Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 115.
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flammen.
Freitag, den 16. Juni.
( Nachdrud verboten.)
Der Major zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor und wies darauf hin, indem er selbst ebenfalls Plaz nahm. Setz Dich! Sprich Dich doch offen aus."
"
Aber als sein Bruder, ohne der furchtbaren Erregung Herr werden zu können, heftig sich schnaubend auf und ab ging, fuhr er fort:
Du meinst, ich soll die Augen aufmachen? Aber ich fehe ja alles ebensogut wie Du. Ich weiß so gut wie Du, daß Marie Luise Gefassen an Doktor Grabaus findet und gern mit ihm verkehrt. Nur auf die Beurteilung dieses Verkehrs kommt es an. Ich kann nichts Schlimmes drin finden."
" Dann hab ich nichts weiter zu sagen." CaOder hast Du vielleicht etwas bemerkt, was sie in einem falschen Licht erscheinen lassen könnte? Du weißt ja selbst, eine wie arglose Natur sie ist."
Es hat überhaupt keinen Zwed, mit jemandem zu sprechen, der um die Sache herumredet und nicht verstehen will."
Und was ist nach Deiner Meinung der Kern der
Sache?"
Du's.
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,, Daß die beiden ineinander verliebt sind. Nun weißt Mich geht's ja nichts an aber-" Erwartungsvoll sah der Major seinen Bruder an, erregt und innerlich bebend auch er, trotz der großen Ruhe, mit der er gesprochen hatte.
aber
Sprich doch! Was ist denn?" Mich geht's ja nichts an Und in unzusammenhängenden Brocken kam nun alles heraus, was er wußte, das, was Frau Grabaus ihm erzählt und das, was er selbst beobachtet hatte. Wenn aber der Major versuchte ihn zu unterbrechen, begann er zornbebend feine Stimme zu erheben und wiederholte:
Mich geht's nichts an. Meine Frau ist sie ja nicht.
Mach, was Du willst."
Nachdem der Major das anfängliche Erschrecken überwunden und sich das Gehörte klar gemacht hatte, war er immer ruhiger geworden und verfolgte nun den Aufgeregten mit stillen, aufmerksamen Blicken. Er sah, wie dieser unter dem lang gehegten Argwohn gelitten hatte, und mit aller Stärke regte sich in ihm das Gefühl brüderlicher Zuneigung. Bu gleich aber erkannte er, flarer als jemals zuvor, wie fremd Sie sich innerlich geworden, wie in aller Stille die Richtungen ihres Empfindens auseinander gegangen waren. Und aufleuchtend wie ein heller Schein kam ihm zum Bewußtsein, daß dies Marie Luisens Werk sei. Mit einem Mal glaubte er, deren Nähe zu spüren, und das Vertrauen zu ihr durchdrang ihn mit einer Süßigkeit ohnegleichen.
"
Als Doktor Platen dann geendet hatte, fragte er: Was meinst Du nun, das ich tun soll?" " Das fragst Du ein Offizier?" entgegnete dieser auffahrend.
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Wenn ich nun dente, daß dem Offizier hier kein Urteil zusteht?"
Einen Augenblick stutte Doftor Platen, und über seine vor Aufregung fast hülflosen Züge, die dem Weinen nahe schienen, glitt zuerst der Ausdruck eines jähen Entsetzens, dann aber ein Lächeln hin.
Ach so- so" murmelte er.
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Und so beleidigend war dies Lächeln, daß der Major einen Augenblick seine Beherrschung verlor und bebend fragte: Was heißt das? Was heißt das dies Lächeln?" Donnerwetter!" schrie Doktor Platen. Entweder trittst Du als Mann auf und sehst den Herrn vor die Tür, oder -na ja dann läßt Du's eben stillschweigend geschehen. Aber was Drittes gibt's nicht."
" Ja! Doch! Es gibt etwas Drittes.". Und das ist?"
"
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1905
Du würdest es nicht verstehen. Oder wenn Du's verständest glaub mir, dann wärst Du glücklicher. Ja, ich weiß, Marie Luise liebt ihn, aber ich weiß auch, daß sie gegen diese Liebe ankämpft. Soll ich nun das, was sie ganz allein aus sich heraus tun kann, ihr mit Gewalt abtroßen? gesprochen. Heut kann ich's einfach nicht mehr. Denn heut" Vor ein paar Jahren noch, da hätte ich vielleicht wie Du
„ hast Du Dir soviel blauen Dunst vorreden lassen." Doch nun war die Erregung gänzlich aus dem Major gewichen.
