$unb stieß ein klägliches Geheul aus. Was sahen ste? Waserwarteten sie? Welches Geheimnis nahte?Im vollen Glanz des Morgens schien Gras und Laub,Fels und Tier, von dem heimlichen Schrecken erfaßt, der so oftidie Seele Zio Pietros beklemmt hatte.Es kam der Tod.Als Basilio in die Grotte trat, lag der Alte im Sterben.Mit bloßem Kopfe, ein brennendes Lichtstümpfchen in der Hand,kniete der Hirte neben ihm und betete; dicke Tränen liefen ihmüber die Wangen.Auch Basilio warf sich auf die Knie; er konnte nicht mehrweinen, er erinnerte sich nur eines alten Kindergebets. Zehn-,zwölfmal sprach er dies Gebet, die weitgeöfftwten Augen aufdas Antlitz des Sterbenden geheftet. Er sah, wie der weiseBart sich noch leise bewegte, wie die Augenlider sich zu hebenversuchten, wie die bläuliche Hand ein paarmal suchend zuckte.Was suchte sie? Den Stock? Basilio empfand darüber tiefesLeid und bereute bitter, nicht besser gesucht zu haben, bis erden treuen Gefährten gefunden und zurückgebracht hätte. Erbetete nicht mehr, er weinte nicht mehr; er war starr, wie ver-steinert im Anblick des Todes.Der Bart des Sterbenden bewegte sich noch einmal deutlicher; die blutgefärbten Lippen zuckten, die Lider hoben sich.Dann war es zu Ende.Der Hirt löschte die Kerze und machte mit dieser ein großesKreuz über des Toten Stirn, Brust und Schultern; er drückteihm die Lider zu und faltete die Hände auf der Brust. Dannging er hinaus und weinte.Basilio beugte sich über den Toten; bleich, unbeweglicherforschte er das große Geheimnis: Der starre, stumme Körperwürde sich also nie mehr aufrichten; die Lippen würden nichtmehr zu chm sprechen! Und gestern um diese Stunde war ernoch gesund; und morgen würde auch die kalte Hülle nicht mehrda sein. Mchts mehr, wie weit man auch auf Erden suchenmöchte, nichts mehr würde von diesem Manne zu finden sein!Ein düsterer Schatten trübte die klaren Augen Basilios:zum erstenmale ahnte seine wilde, unbewußte Natur das feier-liche Geheimnis des Lebens und des Todes. Ganz leise, wieein Kind, sagte er:„Zio Pietro, steht Ihr nicht mehr auf? Hört Ihr michnicht mehr? Ich bin Basilio, wißt Ihr? Hört Ihr mich nichtmehr? Ich konnte ihn nicht finden. Euren Stock, aber ich willsuchen, bis ich ihn finde, wenn Ihr ihn auch nicht mehr braucht.Ach! Zio Pietro, denkt Ihr noch an gestern um diese Zeit?Was kann nicht alles geschehen in wenigen Stunden! Vielleichtwerde auch ich niorgen um diese Zeit tot sein. Das ist ganz gutmöglich. Wird mir Zeit bleiben, zum bereuen? O, Zio Pietro,sagt es doch niemand, daß Ihr durch meine Schuld gestorbenseid! Erzählt mir noch eine kleine Geschichte! Wißt Ihr noch,Zio Pietro. die Geschichte von dem König, der Eselsohren hatte?Ach, Ihr kommt nun nicht mehr in die Hütte und Ihr werdetEuren Sahir nicht mehr sehen! O, Zio Pietro! Mein ZioPietro!"Und für sich wiederholte er die letzten Worte des Toten:Kleiner Basilio, durch Deine Schuld sterbe ich, ohne meinenSohn wiedergesehen zu haben!Dann stand er auf und schrie verzweifelt:„Und ich sagte es zum Spaß, Zio Pietro, daß Ihr sterbenwürdet und nun seid Ihr wirklich tot!"Erst die Ankunft des nuoresischen Burschen mit dem Arzteund anderen Männern machte seiner letzten Zwiesprache mitdem Toten ein Ende. Nachdem die nötigen Aufnahmen gemachtwaren, legte man ihn auf eine mit Laub bestreute Bahre undtrug ihn fort.Basilio wollte vorher noch den Stock suchen, um ihn demToten in die Hände zu geben. Jemand lachte über diesen Ge-danken, aber er gab ihn deshalb nicht auf.Am Nachmittag, nachdem auch die Neugierigen fort waren,melkte er die Ziegen, zählte sie, schickte die Milch nach Nuoround dachte endlich daran, sich und die Haustiere zu stärken.Ter Hund hörte"nicht auf, zu jammern, die Katze schlich ge-drückt und hungrig umher; doch der Hase hatte die Gelegenheitbenutzt und endlich seine langersehnte Flucht ausgeführt, nurein Stück zernagter Schnur zurücklassend.Sobald Basilio Zeit fand, ging er wieder in den Felsenam Cuccuru Nied du, um den Stock zu suchen. Er bemerkteeinige Fußspuren, die er für die Zio Pietros halten mußte, undindem er diese verfolgte, wurde es ihm klar, welche Angst derVerirrte zwischen dem Gestein erlitten haben niußte. So kamer auch zu dem kleinen Vorsprung, von dein Zio Pietro ab-gestürzt war. Er stichtc einen gefahrlosen Abstieg und gelangtegerade zu der Stelle, wo sie den Alten gefunden hatten. Undwährend er müde, mit schweren Augenlidern auf dem Bodenumherkroch, Moos und Gras und