ist. Die besten Kaffeemaschinen und einzig in der Welt dastehenden Rübenschäler sind jetzt auch auf den Boulevards zu haben, Lampen- anzünder und Stiefelwichse, Schreibpapier und alte Noten, Uhren und goldene Ringe und Ketten, alte Madonnen und der Kopf mit dem wachsenden Haar; das ist ein irdener Kopf als Blumenscherbe, in den man Gras oder Petersilie sät, wodurch er sich grün behaart, auch einen Schnurrbart kriegt und Augenbrauen; ja sogar auf seiner Zigarre wächst grüne Asche. Diese Buden sind, wie gesagt, der Neujahrsgeschenke wegen er» richtet. Vor Weihnacht werden sie aufgeschlagen und durch Ver- Wendung der Landesmutter, Frau Loubet , dürfen fie nach Neujahr noch acht Tage bleiben. Die eigentliche Pariserische Weihnachtsfeier findet in den feinen Restaurants und Nachtcafes statt. Weder am heiligen Abend, Reveillon , noch am Silvester wäre da ein Platz zu kriegen. Alles vorher belegt. Man ißt und trinkt fein und amüsiert sich mit Weibern. Wenn immer der Franzose knauserig ist, da kommt es ihm nicht darauf an. Da gehen die violetten Scheine weg wie Rauch. Reveillon bei Maxims oder im Cafe de Paris, das kostet etwas. Da kann man Verschwendung sehen. Da feiert die Demi-Monde ihr großes Fest. Tiefstens ausgeschnitten, daß sie alle zu einer Berliner Opernpremiere anstandslos zugelassen werden würden. Und auch Musik gibt es dabei. Zigeunermusik meistens, die auf die Sinne geht. Und nichts fehlt, was man für hohes Geld haben kann. Alles ist da zu haben, alles. Alles, was man be- schreiben kann und alles, was man nicht beschreiben kann. Hier erfüllen sich die Träume der Hurenkarriere, daran hängt die Sehn- sucht der kleinen Montmartroise. Da der Pariser überhaupt gern im Restaurant ißt, so haben viele für diese beiden Abende die Ein- richtung getroffen, einen höheren Preis für das gewöhnliche Menu festzusetzen, und hiervon kann denn auch der Familienvater, der es mit der Solidität halten will, Gebrauch machen. Auch diese Restaurants sind dann meist überfüllt, denn feiern, das ist gut essen und trinken wenigstens, wenn man sich die anderen, höheren Genüsse versagen mutz. Ter Neujahrstag ist der große Kütztag der Franzosen . Alle Welt küßt sich da, und man hat manchmal seine liebe Not, dem Küssen zu entrinnen, wenn man nur ein klein wenig mit jemand bekannt ist. Sonst ist nichts vom Neujahr zu merken. Man wünscht sich ein gutes Jahr und eine gute Gesundheit, was bei einiger Höflichkeit immer dabei sein mutz und damit genug. Außer dem Kuß natürlich, immer nicht zu vergessen. Auch die kleinen Restaurants bleiben während der Neujahrsnacht offen, und wo der Raum reicht, kommt es zu einem Tanze. Und dann kommt noch der Dreikönigstag, Hohneujahr. Der bringt dann einen alten Brauch im Familienkreise, womit der Tag gefeiert wird. Da backt der Bäcker den Dreikönigskuchen, auf den seine Klienten als Geschenk den gegründetsten Anspruch haben. In diesen Kuchen ist eine gläserne Bohne, ein Püppchen oder ein Frauen- schuh eingebacken. Freunde und alle Familiengtlieder sitzen beim Wein oder Grog, wenn der Kuchen verteilt wird. Wer nun beim Essen das Püppchen in seinem Stücke findet, ist König oder Königin. Ist es ein Herr, der die Puppe gesunden hat, so muß er eine Königin wählen, ist's eine Dame, so wählt sie den König. Beide werden dann gekrönt. Die goldenen Pappdeckelkronen wurden/ dafür schon in Bereitschaft gehalten. So oft nun der König trinkt, oder die Königin, so ruft die ganze Gesellschaft: Oe Roi boit! Das gibt den Anlaß zu vielen Ausgelassenheiten und Lustigkeiten.