dft sieht man die Charetten nur mit altem Gerumpel beladen, das nicht einmal das Notwendigste vorstellt. Man fragt sich, wie die Leute nur leben können. Ein alter Korb, letzte Gemüsereste drin, ein Ofenrohr, ein kleines Oefchen Wohl auch, ein wenig Küchen- tzeschirr, ein Vogelkäfig. Das Klappbett— Lit cage genannt— eine eiserne Bettstelle mit Matratze daran, ganz eng zusammenklapp- bar. Das ist alles. Und alt und schlecht gehalten alles. So geht's in die neue Wohnung. Wohnung ist wieder ein euphemistischer Ausdruck. O, was gibt's für Rattenlöcher in Paris , die als Woh- , umgen gemietet werden. Die Luft„steht" da förmlich in diesen Winkeln und Höfen vor Gestank, alles starrt von Schmutz. Aber halt innner noch besser als ganz ohne Obdach.—.. Kleines femlleton. m. Die Reise. Frau Knauer stand schon eine Viertelstunde bor der Haustür und knöpfte an ihren nagelneuen Glaces. Dabei . ging der Kopf unruhig hin und her; bald sah er in den Haus- eingang, bald über die Stratze, bald die Straße rechts und links � hinunter. Frau Knauer hatte etwas auf dem Herzen, das brannte. Endlich, endlich kam jemand: eine Frau, die drüben aus dem - Kaufmannsladen trat und auf das Haüs zuleukte. Frau Knauer griff schnell nach dem rosenroten neuen Sonnen- . schirm, den sie in die Ecke gestellt, und strich noch einmal die Glaces glatt:„Ach, liebe Frau Hennig, haben Sie vielleicht eine leere Droschke gesehen?" „Da seh ich gar nich nach hin. Wollen Sie Droschke spazieren fahren?" „Spazieren? O neink Ich verreise doch. Ich und die Kinder. Wissen Sie es noch nicht? Ja, ich verreise I" „Wo denn hin?" „An's Wasser natürlich. Für Gebirge bin ich nicht sehr. Das Bergsteigen ist mir lästig. Na, man will doch seine Erholung im Sommer, nicht?" „Gewiß," sagte Frau Hennig.„Wieso denn nich? Wenn Sie's dazu haben." „Das wäre ja noch schöner I Das muß da sein! Einen ganzen Sommer in Berlin ? Ich wüßte nicht, wie ich das aushalten � sollte!" Frau Knauer schlug die Augen zum Himmel und wackelte mit dem Kopfe." „Sie haben's doch früher ausgehalten. Es ist doch das erste Mal, daß sie fahren, nich?"« „Ja, früher!" Frau Knauer ivußte nicht, was sie sagen sollte. '„Man hatte seine Gründe, Frau Hennig.— Ach, liebe Frau Mein!«." eine dritte Frau bog herein,«haben Sie vielleicht eine leere Droschka gesehen?" „Nee," sagte Frau Meinke.„Aber," sie hielt die Hand über die Augen,„ich glaube, da hinten kommt eine angezuckelt." „Schrecklich I Ich warte schon wer meiß wie lange I Aber diese Gegend! Ehe man da eines solchen Vehikels habhaft Ivird I" Sie trat vor und winkte dem Kutscher. „Wie jebildet sie spricht!" flüsterte Frau Meinke. „Jott, die neuen Glaces—" „Es ist zweite," wandte Frau Knauer sich zurück.„Wer natnr- lich— in dieser Gegend i Da muß man nehmen, was man kriegt. Ich wollte eigentlich'ncn Tarameter." „Fünf Minuten weiter stehn ja welche," bemerkte Frau Meinke. „Man stäubt sich so ein auf der Straße. Nun ist's auch schon gleich." Und zum Kutscher:„Berechnen Sie Wartegeld?" „Selbstmurmelnd," brummte der.„Oder meinen Se, ick laure umsonst hier vor de Dhüre'n halben Dag uff'ne Sechsjroschen- tour?" „Schrecklich, nicht wahr, es ist doch schrecklich?" Frau Knauer flüsterte es den andern zu.„Die reine Geldschneiderei. Es kommt mir ja nicht auf das Geld an. aber— man sieht doch, wie es gemacht wird!" Ohne eine Antwort abzuwarten, lief sie an den Rand des Trottoirs, klatschte in die Hände und winkte mit dem Sonnenschirm hinauf. Ein Mädchcnkopf erschien in einem Fenster des dritten Stocks. „Schnell, Martha! Bringen Sie die Kinder und das Gepäck." Die Treppe, die vom Grünkramkeller herauf zur Straße führte, knarrte.„Nanu?'ne Droschke?" Ein kugelrundes Gesicht kam zum Vorschein.„Ach. Sie verreisen wall jar, Frau Knauer?" -•Ja!", Frau Knauer war sofort da.„Ich verreise l Ich und die Kinder. Haben Sie's noch nicht gehört? Nein? Ach was. Ja, ich verreise! Seeluft soll so sehr gut für die Gesundheit sein." „Also an die See? Sieh mal an!" Das runde Gesicht geriet in eine pendelartige Bewegung und bemusterte Frau Knauer von oben bis unten.„Die feinen Strandschuhe I" „Ja, nickt wahr?" Frau Knauer hob einen Fuß.„Das ge- hört dazu. Machen sich sehr gut, nicht wahr?" Sie spannte den Sonnenschirm auf. „Hier ist ja Schatten", sagte Frau Meinke.„Hier brauchen Se doch keinen Schirm." „O, der Spiegel vom Konfitürenladen! Sehen Sie nur, er wirst das Licht bis hierher zurück. Und Sonne ist sehr schädlich für den Teint. Sehr schädlich. Darum habe ich mir extra diesen Schirm gekauft. Damit spaziere ich am Strande. Er wirft einen rosigen Schimmer Verantwortl. Redakteur: Franz Rehbein , Berlin.