Gesträuch durchsuchend, saher in dem beginnenden Dämmerlicht immer nur den Toten vorsich, den geschwollenen, blutunterlaufenen Rücken, die roteSchramme auf der rechten Hand, das welke Blatt zwischen denweißen Barthaaren.Da überwältigte ihn der Schmerz; er warf sich auf denStein nieder, auf den Zio Pietro gestürzt war.Ueber seinem Kopfe zogen langsam die Wolken hin; diefernen Berge ragten düster am bedeckten Himmel auf; dochBasilio sah nur den wunden Rücken, das welke Blatt in demweißen Barte, und wiederholte sich die letzten Worte des Ster-benden.Um sich von diesem Alp zu befreien, überlegte er, daß aufsein Zeugnis hin, apf das der Gevatter Jacu und andererZeugen, die er um jeden Preis auffinden wollte, Melchior sofortin Freiheit gesetzt werden müßte. Dann dachte er an Paska,an den Abend, wo auf dem Vorsprung von Monte Bidde, indem blauen Dämmerlicht sein Herz wild aufgeschrien hatte:„Soll ich den alten Zio Pietro totschlagen? Sprich nur,sprich! Ich will lügen, morden, alles tun, was Tu willst, nuraus Liebe zu Dir..."„Soll ich den alten Zio Pietro totschlagen?"Ja, er hatte ihn getötet; aber jetzt war es ihm, als oball die Glut, die bis dahin in seinem Herzen gebrannt, erloschensei; als ob lange Jahre dahingegangen seien, seit der Zeit, inder er sich an Paskas Liebe sinnlos berauschte.Und es war ihm, als ob nichts auf der Welt ihm je wiederFrieden geben könnte.—(Nachdruck verbot«».)Menn die Senfe klingt.)Von Otto v. Leitgeb.Ein Bild von der Landstraße gibt mir zu denken,— von derLebensstratze.Durch den Wald spukt der Herbst, wie ein Gespenst. Es istnoch nicht seine Zeit, der Sommer will beileibe noch nicht weichen,im Gegenteil; alles strotzt von Kraft und Leben; alle Säfte, die ergebraut hat, sind gar, zum Ueberfließen,— es ist die Zeit der Reife.Die Obstbäume neigen ihre fruchtbcladenen Neste weit gegen dieErde, in stolzem Reichtum bereit, ihre Gaben abzuschütteln. DieAckerbreiten wogen wie ein goldgelbes Meer, so dicht und schwerstehen die Achren, bereit zu fallen. Wenn die Sense klingt, istdie Zeit, wo Leben und Tod so recht in einander fließen.Bon diesem Punkte an der Landstraße sieht man mancherlei.Drüben den dunklen Wald, und mitten in seinem Grün, hie undda, die Gestalt einer Lärche, deren Nadeln schon fahl geworden sindund die nun dasteht, wirklich wie ein Geisterbaum, wie eine Leichezwischen Lebenden. Links und rechts von der Straße liegen dieherrlichen, schnittreifen Felder. Und da hinter dem Walde ein blei-schwarzer Wolkenrand am Himmel ragt, hat der reiche Bauer seineKnechte und Mägde angespornt, wie er nur konnte, um mit derArbeit vom Flecke zu kommen. Wer weiß, was hinter der schwarzenWolke steckt, die ganzen Sonnentag lang schon jenseits des Waldeslauert und nur gerade einen Teil ihres Leibes vorgeschoben hat.wie ein Lindwurm ein paar Ringel seines dräuenden Schuppen-Panzers.Der reiche Bauer ist ein großer, hagerer Mann. Er kannlustig und schnurrig sein, wenn er will, und hält seine Leute weitüber den Feierabend hinaus an der Arbeit, mit aufmunternden Reden.mit anfeuernden Gesten und mit seinem Beispiele. Bald sieht man ihnda, bald dort, zwischen den Mähern. Er hat die flinksten Beine,seine Arme sind lang und hager, seine Hände unermüdlich. Erträgt die längste Sense; sie flammt und blitzt in der Sonne, wenner weit ausholt damit und in breiten Bögen die Halme nieder-sichelt. Wie Schwcrtklingen funkelt es zwistpcil den Nehren. Reiheum Reihe sinkt zu Boden. Und auf der Wiese neben dem Ackertummeln sich Kinder, sie johlen und kreischen, wälzen sich im Grase,singen und lachen.Auf einem Prellsteine an der Straße sitzt ein uralter Men,ch.Sein mageres Gesicht ist von hundert Furchen und Runzeln durch-zogen. Ein schneeweißer, struppiger Bart hängt auf die einge-sunkene Brust herab. Ein paar silberne Haarlocken fallen unterdem zerrissenen Hute auf die schmalen Schultern, die ein faden-scheiniger Soldateitrock umhüllt. Der Rock ist nicht geschenkt undnicht gestohlen. Er ist mit seinem Herrn alt geworden. Die Brust,die er deckt, war einmal breit und stramm, manch ein Liebchenhat den heißen Kopf daran gelehnt, vielleicht ist manche Tränedarauf gefallen, oder auch Tropfen von Blut. Der alte Soldat istAus der soeben erschienenen Novellensammlung„V e-drängte Herze n". Berlin. E. Fleische! u. Ko. Preis:3,60 M.— Ein Stück dieser Sammlung,»Der Keil", wurde denLesern der„Neuen Welt" im Herbste geboten. Leitgeb zählt zuunseren besten Erzählern.—