3: »Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Ouixote von la Mancha". Auf diesen vielversprechenden Titel folgt die Widmung, die nach damaliger Sitte einem Grafen, Herzog oder Fürsten   galt. Hier ist es der Herzog von Bejar, Graf von Benalcazar, Banares und Alcocer, dem die Ehre zuteil wird,im Vertrauen auf die gute Aufnahme und Achtung, die der Genannte allen Produkten der Literatur erweise", wie in der darauf folgenden Erklärung devotest auseinandergesetzt wird. Es folgt ein Prolog in Prosa, der dem müßigen Leser" gilt und mit der naiven Versicherung beginnt: »Ohne Schwur magst Du mir glauben, daß ich wünsche, dieses Buch, das Kind meines Geistes, wäre das schönste, lieblichste und der- ständigste, das man sich nur vorstellen kann". Ebenfalls verlangt die Sitte, daß nun eine Reihe von Gedichten sich anschließt, in der bekannte Personen von Rang und Stand das Buch begrüßen. Cervantes   machte sich die Sache leicht und zitiert allerlei phan- tastische und romanhafte Personen, die nie und nirgends gelebt haben und füllt mit ihren absichtlich teils ungeschickten, teils prä- tentiösen Versen die ersten Seiten. Mit launigem Geist gesteht er diese Freiheit der Erfindung im Prolog selbst zu und bereitet darauf vor. Da erscheint Urganda die Unbekannte, die dem Buche allerlei gute Ratschläge gibt und die Künstlichkeit und Feinheit ihres Gebarens damit beweist, daß die letzte Silbe jeder Zeile immer fehlt, beim Lesen aber durch den Reim sofort leicht ergänzt wird. Es folgt Amadis von Gallia, der Held eines weitberühmten Ritter- rowans des Mittelalters, beginnend mit: Du, der Du usw. Dann Don Belianis von Graecia, gleichfalls als Romanheld weitberühmt, die Dame Oriana, die die Heldin des Cervantesschen Romans, die Dulzinea von Toboso, ansingt; Gandalin, der Stallmeister des Amadis verherrlicht Sancho. Dann sprechen Sancho und das edle Rotz Rosinante selbst in Versen; der rasende Roland redet Don Ouixote an, und nach einigen anderen Apostrophierungen beschließt ein Gespräch zwischen den heldenmütigen Gäulen Babieca und Rosinante diese umständliche Einleitung, die uns gleich einen Be- griff gibt von spanischer Grandezza und Feierlichkeit, und uns zu- gleich über diesen prätentiösen Formelkram hinweghebt und lachen läßt, da Cervantes   nur spottend diesen Brauch nachahmt. Ohne daß wir es merken, sind wir mit einem Male damit in dieser fremden Welt heimisch und lesen voller Spannung und Laune den Beginn:In einem Dorfe von la Mancha. dessen Namen ich mich nicht entsinnen mag, lebte unlängst ein Edler, einer von denen, die eine Lanze auf dem Vorplatz haben, einen alten Schild, einen dürren Klepper und einen Jagdhund". Die Welt war damals überschwemmt von Ritterromanen, die sich entwickelten aus den alten Heldensagen des Mittelalters. Man kann aber genau verfolgen, wie die Bearbeiter dieser Stoffe allmählich zum Leben hindrängten. Das Leben solch eines irrenden Ritters wurde in aller Breite und Ausführlichkeit geschildert. Er kam durch alle Lande und die Beschreibung der fremden Sitten nahm einen breiten Raum ein. In kindlicher Weise suchte der sich nach der Ferne, nach dem Fremden sehnende Geist sich so zu genügen. Die Annäherung der Menschen, die Ueberbrückung nationaler Gegensätze hat hier schon ihren Anfang. Nur mußte das Leben noch in Aben- teuer verkappt sein. Es war nun kennzeichnend, daß die Ritter- romane nur den Adel berücksichtigten. Durch die Abschließung kam eine Un Natürlichkeit des Tons, eine Verschrobenheit der Vorstellungen, eine Uebcrtreibung und Verzerrung alles Natürlichen wir brauchen nicht weit zu sehen, um diese groteske Äcrbildung noch jetzt bei uns wahrzunehmen, wenn ein Stand