Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 189.
7]
Das Duell.
Donnerstag, den 28. September.
( Nachdruck verboten.)
Einzig autorisierte Uebersetzung von Adolf Heß.
5.
Romaschow trat auf die Treppe hinaus. Die Nacht schien noch dichter, noch schwärzer und wärmer. Der Leutnant ging tastend den Baun entlang, hielt sich mit den Händen an ihm fest und wartete, bis sich seine Augen an die Finsternis gewöhnt haben würden. In diesem Augenblicke öffnete sich plötzlich die Tür zu Nikolajews Küche und warf für einen Augenblick einen breiten Streifen trüben, gelben Lichtes in die Dunkelheit. Jemand klatschte in dem Schmutz, und Romaschow hörte die böse, tiefe Stimme Stephans, des Burschen bei Nikolajews:
Der kommt und kommt jeden Tag. Und weshalb kommt, das mag der Teufel wissen!.
er
Und eine andere Soldatenstimme, die der Leutnant nicht kannte, erwiderte mit langem faulen Gähnen gleichgültig: Sind das Sachen, Freund... kann von Glück sagen. Nun leb wohl, Stephan."
"
1905
„ Seine ausdrucksvollen schwarzen Augen glänzten voll Entschlossenheit und Verachtung!"
Obgleich er gar keine schwarze Augen, sondern ganz gewöhnlich gelbliche mit grünem Rand hatte.
Najanski hatte bei seinem Kameraden, Leutnant Segrsht, gemietet. Dieser Segrsht war wahrscheinlich der älteste Leutnant in der ganzen russischen Armee, troß tadelloser dienstlicher Führung und Teilnahme am türkischen Feldzuge. Durch ein unerklärliches Verhängnis war er dienstlich nicht befördert worden. Er war Witwer, hatte vier kleine Kinder, half sich aber dennoch mit seiner Achtundvierzig Rubel- Gage durch. Er hatte eine große Wohnung gemietet und gab Bimmer an unverheiratete Offiziere ab, hielt Pensionäre, züchtete Hühner und Truthühner und verstand ganz besonders billig und rechtzeitig Holz einzukaufen. Seine Kinder badete er selbst in einem kleinen Backtrog, furierte sie aus einer öschen und Hemdchen. Schon vor seiner Verheiratung beHausapotheke, nähte ihnen auf der Nähmaschine Jäckchen, gern mit weiblichen Handarbeiten; jetzt zwang ihn bittere Not schäftigte sich Segrsht, wie sehr viele ledige Offiziere, sehr heimlich irgendwohin zum Verkauf. dazu. Böse Zungen behaupteten, er schickte seine Handarbeiten
Reb wohl, Baulin, fomm mal wieder." Aber all diese kleinen, wirtschaftlichen Kniffe und Listen Romaschow stand wie angewachsen am Zaun. Er er- halfen Segrsht wenig. Das Federvieh ging an fortwährenden rötete vor Scham, trotz der Finsternis; sein ganzer Störper Krankheiten ein; die Zimmer standen leer; die Kostgänger bedeckte sich plötzlich mit Schweiß, und es war, als wenn schimpften über schlechtes Essen und bezahlten nicht. Und tausend Nadeln ihn an den Füßen und im Rücken stachen. regelmäßig viermal im Jahre konnte man sehen, wie der „ Natürlich! Sogar die Burschen machen sich darüber lustig," magere, lange, bärtige Segrsht mit schweißigem Gesicht in dachte er verzweifelt. Und alsbald fiel ihm der ganze heutige der Stadt umherirrte und verzweifelt Geld aufzutreiben suchte, Abend wieder ein, und in verschiedenen Worten, im Ton der wobei seine pfannkuchenförmige Müße mit dem Schirm nach Rede, in den Blicken, die die Wirte miteinander getauscht der Seite saß und sein breiter, schon vor dem Kriege her hatten, entdeckte er mit einem Mal eine ganze Menge von ihm gestellter Nikolai- Mantel schlotterte und ihm flügelähnlich früher nicht bemerkter Kleiner Züge, die, wie ihm jetzt schien, um die Schultern wehte. ein deutlicher Beweis für die Nachlässigkeit, den Spott und die ungeduldige Erregung der beiden über den langweiligen Gast waren.