„Der König trinkt I" Und leicht rückt sich ihm die Krone dabei auf's eine Ohr. Anderen Tages gibt er seiner Königin, wenn er galant sein will, oder aus einem anderen Grunde, ein kleines Geschenk. Ter Brauch ist sehr alt. In„feinen Kreisen" wird er wenig mehr geübt, aber der Bourgeois hat ihn noch nicht ganz verachten gelernt. Im Louvre hängt ein Bild von Jakob Jordaens (1593 bis 1678), das diesen Brauch darstellt,„Re Roi boitl" Es ist voll derber Ausgelassenheit, trinkfröhlich und genußfeiernd. Bohnen- königsfest heißt das in München befindliche Bild desselben Meisters. Bohnenkönig von der in den Kuchen eingebackenen Bohne. Unsere Sitten sind andere geworden und was vom Alten noch besteht, das berührt uns doch einigermaßen fremd. Auch unsere Lustigkeiten find andere. Aber wenn man vor so einem Bilde steht, da fühlt man es recht, wie die derbere Form doch weit mehr mit Harmlosigkeit erfüllt war als die heutige glättere Art. Der Brauch wird sich bald ganz verloren haben. Aber wenn er auch nirgends mehr geübt wird, die Bäcker werden doch noch ihren DreikönigSknchen zu spenden gehalten werden, denn davon läßt man weniger leicht. Und das von Rechts und der Kinder wegen. Paris . Wilhelm Holzamer . kleines Feuilleton. tn. Brennessel. Vor kurzem wurde mir das Lokalblatt meines kleinen Heimatortes zugesandt. Da war eine Todesanzeige blau angestrichen. Die meldete in trockenem Tone, daß Herr Heinrich Hebcwald gestorben sei. Und am Rande stand mit Bleistift gekritzelt nur dies:„Brennessel I" Es ist mit so einem Wort mitunter, als würfe es eine Tür auf. Dahinter liegt eine vergessene Welt. Brennessel I Vor mir steht jäh eine hohe, hagere Gestalt mit langen Armen und Beinen, mit einem mageren, faltigen Gesicht, aus dem ein» lange Nase hinausstrebt. Reichliches, widerborstiges schwarzes Haar auf dem knochigen Schädel; die Stirn vorgewölbt und breit.— Eine hohe Klappmütze, ein gelbes Halstuch, schwarzer Schoßrock und dito Weste, braune Beinkleider und Schaftstiefel— das war da? Aeutzere. Anders habe ich ihn nicht gekannt. Seinen wirklichen Namen erfuhr ich erst jetzt aus der Zeitung. Alle nannten ihn Brennessel— ob er dabei war oder nicht. Die einen sagten es rein gewohnheitsmäßig, andere lachten dabei, einige betonten es hinterlistig, und viele gab's, die sprachen den Namen mit nur Zähneknirschen au sund giftigem, unverhülltem Haß. Aber gerade unter den letzteren waren nicht wenige, die sich feige duckten vor Brennessels großen braunen Augen, mit denen er so ruhig verwundert geradeaus schauen konnte. Diese Augen waren das merkwürdigste an dem Manne. Sie paßten in das Gesicht nicht hinein, machten es unharmonisch in hohem Grade. Alles an Brennessel schien zugespitzt und scharf und deutete auf einen kritischen, eigensinnigen Charakter. Die Augen hingegen waren die Sanftmut und Gutmütigkeit selber und schienen stets um die harten Worte zu trauern, die von den Lippen kamen. Vielleicht waren es diese Augen, bielleicht auch die Aepfel und Zuckernüsse, von denen ein unerschöpfliches Lager sich in den langen Rockschößen zu bergen schien, die ihm unser Herz, das Herz der Jugend gewannen. Pielleicht rührte unsere Sympathie für Brennessel auch daher, daß er sich gelegentlich scharf gegen die Herr- schaft des Rohrstockes in Schule und Familie ausgesprochen und hin- zugefügt hatte, in den meisten Fällen sei der richtige Platz für die Prügel an bejahrteren Rückenenden zu suchen. Diese gewünschte Uebertragung fand unser volles Verständnis. Und wir liebten unseren Anwalt. Wünschte er einen kleinen Dienst, sb sprang jeder. Sein Spitzname war sicherlich auch nicht von Kindern erfunden. trotzdem sie ihn nie anders begrüßten, als„Tag, Onkel Brennessel!" Das nahm er auch nicht übel, im Gegenteil: er lächelte ein wenig selbstgefällig dabei. Getauft auf jenen