Mnterhaltungsblatt des Horwürls Nr. 50. Freitag, den 10. März. 1905 (Nachdruck verboten.) « Mira!— ZVlama! Erzählung aus dem Leben der Hafenarbeiter von V. I. D m i t r i e w a. Autorisierte Uebersetzung auö dem Russischen von S. E. W i n i k o f f. (Schluß.) „Die Sache muß gut überlegt werden," dachte Mikola bei sich, am Tage, wenn er sich unter dem Kurtan bückte, und nachts, wenn er sich auf der harten Pritsche seines Quartiers herumwälzte.„Es muß tüchtig gespart werden. Sobald ich es erst bis auf hundert Rubel gebracht habe, nimmt die Plackerei hier ein Ende. Werde dann Land kaufen und in der Erde graben. Warum denn sollte es mir nichtglücken?" Er schlief wie im Fieber ein und träumte von riefen- haften Fontänen Naphtha , die bis hoch in den Himmel aus der Erde schössen, und oft sah er um sich herum Kisten von Gold stehen. Nach solchen traumreichen Nächten stand er matt und schlaff auf. Ehe er sich zur Arbeit begab, mußte er ein großes Glas Schnaps zu sich nehmen, das ihn wohl kräftigte, aber ihm auch stark zu Kopfe stieg. Dazu der Lärm der Straße, die heiße, brennende Sonne, der feine Duft der blühenden Mimosen, die glänzenden Läden, die heiteren, geschäftigen Ge- sichter der Leute, die in den prächtigen Wagen umherfuhren: all dies verstärkte in ihm mehr und mehr den Wunsch, sich auch seinen Anteil am Lebensfeste zu sichern. Zeitweilig er- schien es dem Träumenden, als sei er gar nicht mehr Mikola, der arme Muscha in Lumpen, sondern ein ganz anderer Mensch. Diese ganze Stadt, diese in blauem Dunst liegenden Berge, alles das gehörte ihm, und die drohenden 5�anonen auf den Wällen schössen seinetwegen, um seine unermeßlichen Reich- tümer vor dem unsichtbaren Feind zu schützen. Diese aufregenden Träumereien entkräfteten Mikola ficht- lich: er magerte ab, fiel zusammen und wurde schwach. Und aus Saschibino schrieb man ihm zu dieser Zeit:„Unser einziger Sohn, Mikola Saveljewitsch! Wir senden Dir unseren elter- lichen Segen in Ewigkeit und einen innigen Gruß. Wir bitten Dich mit Tränen, trockene unsere Tränen und schicke etwas Geld, wenn auch nur wenig!" Mikola empfing diese Briefe und beantwortete sie gar nicht. Sie müssen noch warten, dachte er. Wenn ich es erst auf hundert Rubel gebracht habe, dann wird Gott schon helfen. Erst wenn er ein eigenes Geschäft angefangen hatte, wollte er sich in seinem vollen Glänze in Saschibino zeigen. Er be gann sogar, sein Geheimnis vor Rogulia zu bewahren und er zählte ihm nicht, wieviel gespartes Geld er schon im Beutel habe. Die Durchgängernatur Rogulias und sein Leichtsinn ge fielen Mikola nicht; er wußte, daß Rogulia ein unzuverlässiger Mensch war. Hatte Rogulia kein Geld, so war er verdrießlich und scharwenzelte um die herum, die ihn freihalten konnten. So bald aber in seiner Tasche Geld klimperte, war er hochmütig und anmaßend und hatte keine Ruhe, bis er sein Geld los war. Er war laut und lärmend, liebte es, alles auf den Kopf zu stellen, spielte auf der Zurna, brüllte ausgelassene Lieder, der- sammelte um sich zerlumptes Hafengesindel, dingte Musikanten, die er freihielt, und schrie mit heiserer Stimme: „Der bezaubernde Mond schwimmt über den Flnuuuß, Fluuuuß!" Auf Mikola, der seine Kneipereien mied, war er ärgerlich und oft überhäufte er den Kameraden mit Vorwürfen: „Ein geiziger Mensch bist Du! Knauserig! Auch ein Arbeiter muß sich einmal eine Freude gönnen. Verstehst nicht mal ordentlich aufzutauen. Sparst Du? Oder was tust Du sonst?" „Vielleicht spare ich," antwortete Mikola. „Wofür?.. Ein Pferdchen?.. Ein Kühchen kaufen?" ironisierte Rogulia mit seiper heiseren Stimme. „Vielleicht auch kein Kühchen," antwortete geheimnisvoll Mikola. Rogulia richtete seine durchdringenden, blauen Augen auf ihn und betrachtete lange das abgemagerte, ernste Gesicht Mikolas. „Nun.. nun.. spare!" sprach er nachdenklich.