Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 96.

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Dienstag, den 17. Mai.

( Nachdrud verboten.)

Elther Waters.

Roman von George Moore  .

Mein gutes Mädchen!" hatte Mrs. Barfield gesagt, ich bin zwanzig Jahre älter als Sie, und ich versichere Sie, daß mein ganzes Leben mir vorkommt wie ein furzer Traum. Das Leben hier unten ist nichts; wir müssen beständig an das Leben denken, das später kommt!"

Na, Alte!" rief William plöglich, halt den Kopf ein bißchen hoch; achtzehn Monate ist freilich' ne lange Zeit; aber es ist doch noch lange fein Leben. Sie wird's schon überstehen; und wenn sie wieder rauskommt, wollen wir sehen, was wir für sie thun können, um ihr zu helfen."

Williams Stimme erweckte Esther aus ihrem Traum. Sie sah ihn an, und an dem Ausdruck in ihren Augen er­kannte er, daß sie an ganz andre Dinge gedacht hatte als er

vermutete.

" Ich dachte, Du sähest um Sarahs willen so traurig aus!" sagte er.

1904

Ach ja, um zu wetten! Das ist etwas andres; aber herkommen und um ein Stück Brot betteln verzeihen Sie aber ich kann nicht viel sprechen, ich bin zu schwach."

Als der Alte" gegessen hatte, fragte William ihn, wie es denn möglich sei, daß er so heruntergekommen war.

Ich habe in der letzten Zeit immer Pech gehabt, immer, immer. Ich habe auf Pferde gesetzt, die bei der Probe zwei Stein mehr auf den Rücken trugen, als sie nachher zu tragen befamen, und ich glaube, sie haben bloß darum nicht gewonnen, weil ich auf sie gesetzt hatte. Dußende von halben Kronen habe ich auf erste Favoriten gesetzt. Sie gewannen nichts. Dann fetzte ich auf zweite Favoriten, aber, wenn ich drauf gesetzt hatte, gewannen regelmäßig entweder die ersten Favoriten oder Outsiders. Nein, es ist nichts mehr zu machen. Wenn das Glück einen erst mal verlassen hat dann ist es aus!" Ja, das kommt aber bloß davon, daß man den Mut verliert und dann anfängt, wie verrückt ins Blaue hinein zu wetten. Das ist eben das Gute beim Buchmacher. Er wettet nach bestimmten Principien, nicht nach verrückten Phantasien." Nun erzählte der alte John, wie er auch sonst noch vom Pech verfolgt worden sei. Seine Stelle im Restaurant hatte er verloren, aber keineswegs durch eigne Schuld, denn er hatte seine Arbeit stets gut besorgt. Aber," sagte er, sie mögen alte Kellner nicht leiden; die Kunden behaupten, daß alte Sellner schlecht aussehen. Wahrscheinlich lag das mehr an meinen zerlumpten Kleidern und daran, wissen Sie, daß man zu Hause auch nicht die Bequemlichkeit hat, sich ordentlich sauber zu halten. Es ist uns in letzter Zeit recht schlecht ge­gangen, es wurde uns so schwer, das bißchen Miete zu zahlen, daß mein schwarzer Rock und meine Weste versezt werden Vom Cirkus   ab gingen sie zu Fuß, und die erste Person, mußten. Also Sie sehen, wenn ich schon das Glück gehabt die sie in ihrem Lokal erblickten, als sie es betraten, war der hätte, in den letzten Tagen eine Stelle in der Ausstellung oder alte John. Er saß ganz allein da in einer Ede des Zimmers fonstwo zu bekommen, so hätte ich sie nicht mal annehmen auf einem hohen Schemel, und sein aschgraues, fast toten- fönnen, weil ich nichts anzuziehen hatte. Es ist schrecklich, daß ähnliches Gesicht war tief auf seine Brust herabgesunken. Der mir so etwas passieren muß, nachdem ich vierzig Jahre und alte, ungestärkte, zerrissene Kragen, die zerfetzten Ueberreste mehr in den besten Häusern Haushofmeister gewesen bin, mit einer Krawatte, die zweimal um den dünnen, verrunzelten fünfzig Pfund pro Jahr, und immer' nen Diener in Livree Hals geschlungen und nach der Mode von vor fünfzig Jahren und' nen Pagen unter mir, denen ich nur so zu befehlen gebunden war, sahen schrecklich aus. Seine Stiefel waren brauchte. Aber es giebt noch viele andre, die ähnliches Unglück zerrissen, seine Hosen schmutzig, fadenscheinig und bis zum haben. Bedienter sein ist doch eben nur' ne armselige Sache. Knöchel hinauf ausgefranst; sie waren auch vielfach geflickt, hr beide könnt lachen. Ihr habt Euch hübsch früh davon aber die Flicken hielten kaum mehr zusammen. Der einstmals zurückgezogen! Und was wird schließlich das Ende von alledem schwarze Gehrock, jetzt grüngrau vor Alter, zerrissen und zer- fein? Doch nur das Armenhaus. Ich bin nun schon so müde lumpt und viel zu groß für ihn, hing lose um den mageren und matt; mir ist eigentlich alles einerlei." Körper des Mannes herum. Er sah sehr schwach und matt aus, und seine wässerigen, kleinen Augen waren glanz- und ausdruckslos.

