Das erste Kindchen war ihnen gestorben; dann hatte sie zweimal Fehlgeburten gehabt, die ihr die Frische von den Wangen genommen und den Glanz in den Augen gelöscht hatten. Und nun wollte ihr Mann so gerne einen Sohn haben, einen Erben.... Er wollte noch mehr. Die kranke Frau hielt zitternd meine Hand, und der alte, süße Schimmer wollte noch einmal in ihren Augen aufglänzen, als sie draußen in der dunkel umbuschten Jasminlaube zu mir sprach, mir das Elend ihrer Ehe enthüllte. Er wollte noch mehr: Befriedigung. Eine volle Be° friedigung seiner starken Sinnentriebe. Eine Befriedigung, die er als Geistlicher außerhalb der geordneten Bahnen nicht suchen durfte, und die er nun suchte bei dem blassen Weibe, das sich, zitternd vor seiner Gier, in die entferntesten Ecken ihrer ehelichen Wohnung flüchtete.... Ihrem Gatten zu gehorchen, war ihre„Pflicht". Und sie wäre kein braves, christliches Eheweib gewesen, wenn sie sich ihm verweigert hätte. „Nimm die Faust und schlag' ihm ins Gesicht!" schrie ich auf. Da erlosch der flüchtige Schimmer in ihren vergrämten Zügen. Ein scheuer, gehetzter Blick flog an mir vorbei.... „Sei still, sei füll," bat sie leise.„Du verstehst es nicht. Wilma; o Gott , das verstehst Du nicht!" „Doch," sagte ich empört,„Ihr wollt nur nicht verstehen. Laßt Euch aussaugen bis auf den letzten Tropfen Blut! Mit den Nägeln wehr Dich, wenn es nicht anders geht!" „Der Skandal, Wilma,— und— und siehst Du: ich würde ihn aus dem Hause treiben!" Nun kam mir ein Lachen in die Kehle. Ja, schluckte es aber hinab. Da gab es keine Hülfe mehr. Die Soole hat denn auch die erhoffte Wirkung gehabt. Marie hat einem Knaben das Leben gegeben nach neun- monatlicher Frist. Und nach abermals Jahresfrist einem Mädel. Und nach abermals Jahresfrist ist sie gestorben. An Entkräftung, an allgemeiner Auflösung. Sie hat noch einmal an die See gewollt, die ihren ersten Mädchen- träumen ein so süßes Lied gesungen. Aber die Aerzte haben sie nach Franzensbad geschickt. Aus dem Böhmerlande kam sie als eine Sterbende heim. Und fern in Schlesien lebt ein kleiner Junge, für den mein Name als Schutzengel in das dickleibige Kirchenbuch ein- getragen steht. Ich habe Mariens Sohn noch nie gesehen. Wenn aber mein Weg mich einmal an Rübezahls Gebiet vor- beifiihren sollte, so will ich einen Veilchenstrauß auf das Grab der Frau legen und dem Knaben weich, wie mit mütterlicher Hand über das blonde �Haar streichen. Ehe noch Marie hinüberging, hatte ich einen Anderen zu Grabe zu geleiten: Albrecht. Sie sagten, er sei am Säuferwahu gestorben. Sie brachten ihn in die Heimat seiner Frau und begruben ihn auf dem Dünenfriedhof am Ostseestrand. Hinter einem blätterlosen Dorngcstrüpp, am Wege stand ich, als sie ihn vorbeitrugen. Militärmusik voran! Dann ein lorbeergeschmückter Sarg, von dem lange weiße und schwarze Atlasschleifen herabwallten... und das alles: die Trauerspitzen, die Atlasschleifen, die Kreppschärpen und Lorbeerkränze, raschelten und flatterten und flogen im schneidendeil Oktobersturm. Und all die Jahre, die ich durchkämpft oder vegetiert hatte, verwehten wie die Blätter von dem Eichenbaum über mir. Als habe eine Fee mich mit dem Zauberstabe berührt, so däuchte mir's: ich war ein fünfzehnjähriges Kind ge- worden. Ich hätte die Reihe der Leidtragenden durchbrechen, hätte mich auf den Sarg