Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 216.
34]
Fa
Sonnabend, den 4. November
( Nachdruck verboten.)
Einzig autorisierte Uebersetzung von Adolf Heß. Feste, Nifiphor, feste," erwiderte ihm mit vollen Akkorden Ser Chor, den Osadtschi mit seiner weichen, mächtigen Stimme zusammenhielt und gleichsam wärmte.
Wetkin dirigierte mitten auf dem Tische stehend und über den Sängern die Hände haltend. Er machte bald fürchterliche, bald freundliche und ermunternde Blicke, zischte die an, die verkehrt sangen, und hielt die allzulaut Singenden durch ein kaum merkliches Zittern seiner ausgestreckten Hand zurück.
" Stabskapitän Leschtschenko, Sie singen falsch! Ihnen steckt ein Reibeisen in der Kehle. Schweigen Sie!" schrie Djadtschi. Meine Herren, schweigen Sie doch alle! Lärmen Sie nicht, wenn wir fingen."
"
-
" 1
1905
traurig über dem Horizont stand. Wart. Da heult vielleicht ein Hund. Still."
So flüsterten sie sich zueinander hinbeugend, im finsteren Wahnsinn und in der Albernheit ihres trunkenen Zustandes. Aus dem Speisezimmer aber drangen in diesem Augenblick gedämpfte, von den Wänden zurückgehaltene und infolgedessen harmonisch- traurige Klänge des Kirchenliedes, ähnlich einem fernen Grabgesang.
Romaschow schlug die Hände zusammen und griff sich an den Kopf.
Meine Herren, um Gottes willen, hören Sie auf... das ist ja schrecklich," sagte er gequält.
" Scher Dich zum Teufel!" brüllte plöglich Solotuchin. Nein, warte, Bruder! Wohin? Erst trink mal mit anständigen Leuten. Nein, Du überlistest uns nicht, Freund. Halten Sie ihn, Hauptmann, ich schließe die Tür zu." Beide sprangen vom Bett auf und machten sich mit wahnsinnigem, listigem Lachen daran, Romaschow zu fangen. Und alles zusammen dieses dunkle, stinkende Zimmer, dieses geheimnisvolle, phantastische Trinken mitten in der Nacht ohne Licht, dieje beiden verrückten Menschen alles flößte Romaschow plöblich einen unerträglichen, wahnsinnigen Schrecken ein. Er stieß mit durchdringendem Schrei Solotuchin weit zur Seite und sprang, am ganzen Leibe zitternd, aus der Totenkammer.
-
-
Sein Verstand sagte ihm, daß er nach Hause gehen müsse, aber infolge eines ihm unverständlichen, sonderbaren und sogar unangenehmen inneren Reizes kehrte er ins Speisezimmer zurück. Hier lagen schon viele auf Stühlen und Fensterbänken im Halbschlaf. Es war unerträglich heiß, und trotz der geöffneten Fenster brannten Lampen und Lichter ohne zu flackern. Die todmüde Dienerschaft und die Soldatenaufwärter schliefen im Stehen und gähnten alle Augenblicke, ohne den Mund zu öffnen, durch die Nase. Aber die allgemeine schwere Wetkin stand schon wieder auf dem Tisch und sang in
Als ein reicher Bauer einmal Eis aß..." sang Wetkin weiter. Der Tabaksqualm schnitt in die Augen. Das Wachstuch auf dem Tische war klebrig, und Romaschow fiel ein, daß er sich heute abend nicht die Hände gewaschen hatte. Er ging über den Hof in die sogenannten„ Offiziersnummern" dort stand stets ein Waschbecken. Es war eine öde, kalte, einfenstrige Kammer. An der Wand standen, durch einen kleinen Schrank, wie in einem Krankenhause, getrennt, zwei Betten. Die Wäsche in ihnen wurde nie gewechselt, wie auch der Fußboden im Zimmer niemals aufgewischt und der Raum selbst nie gelüftet wurde. Davon stand in den Zimmern stets ein muffiger, schmutziger Geruch von lange getragener Wäsche, fauerm Tabakqualm und Schmierstiefeln. Das Zimmer diente als zeitweilige Behausung für Offiziere, die aus entfernten Quartieren zum Regimentsstab kamen. Aber für gewöhnlich wurden hier an Gesellschaftsabenden mit Vorliebe betrunkene Sauferei hörte nicht auf. Offiziere, zwei, sogar drei in einem Bett, untergebracht. Des. wegen hatte der Raum die Bezeichnung„ Totenkammer", hohem, gefühlvollem Tenor: " Reichenhaus" und" Morgue ". In diesen Worten lag eine unbewußte, aber schreckliche Fronie, weil sich, seitdem das Regiment in dieser Stadt lag, in den Offiziersnummern gerade in diesen zwei Betten schon mehrere Offiziere und ein Bursche erschossen hatten.
