Darin liegt seine Bedeutung. Er kann sich eem alten Schema nicht beugen, das ihm überall anempfohlen wjito. Das Neue erringt er fich mit tausend Opfern, und di« meiften werden nur die Unfähig- keit in ihm sehen. Darum die Hast in seinem Schaffen. Er sah so viel Neues und Großes, daß er nur in eiligster Nieder- schritt sich das nötigste notierte. So eng waren die Kesseln der her- kömmlichen Malerei, sc» zwingend die Schablone der erlaubten, gültigen Kunst, daß es der Kraft eines solchen Temperaments, in dem sich scheinbar aller Widerstand von Generationen her aufgestaut hatte, bedurft;, wn diese Fesseln zu sprengen. In diesem Kampf auch das i£t bezeichnend ging er selbst mit zugrunde. Aber die Enlwick-xung bedient sich solcher Menschen, die nicht bewußt vor- (damit kommt sie schon in ein neues, zweites Stadium), ern die instinktiv nicht anders können, die in anderen Zeiten eicht zugrunde gehen, ohne daß jemand ihre unterdrückten Schreie hört, die nun ihr Haupt erheben und ihre Sprache, die noch ohne Tradition ist, ohne Gebrauch und Herkommen, mit ungebändigter Leidenschaft stammeln. Welche Frische liegt in solch' einem Parkstück, in dem Gogh nur eine Wiese mit ein paar Bäumen gibt! Es ist keineNatursehnsucht" darin. Gogh konzentriert fich ganz aus sein malerisches Vermögen, auf die Erscheinung. Er ist so sehr nur Auge, daß er die Dinge schreckhaft nahe sieht, die Linien sich v«r- zerren, die Farben peinigend schreien. Aber welches Leben in dem Grün der Flächen, in den hängenden Zweigen, den Stämmen! Nicht die tote Ruhe eines versteckten Winkels ist darin, es jauchzen die Farben, und in den Farben ersteht mit voller Kraft der Gegen- wart die Lust, der Raum. Solche lebendigen Neuwerte stecken auch in dem eigentümlichen Bilde, das er im Irrenhaus malte. Man sieht die langen Säle, links die grünlichen Betten, rechts die grünliche Wand, die fich lang hinzieht und den Raum vertieft. Born orangenfarbene Tönung. Dort fitzen am Ofen die deformierten Gestalten, die Insassen der Anstalt. In der Zeichnung dieser Gestalten, wie sie gehen, stehen, sitzen, in der Zusammenhanglosigkeit des Ganzen, die so räumlich und weit wirkt(der Arzt sieht im Hintergründe aus dem Fenster, ganz hinten erscheint eine Schwester in Schwarz  ), erinnert diese Art auffallend an stiihe italienische und deutsche Bilder. Speziell die Mischung orange und grün wirkt durch die Dissonanz so bezeichnend und eindringlich. Dabei ist es interessant, psychologisch intereffant, zu merken, wie ein Eindruck fich in dem Gehirn dieses Künstlers umwertet. Mau sieht oft, zum Beispiel gerade in dem oben geschilderten Parkstück, was ein anderer Maler daraus gemacht hätte. Dieser hätte nicht so scharf gesehen, hätte nicht so schlagfertig ge- arbeitet und wäre der Nattrr nicht so treu geblieben. Er hätte ein tüchtiges, nach den guten Regeln des Herkommens gemaltes Landschastsbild gegeben. So schimmert oft das Bild hindurch, das ein anderer Maler ans dem Vorwurf gemacht hätte. Und oft sieht man auch, wie die Bilder Gleichstrebender, der französischen   Im- pressionisten, auf ihn einwirkten, und wie er etwa einen Monet  Eindruck in sich umwertet, und ganz etwas anderes wird daraus, Mau merkt aber die Anregung. Auch hier zeigt sich wieder der künstlerische Zwang, das Muß. Die Unfähigkeit, nicht zu arbeiten, tvi« die anderen, wird zun« Anfang eines Neuen. Ueberall wandelt sich der Eindruck in jedem Gehirn zu einer andere» Prägung. Und so mag eS oft sein. Was wir als Entartung, ansehen, hat in sich den Keim zu einer Neubildung. In der Unfähigkeit, so zu sein, wie die anderen, revoltiert die Natur gegen das ihr aufge.zwungene Schema. Und abnorm« Erscheinungen sind