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I.
Allen denen, die von einer durch die Regierung sanktionierten und geleiteten Kunst nichts erhoffen, allen denen, die trotz aller Debatten und Vorwürfe, die sich gegen die Tendenzen der Großen Berliner Kunstausstellung, geleitet von den Kunstakademien und dem Berein Berliner Künstler, richteten, doch noch schwankend waren, fonnte kein größerer Gefallen gethan werden, als die diesjährige Ausstellung am Lehrter Bahnhof . Es ist, als wollte man die Sünden des vorigen Jahres, wo nach allgemeinem Urteil ein günstigeres Allgemeinniveau erreicht war, wo es den Anschein hatte, als sollte endlich einmal in diese Räume ein frischerer Wind hineinwehen, wieder gut machen durch verdoppelte Bescheidenheit, durch breifach zur Schau getragene Unfähigkeit. Freilich gab man sich ja damals in eingeweihten Streisen auch gar nicht irgend welchen trügerischen Hoffnungen hin. Niemand nahm an, daß diese zeitweilige Auffrischung von Dauer sein würde, ein günstiges Omen für spätere, fünftige Entwicklung. Was befürchtet wurde, ist ein Was befürchtet wurde, ist eingetroffen, ärger als man es sich denken konnte.
Die Vertreter dieser akademischen Kunstausstellungen am Lehrter Bahnhof wollen es immer so hinstellen, als gäbe es Lente, die nun principiell gegen sie sind. Was hat die Kritik davon, wenn sie gegen eine solche Ausstellung protestieren muß? Wäre es nicht schöner, man tönnte anerkennen? Wie bereitwillig zeigte sich die Kritik im Vorjahre, als wenigstens eine Ahnung von Kunst, wenigstens ein Wille, ein Wunsch zu spüren war. Fordert nicht eine so pomphaft infcenierte Ausstellung gerade durch ihr anspruchsvolles Auftreten zur anumwundenen Kritik heraus? Es ist kein schöner Anblick, wenn die Kunst sich so hinter die Regierung steckt, nach ihrer Pfeife tanzt und dann sich dafür streicheln läßt, da es vorher Scheltworte fezte. Gefügig und willfährig sind diese Herren alle, denen irgend ein undefinierbarer Zufall den Pinsel in die Hand spielte, mit dem sie nun Gott weiß wie biel Flächen Malleinewand anstreichen.
Man sehe sich den Katalog an. Da kommt man vor lauter Titeln und Würden und Komitees und Kommissionen und Ersatztommissionen und Regierungskommissionen usw. usw. nebst seitenlangem Verzeichnis der Namen, deren Träger von 1848 etwa an einmal durch eine Medaille oder ein Diplom ausgezeichnet wurden, gar nicht zu dem Kern der Sache. Welche bureaukratische Kleinlichkeit spricht sich darin aus. Welch' Brunken mit Nebensächlichkeiten, das um so unangenehmer auffällt, als die Kunst durch Abwesenheit glänzt. Nun wird eine solche Ausstellung mit Bewilligung aller Mittel ins Leben gerufen, man scheut keine Kosten, unendlich viel Säle warten darauf, das Gute aufzunehmen, so daß das Publikum täglich davon lerne und dann sich auch freue, und da bringen es diese Komitees und Kommissionen fertig, in der Hauptstadt des Deutschen Reiches eine solche Schausammlung von minderwertigen Produkten dem Publikum zu bieten? Rechnen sie damit, daß die Instinkte und das Wissen beim Publikum noch nicht so ausgebildet sind, daß sie fühlen, wie ihnen hier Afterkunft geboten wird? Wie soll das Bublifum denn lernen? Muß es nicht schwankend werden, wenn ihnen so mit der Macht der Autorität, mit flangvollen Namen etwas geboten wird, wovon die Entwicklung fie gerade befreien soll. Kein Mensch kann verlangen, daß der Laie genug Kritik in fich habe und Wissen, um hier ein Urteil sprechen zu können. Ja, mit diesen Trivialitäten, die hier zur Schau gestellt werden, schmeicheln sie gerade den Instinkten des Publikums. Das ist es aber gerade: diese Instinkte sollen verfeinert werden, das Publikum soll erzogen werden, nicht zu dem, was ihnen eigentlich fremd ist, sondern zu dem, was verborgen in ihnen liegt, vielleicht unter dem Schutt des Alltags vergraben. Freilich ist es leichter, das Durcheinander von Soldaten