„Warum müssen Sie?" „Die Pflicht. Zum erstenmal die harte Pflicht. Wer—" und mit festem Druck legte seine Hand sich um die meine— „ich komme wieder, sobald ich ein freier Mann geworden bin." Das war ein Eid, von seiner Seite. Mir wollte er keine Fessel um den Arm legen, als er ging— Ich habe drei, vier Jahre lang gewartet auf seine Wieder- kehr. Ich habe zwei, drei Jahre lang geweint um meinen Sommertraum. Ich habe diesen Mann nicht geliebt, aber an meines Lebens Horizont hat er gestanden wie die Fata Morgans der Wüste. Und als die Jahre gingen und kamen und er nicht wieder- kehrte, da— ach Gott, Du, da.... Als er wiederkam, war es zu spät. vr» Du, ich habe Sehnsucht nach Dir. Eine rasende, fiebernde, schütternde Sehnsucht habe ich. So stark und gewaltig, daß sie mich fast nicht schreiben läßt.... Was soll ich Dir auch schreiben? Wie soll ich Dir den blassen, kühlen Zuknnftstraum meiner vierundzwanzig Jahre schildern in dieser flammenden Herbstabendsonnenpracht? Die lügen, die da sagen, daß die heißeste Glut in der Jugend loht. Die heißeste Glut ist ein vollbewußtcs, reifes, rasendes Verlangen, das alle einengenden Fesseln zersprengt. Und die Jugendliebe? O, die Jugendliebe, Du! Das sind Phantome, blasse Schatten, die nicht Blut und nicht Leben haben, die ganz Ahnung sind, ganz Stimmung nur: eine lilafarbene, bleiche, sezessionistische Frübsommcrabendstimmung. Und all ihre Fonnen sind verzerrt. Ueberschlanke, gespensterhafte, sehnsuchtkranke Gestalten sind es: die heben ihre müden Arme in den sterbeirden Himmel empor, und ein feiner blauviolctter Flor legt sich leise, leise und lautloS über das erste, knospende Grün. Das ist noch alles Träumen und Ahnen nur, ein Träumen, dessen Erfüllung niemals kommen wird,— so eine müde, sterbensselige Glücksahnung. Ein Hauch von Reif webt durch die Dämmerung. Du aber: mein Leben, mein Fleisch und mein Blut—! Hast Du den Septemberlnmmel gesehen in seiner fiebernden Glut? Den Septemberhimmel über dem Meere? Tief unten flutet das Leben. Es flutet, Seele, es wogt nicht. Alles ist still; ein leises, ruhiges Atmen hebt die See. Ein befriedigtes Atmen. Sie hat sich ausgetobt an diesem leuchtenden Tage— und sie weiß, was kommen wird. Sie weiß, was kommen wird. Sie braucht ja nur die Augen aufzuschlagen, sturmdunkel, Du, und sehnsuchttief— Und sie sieht geradeaus in den lodernden, flammen- gepeitschten Himmel über sich. Leg' Deine Hand auf meine Brust— und steh: Weithin über der atmenden See dehnt sich die Ferne. Die Ferne, die Dir und mir erschlossen ist. Granitene Felsen, sturmtrotzig, titanengewaltig türmen sich hochauf— bis über die Wolken empor. Auf diesen Felsen bauen wir unser Schloß. Und siehst Du, wie es wächst? Schlanke Säulen streben aus felsigem Grunde empor, und goldene Kuppeln wölben sich über dem marmornen Unterbau. Wände aber, die uns decken könnten. Wände, die unser Glück umschließen, die uns begraben wollen, die siehst Du nicht.... Zwischen den Marmorsäulen hindurch schaust Du gerade in den Himmel. Ter flammt wie lauter Blut. Oder wie lauter Feuer. O Blut und Feuer, Du— das hätte der Himmel »licht?!— Doch! Falte nicht so fromm die Hände. Frieden ist der Tod. Blut und Feuer hat der Himmel! In gewaltigen Flammen loht es empor. Und Du. der Du aus dem Feuer stammst. Du willst das himmlische Element nicht erkennen? Wirf das Alltagsgewand ab! Stehe nackt da als ein Mensch in diesem wundervollen Sonnenuntergang! Denn sie kommt, die Nacht. Und weißt Du noch, was Du mir einst gesagt? Du sprachst zu-mir mit den Worten eines Gewaltigen: „Wie das Weib dem Mann gegeben Lieblich zur Gespielin war, Ist die Nacht das halbe Leben—- Und die schön'« Hälfte zwar.* Und nun hebe die nackten Arme in diesen Sonnen« Untergang empor! Erwarte den Blitz!