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Sie sind's, Georgij Alerejitsch? Warten Sie: Durch die Zür ist zu weit und dunkel. Steigen Sie durch's Fenster. Geben Sie Ihre Hand."

Nasanskis Zimmer war noch ärmlicher als Romaschows. An der Wand am Fenster stand ein schmales, niedriges, ganz eingebogenes Bett, das so mager aussah, als wenn auf den Eisenstangen nur die eine rosa Pikeedecke läge; an der anderen Wand stand ein einfach angestrichener Tisch und zwei rohe Holzböcke. In einer Zimmerede hing, dicht an der Wand, in der Art eines Heiligenschreins ein schmales hölzernes Wandschränkchen. Am Fußende des Bettes ein rötlicher Leder­toffer, über und über mit Frachtzetteln beklebt. Außer diesen Gegenständen und der Lampe auf dem Tisch war im Zimmer rein gar nichts.

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Jen

Weinlere.

( Nachdrud verboten.)

Bon Mag Bittrich( Freiburg   i. B.)

Wenige Geschäfte sieht der Fernstehende noch heutigentags fo uneingeschränkt im Lichte poetischer Verklärung, wie das Herbsten, die Weinlese. Wer freilich beobachtet, wie man Träubele schneid't", fennt auch hier die Schattenseiten. Denn von dem erwarteten Jubel und Trubel in den Bergen selber ist in manchen großen Weinbau treibenden Bezirken nur wenig zu merken; daß dagegen die Zeit der Traubenernte fast alle die heimeligen, von Rebbergen umgebenen Dörfer und Städte in einen weinseligen Zustand versezt, das wird ihnen jeglicher Neid lassen.

Die Tage des Einheimsens in den Bergen, wie sie sich der Fernstehende vorstellt, haben für den Beteiligten schon etwas Wermut Guten Tag, mein Freund," sagte Nasanski, drückte und geschmack durch die harte Arbeit. Ja, es heißt da für viele Leute schüttelte Romaschow fest die Hand und blickte ihm mit nach- o schwer schaffen, daß die Lust, dabei zu jauchzen, zu tollen und zu denklichen, schönen blauen Augen gerade ins Gesicht." Seßen tanzen, selbstverständlich vergeht. Sie sich hier aufs Bett. Haben Sie gehört, daß ich mich krank gemeldet habe?"

" Ja. Nikolajew hat mir eben davon erzählt." Wieder fiel Romaschow das schreckliche Wort des Burschen Stephan ein, und sein Gesicht verzog sich schmerzlich. AH! Sie waren bei Nikolajews?" fragte Nasanski plötzlich lebhaft und mit augenscheinlichem Interesse. Sind Sie häufig bei ihnen?"

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Ein unflares, instinktives Gefühl der Vorsicht, das durch den ungewöhnlichen Ton der Frage hervorgerufen war, ver­anlaßte Romaschow, zu lügen, und er erwiderte nachlässig:

Nein, durchaus nicht oft, ich war zufällig da." Nasanski, der im Zimmer hin und her ging, blieb vor dem Wandschrank stehen und öffnete ihn. Da stand auf dem Bord eine Karaffe mit Wodka und lag ein gleichmäßig in Scheiben zerschnittener Apfel. Mit dem Rücken dem Gast zu gewandt, goß er sich schnell ein Gläschen ein und trank es aus. Romaschow sah, wie sein Rücken unter dem dünnen Leinen­hemde krampfhaft zitterte.

Wollen Sie nicht auch?" deutete Nasanski auf das Schränkchen. Kein üppiger Imbiß aber wenn Sie wollen, können wir Eierfuchen backen. Unserm Adam" etwas Bugute tun."

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Dante. Später."

Nasanski wanderte weiter im Zimmer auf und ab, die Hände in den Hosentaschen. Nachdem er einige Schritte ge­tan, begann er, gleichsam eine eben unterbrochene Unterhaltung fortsetzend:

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Meint es gar der Himmel nicht gut mit den Erntetagen, so gehört das Herbsten sogar zu den unangenehmsten Arbeiten. " Denn beim Regenwetter", so hat ein Rebmann im Badischen  dem Professor Elard Hugo Meyer  ( dem Verfasser des Badischen Volkslebens im 19. Jahrhundert") gesagt, beim Regenwetter­nein, die Sauerei!" Das Wasser und noch mehr laufe in di Stiefel, und das sei kein Wunder bei dem schuhhohen Gras, den naffen Rebsteden und den engen Rebschwellen. Und dabei soll man noch die Beeren vom Boden zusammenlesen. Abends hat man das Kreuzweh vom vielen Büden und an Durst fehlts auch Schwartenmagen( und Herbstkäs) ist das Feldgeschrei." Kinder nicht, denn zum Kochen nimmt man sich keine Zeit. Wurst und und große Leute schneiden die Trauben ab. Jst ein Dergili( fleiner Behälter) voll, so leert es der Büchtiträger in Büchti, das ihm, wenns gefüllt ist, zwei auf den Rücken lupfen. Seinen Büchtistecken muß er fest einstoßen, daß er nicht schlüpft, wenn er über einen Rain hinab muß. Endlich steigt er am Wagen auf das Leiterli und schüttelt die Trauben in die Blüte".

Jedenfalls erfordert der Weinbau in Deutschland   fast ununter­brochene Tätigkeit vom Frühjahr an bis in den Herbst, und da werden denn selbstverständlich alle Hebel in Bewegung gesetzt, nicht nur zu ernten, sondern die Weinlese auch reichlich zu gestalten. Früher zogen süddeutsche Chorsänger am Tage des Weinheiligen Urban vor das Besitztum der Rebbesizer und sangen zu Ehren St. Urbans, und die Prozessionen zugunsten einer gesegneten Wein­ernte haben auch heutzutage nicht aufgehört.

