gestellt, sondern aus Beobachtung und Anschauung heraus, aus seiner gesehenen Wirklichkeit, aus seinem nüchternen Ansehen. Jede lyrische Wirkung bleibt aus, über die Pointierung bewahrt sich die Sachlichkeit die Herrschaft. Nur eines beflügelt: die Tendenz. Der Roman ist ein Tendenzroman. Die Objektivität der Darstellung ist die ständige Korrektur der Tendenz. Darin ist der Roman voll- kommen vollkommen in der Gestalt des Andreas Vöst. Voll- kommen im Bauern, vollkommen im Allgemeinen, das sich mit dem Schillerschen Satze ausdrücken ließe, daß auch der Beste nicht in Frieden leben kann, wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt. Ich meine damit, daß das Tendenziöse hier in breitem Recht wirk- sam ist ohne Rücksicht darauf, wer die Träger der Gegensätze sind, was für Gegensätze es find, die sie tragen. Und schon spezieller wird der tendenziöse Sinn, wenn man obgleich allgemeiner bei­nahe ihn fassen wollte: die gerade überzeugte Auftichtigkeit muß vor der schleichenden unterwühlenden Gemeinheit und Unaufrichtigketi den kürzeren ziehen und noch näher zum Besonderen kommen wir, wenn wir statt der Aufrichtigkeit den Bauern, statt der Ge- meinheit den Pfaffen setzen. Aus diesem Besonderen aber ins all- gemein Kulturelle fließt der Gedanke wieder ein, wenn wir ihn in dieser Gegenwart des bayerischen Dorflebens erfassen, in der dem Bauern das Erwachen kommt, daß er versteht wie ihn pfäffische Gewalt und heuchlerischer, jesuitischer Mißbrauch des Wortes und des Standesansehens in seiner traditionellen Unantastbarkeit an der Nase geführt, geknebelt, betrogen, unten gehalten haben. Wie«r ausgebeutet wurde und seine Arbeit in der gleichen Weise wie seine Beschränktheit dem guten Magen der Kirche zugute kamen. Wie er tyrannisiert wurde, ohne besten recht bewußt zu werden, wie er ent- rechtet wurde, ohne sich dessen versehen zu können. Und wie Staat und Kirche, wie Thron, Altar und Geldsack ihm das Recht so ver- klausulieren konnten, daß er, wie er die Schlingen entknoten möchte, sich nur tiefer verschlingt, so daß aus Recht Unrecht, aus Wahrheit Lüge, aus Offenheit Schuld und in der Verwickelung all dieser Ver- kehrungen und Verdrehungen, in die nicht nur die extremen Träger der Gegensätze, sondern Freunde und Feinde, die Parteigänger, die Ausnutzcr und Heuchler noch eingreifen, das Verhängnis wie Gift» kraut emporschießt. In der eigenen Familie schlägt es Wurzel der feste, gehaltene, gepflegte Boden ist gelockert. Unglück kommt hinzu. Denn nach altem Bauernglauben, der eine alte Wahrheit ent- hält, kommt kein Unglück allein. Noch ist der Widerstand stark genug, noch hält die.Kraft des Alleinseinkönnens durch. Aber das Gift zehrt an dem festen Wesen, zehrt an seiner Sicherheit, an seiner Klarheit, an seinem energisch gehaltenen Gleichgang. Ver- bistenhcit, Mißtrauen beherrschen den Mann, der seine alte Be- herrschung zum eigenen Schaden in wiederholten Fällen verliert. Und schließlich kommt die Schuld. Das so berechtigte, einleuchtende Schuldigwerden das Schuldigwerden, wie ihm nowendigcrweise jeder von uns verfallen wäre. Darineinsogroßes Mitfühlen, Mitleben, einso schmerzvolles Bedauern liegt. Darin die Taktikliegts wennderDichier danach ist. Denn man muß wissen, die Tragik liegt in keiner Sache und in jeder es kommt nur auf den Dichter an. Tragisch endet der Andreas Vöst. Das muß zum Lobe Thomas, noch gesagt tverden, ehe der Tadel, oder ehe die Einschränkung beginnen darf. Aber sie muß nun beginnen. Es wird gewiß Leute geben, die das Buch seiner Tendenz wegen ablehnen möchten. Einige, weil sie die Tendenz aus der Dichtung verbannt wissen wollen. Andere, denen diese Tendenz zuwider ist. Mit den einen wie mit den anderen ist nicht zu rechten. Man mag die Berechtigung der Tendenz in der