Cr stand schon in der Tür und hatte die Schwelle über» schritten, als er sich plötzlich umwandte und sagte: Marie Luise wir sehen uns nie wieder.* Doch Du siehst mich wieder." Wann?" In diesem Augenblick blitzte aus dem purpurnen Band, das hinter den gegenüberliegenden Dächern sich ausbreitete, erstes Frühlicht und ergoß sich mit einem feinen, hell stau- benden Strom ins Zimmer. Aber desto dunkler hob ihre Ge- stalt sich ab, und tiefe Schatten und Furchen lagen auf ihrem schmalen Gesicht, als wäre alles blühende Fleisch ihrer Wangen von unsichtbaren Händen unterhöhlt. Kaum verständlich, nur ein rauhes Flüstern war ihre Antwort. Leb wohl! Leb wohl!" Dann schloß sie die Tür, und er stand allein auf dem finsteren Flur. 19. Langsam stieg der Wagen mit Marie Luise und ihrem Bruder die Straße nach Castelruth hinan. Die beiden saßen stumm nebeneinander und wechselten nur in langen Zwischen- räumen eine ckurze, gleichgültige Bemerkung. Er hatte dabei gestanden, als Grabaus Abschied nahm von seiner Schwester, hatte dem Zurückbleibenden noch lange gewinkt, der ohne ein Zeichen der Erwiderung vor sich h n- brütete, b's er dann, als der Zug schon die Halle verlassen, wie aus einem Traum aufwachend, den letzten vorbeirollenden Wagen nachstarrte. Da war in Wolf ein jäher Zorn über seine Schwester aufgebraust, deren Handlungsweise ihm grau- sam und unbegreiflich erschien. Aber als er sich dann um- gewandt und ihr Gesicht gesehen hatte, war dieser Zorn ver- raucht. Mit trocknen, wie verzehrten Augen blickte sie ihn an. Ist er fort?7 Er nickte. Und mit einemmal begriff er, was in ihr borging. Er setzte sich in die äußerste Ecke des Coupäs und drehte ihr den Rücken zu. Mit aller Kraft suchte er sich zu beherrschen, aber unaufhaltsam rollten die Tränen über seine Wangen. Wie ein Kind weinte er der einzige, der weinen konnte. e Träge, mit gesenkten Köpfen schlichen die Pferde dursch' jdie Sonnenglut."! Zweimal hatte Marie Luise diese Fahrt gemacht und ÄT die alten Stellen erkannte sie wieder, an denen sie jetzt vorüber- . kam, und auch die Empfindungen von damals stellten sich wieder ein. Da war die Zollschranke. Das erste Mal hatte sie dort mit ihrem Mann gerastet und dem Freund eine Karte geschickt mit vergnügten, fast übermütigen Zeilen, daß sie ihn bald erwarteten. Die Gegend sei so herrlich. Er müßte schien» nigst kommen! Das zweite Mal war sie den Berg hinunter in schlankem Trab durchgefahren, mit Unruhe und bänglicher Sorge wohl, aber doch mit wie viel freudiger Wiedersehens- Hoffnung im Herzen! Jetzt aber-- Doch von ihr selbst und dem, was sie erwartete, kehrten ihre Gedanken immer wieder zu dem Zurückgebliebenen zurück. Was mochte er nun wohl tun? Saß er in seinem Hotelzimmer und dachte an sie? Irrte er durch die Straßen und suchte sie dort? Wieder hörte sie seine letzten Worte, als er auf dem Wege zum Bahnhof sie noch einmal, obwohl er wußte, daß es vergeblich war, zu» rückhalten wollte. Nun trug er an seiner Qual, war irr an sich und an ihr, denn kein Wort hatte sie erwidert. Jetzt aber bog sie sich zurück, und aus ihrer verzweifelten Brust stieg es wie heißes Rufen zu dem Fernen hin, es sei doch nur für ihn, daß sie sich opferte. Damit er frei war fürs Leben, für alles, was die Zukunft von ihm forderte, hatte sie ihn verlassen..-. Aber wie unterirdische Wasser, die, mag man ihre Ausflüsse verschließen, wo und wie man will, den- noch immer neue Wege finden, erhoben sich die alten raunen» den Stimmen, ob es nicht doch die Möglichkeit eines neuen Lebens gäbe in naher oder ferner Zukunft? Der Drang nach - Glück, nach Daseinsrettung umklammerte sie mit starren Griffen. Konnte ihr Mann die Trennung nicht verwinden? War seine Frau durch Bitten und Vorstellungen nicht zu er- weichen? Und wenn sie selbst den Geliebten von Weib und Kindern losriß, konnte sie's nicht verantworten? Wenn er das neue Amt verlor, blüht» mit ihr zusammen nicht überall eine fruchtbare, schönere Zukunft? Warum hatte sie's nicht gewagt, den Sprung ins Dunkle? Wer sich nur mutig in den Abgrund stürzt, irgendwo muß er ja Boden finden. War's nicht Feigheit? Die letzte dumpfe Regung der törichten All» tagsseele, die vor dem Aeußersten zurückschrickt? Aber zu klar, mit tödlicher Klarheit erkannte sie Ken Trugschluß all der