— Druck u. Verlag: über das Gesicht. Wie gefällt er Ihnen? Er ist von Herzog. Ich kaufe überhaupt bei Herzog." Die Frauen besahen den Schirm eingehend. „Für die Ewigkeit ist er ja nich gemacht", war die Meinung der Frau Hennig.„Aber'ne Badereise wird er wohl aushalten." „Es ist'n feiner Schirm", sagte die Gemüsestau.„Meine Tochter hat denselben, aber in Seide." „Ich wollte auch erst Seide nehmen. Wer zum Strapazieren? — Billig ist er auch nicht. Ich kaufe grundsätzlich keine billigen Sachen." „Muß man auch nicht." „Und Ihr Mann?" stagte die Grünkramhändlerin,„bleibt Ihr Mann zu Hause? Den tät's doch erst recht not. So abjearbeit't wie der is." „Mein Mann besucht uns an jedem Sonntag. Sonnabend abend kommt er hinaus und bleibt bis Montag früh.' Dann hat er auch was davon." „Wissen Se," sagte Frau Hennig,„das wundert mich aber. Ihr Mann muß doch schon um acht in den Dienst sein. Will er denn die halbe Nacht fahren? Und geht so stüh überhaupt'n Zug? Herrschasten, die Ostsee ist doch nicht Charlottenburg !" „Früh aufftehen muß er." Frau Knauer war feuerrot ge- worden. „Ist es denn die Ostsee?" fragte die Gemüsehändlerin. „Gewiß doch," erwiderte Frau Meinke,„wenn man„See" sagt, ist es immer die Ostsee ." „Wieso denn?" berichtigte Frau Hennig,„es kann ja auch die Nordsee sein." Frau Knauer schien gar keine Zeit mehr zu haben. Sie lief zum Trottoirrand und klatschte in die Hände oder ging in den Haus- flur und rief die Treppe hinauf:„Martha! Martha!"— Endlich kam das Mädchen mit den Kindern.„Wo bleiben Sie nur I Jede Minute kostet Geld!" Mit außerordentlicher Eile spedierte sie die Kinder, einen sechsjährigen Jungen und ein achtjähriges Mädchen, in die Droschke und schaffte den Reisekorb auf den Kutschersitz. „Adieu, Frau Hennig! Adieu, Frau Meinke! Adieu, adieu I Passen Sie gut auf die Wohnung auf, Martha. Und vergessen Sie nicht, was ick Ihnen gesagt habe." Sie legte den Finger auf den Mund.„Kutscher, zum Schlesischen Bahnhof I" „Woll." Der zog die Decke vom Pferde. „Jeht's denn von'n Schleichen nach de Ostsee?" stagte die Gemüsehändlerin. Die Frauen zuckten die Achseln. Plötzlich steckte die kleine Erna den Kopf aus der Droschke und schrie:„Ich schicke Ihnen auch eine Ansichtskarte vom Müggelsee, Martha." Klaps I Eine Hand fuhr auf den Mund. Im selben Augenblick zuckelte das Gefährt los, hinter sich daS Lachen der Frauen. „Hat das seine Richtigkeit mit'n Müggelsee?" Martha machte ein geheimnisvolles Gesicht:„Ich darf nichts sagen,'n See ist dabei. Und für zwanzig Pfennige Stadtbahn kann man hinkommen." „Wieso denn nich," sagte trocken Frau Hennig.„See ist See, ob mit„die" oder„der". Friedrichshagen ist auch'n Badeort. Bloß so'n Bramsigen braucht sie nich zu machen."— Humoristisches. — Schlechtes Gewissen.„... Weißt du auch, mein Junge, auf was man beim Angeln am meisten aufpassen muß?" „O ja— auf den Gendarm!"—. — Bierbank-Toleranz... Ich last' jedem Menschen seine Meinung!... Wenn jemand eine andere hat wie ich— mit so'm Trottel red' ich überhaupt nicht!"— — Ablenkung.„...Lump hast d' jetz' g'sagt... Hast m i da g'meint I?"— O,'s san ja n o m e h r a da!"—(„Fliegende Blätter .") Notizen. —„Totentanz ", ein neues Werk von Frank Wede- k i n d, wird im Intimen Theater zu Nürnberg während der kommenden Spielzeit die Uraufführung erleben. Das- selbe Theater hat auch ein Schauspiel von Marie Madeleine: „Das bißchen Liebe" angenommen.— — Emst v. Wildenbruchs neueste dramatische Dichtung „Die Lieder des Enripides" soll mit der begleitenden Musik von MaxVogrich im nächsten Winter auf der W e i m a« rischen Hofbühne zur ersten Aufführung kommen.— -—„Der verlorene Vater", eine vieraktige Komödie von Bernhard Shaw, deutsch von Siegfried Trebitsch , wurde vom Hofburgtheater in Wien zur Aufführung angenommen. Die erste Aufführung soll im nächsten Winter sein.— — Bei Keller u. Reiner wurde eine neue Aus- stellung eröffnet. Der große Oberlichtsaal ist dem tschechischen Künstler Frantisek Bilek eingeräumt.— — Die Raupe des Eichen Wicklers tritt in der Um- gegend von Münden so massenhaft auf. daß der gesamte E i ch e n b e st a n d der Forsten bedroht ist. Auch die Buchen- und Erlenbestände sind schon von dem Schädling ergriffen.— Vorwärts Buchdruckerei u.Verlaqsanstalt Paul Singer L-Co., Berlin LW.
Ausgabe
22 (2.7.1905) 126
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