Kunst anerkennen oder nicht, mag die gelittene lieben und loben oder von sich weisen und verachten, darauf kommt es nicht an. Die Dichtung selbst, die schöpferische Dichtungswirkung, die ist allein ausschlaggebend. die gleicht aus und hebt auf. Die zwingt. Man kann den Sinn eines Werkes ablehnen, seine Kraft bleibt. Und in seiner Kraft bleibt sein Wert, das muß ausgemacht sein. Ebenso wie dieses: das freiheitlichste, fortgeschrittenste, bestgemeinte Werk seinem Smne nach, kann künstlerisch ein Machwerk bleiben. Wie sehr es seinen Verfasser ehren mag die Kunst gehts nichts an. Tarin also ist Thoma nicht zu verteidigen, weil er darin nicht anzugreifen ist. Darüber steht er in seinem Werke und sein Werk in ihm. Seine Angrifflichkeit liegt wo anders. Selbst in der abstrakten Hcrauslösung des Inhalts hält man sich an den Schuller- baucrn, an den Andreas Vöst. Sein Gegner, der Pfarrer Bau- stätter von Erlbach, so sehr er im Gedankcnfelde gewichtig vor uns dahinschreitet, im dichterischen Gesichtsfelde verschwindet er uns. Er ist nicht gestaltet. Er lebt uns nicht. Er ist nicht Gestalt ge- worden. Er ist uns der Pfaffe, der feiste vielleicht noch, aber er ist nicht der Baustätter. Er hat nicht individuelle Züge, individuelle Züge seiner selbst willen. Er ist ein Ekel und ein Lump, ein herrschsüchtiger Fälscher und ein hinterhältiger Jesuit ja gewiß, er ist recht viel, aber er ist's nur als Mittel zum Vöst. Er ist dazu da, daß der Vöst an ihm herauswachse, daß der Vöst an chm zugrunde gehe. Er ist das Decrescendo, damit das Crescendo des Vöst, das sich zu einem wundervollen, von allen Setten aus auf- gebauten Fortissimo in d.r Totschlagszene steigert, damit es empor- schwellen kann. Das ist die Unvollkommcnheit des Romans, die der dichterische Wert wie die Tendenz in gleichem Maße zu tragen haben. Aber wie prächtig, es muß im aufrichtigsten und vollsten Sinne wiederholt werden, wie prächtig ist diese UnVollkommenheit durch die Vollkommenheit aufgehoben, di- dichterisch wie tendenziös der Bauer Vöst darstellt, der damit r'. einer der markantesten, eigenartigsten und sichersten Gestalte.! unserer Romandichtung ge­worden ist. als Mensch und als Bauer«ine fest- und breithingestelltq Schöpfung. Und dies etwa ist der Inhalt des Romans: In Erlbach will der Pfarrer zu seiner und Gottes größerer Ehre einen Turm an seine Kirche bauen. Der Schullerbcmer spricht gegen seinen Plan. und der Plan wird nicht ausgeführt. Der Pfarrer aber sucht seine Rache. Schikanen nach Schikanen, Beschimpfungen nach Beschimpf- ungen, Kränkungen und Beleidigungen, die seine christliche Liebe dem widerspenstigen Schäfchen seiner Herde zufügt. Des Vöst Jüngstgeborenes, vor der Taufe unter den Händen der Amme rasch verschieden, Muß an die Friedhofsmauer als Heidenkind beerdigt werden. Des Vöst Tochter wird vom Sohne des Hieraugl schwanger, und der würdige Pfarrherr verfehlt nicht, des Vöst Hausregiment in ein bezeichnendes Licht zu stellen. Des kirchentreuen Hieraugl's Lümplein rührt er nicht an. Und dem unehelichen Kinde der Bösttochter will er einen schimpflichen Namen anlaufen. Da zieht er den kürzeren. Aber den Vöst haben sie zum Bürgermeister ge- wählt. Er ist ein Repräsentant der Bauernbewegung. Bauern- bund und Ultramontanismus sind aneinandergeraten. Der Bürger- meiste? muß fallen. Es ist eine Machtfrage für den Pfarrer. (Es ist ja alles Machtftage für die Pfarrer.) Er tut Einspruch beim Bezirksamt. Er gibt dem Vöst einen falschen Leumund. Er fälscht eine hinterlassene Notiz seines Vorgängers. des guten Pfarrers Held, daß der Vöst seinen eigenen Vater miß- handelt habe. Seither blieb der Vöst gerade das nagt an ihm. Er will um sein Recht kämpfen. Es ist zu sehr verschlungen, das gute deutsche Recht. Es ist in zu sicheren