so ein unerwachsener, blind handelnder Knabe vorkam. Es kam mir hoch einschätzte, daß er öfter behauptete, Keller würde ebenso groß bor, als wüßte er gar nicht, was das bedeutet: Mord! Eine so als Maler wie als Dichter geworden sein, wenn ihm die äußeren furiofe Gleigültigkeit für die Frage: Tod oder Leben? beseelte Umstände die Erlernung des Technischen gestattet hätten. Als der ihn. Deshalb leugnete er auch nichts, deshalb schien es ihn gar Jüngere und besonders als der stärker nach persönlicher Berührung nicht zu interessieren, ob er gehentt wird oder nicht. Er verstand Verlangende unternahm Böcklin auch den ersten Schritt und stellte nicht, was er begangen hatte. Für ihn lag die Sache so: Die fich an einem Sommerabend 1885 auf der„ Meise " ein, wo er ziemlich Weiber waren unangenehm", das Unangenehme war er gewohnt, sicher war, den Gesuchten zu finden. Beide gefielen einander aus seinem Leben selbstverständlich zu beseitigen. Tod? Was ist sofort, und einige weitere Begegnungen und Besuche im Atelier das? Mord? Was ist das? Es hat den Mädeln nicht so weh öffneten dem Dichter die Augen über den Maler, dessen Werke ihn gethan als mir die drei Stunden Leibring in der Dunkelzelle," jetzt mit Bewunderung erfüllten. Dankbar pries er die Fügung, sagte er in der Verhandlung gleichmütig. Dunder ist in der Ver- die ihm den lange gehegten Wunsch nach dem Umgang mit einem handlung nur so losgegangen. O, er wollte die Regungen des Ge- wahrhaft schöpferischen Künstler erfüllte und ihm dadurch den Lebenswissens in diesem Burschen schon hervorkiheln! Je harmlofer Casani abend erhellte. Böcklin , der liebenswürdiger, koncilianter, weniger fich geberdete, um so dräuender, donnernder ging Dunder los. Mit spröde war, bequemte sich und schmiegte sich an und handelte wie einer leidenschaftlichen Ergriffenheit sondergleichen nagelte er den ein Sohn oder jüngerer Bruder gegen den älteren Freund. Er war schamlosen Chnismus dieses Knaben an! Er hatte Erfolg, mit für seine Gesundheit besorgt und holte ihn häufig zu Spaziergängen zehn gegen zwei Stimmen wurde Casani zum Tode verurteilt. Als ab, die freilich wegen des Dichters Schwerfälligkeit nur die beman's ihm mitteilte, nahm er es höflich zur Kenntnis, verbeugte scheidenste Ausdehnung erreichten, im gemächlichsten Tempo absich einmal tief vor den Richtern, einmal noch tiefer vor den Ge- geschritten wurden und fast ausnahmslos in ein Wirtshaus mündeten, schwornen und ließ sich lautlos in die Zelle geleiten. Im Saale wo er es ihm mit allen möglichen fleinen Gefälligkeiten bequem begann damals manche ehemalige Geliebte des schönen Jünglings zu machen suchte. Er war dabei ängstlich bedacht, laut zu schluchzen
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den
Dichter bei schlechter Laune nicht in seiner Selbstherrlichkeit Zur Hinrichtung bin ich gegangen. Ich habe auch alle meine au reizen; mancher verdroß ihn, der ihm für die eben Kolleger gezwungen, hinzukommen, denn ich finde nichts erbärm- abgeschnittene Cigarre das bereits in Brand gesetzte Streichholz licher, als seinen Namen unter ein Todesurteil zu schreiben und bereit hielt. Saßen die beiden am Tische, so schwiegen sie fich dann nicht die Courage zu haben, die Eretution mit anzusehen. meistens behaglich an, mur daß fie dazu mächtig rauchten. Jemand, Vielleicht sollten die Richter auch selbst die Henker sein, denn aus und der andre zog an seiner, aber eine Viertelstunde lang that keiner der häufig dabei war, äußerte:„ Der eine zog an seiner Cigarre, dieser bloß schriftlichen Courage zum Berurteilen, aus dieser elenden " Arbeitsteilung", wonach schließlich der Richter den Henker und der von ihnen den Mund auf." Das Erlesenste haben die beiden gewiß Henker den Richter verachten darf, erwächst alles Unheil. Also unter vier Augen ausgetauscht. Als ein Bekannter Böcklin vor der ich zwang mich, hinzugehen. In einem fleinen Hof sollte die Hin- gegenüber wohl verhalten solle, erhielt er die Antwort:" Das ersten Begegnung mit dem Dichter fragte, wie er sich diesem richtung stattfinden. Fürchterlich hohe schwarze Mauern ragen in befte ist. Sie reden ihn garnicht an." Es war eine ausgemachte die Luft, so daß kaum ein Stüd Himmel hier sichtbar ist. Der Hof ist dreieckig. In einer Ecke stand der Galgen, der übrigens Beinen war, nach Hause brachte; er faßte ihn unter den Arm und Sache, daß Böcklin seinen Freund, der von früh an sehr schwach auf den ganz anders aussieht, als man gemeinhin glaubt. Er ist kaum mannshoch gewesen, nicht aus Holz, sondern aus gebogenem Eisen... steuerte mit ihm langsam und mit manchem Halt, je nach dem BeDie Armefindergloce begann zu läuten. Namenlos bange Sekunden dürfnis des dichterlichen Gangwerkes, den menschenleeren„ Zeltweg " bergingen. Da trat Casani, vom Geistlichen und von den Henkers au ſeiner Wohnung hinaus. Einmal ereignete es sich auch, daß dem Knechten gefolgt, aus seiner Zelle. Vier Schritte hatte er bis zum überreizten franken Dichter der Dämon in den Naden fuhr und ihn Galgen zu gehen. Und hier, in diesem Moment, schien es, als berleitete, seinem Freunde völlig ungerechtfertigte Grobheiten zu sei der Stnabe plötzlich erst zum Bewußtsein seiner Lage und seiner sagen. Böcklin entfernte fich wortlos und sagte nachher zu einem Thaten erwacht. Er sah den Galgen und wurde kreideweiß. Die Bekannten: Eigentlich sollte ich mich mit ihm duellieren. Aber er Augen traten ihm aus den Höhlen, er flapperte, Beben kann man ist ja so klein! Ich kann mich doch nicht mit ihm schlagen! Aber das nicht mehr nennen. natürlich fann ich nicht mehr mit ihm verkehren." Zwei Tage In dieser Minute noch beschwören! erwachte Cafani erst aus seinem Traumdasein. darauf saßen sie wieder beisammen. Sie konnten nicht mehr ohne Und da sah er eine Sekunde lang um sich, mit einem Blick, in dem einander sein.. eine unermeßlich tiefe. dringende Bitte lag, mit einem Blick, der eine namenlos heiße Bitte: Laßt mich leben!" vortrug. Blick fing der Nächststehende Dunder
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ich könnte es heute
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Die Tretmühle, dieses barbarische Strafverschärfungsmittel, Diesen ist in englischen Gefängnissen immer noch im Gebrauch. Ich hatte, auf. Eine Sekunde fo erzählt ein Mitarbeiter der Deutschen Roman- Zeitung", stets darauf stürzte Cajani blizschnell an Dunders Brust und alle Schuld, geglaubt, diese Einrichtung eriſtiere nicht mehr; aber ein Artikel in die ganze Bergangenheit, seine ganze gräßliche Todesangst und seine einer englischen Zeitung und eine Nachfrage bei Freunden belehrte
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