Namen war er von denen. oie sich an ihm„verbrannt" hatten und sich in der Folge fürchteten, ihn anzugreifen. Bei den von ihm auf törichten oder unlauteren Wegen Betroffenen lebte die unausgesprochene Absicht, ihn zu einer komischen Figur zu stempeln, seine Aussprüche als die eines Narren hinzustellen und ihn als bar jeder soliden Vernunft zu bezeichnen. Das gelang nur zum kleinsten Teil. Die Kraft der tieferen Logik und rücksichtslosen Ehrlichkeit bewährte sich auch hier. Nur die ganz Dummen lachten. Die meisten zitterten vor ihm oder empfan» den sein Dasein doch als eine arge Unbequemlichkeit. Wenn der Abendschoppen die Bürger im Ratskeller zu Karten- piel und Bierbankpolitik zusammenführte, dann saß Brennessel ab, eits vom großen runden Stammtische allein bei seinem Glase. Er tudierte die wenigen auswärtigen Zeitungen und schien ganz ver- tieft in sie. Bis er plötzlich ein Wort in die Stammtisch-Unter» Haltung schleuderte. Ein schneidendes, rücksichtsloses Wort, das den wirbelnden Rededunst wie mit einem Beilhieb spaltete und den Kern der Sache bloßlegte. Dann zuckten sie wirklich zusammen wie bei einem unwillkürlichen Griff in die Brennesseln. Und der Kampf begann. Ein ungleicher Kampf. Denn ob sie gleich ein Dutzend stark, plötzlich einig geworden am runden Tisch, und sich gegen den Eindringling kehrten,— Brennessel warf ihnen so viele und gut« Gründe an den Kopf, daß sie schließlich nicht mehr aus und ein wußten, durcheinander schrien und lärmten, sich immer mehr erhitzten und am Ende in ihrer ratlosen Wut zu persönlichen Gehässigkeiten übergingen. „Wer bist Du denn? Ein Stänkerl" „Hast Du Dich hier hereinzumischcn?" „Der größte Streithans im ganzen Ort!" „Keinen Menschen läßt er in Ruh, der Zankfritze l" Und einer duckte sich unter den Tisch und quietschte:„Brennessel!" Das war wie ein Signal zu brausendem Hohngelächter:„Brenn- nessel I"„Brennessel!"„Brennessel!" Dann klappte der Verspottete seine Mütze auf den Kopf, steckte die Hände in die Hosentaschen, daß die Rockschöße sich schmal nach hinten buchteten und stellte sich straf vor den Heulenden auf, sie mit seinen großen braunen Augen mitleidig musternd. Das rief die Verlegenheit in den anderen herauf. Allmählich wurden sie murrend still und hätten sich am liebsten versteckt. „Indianer!" sagte er verächtlich, spuckte aus und ging, gefolgt von Blicken, deren jeder eine ihn hätte vergiften mögen. Gelegentlich suchten ihn wohl auch einige zu gewinnen, ihn so- zusagen vor ihren Wagen zu spannen. Sie verbrannten sich. Ee stieß alles und alle von sich ab. Und so mußte er im Streit häufig die Frage hören:„Hast Du denn einen Freund? Hast Du denn überhaupt einen einzigen Freund, he?" Nein, Brennessel hatte keinen Freund. Nicht einen. Das wau seine Schuld. Denn er suchte keinen. Jeder, der sich ihm noch so aufrichtig näherte, wich zurück vor dem scharfen, bitteren Wesen da» als erstes stets die Schwächen des anderen sah. Aber Brennessel war doch auch wieder kein menschenscheuer Fremdling im Orte, keiner, der sich einwickelte vor den anderen und sich als Feind in die Ein- samkeit zurückzog. Im Gegenteil: wo sie am dicksten beieiuandev saßen, da ging er hinein. Und hörte sich all den wuchernden Klatsch einer kleinen Stadt mit an, sah und hörte alles. Aber er sah und hörte es anders als alle die anderen. Und machte seine Be- merkung dazu. Seine Bemerkung, die nie mit denen der anderen übereinstimmte. Da hatte ein Armenhäusler gestohlen, oder es war ein Mädchen verführt worden, und die landläufige Moral stau? auf im ganzen
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22 (10.1.1905) 7
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