Händen, daß cs dem einfachen Bürger gegeben werden könnte. Am Vöst frißt cs, daß er zum schlechten Sohne gestempelt worden. Auf ewige Zeit, für 5tind und Kindeskinder durch Eintrag ins Kirchenbuch. Schwarz auf Weiß. Sein Leben rinnt ihm fachte aus den Händen. Sein Leben, und was er besitzt und erworben, seine Arbeit und sein Glück. Da will's kommen wie eines herben Herbsttags Klarheit: die Schrift ist gefälscht. Wahrheit muß Klarheit werden, das Licht muß die� schwarze Schande besiegen. Aber Recht haben und Recht finden ist zweierlei. Beweisen I Wer glaubt dem Bauern, wenn der Gottesmann das Gegenteil sagtl Das würde ja an aller gcist- lichen und weltlichen Autorität rütteln. Und Vöst verwühlt sich in die aufgebürdete Schuld, in sein Alleinsein, in seine Macht- losigkeit. Da bringt der Ostersonntag die Entscheidung. Er ist ins Wirtshaus gegangen. Er hat scharf getrunken. Die Bäuerin ist in Angst um den Mann, der nicht einmal heimgekommen, vom Geweihten" zu essen. Ter Sohn, der auf Urlaub heimgekommen, soll ihn holen. Da fällt das Wort, wie der Vater nicht gehen will und der Sohn Gewalt anzuwenden sucht:Gel, Lumpl Geht's Dir oa net besser, wia Dein Vatal" Des Pfarrers Hintermann und Parteigänger, der Hieraugl, hat's gerufen. Und der Schüller hat ihn dafür totgeschlagen mit dem Bierkrug. Vor Gericht hat der Pfarrer den Leumund abzugeben. Er macht's gut. Gut, wie er alles gemacht hat in diesem Lügengewebe, darin er Meister ist. die Wahrheit so fein zu verdrehen, daß sie Unwahrheit wird. Und der Schuller, der ins Gewebe sieht, kann's nicht durchreißen. Jetzt gelänge es ihm nicht, wie es ihm auch früher nicht gelungen. Seine Bauernhände sind zu plump dazu.Der ist schuld an allem", sagt er nur. Und Richter und Pfarrer es ist eine alte Geschichte. Autorität muß Autorität bleiben. Der Schuller sitzt auf Jahre im Gefängnis in Erlbach bauen sie einen neuen Turm. Er ist ein Zeichen des Sieges, der Turm. Wie viele ragen im Land... Der Schullerbaucr sitzt auf wer Jahre.Den hat er g'liefert, unser Herr Pfarrerl" sagt» der Haberlschneider.-- Wilhelm Holzamer . kleines Feuilleton. o. s. Die Straßensängerm Eilgönie Büffet. In dem reich, aber geschmacklos dekorierten Prunksaal des KiinstlerhauscS saß eine erwartungsvolle Menge; d. h. erwartungsvoll in dem einfachen, natürlichen Sinn sind diese Menschen nicht. Es gehört zu ihrem LebenSreglement, sich so eine plebejische Anwandlnng nicht merken zu lassen. Steif und hölzern sitzen sie auf ihren Stühlen, und die Damen bewegen ihre Lorgnons mit blessierter Affektiertheit hin und her und sehen mit frecher Aufdringlichkeit jedem ins Gesicht, wie Kriminalpolizisten. Wenn aber die steifleinene Dame vor mir, die auch ihre kontrollierende» Glasaugen überall hin wendet ihre Robe ist tadellos und im Haarkamm stecken Brillanten und sie spricht mit ihrer beschnurrbarteten Oberlippe so spitz und süßlich, daß der eingefleischteste Aristokrat sich ihrer nicht zu schämen braucht wenn sie wüßte, daß hinten ihre Taille erschreckend offen steht, sie würde sicher aus ihrer steifleinenen Rolle fallen und sich ganz gräßlich schämen. Dieses ist gewissermaßen der Typus unserer Kultur: vorne mit Brillanten besetzt und hinten steht die Taille offen. Dieses ist das feinste Publikum von Berlin . Berlin W. Die literarische und künstlerische Elite, umflossen von den Wogen des aller-allerneuesten Parfüms. Der Konferencier teilt mit, daß ein Freund von Madame Büffet den Abend mit einem Musikstück einleiten wird. Dieser Freund ist ein kleiner, schmächtiger Jüngling, mit Musikerhaar, kurzem, engen Gehrock, schielenden, tiefliegenden Augen und dem Mund eines Kindes, einer Puppe. Plötzlich entsteht Lärm. Da ist sie ja schon, Eugenis Büffet, die Straßensängerm von Paris , hinten erscheint sie, am Ends