Andere Nöte als der deutsche Weinbauer hat noch der Erntende in südlicheren Gegenden, in denen der Weinstock nach Landessitte wird. Da schlingt sich z. B. in der lombardischen Ebene die frucht­nicht an den bei uns zumeist üblichen niedrigen Rebstecken gezogen behangene Rebgirlande von Maulbeerbaum zu Maulbeerbaum, und in Campanien foll es einst sogar Winzers Brauch gewesen sein, sich einen Begräbnisplatz auszubedingen, ehe er die Trauben auf den höchsten Baumwipfeln aufsuchte.

" Ja. So denke ich denn immer. Und glauben Sie mir, Romaschow, ich bin glücklich. Im Regiment werden morgen alle sagen, ich hätte einen Rausch. Nun, das ist vielleicht Das fröhlichste, uns Deutsche anheimelndste Leben bei der Ernte richtig, aber doch nicht so ganz. Ich bin jetzt glücklich, aber in den Bergen hat neben dem Rheingau   wohl das Elsaß  . Die un­durchaus nicht krank und leide nicht. Für gewöhnlich sind verkennbar günstigere Lage der Weinbauern seit dem deutsch  - fran mein Verstand und mein Wille unterdrückt. Ich verschmelze zösischen Kriege hat zu diesem großen Herzensjubel beigetragen und dann mit dem hungrigen, feigen Haufen und bin albern, das Gefühl für die Arbeitslast mit der Erinnerung an politische berdrießlich über mich selbst, höchst vernünftig und überlegend. Wetter abgeschwächt. Auch im Süden, in dem man ja vielfach törper­Ich hasse zum Beispiel den Militärdienst, bin aber selbstlich härter arbeitet als bei uns, wird man ein derartiges allgemeines Militär. Warum bin ich das? Das mag der Teufel wissen, Lebenslust oft vergebens suchen. und doch grobe Ausschreitungen vermeidendes Ueberschäumen der warum! Einfach, weil man mir von klein auf immer vor­gebetet hat und jetzt wieder alle behaupten, die Hauptsache im Leben sei dienen, satt werden und gut gekleidet sein. Philosophie, sagen die Leute, ist Unsinn, ist gut für den, dem Mütterchen ein gutes Erbteil hinterlassen hat. Und da tue ich dann Dinge, zu denen mich mein Herz durchaus nicht treibt, führe aus tierischer Furcht für mein Leben Befehle aus, die mir bald grausam, bald unsinnig erscheinen. Meine Existenz ist einförmig wie ein Baun. Und grau wie Soldaten­tuch. Ich wage nicht, über Liebe, Schönheit, meine Be­ziehungen zur Menschheit, über die Natur, die Gleichheit und das Glück der Menschen, über Poesie und Gott mir Gedanken zu machen. Die Leute lachen: Ha- ha- ha; das ist ja alles Philosophie! Wie darf ein kaiserlicher Infanterie­Offizier über höhere Dinge nachdenken?! Das ist lachhaft, toll und unerlaubt! Diese Philosophie, hol fie der Teufel, ist lauter Unsinn, müßiges, albernes Geschwätz!"

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Dabei ist es die Hauptsache im Leben," meinte Romaschow nachdenklich.

Und nun kommt für mich die Zeit, die jene mit einem so grausamen Namen belegen," fuhr Nasanski, ohne ihn an­zuhören, fort. Er ging fortwährend auf und ab und machte bisweilen eindringliche Gesten, bei denen er sich übrigens nicht an Romaschow, sondern an die beiden gegenüberliegenden Bimmereden wandte, zwischen denen er hin und her ging. ( Fortsetzung folgt.)

Die Stimmung in den Bergen hängt eben nicht allein von der gerade vor sich gehenden, sondern auch von der noch zu leistenden Arbeit ab. Muß man schon bei uns die bedeutende, in hölzernem Behälter auf dem Rücken ruhende Last vielfach von sehr steilen Höhen herunterschleppen, so kann man im Rhonetal beobachten, wie die Bewohner bereits um Mitternacht ihre Maultiere in ledernen Säden, auf stundenlangen beschwerlichen Wegen den entfernten Bergen entgegentreiben. Die Trauben werden, Heimwärts geschleppt. Aber wenn endlich der Saft in den durch schlauchförmige Keller förmlich unterminierten Dörfchen reift, dann steigt freilich auch hier das Barometer der Fröhlichkeit höher und zeigt auch den Mitmenschen der Winzer sonnige Tage an: warten die großen und fleinen Geschäftsleute in weinbautreibenden Gegenden doch nicht selten von Herbst zu Herbst auf Bezahlung.

Das ganze Jahr über herrscht der Kredit; die Ernte soll den Ausgleich aller Forderungen bringen. Wohl solchem Gebiete, wenn die Hoffnungen nicht getrügt haben! Da wird dann der Geruch des aus allen Keltern   und Trotten fließenden frischen Saftes behaglicher eingesogen als der schönste Blumenduft. Er erfreut Nase und Bunge und ist voll Berheißung für Magen und Herz und in der Welt der nüchternen Wirklichkeit auch nicht zu verachten zugleich für den Geldbeutel.

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Lauter als in dem beschwerlichsten Walliser   Gebiet des Muskat und Malvoisier geht die Weinlese schon in der Gegend des Zürich  fees vor sich. Pistolen und Gewehre inallen öfter in den Bergen. Die Hauptfeier folgt jedoch auch hier am Abend. Da kommt man zum Krähhahnen, zur Schlußfeier, zusammen. Dem guten alten Flüssigen wird alle Ehre angetan und die Familiennutter hat reich­lich vorgesorgt auch für festere, zwischen die Zähne zu schiebende