zu beobachten und dabei zu denken: das ist also die Schlacht von so und so, oder von dem Anblick eines füßlichen, unwahren Aftes, der auf die niedrigsten Instinkte spekuliert, sich angenehm berührt zu fühlen, oder eine hübsche Nonne, an einen Weidenbusch gelehnt, Sentimental über das Wasser starren zu sehen, als sich immer darüber flar zu sein, daß Kunst eine ernste Lebensbethätigung sein soll, daß sie mit allen großen Mächten, von denen wir eine höhere Entwicklung erhoffen, zusammengehen muß und sich nicht erniedrigen darf, irgendwie und irgendwem Handlangerdienste zu leisten. Von einem solchen Standpunkt aus gilt es die Kunst zu betrachten. Und dann will man lernen von ihr und nicht sich müßig von ihr amüsieren lassen und das noch einmal sehen, was man schon vor zehn Jahren wußte. Man muß bei einem solchen Bilde spüren, daß der Künstler irgendwie weiterkomen wollte, sich flar werden wollte, rang. Statt dessen hängen hier Bilder, von denen nichts zu lernen ist, die dem Geschmack der Menge in unerhörter Weise schmeicheln und mit allerlei mehr oder minder deutlichen Absichten auf irgend etwas spekulieren. Für diese Maler ist alles fertig; es giebt nichts mehr zu thun für sie. Für sie giebt es teine Entwicklung. Damit verSchütten diese Leute immer wieder die guten Möglichkeiten lebendiger Kunstbetrachtung; sie halten die Kunst vom Leben fern und stellen eine Talmikunst dazwischen. Dem Publikum wird es vielleicht schwer, bas zu erkennen. Die Fülle erdrückt sie. Der Klang der Namen imponiert ihnen. Also es ist Pflicht der Kritik, aufs schärffte folchem Kunstunfug entgegenzutreten. Das ist keine Kunst hier. Es fehlt jedes Arbeiten. Das ist direkter Unfug. Vor 20, 30 Jahren fonnte das gelten. Das ist Krähwinkelfunst. Unterscheidet sich von der Ausstellung eines Dilettantenvereins in einem Provinznest nur der Masse nach. Es wird nur mit mehr Lärm in Scene gesetzt.
alte Kunst
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es fertig brachten, so viel mindere Kunstware heutzutage noch aufa zutreiben. Der Laie, ebenso auch der Kritiker, fragt sich immer wieder, wie es möglich ist, daß so und so viel sonst vielleicht honette und fängt dann wohl an Leute so irren fönnen in ihren Gaben, zu zweifeln. Es ist aber so, und jedes Jahr beweist es von neuem und das Unerklärliche hier wird es gethan. immer der Versuch gemacht, die Sache so hinzustellen, als handle es Es wird bei Erörterung solcher Fragen von gegnerischer Seite fich im Grunde immer nur um eine Barteinahme für oder gegen die Secession, für oder gegen sie, die Akademie, den Verein Berliner Künstler. Weiterhin wird dann der Gegensatz hineingetragen ftrittigen Punkte und spielt die Erörterung fachlicher Fragen aufa neue Kunst. Das ist ganz falsch und verwischt die persönliche Gebiet. Es handelt sich hier nicht um Personen und nicht um Akademie und nicht um Secession; daß diese Fragen hier übera haupt in Betracht kommen und genannt werden, ist schon ein Zeichen, das irgend etwas hier nicht richtig ist. Es giebt auch keinen Gegena fab zwischen alter und neuer Kunst. Es giebt eben nur die Kunst. und wer nach ihr strebt, der heißt eben Künstler. Wer aber andren Jdealen nachläuft und schöpferisch sich nicht bethätigt, sondern im trivialen Nachahmen nichtkönnerischer Aeußerlichkeiten sich erschöpft der verdient eben den Namen Künstler nicht, mag er sonst Professor sein, mit Orden geschmückt und mit Ehren überhäuft. Diese Herren meinen immer, wenn man sie nicht anerkennen will, wäre man gleich mit Haut und Haaren der Secession verschrieben. Sie kennen eben nur dieses Persönliche und wollen ganz übersehen, daß Kunst über den Parteien steht. Es kann einer dreist der Secession angehören und fann doch nur ein hohler Modemitläufer sein. Und wir, gerade wir, wünschten sehr, daß was auch möglich wäre die Herren am Lehrter Bahnhof zeigten, daß es auch bei ihnen gute Kunst