wirklich, weil er ganz und gar ein Mensch war, und weil unsere Zeit wieder den Menschen sucht? Ach nein, ich glaub» nicht. Die Gegensätze berührten sich. Es war der Sport der Unnatur, die Natürlichkeit zu begehren. Ich habe den »Peter Camenzind " im Auslände gelesen, in dem von ihm verachteten Paris , als der Frühling in den Park_ Monceau einzog. Es verbindet sich mir von der Schönheit dieses Parkes etwas mit dem Camenzind. Und etwas von dem Streben nach Schönheit, nach der Natur, mit der Kultur, die sich auch in dein Parke halb verbergen, halb überwinden wollte und sich doch so ganz und gar betätigte. Ich maß den Camenzind nicht selten an der momentanen Umgebung, in der er mir begegnete. Ich fand ihn nicht so unbedingt neit und eigei, artig. Gottfried Keller ging ihm immer nach. Und Gottfried Keller war so viel größer als der Hermann Hesse , und der Schatten des Züricher Meisters fiel iminer auf den Nimikoner. Die Bäume des Parkes rauschten. Aber sollt ich darum den Camenzind nicht lieb haben? Ist das Größte nur dazu da. das weniger Große zu erdrücken? Nein, ich halt' ihn lieb, ich begrüßte ihi«, wie nian einen guten Deutschen begrüßt, besonders in« Auslände und ein guter Deutscher ivar er und da sprach ich meinen süddeutschen Dialekt mit ihm so fest und ungeniert, als er mir nur von der Zunge gehen wollte. Ich verstand, daß er etwas in sich trug, das Men'chen und Werken so selten eignet: da» Zündende des HerzeuS, das Warme der Herzlichkeit, da» Notwendige des Erlebens und das Unmittelbare der Aussprache, obgleich Gottfried Keller seinen Kopf hier hob und mit seinen weinfröhlichen Augen hinter der Ratsschreiberbrille zwinkerte. Den Rummel in Deutschland verstand ich nicht. Freude hätte ich so gut verstanden. Aber Geschrei macht irr und setzt einen Künstler in ein falsches Licht. Da bangte icb um das zweite Werk. Einmal: der Unmittelbar- keit und des Erlebens des ersten wegen und dann wegen der Lärmer. Und. Unter, n R a d' kam. Ist das nun die Erfüllung deS Restlichen, waS der Camenzind uns ließ? Schriftstellerisch sage ich unbedingt ja. Ist das Werk also vollkommener als das erste? Schriftstellerisch sage ich ja. Aber dichterisch beide Male nein. Ist Hermann Hesse ein anderer? Nein, er ist derselbe. Er hat sogar Fortschritte gemacht. Er hat sich vervollkommnet. Man darf nicht ungerecht sein. DaS Werk ist nicht vor dem anderen ent- standen. Und wäre es das. so ist's gewiß nach dem anderen durchgearbeitet worden. Aber es steht in seinem Schatten lind eS ist ein Schatten vom Camenzind. Hat es mehr tote Stellen und Längen? Vielleicht nicht. Ist es geringer in der Komposition? Außer einem Einschnitt, wo das Fließende verseicht nach der Heimkehr des Jungen aus dem Seminar um dann wieder neu einzusetzen und in Bewegung zu geraten, hat e» einen guten und dauernden Fluß, dein inan gerne folgt, der einen freundlich weitcrträgt. Was ihm fehlt, ist das Notwendige, ist das Herzliche und Herzhaste, ist das Unbedingte des Erlebnisses, das Zündende des Erlebens. DaS Problem guckt durch. Ich vermute, auch hier ist viel Autobiographische» darin, ich mein' es an einigen Stellen, zum Beispiel in Geschehnissen deS Seminarlebens, in einzelnen Figuren, zum Beispiel in Heilner, deutlich zu spüren, aber das Problem ist stärker. Es ist stärker gezeigt, eS ist manchmal direkt zum Aushängeschild gemacht. Der Knabe Hans Giebenrath gerät unter'S Rad des Lernens, der Ueberansttcngnng und Ueber- stitterung, der Schulmeisterthrannei und de» Schullehrerunverständnisses für die Kindersecle und Menschenpsyche. Der Schullehrer arbeitet nur nach seinem Leisten und drillt nur