Als Romaschow in die Totenkammer trat, saßen am Kopfende der Betten neben dem Fenster zwei Menschen. Sie saßen ohne Licht in der Dunkelheit da, und nur an einem faum hörbaren Geräusch bemerkte Romaschow ihre Gegenwart und erkannte sie mit Mühe, als er sehr dicht herantrat und sich über sie beugte. Es waren Stabskapitän Klodt, ein Alkoholiker und Dieb, dem das Rottenkommando genommen war, und Fähnrich Solotuchin, ein lang auf geschossener, verlebter, schon fahlköpfiger Spieler, Nadaubruder, Botenreißer und ebenfalls Trunkenbold, ein richtiger Typus der ewigen Fähnriche. Zwischen beiden auf dem Tisch schimmerte trübe eine Viertelflasche Branntwein und stand ein fast leerer Teller mit einer Brühe und zwei volle Gläser. Spuren irgendwelchen Imbisses waren nicht zu sehen. Die Sauffumpane schwiegen, als versteckten sie sich vor dem eintretenden Kameraden, und als er sich über sie beugte, blickten sie in der Dunkelheit schlau lächelnd irgendwohin auf den Fußboden.
,, Mein Gott, was machen Sie hier?" fragte Romaschow erschreckt.
-B..." erhob Solotuchin geheimnisvoll mit warnendem Ausdruck einen Finger. Warten Sie. Nicht stören." Ruhig!" sagte Klodt mit kurzem Flüstern. Plößlich donnerte irgendwo in der Ferne ein Wagen. Jetzt erhoben beide schnell die Gläser, stießen an und tranken beide gleichzeitig aus.
Was ist das?" rief Romaschow unruhig. " Mein Freund," erwiderte Klodt mit vielsagendem Flüsterton:„ Das ist unser erster Schluck. Beim Wagenrollen. Fähnrich," wandte er sich an Solotuchin, nun, worauf wollen wir jetzt trinken? Aufs Mondlicht?"
" Leg schon los," erwiderte Solotuchin und blickte durch Sas Fenster auf die schmale Mondsichel, die niedrig und
„ Schnell wie die Wellen
Fließt unser Leben...
Im Regiment waren viele Offiziere aus geistlichen Familien, und deswegen wurde selbst in Stunden der Trunkenheit gut gesungen. Die einfache, traurige, rührende Melodie adelte die gemeinen Worte. Und allen wurde plötzlich traurig und beklommen unter der niedrigen Decke, im muffigen Zimmer, in diesem engen, dumpfen und blinden Leben zumute.
„ Stirbst, wirst begraben, Wie du auch gelebt..."
-
fang Wetkin ausdrucksvoll, und von den Klängen seiner eigenen hohen und gerührten Stimme und der Empfindung allgemeiner Harmonie des Chors traten in seine guten, dummen Augen Tränen. Artschakowski begleitete ihn vorsichtig. Um seine Stimme zum Vibrieren zu bringen, zupfte er sich mit zwei Fingern am Adamsapfel. Osadtschi intonierte mit dichten, schweren Klängen den Chor, und es schien, als wenn alle übrigen Stimmen wie in dunkeln Wellen in diesen tiefen Orgeltönen dahinflossen.
Als das Lied zu Ende war, schwieg man einen Augenblick. Bei allen stellte sich mitten im schweren Rausch ein Augenblick stillen Nachdenkens ein. Plötzlich begann Osadtschi mit tief auf den Tisch herabgesenkten Augen halblaut:
Ihr Betrübten, die ihr, auf schmalem Wege gewandelt und das ganze Leben wie ein Joch auf euch genommen habt.
„ Hört doch auf," meinte jemand verdießlich. Was soll dieses ewige Totenmessesingen? Zum zehntenmal schon!"
Aber die übrigen hatten den Totengesang schon aufgenommen, und jetzt klangen in dem besudelten, bespuckten, rauchgefüllten Zimmer die reinen, hellen Klänge der Totenmesse des Johannes Damascenus , die von so heißem, innigem Weh, von so leidenschaftlichem Schmerz über das entflohene Leben durchdrungen sind:
,, Kommt zu mir, die ihr mir im Glauben gefolgt seid, ich will euch erquicken, ich will euch Ehren und himmlische Kronen bereiten.
"