giebta Es giebt ja viele Künstler, die ihren Höhepunkt schon hinter sich hatten und mit Recht guten Ruf genossen, ehe die Secession da wara Diese Alten, denen Kunst Herzens- und Ehrenfache war gingen sie denn von ihnen? Da muß doch wohl etwas nicht richtig fein. Denn sonst bleibt doch Alter bei Alter und Jugend bei Jugend Auch bei der Secession giebt es manches zu bemängeln und zu bea dauern und man könnte sich manches anders und besser denken Gewiß. Jedoch im ganzen merkt man doch, daß da ein ehrliches Streben vorhanden ist, daß keine offiziellen Rücksichten die Enta wicklung hemmen und daß die Kunst da obenan steht und geachtet ista Nicht von einem voreingenommenen Standpunkt wird hier eine solche Ausstellung, wie die am Lehrter Bahnhof bedauert, sondern vom all gemein- fünstlerischen Standpunkt. Und darum spielen wir auch nicht irgend welche modernen Schlagworte, die bestimmten Richtungen das Wort reden sollen, gegen sie aus, sondern wünschen nur, trob allem, der Kunst zuliebe, daß auch in die Große Berliner Kunstausstellung endlich einmal der Geist einziehen möge, dem dem Namen nach diese Räume geweiht sind. Es giebt feine Unterschiede zwischen alter und neuer Kunst. Wohl aber giebt es Unterschiede zwischem Unvermögen und Können oder wenigstens Streben. Gerade eine alte Kraft, die fest in fich ruhte und unbeirrt ihre ganze Persönlicha feit hineinströmen ließe in künstlerische Schöpfungen, an der würden wir uns ja freuen und würden uns wenig darum fümmern, ob diese nun mit dem ganzen Raffinement modernster Technik wirtschaftete oder sich mit dem bewährten Rüstzeug traditioneller Malweise bea gnügte. Zwei Drittel der ausgestellten Bilder sind mit dieser allgemeinen Erörterung erledigt. Es läßt sich über sie nur im allgemeinery reden.
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iveshalb
Will man die Behauptung, daß die wahre Kunst über den Parteien Secession und Große Berliner Kunstausstellung steht, era härten, so braucht man nur den Namen Lenbach zu nennen. Er ist ein gutes Beispiel dafür. Am Lehrter Bahnhof hat er einen ganzen Saal für sich. Er geht gewiß nicht mit den Modernen, das wird niemand von ihm glauben. Hat er doch seine Abneigung gegen die Seceffion oft genug bekannt. Nun zeigt er sich obendrein hier noch, im ganzen genommen, von sehr vorteilhafter Seite. Es tritt das Manierierte, Affektierte bei ihm hier sehr in den Vordera grund und das wirklich Feine kann man hier nicht recht bewundern. Es sieht hier so sehr viel nach Arrangement, nach Theater aus. Er springt mit den Menschen um, als wären sie Teppiche oder schöne Stoffe, die er drapiert. Seinem Kinde mit den blonden Locken zieht er eine Rüstung an und malt es so. Er würde sicher nicht auf die Idee gekommen sein, hätte er nicht seinen Rembrandt, der es ähnlich machte, so getreu studiert und jahrelang kopiert, und andre Bilder wieder mahnen sehr eindringlich an Tizian . Aber trotzdem- trotz aller Anlehnung war es doch eine Persönlichkeit. Er ahmte nicht fflavisch nach. Sondern es gelang ihm, mit den Mitteln der Vergangenheit ein Neues zu geben, in dem er sich ganz ausschöpfte. Mögen wir das Ganze als verlorenen Bosten ansehen, da er nichts Lebendiges giebt, so müssen wir doch zugeben, daß hinter diesen Werken ein Mensch und Künstler steht, den wir so, wie er ist, hin nehmen müssen.
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Die ersten Säle enthalten, alter Gewohnheit treu, allerlei Schlachtenbilder und patriotische Bildnisse. Eines der schönsten ist das Bild„ Kronprinz Friedrich Wilhelm" zu Pferde. Die Kommiffion muß dieses Bild für ein ganz besonderes Kunstereignis gehalten haben. Denn sie gab ihm selbst im Ehrensaal noch einen besonders begünstigten Platz, wodurch die Minderwertigkeit noch in ganz besonders helles Licht gerückt ist. Wie die meisten Künstler Hier weiß auch Hans Krownaski von Licht und Luft nichts. Er