- 907 Aebermanns intellektuelles Talent, so hat er wieder ein anderes da­für: Tiefe der Empfindung, die ihn eigene Wege weist, und Ur- sprünglichkeit. Man kann sagen wenn auch Gradunterschiede be- stehen bleiben Leistikow ist ein Künstler. Liebermann wird es. Damit ist zugleich angedeutet, daß Leistikow immer auf einer Linie bleibt, während Liebermann, wächst, reicher wird, seine Kräfte aus spannt, um soviel wie möglich zu umfassen. Kleines f euilleton« rg. Herbstmirgen. In der Rächt war ein heftiger Regen niedergegangen. Gegen die Scheiben schlug's, als gösse zemand mit Eimern dagegen, lieber meinem Kopfe, auf dem Dache, plätscherte es in stürzenden Bächen und fiel klingend und trommelnd in die Regenrinne. In dunstfeinem Sprühen drang's durch alle Fensterritzen und pfiff höhnisch, in langgezogenen Tönen, dazu. Der Luftstrom ging durch meine Dachkammer, raschelte in einer Zeitung, die auf dem Tische lag, und fuhr mit leisem, schneidenden Pfeifen zum Schlüsselloch der Tür hinaus. Dazu gurgelte es im Schornstein, wie eine alte heisere Orgel, und auf dem Boden klappte irgend ein Brett in regelmäßigen Intervallen gegen die Wand. Gegen Morgen ward's stiller. Da stand ich auf und ging ins Freie. Noch klammerte dichte Finsternis sich an Haus und Baum, an Zaun und Hecke. Ein wenig wehte es noch, stoßweise, und man spürte zuweilen etwas Nasses auf der Nase. Dann aber wurde es finz still, und kein Tropfen fiel mehr. Nur der Fuß spürte die euchtigkeit, wenn er in einen weichen Brei zu versinken schien oder mit Vehemenz in eine tiefe Pfütze platschte. Laternen gibts in unserem wilden Vorort nur in spärlicher Anzahl; außerdem brennen sie nicht, wenn man ihr Licht braucht. Andere Lampen tauchten zuweilen auf: in den Häusern. Vereinzelte, schwache Schimmer die einen kleinen hellen Dunstkreis um die Fenster zogen. Dort rüsteten sich Arbeiter zum frühen Tagewerk. Eine Strecke vor mir hastete schon einer in der Richtung zum Bahnhof; ich sah ihn nicht, sah nur eine schwebende Laterne, die sich eilig entfernte. Ich ging in anderer Richtung. Und als ich zu den drei Pappeln kam, die sich schlank und mächtig aufrecken, sah ich in den Wipfeln den ersten feinen Schimmer des aufgehenden Tages. Dahinter, im Osten, ein kleines helles Fleckchen, von tiefdunklen Wolken umgeben. Und dieser helle Fleck breitete sich aus, wuchs und wuchs, drängte das Dunkel vor sich her und schob es nach beiden Seiten. Langsam kam der Tag. Und doch auch wieder schnell. Vorhin lag's wie eine einzige dunkle Masse am Wege. Jetzt löst sie sich in einzelne Massen auf. Jedes Haus, jede Baumgruppe, jedes Ge- büsch wächst in verschwommenen Umrissen heraus. Eine dicke Rauch- säule steigt, auf aus dem Ofen des Bäckers und zeichnet sich ab von dem schwach dämmernden Grunde des Himmels. Tie Landstraße hinab. Hinter mir bleiben die Häuser. Ein Stück Weges geht's durch den Kiefernwald, der die Straße zu beiden Seiten wie mit hohen Mauern säumt. Dann öffnet sich rechts der Wald, und man steht wie vor einem weiten brodelnden Kessel. In mächtigen Schwaden wallt der Nebel über die Wiesen, hebt und senkt sich, ballt sich, zerfließt und fügt sich zu neuen Gestalten, die um die alten morschen Weiden tanzen. Der helle Fleck am östlichen Himmel hat sich zu einem grauen Meer geweitet. Von dort fließt die Dämmerung»n breiten Strömen über die Erde und verdrängt die Nacht. Immer schärfer heben die Konturen des düsteren Kiefernwaldes sich ab vom weißen Nebel der Wiesen. Die entblätterten Laubbäume der Landstraße recken ihr kahles Astgerippe in