„Ei, der Teufel, Du bringst es vielleicht doch zu was! Dann, Bruder« vergiß aber nicht den Rogulia!" „Schön!" dachte Mikola.„Warte nur, sobald ich mir hundert Rubel gespart habe." Aber bis zu hundert war es noch weit. Es war Mittag, und die Sonne brannte ungewöhnlich heiß, selbst der Himmel war durch die unerträgliche Glut weiß und hing schwer über der reichen Stadt. An den Bergen sah man dicke, graue Wolken, die wirbelnd um sie kreisten. Das Meer, das an den Ufern milchig-türkisfarben schimmerte, war am Horizont aufgewühlt durch den wehenden Wind, ganz schwarz. Alles verging vor Hitze, und die Maschas, schwarz vom Staub und naß vom Schweiß, konnten sich kaum auf den Beinen halten und schimpften redlich. Schließlich aber hörten sie auch mit dem Schimpfen auf; es verging ihnen die Lust. die Zunge, die schwer am Gaumen klebte, zu rühren. Müde und erbittert beugten sie sich schweigend unter ihrer schweren Last. Der Warenberg auf dem Landungsplätze wuchs, das Ausladen ging seinem Ende entgegen.. Ach, wenn es doch schneller ginge! dachte das erschlaffte Gehirn. Und dieser eine Gedanke vereinigte diese ganze vielstämmige Arbeitermenge, die sich nach Ruhe und Abkühlung sehnte. Sogar die eifrige Winde war anscheinend müde und drehte nicht so geschäftig wie sonst die Räder. Dem Mikola war schon lange der Mund vor Hitze aus- getrocknet, die Knie schlotterten ihm, und vor seinen Augen lag ein roter Nebel, aber er blieb nicht hinter den anderen zurück.„Nein, ist das eine Hitze," dachte er sich und�schob langsam die Beine auf dem schmalen Stege vorwärts.„'S war doch noch nie so schlimm!" Im Kopfe dröhnte es ihm, als wenn Glocken läuteten. „Wira, Wira! Schneller!" schrie der Aufseher auf dem Verdeck.„Wira! Wira!.. Maina!.. Halt!.." „Wie es doch im Kopfe summt," fuhr Mikola im Denken fort und krümmte seinen Rücken.„Na, laß es man summen.. kann mir doch keinen ganzen Rubel entgehen lassen!" Und man lud ihm einen ungeheuren Ballen auf. Mikola stöhnte auf und taumelte ein paar Schritte vorwärts. Der rote Nebel vor seinen Augen wurde noch dichter und. undurch- dringlicher. „O, ist das aber auch schwer! Teufel, was sie mir alles auf den Rücken wälzen! Na, meinetwegen, wenn nur bloß erst die hundert voll wären." Plötzlich schien der Steg ihm unter den Füßen weg- zuschwimmen, über den Platz, die Waren und die Menschen legte sich ein roter Nebelschleier, in den Ohren begann es zu summen, und in seiner Bnist zerriß etwas.. Er fiel schwer nieder mit seiner Last.... Auf dem Platze entstand ein gewaltiger Lärm, die Maschine verstummte, der Haken blieb leer sich hülflos hin und herschaukelnd über dem Kielräume hängen, und die Träger ver- ließen ihre Arbeit und umringten Mikola. „Teufel auch!" schimpfte Rogulia und drohte jemand mit der Faust.„Wie kann man nur. einem Menschen solch ein Ungeheuer aufladen? Ist er denn ein Büffel oder so was? Verdammte Blutsauger Ihr!" Kamel kam herzugelaufen. Als er den ausgestreckten, von der Last erdrückten Körper des Mikola sah, brach er in ein Gehen! aus und bemühte sich, den Ballen wegzuschleppen. Als man den Aermsten unter der Last hervorzog, war er ohne Besinnung. Unter den geöffneten Augenlidern sah man das blutunterlaufene Weiße des Auges. Vor den Lippen stand ihm blutiger Schaum, und in seiner Kehle gurgelte uiw knurrte etwas wie eine lose Schraubenmutter. Ein Träger brachte Wasser herbei und Rogulia, weinend und schimpfend zugleich, benetzte den Kopf des besinnungslosen Kameraden. Kamel aber saß daneben zusammengekauert, schaute gen Himmel und heulte laut. Auf der Schiffsbrücke erschien der Kapitän. „Was ist denn los? Warum arbeitet man nicht?" „Ein Mann ist gestürzt. Euer Wohlgeboren!" antwortete man ihm aus der Menge. „Nun, dann man ins Kranrenhaus! Die Bahre her! Wo zum Teufel ist denn die Bahre?" „Hier ist sie schon!"
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22 (10.3.1905) 50
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