Stimmen, und deutlich wie die von hellster Sonnenglut bestrahlte Straße lag der Weg, den sie gehen mußte, vor ihr, der Weg, der nie zu ihm führte, auch in fernster Zukunft nicht. Für sie gab es keine Brücke mehr zum Glück. Daß sie sich selbst getreu blieb, darin war alles. eingeschlossen. Und wie ein Aufleuchten, wie glorreicher, verzehrend' reinigender Flammenschein kam über sie das Bewußtsein, daß, indem sie ihn freigab, sie ihn sich zu eigen machte fürs ganze Leben. Das wußte sie, daß er sie nie vergessen würde. Kein späteres Glück konnte die weißstrahlende Stunde auslöschen in der Mondnacht des Parks. Und wenn in dunklen Stunden sein Mut zusammenbrach, wenn er irgendwo eine Stimme des Trostes hörte, wenn alle Schaffenskraft und Hoffnung ihn verließ, dann würde aus vergangenen und doch lebendigen Fernen ihr Wort geheimnisvoll ihm klingen, ihr Licht ihm glänzen. Noch mochte er sie nicht begreifen und mit ihr hadern in wühlendem Schmerz, doch einst würde er sie verstehen: die an ihn glaubte, die im Glauben an seine Kraft ihr Glück fortgcworfen hatte, die gestorben war, damit sein Leben sich erhöhte. Und es war ein Schweben in reiner, leichterer Luft, wie sie fühlte, daß ihr Leben selbst das Opfer war, das sie ihm brachte. Sie fühlte es, als wenn das Blut ihr schon enteilte mit roten Strömen ins Tal hinab, daß sie das Leben zurück» ließ zugleich mit ihm. Ein Rausch der Freude ergriff sie in dem Bewußtsein, daß die Kraft, deren Wirken sie von Kindheit an in sich ge- fühlt, die ihr Zuversicht verliehen in allen Nöten und heitere Erhabenheit allem Gemeinen gegenüber, daß diese Kraft, an der sie mit ganzer Inbrunst gehangen hatte und doch in wirren Augenblicken verzagt war, nun siegreich triumphierte. Aus eigenem Willen hatte sie getan, was ihr als recht erschien, und hatte sich überwunden. Da wirbelte der Staub dahin, vom Wind getragen, ein Raub des Windes, talwärts flössen die Wasser den vorgeschriebenen Lauf sie aber, vom Sturm der Sehnsucht zu ihm getragen, während jeder Blutstropfen ihm entgegeneilte: sie hatte sich frei gemacht und war den selbst- gMählten Weg gegangen, von keiner Macht gebeugt, Herrin über sich. » 9 Eine Woche blieb Wolf noch in Ratzes, dann reiste auch er ab. Als er fort war, wurde das Wetter schlecht. Wie ein Waschhaus mit Dampf wurde das enge Tal mit Nebel erfüllt, und die feuchte, kalte Luft drang in die Zimmer, näßte die Leintücher der Betten, hängte sich in die Kleider, kroch in die Lungen. Eines Tages als chr Mann erneuter Schmerzen wegen liegen mußte bekam Marie Luise wieder einen Blut- stürz, ohne recht erkennbare Veranlassung. Sie verschwieg es, machte sich selbst auch keine Sorgen, da die Aerzte ihr gesagt hatten, daß bei der Dünnwandigkeit und oberflächlichen Lage- rung ihrer Gefäße leicht eins zerreißen könnte. Aber schlimmep war die zurückgebliebene Ruhelosigkeit, diese furchtbare Ner- vosität, die ihr bei jeder Gelegenheit das Blut in die Wangen trieb, die sie zusammenzucken ließ beim kleinsten Geräusch und sie nachts auf dem Bette hin- und herwarf, daß sich die Stunden zu qualvollen Endlosigkeiten dehnten. Sobald es dem Major besser ging, reiste er mit ihr nach dem Gardasee und von dort an die Riviera.-.. (Schluß folgt.) (Nachdruck verVoten.) Vom pariser Von Wilhelm Holzamer . Die Zeit des Umzugs, sie ist jedesmal eine Zeit des Hangens und Bangens, und sie ist widerwärtig wie eine rückgängig gemachte Verlobung. Es hängt so viel drum und dran, und eine Ehescheidung kann nicht mehr Umstände machen und Aufregungen mit sich bringen. Quartalswcchsel nennt eS zwar einfach und trocken der Reporter und notiert es mit der Gefühllosigkeit, mit der man 'ür 10 Pfennige Wurst verlangt, aber wenn der Feuilletonist in wohllautender U fülle Umzug sagt, so ist das gleich ein ganzer Roman. In dem werden in behaglicher Anmut alle die haar- 'träubenden Widerwärtigkeiten geschildert, die Wohnungswechsel, ). h. Wohnungssuche, Aus» und Einzug mit sich bringen, die Laufereien und Enttäuschungen, die Qual der Wahl, das Bangen, ob man das Gefundene auch behalten wird, und endlich am großen Tage die zerbrochenen Gläser und Spiegel, die geschundenen polierten Möbel, die abgebrochenen Stuhlbeine und die abgestoßenen Kommodeverzierungen, die verlorenen Nippsigürchen, die gestohlenen