Nnterhaltungsblatt des'Vorwärts Nr. 84. Freitag, den 28. April. 1903 flkachdmck verboten.) 41 flammen. Noman von Wilhelm Hegeler . Ein alter pensionierter Briefträger im Nachbar- garten ließ ihm Hülfe angedeihen mit guten � Ratschlägen. die er ihm über den Staketenzaun herüberschrie: wie man den Spaten richtig anfassen und dann hübsch gleichmäßig Scholle auf Scholle umkehren müsse. So kam Grabaus mit der Zeit hinter die uralte Kunst des Grabens. Und allgemach ergriff ihn ein ganz neues, bis dahin nie so recht gekostetes Frohgefühl: daß sein Körper im Schweiß der Arbeit dampfte, während sein Kopf immer sorgenfreier und leichter wurde. Selbst hatte er sich dann— immer den Anweisungen des alten Briefträgers folgend— ein Pflanzholz zugeschnitten und eine Kartoffel nach der anderen ins braune Erdreich vergraben. überzeugt, daß er von ihnen nie wieder etwas zu sehen be- kommen würde. Aber welche Freude, als im Mai die Sonne lauter grüne Schößlinge hervortrieb! Und wie er nun vor wenigen Tagen mit seiner Frau zur Ernte ausgezogen war. da hatte er sich in nitch geringerer Aufregung befunden als ein Adept, der um Mitternacht nach Schätzen gräbt. Sollten da unten wirklich Kartoffeln vorhanden sein? Er grub— und rmtd und sauber lagen sie in die Erde gebettet, nesterweise, aus einer waren bald zehn, bald zwölf, bald acht geworden. Nie hatte er so eigentümlich, so einfach und überzeugend die rätselhafte Fruchtbarkeit der Mutter Erde erkannt, wie bei diesem Anblick. Er hatte das Gefühl, jemandem danken zu müssen und wußte doch nicht wem? Bon dunklen, weiten Ge- fühlen durchströmt, die sein Verstand nicht entwirren mochte, lag er auf den Knien und wühlte behutsam nach immer neuen Schätzen in der lockeren, sonnedurchwärmten Krume und war glücklich in dem Bewußtsein, daß auch er ein Teil sei dieser ewigen, unbegreiflichen und gütigen Kraft, Heute nun sollte er die Kartoffeln essen.''Und während er sich in übermütiger Stimmung an den Tisch setzte, sagte er zu seiner Frau: „Na, Konstanze, heute geht's doch hoch her! Wenn alle Stricke reißen, werde ich Bauer." Seine Frau war mit dem Schälen beschäftigt. Unter Lachen und scherzen verging die halbe Mahlzeit, als ihr plötzlich einfiel, daß er ihr noch etwas erzählen wollte. Der Stiinmung gemäß, in der Grabaus sich befand, be- richtete er auf lustige Weise, welcher Schreck ihn ergriffen, als er das Paar bei der Obsthändlerin entdeckte, dann, was für einen Tobsuchtsanfall Wuhlmann bekoinmen hatte beim An- blick des Geheimrats Teichmann, und wie sie sich zu guter Letzt selbst in die Haare gefahren waren. Aber als Grabaus hiervon sprach, trat unwillkürlich bei seiner Erzählung das heraus, was ihn, ohne daß es ihm selbst zum Bewußtsein gekommen wäre, am meisten getroffen hatte. Nicht, daß er durch seine unkluge Offenheit sich Wuhlmann zum Feind gemacht, und seiner Karriere geschadet hatte. Darüber war er längst hin- weg! Aber das schmerzte und entsetzte ihn, wie Wuhlmann sein übereiltes Wort beantwortet hatte. Diese Art, die eine so niedrige und gewöhnliche Seele verriet, auf ein unerfreu- liches Urteil mit einer persönlichen Gehässigkeit zu reagieren Ter ehrliche und fachliche Mensch in ihm war empört, und verwundet war der arglose Enthusiast, der, so gut er die Schrullen seines Lehrers kannte, doch bis dahin noch immer zu ihm aufgeblickt hatte. Aber mitten im Sprechen sah er, daß seine Frau die Gabel beiseite legte und mit aufgestütztem 5iopf vor sich hinstarrte. „Was ist Dir, Herz?" fragte er erschrocken.„Du wirst das doch nicht tragisch nehme».— I, darum soll's uns doch schmecken." Damit griff er in die Schüssel und wollte ihren Teller wieder füllen. „Laß!" sagte sie finster.