deutlichen Umrissen gegen den grauen Himmel, und ein einsames Bauernhaus zeigt scharf seinen spitzen, ver- schnörkelten Giebel mit der Wetterfahne. Stimmen dringen herüber, eine Wagcnkctte klirrt. Eine Peitsche knallt. Schon kommt mir im Trabe ein Milchwagen entgegen. Eine Frau, bis zur Nasenspitze in Tücher gehüllt, führt ihn. Die Nüstern der Pferde stoßen einen dampfenden Atem aus. An den Beinen spritzt der Straßcnschlamm hoch. Kurz vor dem Bauerngehöft endet der Wald. Hier dehnt sich die weite Fläche der Aecker  , im Hintergrunde von einer bäum- bestandenen Hügelkette begrenzt. Dort schimmert zuweilen die weiße Wand eines Hauses heraus. Oder ein rotes Ziegeldach hebt sich aus dem Grün. Aus den Schornsteinen ziehen weiße Rauch. fäden, und mischen sich mit dem blaugrauen Dunst, der die Hügel einhüllt. Ueber die braunen Ackerschollen wandert eine Wolke dahin. Zwei weiße, dampfende Pferde sind's; ein Pflug durchschneidet den Acker und zieht Linie auf Linie in dem feuchten Grund. Der Knecht pfeift vor sich hin. Die Mütze im Nacken, die hellen Augen froh in der ersten Kraft des jungen Tages, die Peitsche geschultert, so schreitet er gemächlich die Furchen entlang. Nun hat die Morgendämmerung sich den Himmel erobert. Nur im Norden und Westen steht noch ein schmaler dunkler Streifen am Horizont. Ein eintöniges Grau mit einem leichten gelben Ueberton wölbt sich über Feld und Wald. Dick steht die Luft, trübe und schwer. Ein herber, feuchter Erdgeruch steigt aus den Schollen. Schwarzfleckige Blätter modern am Wege. Sie fielen von den Bäumen an der Landstraße, die nun in trostlos- kahler Reihe ihre '.ceren, schwarzen Aeste ausstrecken. Das Gras am Straßenrand liegt beschmutzt und tot. Tie Gebüsche am Graben lassen kraftlos die nassen Zweige hängen. Aber einen Schritt weiter, ins Feld hinein, dort sprießt schon wieder neues, kräftiges Leben: grün stehen die kurzen-Halme der Wintersaat in weiter schimmernder Fläche. An jedem Halm hängt noch ein blinkender Tropfen der Nacht. Zwischen den Halmen spazieren geflügelte Räuber hrrum: Krähen mit weißblauem Ge, fieder, die nun schreiend auffliegen, um sich ein Stück loeiter von neuem niederzulassen. Sie säen nicht, sie ernten nicht, aber daS Frühstück schmeckt ihnen doch. Die Landstraße biegt rechts ab. am Hügel vorbei. Ein Fußweg geht bergan. Durch eine Tannenschonung erst. Dann über eine Lichtung mit perlenbehangenen Wacholdcrstauden und rötlichem Haidekraut. Hier hat das Regenwasscr tiefe Rinnsale in den sandigen Weg geschnitten. Dann kommt Kiefernhochwald. Der nachtliche Sturm hat Aeste und Zweige in Menge herabgeriss.n und ganze Riesen gefällt. Ueber den Weg liegen die Bäume und recken ihr Wurzelwerk in die Luft. Oben ein schmales Plateau mit freier Ausficht nach allen Seiten. In der Ferne, über den Wiesen, stehen noch niedrig die weißen Nebel. Eine Weidengruppe ragt über sie hinaus. Der Wald ringsum ist eingehüllt in blaue Schleier. Um jeden Baum. der einzeln auf dem Felde steht, um jeden Strauch schwebt ein Dunstwölkchen. Auch die Wolke auf dem Acker wandert noch. Der Pflug zieht unermüdlich seine Furchen. Im Osten streckt ein schmaler Waldstrcif sich hin: hochstämmige Föhren mit. kurzem breitem Wipfel. Hinter den braunen Stämmen wird's hell, ganz hell. Ein gelber Schimmer breitet sich aus, immer leuchtender werdend. Und plötzlich spaltet sich die graue Dunstwand des Himmels, und ein glühender Strom rinnt am Horizont entlang. Hinter den hohen Stämmen flammt's auf wie von riesigem Feuer und gießt purpurne Wellen über Himmel und