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die letzten Worte. Dann beschäftigte er sich wieder mit dem Kranken vergebens.
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Nun denn! Soll ich ein Feigling, ein Hungerleider bleiben, soll ich wie ein Wrack herumschwimmen? Die Stunde schlägt! Es muß gehandelt werden und zwar rasch."
Als er fich wieder allein befand, stieß er einen tiefen| Denn das Leben hat kein Gehirn..„ Du Mensch, du Seufzer aus: Tier sei doch Natur", ruft er im Vorwort zu der neuen Mir bleiben noch einige Minuten, um mein Schicksal Auflage seiner Jugendpoesien, die ihm zuviel des Reflektierten zu entscheiden. Wenn ich es nicht wage, nun denn! Dann zu enthalten scheinen, sich selber zu. Der„ Wille" als Wurzel berdiene ich mein Unglück!" und Inbegriff der wirren Triebe, gipfelnd in der Ekstase Er wiederholte zwei- oder dreimal mit leiser Stimme fophie ihn als den unbewußten Weltgrund faßt, ist die Macht, des Geschlechtsakts, ähnlich wie die Schopenhauersche Philo die feiner Dichtung ihre Formen und ihren Inhalt geben soll. In Symmen einer düster glühenden Erotik, die jede Schranke der Sitte und des Rechts niederreißt, hat er jene Gewalt als die wahllos Leid und Glück berhängende Herrin und Gebärerin des Lebens gefeiert. Mystische Klänge wehen hinein. Der Name Gottes ist wohl aus und nun schmüdt er, alles, was an christliche oder an rationalistische gläubigen Kinderzeiten dem Herzen des Dichters teuer geblieben. Vorstellungsweisen eines außerweltlichen Gottes erinnert, aus löschend, jenes Unpersönliche Blinde, das ihm als alles gestaltende Natur und Menschheit aus sich erzeugende Weltseele vorschwebt, mit dem Namen Gottes. In den Wogen der Leidenschaften webt Gottes Atem. Durch Verbrechen und über Leichen geht der Weg zu ihm, Hier find wir Gott gleich, fieh' mich an," heißt es in einem der Hier kannst Du ruhig Deinen Mann mit mir betrügen, für mich Lieder aus Weib und Welt",- ,, oh Gott wie eins find wir geworden! morden- Du!" Aber nach dem Krampfe solcher frevelnden Verzückungen steigen dann wieder lichtere Bilder auf, aus denen tiefe Sehnsucht spricht nach Rückkehr in das Reich des reiner Menschlichen, und wo der Gott des Dichters die starr abstoßenden Astarte- Züge abstreift.
Er wurde furchtbar bleich, seine Zähne schlugen aufeinander, seine Augen blickten wild und grausam. Und wie ein Automat, wendete er sich nochmals der Schublade zu, öffnete sie langsam und began wieder die Banknoten einzustecken.
Als er gegen zwanzig Tausender in seine Taschen gesteckt hatte, hielt er einen Augenblick inne.
" Du Narr!" So nimm doch alles. Ob es sich um zwanzig, um hunderttausend, oder um eine Million handelt, der Diebstahl wird nicht nach der Summe gemessen!"
Darauf stopfte er lebhaft, ja mit Wut, aber peinlich methodisch die Taschen seines Ueberrocks und Gehrocks voll. Zwei oder drei Couverts fanden sich unter den Banknoten, er steckte sie mit dem Uebrigen ein. Er ließ nur gegen dreißig Stück Hundertfrank- und Fünfzigfrankscheine liegen, weil er befürchtete, daß eine ganz leere Schublade Verdacht erregen könnte. Als das beendet war, verteilte er den Raub so gut in seinen Taschen, daß nichts Auffälliges an ihm zu sehen war. Und als er die Schublade wieder schloß, murmelte er mit düsterer Stimme:
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Guy Herbeline, jezt bist Du gesellschaftlich in den Abgrund gefallen. Jeder erste beste hat nun das Recht, Hand an Dich zu legen."
Eine große Ruhe war über ihn gekommen, eine weiche hypnotische Ruhe! Sein Gewissen war eingeschlummert, wie ein erschöpfter Krieger, den selbst der Kanonendonner nicht mehr erwedt.
Bevor er vom Schreibtisch zurüdtrat, überzeugte er sich noch, daß nichts auf den Boden gefallen war, er untersuchte nochmals alle seine Taschen sorgfältig und vollendete die Schichtung der Banknoten. Dann fehrte er zu dem Greis zurück und auskultierte ihn.
Ein entseglicher Schrecken fuhr ihm durch die Glieder... das Herz schien sich noch zu.
Guy richtete sich auf, ein wahnsinniges Mordverlangen fam über ihn; er lachte unheimlich. Aber man muß ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er trogdem alles that, was etwa das Leben des Kranken zurückzurufen im stande gewesen wäre.
Es war übrigens nur ein trügerischer Schein.
Von dieser letzten Anstrengung erschöpft, hörte das Herz gu arbeiten auf.