— Das ist keine müde, sehnsuchtblasse Ahnung mehr. Das ist Erfüllung. Die Garben ruhen in der Scheuer, und die junge Saak ist gesäct. Mag denn der Winter kommen. Die Ernte ist uns ein» gebracht. . Und in der Glut dieses Herbstsonnenunterganges soll ich Dir reden von meinen bleichen Hoffnungen?-- Ach, Du: wir sind auf Erden. Und der kleine Gymnasial» lehrer aus Posen hat keinen Schatten geworfen in mein Leben. Und dennoch hat auch er einen Teil zur Erfüllung meines Daseins beigetragen. Er hat zum erstenmal den Gedanken in mir erweckt an Mannesliebe und Mutterseligkeit. Ja, Du: damals Hab' ich daran gedacht, wie süß es sein müsse, am eigenen Herde zu walten als Herrin des Hauses. Eine treue Seele zu haben, der ich alles sagen und alles an» vertrauen dürfte. Ein Kind zu hegen und zu herzen— und einen Menschen aus ihm zu erziehen! Aus den immer fester sich schlingenden Banden des Alters, aus Mutterarmen sehnte sich die Jugend hinaus auf ein Feld, das sie beackern und besäen konnte nach Gottes Geheiß. Des Gottes, der in ihr wohnte.... Und das war nicht der Christengott, der auf dem Altar seine gemarterten Arme in die stummen Lüfte streckt. Ja. Tu, ich habe geträumt von einem bürgerlich geordneten Haushalt. Und ich habe mich damals gesehen, im Junge- Frauen-Kapottchütchen und im hellen Seidenkleid an meines Mannes Arm durch die Straßen gehen, begafft und beneidet von meinen Altersgenossinnen, denen kein Erlöser aus Posen gekommen war, ich babe mich bürgerlich-behäbig in einer Fensternische sitzen gesehen, meines Mannes Strümpfe stopfend und meinem Jungen die erste Deklination überhörend: mensa , mensire, rneiisae, rnensam. Aber da war eine alte Mutter und eine unversorgte Schwester um ihn. Er konnte kein mittelloses Mädchen heiraten. Und ich konnte nicht warten auf seiner Mutter Tod. Mein Lieb! Wenn ich glaubte an einen Gott, der unsere Schicksale nach seinem jjroßherrlichen Willen lenkt, so würde ich heute in die Knice sinken und in den flammenden Herbst- Himmel hinauf jauchzen:„Dank Dir. Höchster, daß Du mich bewahrt hast! Schöpfer, Erhalter, Vernichter. tausendfachen Dank Dir!" Aber ich glaube nicht an die Willkür. Und deshalb fasse ich heute Deine Hand und jauchze Dir zu: „Schöpfer, Erhalter, Vernichter! Der Himmel loht, und der Winter kommt! Und weißt Du auch. Allwissender, daß wir rot loderndes Blut in den Adern haben, das flammt und pocht und fordert in rasendem Takt.... und daß der Winter anch für uns kommen wird, wie für alle, für alle....?" Und der Blitz fällt. In der schweigenden, schwülen Septembernacht— Und die Jahre gingen und kamen. Aus dem Schnee er- wuchsen Veilcfyön, und die Chrysantemen brach der Sturm. Im Sommer stand ich am Herde und kochte für die Vielen, die da Genesung suchten in den Fluten der Soole, im Frisch- hauch der See. Im Winter tat ich nichts.... Ich lag im Bette, bis die Sonne in mein Zimmer schien. Und sah in den blassen Himmel hinauf oder starrte in den wirbelnden Schnee.... Der Schnee war mir lieber als die Sonne. Der deckte wenigstens all' das zitternde, frierende, kümmerliche Leben mit seinem schönen weißen Laken zu. so daß man den trostlosen Todeskampf nicht zu sehen brauchte. Und in einem der vielen Spätsommer, die ich in unserem Pensionat verlebte, kam Marie. Sie kam mit ihrem Manne, um im Soolbade Kräftigung zu suchen. Die Jahre hatten eine duldsame, blasse Frau aus ihr gemacht, so wie ich ein alterndes, blasses Mädchen geworden war.... Ihr Mann war Geistlicher. Ich sagte es Dir schon: der junge Vikar aus ihrem Heimat» dorf, der ihren Vater in seinem letzten Lebensjahr per- treten hatte.
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21 (16.12.1904) 247
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