Nenn Du's blauen Dunst," entgegnete er ruhig. ch finde, daß mein Leben dadurch klarer geworden ist. Es gibt mehr als ein Entweder- Oder. Ja, fast möchte ich glauben, dies Entweder- Oder gibt's überhaupt nicht.- Siehst Du, wie Mann und Frau miteinander stehen, das kann niemand anders beurteilen. Kein anderer kann da hineinsehen. Nur eins will ich Dir sagen. Das Beste, was ich von Marie Luise gelernt habe, ist der gütige Blick, mit dem fie alles ansieht. Sie glaubt an das Gute in den Menschen. Daß ich das von ihr gelernt habe, empfinde ich als mein größtes Glück. Und ich müßte ein elender Kerl sein, wenn ich ihr gegenüber diesen Glauben verleugnen wollte."
Doktor Platen erwiderte eine Weile nichts. Erst nach längerem Schweigen brummte er:
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Lehr Du mich die Weiber kennen. Egoisten und Kinder sind sie alle zusammen. Aber mich geht's ja nichts an." In düsterer Stimmung verharrten die Brüder, in dem Gefühl, daß zwischen ihnen beiden keine Verständigung, kaum der Major hinausgehen, um sich nach seiner Frau zu er ein ferneres Zusammenleben mehr möglich sei. Grade wollte kundigen, als die alte Magd eintrat und aufgeregt erzählte, daß die gnädige Frau vor einer Weile ganz heiß und fieberhaft nach Haus gekommen wäre. Während Christine ihr beim Mantel bemerkt, und die gnädige Frau hätte ihr gesagt, daß Auskleiden behilflich gewesen sei, hätte sie Blutflecken an dem diese von einem Blutsturz herrührten. Ehe dann Christine sie ins Bett gebracht, wäre sie ohnmächtig geworden.
Der Major eilte hinauf. Als er ans Bett trat, lächelte Marie Luise ihn an und murmelte:
Mußt Dich nicht beunruhigen. Es ist weiter nicht schlimm." t
Da das Sprechen ihr große Mühe machte, drang der Major nicht in sie, sondern fragte seinen Bruder um Rat, der ihn auf dem Treppenabsatz erwartete. Dieser erklärte, daß sich für den Augenblick nichts tun ließe, schickte aber doch nach Eis und Kamphor und ließ einen anderen Arzt holen, der auch nach kurzer Zeit erschien.
Marie Luise glaubte bestimmt, daß sie noch in dieser Nacht sterben würde. Während an ihrem Bett Gestalten und flüsternde Stimmen vorüberhuschten, lag sie in dämmerndem Traumbewußtsein, umschwebt von leichten, seligen Gefühlen.
Vieles von dem, was Marie Luise in dieser letzten, endgültigen Aussprache gesagt hatte, wurde Grabaus erst nach mehreren Tagen klar. Wohl hatte er all ihre Worte gehört, aber sie waren in seine Seele gefallen gleich Samenförnern, die erst aufgehen müssen, um ihr eigentliches Wesen zu entfalten. Das aber schien ihm der hauptsächlichste Sinn und
nhalt des Gesagten: entweder besaß er wirklich die Kräfte, deren er fich rühmte, dann konnte niemand sie ihm rauben, noch irgend eine Ungunst des Schicksals ihr Wachstum endgültig verhindern. Wenn er aber behauptete, diefer Frau zu bedürfen, um der zu werden, der er sein möchte, so war das einfach ein Zeichen, daß er nicht eine aus sich selbst leuchtende Sonne, sondern nur ein Trabant war, der von erborgtem Glanze lebte. Ueberhaupt kam ihm jest zum Bewußtsein, welch ein Wahnsinn es gewesen war, von ihr ein solches Opfer zu fordern. Und wenn seine Gesichtsmuskeln nicht erstarrt gewesen wären, wie sein Herz zerborsten und klanglos geworden war, so hätte er wirklich hell auflachen müssen über die wirre Einfalt seiner Lidenschaft. Denn das eine schien ihm sicher: ihre Liebe war im Grunde doch nur ein Spiel gewesen, ein Spiel freilich, der Wahrheit täuschend ähnlich und von Marie Luise selbst dafür gehalten. Nachdem ihr mancherlei vom