möglicherweise Versuche zn neuen Möglichkeiten. Hat diese Eigenheit Kraft, so betont sie sich und betont sich dann auslehnend, ihrem Wesen nach exzentrisch. Ist das nicht der Fall, so geht sie zugrunde. Wir hallen das für selbstverständlich und glauben, da? sei so vorher bestimmt und müsse so sein. Aber es ist nur ein Zufall, nur Schwäche, die das Individuum nicht halten kann. Ist so die Tendenz der meisten Werke van Goghs eine dissonie- rende, wegstrebende, auseinanderfließende, so wirken zwei Arten am geschlofiensteii: das Porträt, das Stilleben. In ihnen gibt Gogh  eine unwiderlegliche Andeutung dessen, was seine Kunst leisten kann. In ihnen ruht sich sein Irren und Wähnen aus. Die kräftig roten Rosen in einer Vase zusammen mit grünein Lorbeer sind ein reifes und sicheres Werk, dem beides eigen ist, eine feste, plastische Form und eine lebendige Farbe; alles Neue ist hierin schon zu einer Vollendung gediehen, als wäre es ihm hier, vor der toten Form. dem Stilleben, geglückt, in seiner Sprache verständlich zu reden. Auch das Portrait eines jungen Maunes rechnet hierher. Es ist farbig wundervoll groß, vor grünem Hintergrund ein Kopf, die Schulter mit blauer Jacke bekleidet, auf dem Kops ein blauer Hut. Die Plastik der Erscheinung ist auch hier aufs eindringlichste, mit ruhiger Monumentalität, erreicht. An diese Werke voll gesammelter Kraft müssen die denken, die anS den fragmentarischen Versuchen den Charakter des Künstlers nicht zn erkennen vermögen. Gewiß ist van Gogh nur ein Anfang. Sein Schaffen ist eruptiv und nicht sicher aufbauend. Er ist vom Augenblick abhängig und klammert sich voller Verziveiflung an die jeiveilige Erscheinung, um aus ihr Leben zu ziehen. Er geht immer an Abgründen entlang. Aber gerade solche rückhaltlos ehrlichen Sucher, die ihren Gelvinn mit dem. Leben bezahlen, zeigen unS, daß die Welt der Kunst und des Schaffens noch voll nncntdeckter, nnbenutzter Möglichkeiten ist. Ernst Schur  . kleines feuilleton. Ei» kostbarer Kodex. DasNeue Wiener Tagblatt" bc- richtet: Der Amanuenfis der Hofbibliothek   Professor Dr. Mantuani führte in einem Vortrag, den er in der Leo-Gesellschaft hielt, aus. daß fich in der Wiener   Hosbibliothek ein rmgewöhnlicher Kodex be- finde, der in der Welt nicht seinesglelchen aufzuweisen habe. Es ist dies derConstaiitinopoliianus" von dem Arzte Dioslurides, eine überaus wertvolle Handschrift aus dem Jahre 512 n. Ehr. Sie war bis in das 16. Jahrhundert die Hauptquelle des pharmakologisch» botanischen Wissens. Das Werk befand sich in verschiedenem Be» sitze und wurde im Jahre 1569 vom Sohne des jüdischen Leibarztes des Sultans Soliman, Hanion, durch den holländischen Gelehrten Busbecke um hundert Dukaten gekaust und kurz darauf der Hof- bibliothek einverleibt. Als die Franzosen zu Beginn des 19. Jahr- Hunderts in Wien   einmarschierten, wurde es vor ihnen verborgen. Ter Kodex wurde viel benützt, und nicht weniger als 22 Hand- fchriften in den verschiedensten Städten Europas   schöpften ganz oder teilweise aus ihm. Van Swieten   erwirkte von der Kaiserin Maria Theresia   den Auftrag, die Bilder des Kodex in Kupfer stechen zu lassen. Dieser Kodex hat auch einen hohen Wert für Sprachwissen- schaft und ist zugleich ein Beleg für die Porträtkunst im E. Jahr» hundert, weiter für die Kunstgeschichte und Technik der Miniatur- malerei. Tie Handschrift enthält 4SI Pergamentblätter, 7 ein- leitende Miniaturen. 