stürzen und den Toten herausreißen mögen an meine heiße, verlangende Brust; in die Ohren, die nicht mehr hörten, hätte ich ihm schreien mögen: „Du, ich habe Dich geliebt! Warum hast Du es nie gewußt?" Ach, ich war so zahm geworden, daß ich derlei Unschick- liches nicht tat; ich griff nur heimlich in das Dorngestrllpp und riß mir die Finger blutig. Das sah niemand,— das durfte ich tun. Dann ging ich heim. Ich hatte meine Kinderliebe bc- graben. ( Fortsetzung folgt.) Die Schmerzensreichen� Vin lautes, jammervolles Klagen drang zu mir, wie vieler Wogen wilder Klang. AuS weiter Ferne kam es zu mtr her, als trriigs auf weißem Wellenschanm das Meer; tief aus dem Bode» stieg es himmelwärts, aus Mutter Erdes riesengroßem Herz; die ganze Welt schien voll davon zu sein, die Lust rings um mein einsam Kämmerlein; mit Schatten drang es ein und Swrineswehen, vor Angst und Schrecken glaubt ich zu vergehen; und jene Stimme, die in» SturnNvind sprach, klingt ewig mir in tieffter Seele»mch. „Das Kind empfingen freudlos wir, verzagt/ das Mütter träumend schau'n in Lilienpracht. Jin Schöße trugen»vir die Kreatur mit Mühsal, Hunger, Angst und Sorge nur. In Kanimern ohi»e Lust, hoch untern, Dach, im Reisfeld, wo Malaria lauernd lag; in Fluren, Ivo voll grauser Majestät die Pellagra mit irren Augen geht, an Orten voller Sklaverei und Not, wo wir unr Kraft und Mut gefleht zu Gott, und uns, erliegend, nur ein Fleh'n durchbr't: „Ninnn uns das Kind, o Gott, noch eh es lebt—." • „In krankem Mutterschoße trugen wir armselige Wesen, nur zum Weinen hier, das Blut aus uisiev» Adern, matt, verblaßt, erhielten sie, und unirer Ketten Last. Gern wären wir an» Tag für sie bereit; doch ist der Tag kurz, lang die Arbeitszeit; der Lebensunterhalt hält uns mit Krallen fest, indes die Straße uns das Kind verderben läßt. Uns Müttern drückt nur Sorge das Gemüt, an ros'gen Wiegen singen wir kein Lied; sing' du, damit die Welt zum Mitleid auf sich rafft von dieser Marterqual der Mutterschaft I... „Du, die mit der gefallnen Brüder Blut du schreibst, beseelt von der Empörer Glut; du. deren Kühnheit Trotz dem Schicksal bot, besing' den Schmerz, der stärker als der Tod. Erinnre dich, erinnre dich; solch Leid trug deine Mutter in vergangner Zeit. Erinnre dich, erinnre dich; dein Schrei gleich dem des Vogels aus dem Waldnest sei; dem Volke gleich, das einbricht in die Schlacht, der Flamme gleich, die einen Wald entfacht; kein Heil gibt's, ruf der Welt eS zu voll Kraft, wenn so erniedrigt ist die Mutterschaft I.. Sie schwiegen,— doch wie unterm Himmelsdom, Dem sternenlosen, braust ein wilder Strom. so stürmisch rauschend noch die Luft durchdrang der Klagen und der Seufzer Widerklang. O. so lang noch in schwachein. ird'schem Kleid mein Jimerstes erglüht bei frenrdem Leid, bei jedem Pulsschlag düstrer LebenSqual, in Gegenwart und Zukunft, überall hör ich der Klagen endloses Gestöhn, der Schwesterseelen unerhörtes Flehn, und immer töi»t in» Herzen»nir der Schrei, voll Vorwurf und Verzweiflung: Steh' uns bei!.». *) Aus dem soeben erschienenen Buche:„Mutterschaft Gedichte von Ada N e g r i. Ins Deutsche übertragen von Hedwig Jahn. Berlin . F. Fontane u. Co. Geh. 3 M.,geb. 4M.— Ein schönes Buch, dem wir viele, recht viele Leser wünschen.
Ausgabe
21 (16.12.1904) 247
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