sich' allzu erhaben über andere dünkt und dazu weiter nichts als den Zufall der Geburt und des Geldes mitbringt in die Darstellung und Auffassung des Lebens hinein, die schließlich unerträglich wurde, von der Masse der Leser und das waren damals nur die Gebildeten aber wie Kolportage­roman c verschlungen wurden. Das Lesen dieser Erzeugnisse grassierte wie eine 5trankheit. Auf diese Krankheit wirkte Cervantes  Don Ouixote" wie eine Kaltwasserkur. Er schrieb diese Satire, um die Welt von dieser Krankheit zu heilen. Er parodierte alles, was bis dahin angestaunt wurde. In ihm triumphierte das Leben, das sich von dem Alb der Vorstellungen befreite. Der neue Roman trat in Kreise, die bis dahin ihm verschlossen waren, das Volk wurde geschildert als natür- kich, arbeitsam, lustig, gesund. Damit war eine lange Entwickelung abgeschlossen und zugleich eine neue angebahnt. Der alte Ritter- roman   der in unseren Kolportageromanen, zuweilen auch in den fogenannten besseren Romanen in anderer Verkleidung immer noch spukt war zu Grabe getragen. Er war tot. Cervantes   hatte sein Amt gründlich besorgt. Zugleich aber gibt er einen Anfang. Der Roman erobert sich das wirkliche, umfassende Leben und strebt nach Wahrheit. Die eigentiunliche Schönheit der Cervantesschen Diktion besteht darin, daß er noch jede Einseitigkeit vermeidet, er wird nicht platt. Phantastjk und blühendes Lehen ist dicht nebeneinander hei ihm. Ter Eindruck der Fülle und einer höheren schöpferischen Wahrheit ist die Folge. Und Don Ouixote und Sancho, die in ihrer Gegenüber- stellung zwei ewig gültige Lebensprinzipien darstellen der über­spannte Phantast und der zufricdensattc Rationalist find Typen, die uns in allen Landen, hei allen Völkern, in allen Gesellschafts- klaffen wieder begegnen. Es sind zwei Extreme, zwischen denen die ganze abwechselnde Skala der menschlichen Charaktere, die eine immer wieder neue Mischung dieser beiden Faktoren darstellen, sich bewegt. Diese beiden Helden reiten hinaus, das Leben liegt vor ihnen. In natürlicher Reihenfolge ergibt sich so die Form der Erzählung. Und wir begrüßen diese ungezwungene, naive Form, die uns natürlich anmutet, wenn wir die vielen gequälten Versuche der Romandichter daneben halten. Es ist die ursprünglichste Art des Erzählens und Erlebens. Alles, was wir sehen darin liegt wieder die höhere Bedeutung, erhält dadurch einen vorübergehenden Wert. Personen tauchen auf und verschwinden. Das Leben geht weiter. So wie ein Fremder durch ein Land reitet, allerlei erlebt, darüber berichtet und weiterzieht. Cervantes   wollte eine Satire gegen die Ritterromane und die sich darin aussprechende Unnatürlichkeit und Weltflucht schreiben. Unter der Hand aber erwuchs ihm ein eigenes Werk, das die Parodie nur noch zum Teil als Mittel benutzt. Er wollte Uickraut ausjäten und ehe er sichs versah, hatte er das Land so sorgfältig und liebevoll bereitet, daß unversehens Blumen um ihn hervorblühten und er in einem Garten stand, in dem es duftete, glänzte und lachte. Früchte hingen über ihm an schönen, kräftigen Bäumen. Und überall jubilierte das Lebe». Möge es jedem so gehen, der tatkräftig auszieht, um Altes zu stürzen I _ Ernst Schur  . Kleines feuületon. k. Neues von Fritz Reuter  . Unter dem TitelHeiteres und Weiteres von Fritz Reuter  " veröffentlicht soeben A. Römer   ein Buch sBerlin, Mayer u. Müller), das einige wertvolle Beiträge zuni Leben und Schaffen des Dichters bringt. Die interessanteste Gabe wird allen Freunden des Dichters die hochdeutsche U r g e st a l t derFestungstid" sein, die Reuter   im Jahre 1855 alsEine heitere Episode aus trauriger Zeit" in dem heute fast ganz der- schollenenUnterhaltungsblatt