,, Diese Schande! Diese Schande!" flüsterte der Leutnant, ohne sich von der Stelle zu bewegen. Mußte es so weit kommen, daß man dich kaum duldet, wenn du kommst... Nein, es ist genug. Ich weiß jetzt bestimmt, es ist genug!" In Nikolajews Gastzimmer erlosch das Licht. Jetzt sind fie schon im Schlafzimmer," dachte Romaschow und stellte sich mit ungewöhnlicher Klarheit vor, wie Nikolajews sich schlafen legten, sich mit der Gleichgültigkeit und Ungeniertheit längst berheirateter Leute vor einander auskleideten und von ihm sprachen. Sie saß im bloßen Rock vor dem Spiegel und fämmte sich ihr Haar für die Nacht aus. Wladimir Jefimitsch faß im Unterzeug auf dem Bett, zog die Stiefel aus und Sprach, rot vor Anstrengung, böse und schläfrig:„ Weißt Du, Schurotschka, Dein Romaschow hat mich nächstens auch genug gelangweilt. Ich wundere mich, daß Du Dich mit ihm so hast?"
Schurotschka aber antwortete ihm, ohne die Haarnadel aus dem Mund zu nehmen und ohne sich umzuwenden, im Spiegel, in unzufriedenem Ton:„ Er ist überhaupt nicht mein, sondern Dein Bekannter!
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Es vergingen noch fünf Minuten, bis Romaschow, von qualvollen und bitteren Gedanken gepeinigt, weiterzugehen beschloß. Den ganzen langen Zaun an Nikolajews Hause entlang ging er verstohlen, vorsichtig die Füße aus dem Schmutz ziehend, als wenn man ihn hören und über etwas Bösem ertappen könnte. Nach Hause wollte er nicht: Es war ihm schon quälend und widerwärtig, an sein schmales, langes, einfenstriges Zimmer mit all den bis zum Abscheu überdrüssigen Gegenständen zu denken. Nun gerade geh ich ihr zum Trotz zu Nafanski," entschied er plöglich und empfand gleichzeitig in diesem Entschluß eine Art wollüstiger Rache. " Sie hat mich wegen der Freundschaft mit Nasanski gescholten, mun also gerade! Erst recht!..
Er erhob die Augen zum Himmel, drückte fest die Hand gegen die Brust und sprach inbrünstig für sich:" Ich schwöre, ich schwöre, daß ich zum letzten Mal zu ihnen gegangen bin. will schbrecht mehr diese Erniedrigung erdulden. Das
ich!"
Und sogleich fügte er seiner Gewohnheit gemäß hinzu:
Jetzt glänzte Licht in seinem Zimmer, und Romaschow, der an ein Fenster trat, erblickte Segrsht selbst. Er saß an einem runden Tisch unter einer Hängelampe, hatte seinen Glazkopf mit verwaschenem rungligen und schüchternen Gesicht tief gebeugt und stickte eine Art Leineneinsatz auf rotem Papier, wahrscheinlich das Bruststück eines kleinrussischen Hemdes. Romaschow trommelte gegen die Scheibe. Segrsht schrak zusammen, legte die Arbeit beiseite und trat zum Fenster. " Ich bin es, Adam Jwanitsch. Deffnen Sie einen Augenblick," sagte Romaschow.
Segrsht kletterte auf das Fensterbrett und schob seine fahle Stirn und den auf einer Seite verfilzten Bart durch das Klappfenster.
„ Sie sind's, Leutnant Romaschow? Was gibt's?" ist Nafanski zu Hause?"
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" Ja ja. Wohin soll er gehen? Ach Gott" Segrihts Bart zitterte am Klappfenster Ihr Nasanski hat mich schön hereingelegt. Schon zwei Monate lang schicke ich ihm Essen, und er verspricht immer nur, zu bezahlen. Als er ein30g, habe ich ihn, zur Vermeidung von Mißverständnissen, inständig gebeten Ja ja ja das ist.... in der Tat..." unterbrach Romaschow ihn zerstreut. Aber sagen Sie, wie geht's ihm? Kann man ihn sehen?"
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" Ich denke, ja.. er geht immer im Zimmer auf und ab." Segrsht horchte einen Augenblick, er geht auch jetzt. wieder. Verstehen Sie, ich habe ihm klar und deutlich gesagt: Um Mißverständnisse zu vermeiden, machen wir ab, daß die Bezahlung
„ Entschuldigen Sie, Adam Jwanitsch, ich muß gleich unterbrach ihn Romaschow, wenn Sie erlauben, komme ich ein andermal wieder. Ich habe es sehr eilig
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Er ging weiter und wandte sich um die Ecke. In der Tiefe des Gärtchens brannte bei Nasanski Licht. Ein Fenster war sperrweit geöffnet. Nafanski selbst ging ohne Ueberrock, im Unterzeug, das am Kragen aufgeknöpft war, mit schnellen Schritten im Zimmer auf und ab; seine weiße Gestalt und sein goldhaariger Kopf leuchteten bald im hellen Schein der Fenster, bald verschwanden sie hinter der Zwischenwand. Romaschow kletterte über den Zaun und rief ihn an.
Wer ist da?" fragte Nasanski ruhig, als hätte er den Anruf erwartet, und lehnte sich zum Fenster hinaus.