Der Tod trat rasch ein.
Nun ist es vorüber," sagte sich Herbeline.„ Er zum mindesten hat mir nichts vorzuwerfen, ich habe das Notwendige gethan
IZE
( Fortsetzung folgt.)]
( Nachdruck verboten.)
Zwei Menfchen.
( Roman in Romanzen von Richard Dehmel .)
Die Eigenart des Dichters im Guten und im Schlimmen kommt in dem neuen Werke noch stärker potenziert als in den früheren Büchern zum Ausdruck. Herrlich leuchtende Bilder, eine Sprache, die in brausenden Accorden mit majestätisch feierlichem Schwung vom Sturme aufgewühlter Leidenschaften und vom Frieden der aus der Sucht eigenwilligen Begehrens erlöften Seelen singt! Aber dem Großen dieser Boesie ist zugleich so viel launisch frankhafte Willkür, so viel Wirrnis und Dunkelheit beigemischt, daß bewunderndes Genießen und Aerger wechselnd einander ablösen.
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Die Erhebung des Liebespaares Lea und Lukas zu diesem Höheren ist der Kern, ist, mag Dehmel auch das Wort verpönen, Das triebhaft Tierische, das Unbewußte find Erscheinungen der Gottder Grundgedanke", der in dem neuen Epos nach Gestaltung ringt. heit, aber Erscheinungen, die über sich hinaus weisen. Aus dem Umkreis der Erkenntnis" und der Seligkeit" schreiten Mann und Weib in den der„ Klarheit“. Nicht in den blind bewegten, in den Menschen, die zur Kraft des Denkens und einer Welt und Menschheit umfassenden Alliebe fortgebildet sind, hat Gott die höchste Stufe seines Daseins erflommen; mit ihren Augen schaut er sich selber an. In der 34. Romanze des dritten Buches sind die beiden Gegenpole, innerhalb deren Dehmels Mystik ich hier bewegt, am deutlichsten bezeichnet. Das schwangere Weib spricht zu dem Manne:
Wenn ich spüre, wie's wächst, mein Fleisch und Blut, und still neuen Sinn ins Dasein thut, als fasse der Mensch das Göttliche nur fraft seiner tierischen Natur,
als hülle, was wir lehren, nur Handlungen, die wir im Grunde nicht verstehen,
und was wir reden, nur Verwandlungen,
die währenddem mit uns geschehen
dann frag' ich mich: blickt nicht der blödeste Thor gottboller noch als wir zu Gott empor?
Und schauernd sinnt sie nach: zu Gott - Da sagt der Mann mit mildem Spott:
Zu welchem? Zu dem biblischen Erdaufseher? Ja, dem that's not, Weltweisheit zu verbieten: Die Hunde meines Vaters find im näher als alle Priester und Leviten.
Wir aber, wir Menschen der wachsenden Einsicht, kennen ihn anders, den Gott in unsrer Brust, dank jenem Geist allrühriger Liebeslust, den ich nicht wage„ Gott " zu nennen: Gott ist ein Geist, der flar zu Ende thut, was er zu Anfang nicht gedacht hat, dann sieht er alles an, was ihn gemacht, und siehe da: es ist sehr gitt!
Und beugst du dann vor ihm das Knie
und weihst ihm willig deinen Menschenschmerz,
dann spricht der heilige Geist des Fleisches: fieh, So spielt Gott mit sich selbst, o Herz!
Und findlich lächelnd, göttlich flar,
schweigt Herz an Herz ein Geisterpaar.
Und wie brausender Jubel klingt es in den zuckenden Schmerz
des Abschieds hinein:
Da, o Glück:
ahnst du sie, die Pflicht der Welt? Ja: von Sphären hin Sphären muß fie Saat aus Saaten gebären, bringt sie uns das Licht der Welt: rieselnd wie aus dunklem Siebe
Dehmel hat einmal die Leute, die in seinen Gedichten nach Grundgedanken" suchen wollen, verspottet. Seine Poesie fei nur der Widerklang erlebter Seelenwandlungen", eine Folge bon Visionen, die aus den Abgründen des Unbewußten aufsteigend fich im bunten Spiele haschen und nebenher dann auch wohl Gedanken aufjagen, die wie Schmetterlinge um eine große blühende Blume gaufeln. Ach, die Gedanken sind nur Ranten , die wir arabestenhaft flechten, und Manifeste von grundlosen Mächten. Poet dem Leser zu:
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sät es Liebe, Liebe, Liebe
von Nacht zu Nacht, von Pol zu Polzwei Menschen sagen sich Lebewohl.
seligkeit wie zivischen Heiden" mündet aus in ein mystisch- phanteistisches Die durch blutige, ungefühnte Schuld befleckte Liebe, die„ GlückGefühl der Hingabe an die Alleinheit, das als das letzte Ziel des Menschlichen, als die befeligende Lösung aller Lebensrätsel verherrlicht wird. In der Ausgang" überschriebenen legten Strophe ruft der
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