384 Bilder von Pflanze»., 52 Tierminiaturen und 47 Familienbilder. Künstlerisch anr tmchtigsten sind die ein­leitenden Miniaturen, darunter ein Pfau, ztoei Aerztegruppen, zwei Tiostnrides-Bilder. Tie Direktion der Hosbibliothek läßt jetzt eine phototypische Ausgabe des Wertes veranstalten. Es wird in zwei Riesenbänden erscheinen. Seren Gewicht nicht weniger als 25 Kilo- gramm betragen wird. In Leyden  < Holland  ) hat sich ein Verleger gefunden, der 72 606 M. auf die Ausgabe des Werkes Veriveiidet. Im ganzen werden 150 Exemplare angefertigt, deren jedes 610 M. kosten wird. Vom Britischen   Museum. Ueber die Entstehungsgeschichte des Britischen   Museums lesen wir in einemEnglischen Briefe" des«Literarischen Echos":Der 1753 gestorbene Hans Sloane  , Leibarzt Königs Georg II.  , hatte in seinem Testament bestimmt, daß seine ivcrtvolle Bücher- und Naturaliensammlung, die ihm 50 000 Pfund Sterling gekostet hatte, dem König für 20 000 Pfund Sterluig zum Kaufe angeboten werden solle, und daß dasselbe An- gebot, falls der König es ablehne, der Reihe nach dem englischen Parlamente, der Universität Oxford   und den Akademien voi? Paris  , St. Petersburg  , Berlin   und Madrid   gemacht werden solle. Georg II.  erklärte, die verlangte Summe nicht erschwinge» zn können. Das Parlament aber kaufte die Sammlung, vereinigte damit die bereits früher erworbene Haudschriftensammlung Cottons, bewilligte weitere 10 000 Pfund Sterling zum Ankauf der.Handschriften Harteys und bestimmte, daß von jedem neu erscheinenden Werke ein Pflichtexemplar an die Bibliothek abzuliefern sei. Um di« Geldmittel für die Bibliotheksgebäude aufzubringen, genehmigte das Parlament di« Abhaltung einer Lotterie, was damals in England noch nicht für so unmoralisch galt wie heutzutage, und so konnte die Bibliothek am 15. Januar 175S eröffnet werden. Im ersten Jahre wurde sie von 140 Personen benntzt, darunter der Historiker David Hume  , Dr. Samuel Johnson   und der Dichter Thomas Gray  . Der letztere schrieb damals;Tie Bibliothek hat ein Einkommen von 900 Pfund Sterling jährlich, die Ausgaben belaufen sich auf 1300 Pfund Ster- ling, und so wird sie wohl nächsten Winter öffentlich versteigert > vecden." Er war ein schlechter Prophet! Das Britische   Museum enthält jetzt an zwei Millionen Bände. 100 000 Handschriften und Urkunden, und wächst jährlich um etwa 40 000 Bücher." Theater. Schauspielhaus. B enr» s Amathusia. Drama in drei Aufzügen von M a x D r e y e r. Dreyer. der mit einer höchst humorvollen KomödieIn Behandlung" und dem stimmungsvollen DramaWinterschlaf" seine Laufbahn so vielversprechend begann, hat seinen Freunden in den späteren Werken mancherlei Ent- läuschung bereitet, aber nie eine so arge wie durch dieses Unglück» selige Alemannenstück, dessen Stil einen etwa um dreißig Jahre, in die Zeit, da man sich für den Felix TahnschenKampf um Rom" begeisterte, zurückversetzt. Vielleicht, daß das Stück unter der Nach- Wirkung jener Periode in schönen längst entschwundenen Jugend- tagen des Dichters entstanden ist. Tarin lägen mildernde Um- stände für das Produkt, aber sreilich gar kein Entschuldigungsgrund dafür, das Publikum nachträglich noch mit ihm bekannt zu machen. Es ist charakteristisch für die im Königlichen«chauspiclhause herrschende literarische Ueberlieferung, daß die Direktion, solange Drehers Gutes oder doch Mittelmäßiges zu sagen hatte, ih» vornehm ignorierte, um dann am Ende auf dieses schwächste Machwerk mit Applomb hereinzufallen. In einem modernen, intim individualisierenden Werke, da hätte Dreyens Thema, der Widerstreit keuscher Jünglmgsgesiniiuug und weiblicher Lockung, gewiß sehr interessieren können. Feinere nach. denllichere Naturen, die unter dem Einfluß einer rdealistisch ge- färbten Moralerziehung aufgewachsen sind, werden schwer in solchen Konflikten leiden. Ja, ein wirklicher Dichter tonnte hier sogar den tragischen Ausgang, welcher in diesem Stücke geradezu opcrnhaft