Erde. Der Wald scheint zu brennen. Feurige Lava fließt die braunen Furchen des Ackers entlang. Der Pflug blitzt im Strahl der Sonne. Gesang dringt herauf. Kühn und kräftig. Das ist der Knecht mit den hellen Augen. Er grüßt den Morgen... Theater. Neue freie Volksbühne sün Deutschen   Theater): «Mutter M e w S', niederdeutsches Drama von Fritz Staden- Hägen. Das Leben der Kleinstadt- und Landbewohner spielt sich höchst einfach ab. Zu Konflikten, die weitere Wellenschläge als über einige dörfische Sippen verursachen, kommt es selten. Die große Welt erfährt davon nichts. Oder wenn ja einmal, dann ist's wenig genug. Man regt fich deshalb auch nicht auf. Wundert fich höchstens, oder urteilt voreilig, weil man jener Schichte fremd gegenübersteht. Da tut sich der Dramatiker doppelt schiver. Holt er von dort her seine Stoffe und Probleme, so heißt es für ihn: Bei der Stange bleiben. Jedwedes.Hineingeheimuissen" verbietet fich, falls er ehrlich und ausrichlig erscheinen will, ganz von selber. Tut er das nicht, sondern beschränkt sich auf realistische Treue, so pflegt er nichtsdestoweniger einseitiger Beurteilung zu begegnen. Ich fürchte, daß auch über«Mutter MewS" die Ansickiten sehr auseinandergehen werden. Die Fabel des Stückes ist kurz folgende: Der Fischer Wilhelm Mews lebte mit seiner Frau Elisabeth in den ersten sechs Jahren der Ehe glücklich und einträchtig. Elisabeth geht zwar nicht restlos in der Hauswirtschaft auf. Sie liest gern; sie sucht Befriedigung und Freude in der Belehrung aus populär« wissenschaftlichen Schriften. Der Mann wehrt ihr das nicht. Wozu auch? Sie versieht ja ihre häuslichen Pflichten. Mutter Mews, die oft ms Haus kommt, hat aber stets an der Schwiegertochter was auszusetzen, mäkelt und krakelt in einem fort. Elisabeth ist nun keine gleichgültige Kreatur; sie leidet darunter, je länger, desto mehr. Sie wird die Ahnung nicht los, daß die Schwiegermutter schließlich noch ihr eheliches Glück zerstören werde. Der Mann greist nicht ein. Seiner Mutter mag er das Halls doch nicht ver» bieten; er ist ihr doppelt verpflichtet: fie hat ihm ja all ihr Geld geborgt, damit er fich einen Elver kaufen konnte. Ein» mal ist Mutter Mews nach kurzem Verweilen gegangen. MewS lriegt cS nun aber mit der Angst; er fürchtet, daß ihn fortan in seinen geschäftlichen Unternehmungen das Glück verlassen werde. Elisabeth bezwingt sich also noch einmal, die Alte wieder zurück- zuholen um des lieben Friedens willen. Mutter MewS bleibt natürlich wie sie war die Reibung zwischen den beiden Frauen nimmt ihren heftigeren Fortgang. Da ist im Hause auch noch ein jüngerer Bruder des MaimeS. Elisabeth übt auf ihn einen wohl, latigeii Einfluß ans. Früher hat er getrunken: sie hat ihn ganz von dieser Leidenschast abgelenkt. Und er folgt ihr; es webt zwischen den beiden so etwas wie kameradschaftliche Zuneigung. Weiter nichts. Die Alte kann Hugo nun schon lange nicht recht ausstehen. Er weih: sie hat einst den Vater dem Hause entfremdet. Durch ihr Sticheln und Kräkeln, bis er fich dem Trünke ergab. Mit den Söhnen wars genau so gewesen. Hugo steht auf Seite Elisa« beths. Eines Tages kommts zur Katastrophe. Mutter MewS sagt ihr nämlich verblümt: fie zweifle, ob Wilhelm Mews wirklich der Vater seiner zwei Kinder sei. Elisabeth gerät außer sich, fie will mit der FriedenSstöreriMnicht mehr eine Rächt unter einein Dache bleiben. Entweder die geht oder sie. Ueber daS kommt MewS heim. Die Alte soll nun gerade bleiben so will erS. Elisabeth, der MewS nach einem brutalen Angriff verwehrt hat, die beiden