für beide Mecklenburg und Pommern" herausgegeben hat. Fritz Reuter   hat diese Wochenschrift ein Jahr lang redigiert, und er folgte vielleicht einer Anregung Hoffmann- Fallerslebens, der im Jahre 1844 nnt dem Dichter zusammen- getroffen und von dessen humorvollen Erzählungen aus leinem siebenjährigen Gefängnisleben so entzückt war, daß er ihn mehrmals bat, alles gerade so aufzuzeichnen, wie er es eben erzählt habe, als er sich 11 Jahre später entschloß, diese erste Niederschrift seiner Festungstid für die Leser seines Unter- Haltungsblattes abzufassen. Wenn man nun die jetzt zugänglich gewordene hochdeutsche Fassung mit der 7 Jahre später geschriebenen plattdeutschen, allbekanntenFestungstid" vergleicht, so wird man zunächst über die starken Abweichungen im Inhalte überrascht sein. Daß Reuter   in der Erzählung seines Gefängnislebens Wahrheit und Dichtung sehr frei gemischt hat, hat die Forschung ja schon genug- sam gezeigt; aber der Leser sieht doch aus diesem praktischen Beispiel mit einigem Erstaunen, wie weit er darin ge- gangen ist. DieEpisode" behandelt nur den Aufenthalt in Graudenz  einschließlich der Reise dorthin, während das spätere größere Werk schon in Glogau   einsetzt und den Leser auch nach Magdeburg   führt. Der allgemeine Rahmen der Erzählung ist, soweit Graudenz   in Betracht kommt, natürlicki derselbe; aber in der Folge und Motivierung der Szenen zeigen die beiden Fassungen die größten Verschiedenheiten. Der Stil in diesem hochdentschen Versuch könnte denen zu denken geben, die den ganzen Reuter ins Hochdeutsche zu überwogen versuchen.Als Sprachmeister", schreibt Römer,ist Fritz Reuter  \m Hochdeutschen nicht der Dichter ersten Ranges: sein Stil wirkt hier zuweilen recht geziert und in der gesuchten Bilder» spräche recht gekünstelt. Da denkt man nicht selten an einen Land- man», der echt, urwiichsig und originell nur im Alltagsrocke erscheint, im Sonntagskleide aber sich nicht immer natürlich zu bewegen weiß. Die plattdeutsche Sprache selbst zwingt den Autor zur Ernfachheit des Gedankens, des Ausdrucks; da ist er ganz in seinem Element. Andererseits fehlt es auch in derheiteren Episode" nicht an kost- lichen, phantasiereichen Schilderungen, die den Dichter, den Humo- rissen erkennen lassen." Dieheitere Episode" ist die Schilderung des Liebeswetteifers der beiden Hallenser   Stnbenburschen, desKapi- täns" und desKopernikus  ". Aber der humorvollen Darstellung fehlt auch nicht der wagische Hintergrund. So mag als Stilprobe wiedergegeben werden, was der später nach Graudenz   kommende Kopernikus  " noch von der Behandlung der gefangenenDema- zogen" in Magdeburg   erzählt:Denkt Euch bloß einmal, da sitzt derErzbischof" und ich gerade und essen das schauderhafte Gericht. welches in Pp. unter dem NamenKartoffelstürze" passiert, als die Klappe in der Tür aufgeschlossen wird und das alberne Gesicht des Majors v. B. hineinsieht, das gleich darauf einem anderen sehr vor- nehmen Gesicht Platz macht, welches neugierig umherschaut und end- lich mit den Motten:Also dies sind zwei von den Demagogen?" sich aus der Klappe zurückzieht.Zu Befehlen, Exzellenz, dies sind zwei derselben."Sie essen jetzt wohl gerade?" iMich wunderte, daß der vornehme Herr nicht fragte:Sie werden wohl gerade gefüttert?")Was essen sie?"Herr Inspektor," fragte der zweite Kommandant Major v. B.,,was essen diese Staatsverbrecher?Kartoffelstürze, zu Befehl," war die Antwott des Inspektors.«Also Kartoffelstürze? So, so? Kattoffelstürze." sagte die Exzellenz.Ist doch wähl ein gesundes Essen?"Sehr, Exzellenz, sehr!" versicherte der zweite Kommandant.Mr ist gesagt worden, die Gesundheit dieser jugendlichen Verbrecher soll in