„Mir ist der Appetit ver- gangen!" „Warum nicht gar! Komm, mach gleich ein vergnügtes Gesicht." „Ich bitte Dich, laß die Scherze!" erwiderte sie heftig. „Sag mir lieber, was jetzt aus uns werden soll?" „Ja, glaubst Du denn, ich würde meinen Weg nicht trotz- dem machen? Weil ein neidischer Professor mich nicht auf- kommen lassen will, deswegen sollte ich für meine Zukunft fürchten? Du lieber Himmel, das wäre doch einfach kindisch!" Aber seine Frau schien überhaupt nicht zu hören, sondern nickte nur immer düster mit dem Kopf vor sich hin. „Das Hab ich mir doch immer gedacht, daß es mal so kommen würde. Du mußtest Dir ja den Mund verbrennen mit Deiner Unvorsichtigkeit. Nun kannst Du hier als Privat- dozent sitzen, bis Du schwarz wirst. Und paß auf, Dein Stipendium wird Dir von der Regierung auch noch entzogen. Ach, du lieber Gott ! Du lieber Gott, was soll denn nun werden?" „Du sprichst, als nagten wir schon am Hungerwche." „Das wird auch noch konunen. Paß nur auf! Wenn Du so weiter machst—" „Nun höre mal zu, mein Liebling! Haben sich unsere Verhältnisse nicht einfach glänzend gestaltet, nachdem wir mit dreihundert Mark Vermögen geheiratet haben, und die ganze Welt uns das schönste Elend prophezeit hat? Habe ich nicht gleich im ersten Jahre so viel Vorträge gehabt, daß wir allein davon zur Not hätten leben können?" „Aber die hast Du jetzt doch nicht mehr!" „Narr, ich habe sie aufgegeben, um mich lieb Kind bei den Kollegen zu machen. Um mir den Nimbus des gelehrten Mannes zu wahren, für den das große Publikum nicht existiert. Aber die Rücksichten brauche ich jetzt doch nicht mehr zu nehnren. Jetzt, wo ich frei wie ein Vogel bin—" „Ja, ja, vogelfrei! Das stimmt." „— jetzt kann ich doch schreiben und Vorträge halten, so viel ich will." „Ach, aber das alles ist doch nichts Festes. Vorträge—• Vorträge—" „Na, und glaubst Du, es gäbe nicht mehr Universitäten? Ich versuch's eben anderswo." „Als ob Du jetzt irgendwo ankämst! Bilde Dir doch das nicht ein. Nein, wie kann man nur? Wie kann man nur so dumm sein?! Sich selbst alles verderben." „Liebe Konstanze," sagte Grabaus plötzlich scharf,„nun ist es wirklich genug. So sollte meine Frau nicht sprechen. Du kannst sagen:„Du hast Dich wie ein Esel benommen, aber in gewissen Fällen muß sich ein anständiger Mensch eben wie ein Esel benehmen."— Siehst Du, ich dachte. Du würdest mir die Hand drücken und sagen:„Dumm von Dir, aber auch schön von Dir! Ich hätt's auch so gemacht." „DaS fehlte noch! Das möchte Dir so passen, daß ich das auch noch schön finde." „Ja, wär's Dir denn lieber, ich hätte still geschwiegen?" „Natürlich! Was denn?". Ein leiser Ausruf des Schreckens entfuhr ihm. Er sprang auf. Während er das Zimmer verließ, hörte er, wie seine Frau ihm nachrief: „Du hättest auch wohl Deine Serviette falten können!" Sie schellte dann dem Mädchen und befahl diesem in ihrem ruhigen gewöhnlichen Ton, bei dem Herrn die Lampe anzustecken. Grabaus saß in seinem S'uhl, die Arme über der Brust fest zusammengepreßt, als sucht? er sein aufgeregt poche's Herz zu beruhigen. Das alles war ja so plötzlich gekommui! sagte er sich. Ein unüberlegtes Wort des Zorns bei ihr so gut wie vor einigen Stunden bei ihm. Sie würde zur Be- sinnung kommen, und sich dann als die treue und hochherzige Frau bewähren, für die er sie bis heute gehalten... Sein Blick fiel auf das Bild der heiligen Barbara über dem Bücher- gestell, das vom Lampenschimmer gerade hell bestrahlt war. Dies Bild hatte er während seiner Verlobungszeit gekauft als einzigen Schmuck seines kargen Studentenlogis, da er in den sieghaften und edlen Zügen jener Frau Aehnlichkeit mit denen seiner Braut entdeckt hatte. Nun richtete sich sein Auge wieder darauf, und all die Erinnerungen einer gläubigen, verehrungs- vollen Liebe, die ihn Jahre hindurch erhoben hatte, kehrten zurück. Aber heimlich stechende Angst umschnürte ihn zur selben Zeit enger und enger, während längst verklungen« Worte, plötzliche Erleuchtungen, die aber, ehe sie noch Gesicht
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22 (28.4.1905) 84
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