auf das tote Wissen hin, auf die geheiligte ExamenSfixnndfertigkeit. Er macht Automaten und vergißt den lebendigen Menschen. Der Staat braucht Diener und die Kirche Pastoren, die nichts anderes tun, als die Schafsnasc in die Krippe zu stecken und sich da satt zu füttern. Lauter eitle GotteSherrlichkcit. Einfeittg- keit, Lakaienhaftigkeit. HanS Giebenrath wird auf diese Art zu Maulbronn mit Zucht mid Lehre zugrundegerichtet. Sein Geist bricht zusammen. Er sinkt erst vom Primus herab, dann verblödet er. Und zu Hause nun ist er, der der Stolz des Städtchens war, seine Schande zu Hause, wo ihn die Liebe in der erwachenden Sinnlichkeit mit ihrem schmalen Flügel berührt, soll er Mechaniker werden der ehemalige Primus der Lateinschule. Nun not­wendigerweise ninnnt ihn nicht das Leben mit, sondern, halb un- bewußt, geht er in der Betrunkenheit in den Fluß, an dem er seine glücklichsten Stunden verlebt, wenn er fischen konnte. Ah, wie sein ist da» früher geschildert worden, wie matt mid zufällig klingt das mm aus. Aber wir müssen gerecht sein: Kein schlechtes Buch. Nur kein bedeutendes Buch. Keine Erfüllung, auf die höhcrgespannte Erwartungen gingen. Aber muß es schon eine Erfüllung sein? Haben wir nicht Zeit, dem Dichter Zeit zu lassen, sich zu enNvickeln? Er muß sich noch ent- wickeln. Er hat bis jetzt nur bewiesen, daß er erzählen kann, so gut erzählen, daß er mittelbar gestaltete er muß noch beweisen, daß er gestalten kann, unmittelbar. Das Leben hat ihm geholfen bis jetzt er wird das Leben meistern müssen auch wenn»der Lenz nicht mehr für ihn singt".. Aber das gibt kein Recht, ihn ent- gelten zu lassen, was wir gefehlt. Ueber ihn abzuschließen und ab- zuurteilen. Seine Entwickclung hat ein Recht, da» geduldige Zuwarten von uns zu fordern. Schlagen wir ihm nicht die Türen zu, die er sich kaum erst aufgetan. Unsere Voreiligkeit und Nervosität ) Bei S. Fischer. Berlin . zählt nur von heute auf morgen die Mode nur von Saison zu Saison ein Dickterschaffen aber umfaßt längere Svanne» und geht ruhigeren Gang als sich die Banausen und Modegigerl träumen lassen. Aber ein echter Dichter schafft nicht für sie sondern für sich und ftir die anderen. Wilhelm H o l z a m e r. Kleines feuilleton. k. Das Theater als Schlafsaal. In seinemJournal d'un Vaudevilliste" erzählt E r n e st Blum vom Odeon- Theater, das heute so wie alle anderen Pariser Bühnen gute Geschäfte macht und wirkungsvolle Zugstücke aufführt, daS aber früher unter allen Theatern der französischen Hauptstadt verrufen war und mit Vor- liebe zum Schauplatz schlechter Späße und Ulkereien gemacht wurde. Tie Witzbolde und Spaßmacher, die damals in so reichem Maße das Lachen der Bürger erregten, hielten es geradezu für guten Ton, fast alltäglich im Odeon etwas aufzustellen. Einer von ihnen, der wohlbekannte Romieu, ging eines Tages zu einem vielbeschäftigten Notar und gab ihm seine Absicht kund, sein Testament zu machen, da er sich auf eine lange Reise zu begeben gedenke. Er gab genau seine» Besitzstand an, verfügte über mehrere Legate, setzte einige Klauseln hinzu, und der Notar schrieb alles eifrig auf. Als man ertig war, fragte der Anwalt:Darf ich fragen, ohne indiskret zn ein, in welches ferne Land Sie reisen?"Ich gehe heute abend inS Odeon," antwortete Romieu, und wirklich, er begab sich dahin! In einer Droschke kam er an, auf die zwei große Koffer und ein Bettsack aufgepackt waren. Der Kassierer war sehr erstaunt, als Romieu mit all seinem Gepäck ins Theater hineinwollte.Aber Sie können doch mit den Koffern nicht ins Parkett gehen?"Glauben Sie?" Aber gewiß."Ich kann sie ja in der Garderobe