Nein," sagte sie, ich dachte in diesem Augenblick nicht an Sarah." Williams Antlik verdüsterte sich, denn er nahm es als ficher an, daß sie wieder über die Sündhaftigkeit des Wettens nachgedacht hatte. Es war doch rein zum Tollwerden, eine Frau zu haben, die beständig an Dinge dachte, die nicht mehr zu ändern waren. Er bezahlte die Rechnung und sie bestiegen den nächsten Omnibus.

Achtzehn Monate!" sagte William, verteufelt hartes Urteil für ein erstes Vergehen!"

" Ich bin eben erst gekommen. Charles sagte, Sie würden bald zurückkehren; aber es hat doch länger gedauert, als ich dachte."

Wir haben erst ein bißchen gefrühstückt. Aber haben Sie denn gehört, was ich sagte? Sie hat achtzehn Monate be­tommen!" Wer?"

Sarah."

"

Ah, Sarah! War heute die Verhandlung? Also acht­zehn Monate?"

,, Was ist denn los mit Ihnen? Wachen Sie doch auf; Sie schlafen ja. Was wollen Sie trinken?"

,, Rönnte ich vielleicht ein Glas Milch haben?" Ein Glas Milch? Was ist denn los, Alter? Ist Ihnen nicht wohl?"

,, Nicht sehr; nein; das heißt, das heißt ich verhungere." Verhungern? Rasch, kommen Sie hier herein in die Stube, daß wir Ihnen was zu essen geben. Warum haben Sie denn das nicht gleich gesagt?"

"

Ach, es wurde mir zu schwer, das zu sagen." William führte den Alten" in die Hinterstube und ließ ihn dort sich niedersetzen.

,, Sie wollten mir nicht sagen, daß es Ihnen so schlecht geht? Warum denn? Was soll denn das heißen? Sie haben sich doch sonst, weiß Gott  , nicht geniert, mich gelegentlich an­gupumpen."

Seine Stimme verlor sich in einem undeutlichen Ge­murmel. Von seiner Frau sagte er gar nichts. Seine Unlust, von ihr zu sprechen, gehörte mit zu der Unlust, die es ihm bereitete, überhaupt von seinen Privatangelegenheiten zu reden. Die Unterhaltung wandte sich nun wieder zu Sarah zurück; man sprach viel von dem strengen Urteil, und William erwähnte auch, wie die Bemerkungen des Richters die Wachsamkeit der Polizei anfeuern würden, und wie schwer es nun sein würde, sein Wettgeschäft fortzuführen, ohne entdeckt zu werden.

"

" Ja, es ist ein großes Unglück, ein großes Unglück!" sagte der alte John. Sie müssen von jetzt an furchtbar vorsichtig sein; immer wissen, mit wem Sie wetten; und jedem, den Sie nicht genau kennen, die Wette einfach verweigern."

Oder lieber das ganze Wetten überhaupt aufgeben!" sagte Esther.

"

Das Wetten aufgeben?" sagte William; sein Gesicht rötete sich, und er geriet allmählich in Wut. Gebe ich Dir vielleicht nicht ein behagliches Heim? Fehlt's Dir an Kleidern oder an sonst etwas? Na, wenn Du das zugeben mußt, so finde ich, fannst Du auch Deine Meinung lieber für Dich behalten und brauchst Deine Nase nicht in Deines Mannes Geschäft rein zu stecken. Es giebt genug Bibelklassen und Brüdergemeinden, wo Du hingehen kannst, um Deine Predigten zu halten."

William hätte wohl noch mehr gesagt, aber sein Aerger hatte einen neuen Hustenanfall in ihm hervorgerufen. Esther warf ihm einen Blick zu, sagte nichts und verließ das Zimmer.

Sie haben einen bösen Husten," sagte der alte John. " Ja," sagte William, und er trank ein wenig Wasser, um den Hustenreiz zu bekämpfen.

" Ich werde wohl mal zum Doktor gehen müssen; so ein