abgeben." Die Garderobenfrau nahm die Koffer in Verwahrung, aber den Bettsack durfte er mit hineinuehmen, nur mußte er versprechen, ihn zwischen seinen Beinen zu verstecken. Eine gähnende Leere herrschte im Zuschauerraum; man gab eine Tragödie von Voltaire . Romieu niachte sich's auf seinem Platze bequem und hörte zunächst ein paar Szenen aufmerksam an, den Sack zwischen den Beinen versteckend. Dann aber öffnete er ihn plötzlich, langte eine große Nachtmütze daraus hervor, die er sich aufsetzte, nahm dann eine Bettdecke heraus. hüllte sich in sie ein, und die Beine weit von sich streckend, sank er süß in Morpheus' weiche Arme. Tie �anderen Zuschauer interessierten sich natürlich mehr für dieses Schauspiel in: Schau- spiel als für Voltaires Alexandriner. Aus dem dunklen Raum reckten sich hier und da vereinzelte Köpfe, und als bald darauf von Romieu» Platz her ein dunkles Geräusch drang wie ein Konzert von vielen Baßgeigen, da wurden auch die Schauspieler unruhig, guckten herunter und hielten im Spielen inne. Eine der Garderobenfrauen» die zufällig nicht schlief, denn das ganze Theater war eigentlich nur ein zweiter Schlafsaal, glaubte einschreiten zu müssen. Sie weckte Romieu, der mit großem Gepolter auffuhr und wütend schrie: Was? Geht die Post schon ab? Ist's schon fünf Uhr?" Die Garderobenfrau suchte ihn zu beruhigen, aber Romieu rief: Setzen Sie sich doch; Sie hindern ja die Leute hinter Ihnen am Zusehen. Machen Sie doch im Theater keinen Skandal!" Tie Garderobenfrau setzte sich fassungslos, aber während sie ihm weiter Vorwürfe über sein Benehmen machte, war Romieu, an ihre Schulter gelehnt, schon wieder sanft entschlafen und schnarchte wieder furcht- bar. Schließlich mußte ihn die Polizeiwache hinausbcsorgen, aber er verlangte immerfort noch sein Geld zurück, da er sonst nichts bei sich habe, und die Direktion ihn zum mindesten für den Verlust seiner schönen Schlafgelegenheit entschädigen müsse. Das Leuchten der Hühnereier und Kartoffeln. Tie bis- herigen Angaben über das Leuchten von Hühnereiern und Kar- löffeln klingen ziemlich dunkel, jedenfalls� War über die Ursache dieser Erscheinung sowie über die Umstände, unter denen das Leuchten auftritt, so gut wie gar nichts bekannt gewesen. HanS M o l i s ch in Prag , der sich besonders mit der Frage des Leuchtend» werden» der sogenannten S o o l e i e r eingehend befaßte(«itzungs- berichte der Akademie der Wissenschaften in Wien , mathematisch- naturwissenschaftliche Klasse, Bd. W, H. 1, 1905), kommt zu dem Ergebnis, daß die Hühnereier für sich nicht leuchtend werden können; erst wenn sie durch Berührung mit Fleisch oder Seefischen in der Küche mit den Lcuchtbaktcrien des SchlachtviehfleischeS, dem Saclerium pbospborcum, in Berührung kommen, tritt die Er- schcinung auf. Was in der Küche unabsichtlich geschieht, läßt sich mit einem hohen Grade von Sicherheit, d. h. fast mit jedem Ei oder mindestens mit einem hohen Prozentsatz crrcicben, wofern man das Etz nur für ganz kurze Zeit mit käuflichem Rindfleisch in Berührung bringt. Man verfahre zu diesem Zwecke auf folgende Werse. Tie Eier werden etwa 8 Minuten laug gekocht und nach dem Abkühlen ihre Schale durch Aufklopfen zerbrochen, aber nicht abgenommen: nun wird das Ei einmal über ein handgroßes, flaches Stück Rind- fleisch gerollt und hierdurch mit der auf dem Fleische fast� regel- mäßig vorkommenden Leuchtbakterie des Flcffchcs infiziert, schließ» kick wird das Ei in ein Gefäß mit Sprozcntigcr Kochsalzlösung so hineingelegt, daß es nur ganz wenig aus der Flüssigkeit hervorragt; bei gewöhnlicher Temperatur treten nach ein bis drei Tagen an den