- 259— Mit Kopf und Armen an das feuchte Dach gelehnt, glotzte sie vor sich hin, in diese unsagbare Tristheit, die sich um sie verdichtete und die so hoffnungslos war, daß in ihr selbst das Bewußtsein sterben mußte. Nur das ewige Hämmern des Gehirnes gegen den Schädel brachte unter den aufgeschwollenen Augenlidern ein Flimmern hervor, daß ihr zu Mute wurde, als ginge eine Bewegung vor sich, eine Zirkelbewegung in großen Kreisen, immer schneller, in weite, immer weitere Ringe schwingend— vom Mittelpunkt aus— von da aus, wo alle Gesetze der Anziehungskraft und der Be- wegung herkommen. (Fortsetzung folgt.) (Nachdruck verboten) früklmgs 6nvacbeii. Von Eduard Oppel. Kommt der Großstädter, des Winterdunstes der engen Wohnungen und von hohen Häusern eingeklemmten Straßen müde, nach Hornung einmal hinaus vor die Tore der Stadt, so vernreint er, fast über Nacht sei es Frühling geworden. Kaum ist das letzte schmutzige Schneelvasser vom durstigen Erdboden aufgesogen, so leuchtet zwischen den schwarzen Schollen das junge Grün keck und fürwitzig hervor. Die Gräser sind es, die den raschen Farbenwechsel gebracht haben. Aber sie sind doch keine eigentliche Schöpsiing der Frühlingssonne. Den ganzen Winter über waren sie da; sie hatten bei Beginn der Frostperiode eineit Winterschlaf angetreten, haben dank ihrer kräftigen Konstitution Kälte und Trockitis überstanden und nehmen nun, da die mildere Sonne ihre steifen, aber unversehrten Glieder wieder erweckt hat. den alten Gang der Entwickelring neu auf. Die Gräser gehören zu der kleinen Schar von Gewächsen, die am weitesten zu den Eis- feldern der Polargegenden Vordringen und am höchsten bis zum ewigen Schnee der Alpen hinaufsteigen. Sie find dann während des langen Winters im hohen Norden auch»st die einzige Nahrung der Remitiere und Moschusochscn. Also kaum ist der Schnee weg, so präsentieren sich die Wiesen und überwinterten Saatfelder schon in prächtigem Grün. Bald aber regt eS sich allerorten: gemach wachen die lenz- geborenen Frühlingskinder auf. Da ist es denn sehr kurios zu beobachten, wie just alle Naturordnung auf den Kopf gestellt scheint. Während sonst Strunk und Strauch. Busch und Baum mit großer Bedächtigkeit ein prangendes Laubkleid anlegen und dann, hochzeitlich gerüstet, die zarten Blüten zur Brautschau stellen, können die Ge- wüchse des ersten Frühlings gar nicht schnell genug ihre verschlafenen Blumenaugen und verträumten Dlütenknospcn aufmachen, um die junge Welt und den jungen Tag anzustaunen, ehe sie auch nur die Spur eine? Laubblättchens entfaltet haben. Das geschieht aus Zweckmäßigkeitsgründen, sagt der Natur- forscher. Für die wenigen Insekten, die in den noch immer kalten Vorlenztagen fliegen, dürfen die Blüten nicht durch Laub verdeckt fein; im Gegentell. weithin muß die leuchtende Blütenfarbe sichtbar sein, sonst bleibt der Besuch der Insekten und damit auch em gut Teil der Befruchtungen zweifellos aus I Die Pflanzen müssen alle Mittel aufbieten, die spärlichen Insekten anzulocken. Schon im Februar hebt der Blütenreigen an. Aus der Schule kennen wir das hübsche Gedicht von Robert Reinick : Schneeglöckchen tut läuten Klinglingling I WaS hat das zu bedeuten? Ei. gar ein lustig Ding! Der Frühling heust geboren ward, Ein Kind der allerschönsten Art; Zwar liegt es noch im weißen Bett, Doch spielt eS schon so wundcrnett. Drum komnit ihr Bogel , aus d�m Süd Und bringet neue Lieder mit. Ihr Quellen all, erwacht im Tal! Was soll das lange Zandern? Sollt mit dem Kinde plaudern!... Man hat in unsere» Wäldern und Gärten schon unter der gefrorenen Schneedecke voll entfaltete blühende Schneeglöckchen und blühende Gänseblümchen gefmidcn. Bald kommt der duftige Winter- ling, des Botanikers weiße Biole, der gelbliche Märzbecher, die Knotenblume, schon Theophrastos bekannt und die Rießwurz mit ihren Silberglöckchen, im BoUsmund Christblume oder WeihnacktS« rose geheißen. Die meisten Namen schon verraten die Frühblüher! Auf dem Felde treiben der biedere Schachtelhalm und der Huflattich ihre Blütenschäste und im Garten regt sich gleichzeitig der zarte Krokus, in dessen langen Blütentrichtern sich die dicken Hummeln mit putziger Täppischkeit und unter mächtigem Gebrumme ihren dichten Pelz über und über mit gelbem Pollenstaub bepudern. Auch im Strauchwerl lnacktS. wie wenn junge Reben gebogen werden, knittert und knospet es. Der Kellerhals oder Seidelbast, ein weitläusiger Verwandter des Lorbeerbaumes. entfaltet seine rosigen, nach Flieder duftenden Blüten, und kurz danach überschüttet sich der gelbe Hartriegel, die Komekkirsche, mit leuchtendem Blüten» gold. Jeder Tag bringt neue Blumen, jede Stunde neue Pracht. Mild noch wie die Lenzsonne sind die Farben, mit denen die Natur ihre floristischen Frühlingskinder koloriert. Im reinsten Himmelblau erscheinen das liebliche Leberblümchen, der Szilla, das Lungenkraut und bald auch das duftige Veilchen, in dunllem Violet, gefällt sich die Küchenschelle, in mildem Weiß, rosa überhaucht, zeigen sich Busch- röschen und Maßliebchen, das stolze Wiesenschaumkraut und daS arme Hungerblümchen, in freundlichem Gelb endlich sehen wir die prächtigen Hahnenfußarten, den Goldstern und die üppigen Schlüssel- blumen. Eigenartig, überaus charakteristisch wie der Vorfrühling selber, sind die Baumblüten des ersten Lenzes. Fast alle die winzigen Blülchen sitzen dicht gedrängt beieinander wie ängst- liche Küken, die sich nicht getrauen, einzeln hervorzutreten, in Forin von Kätzchen, zarr und schlank— schier, als wollte sich eines � hinter denr anderen verkriechen l' Haselnußstrauch und Erle haben als erste ihre hellen Kätzchen ausgehängt. Rauher Hornungwind oder unsanfte Märzbrise schaukelt die zierlichen Dinger, bis sie ihren kostbaren Goldstaub in die Lüfte streuen. Bald darnach stäuben auch die Birkenkätzchen, und auch die flaumigen Kätzchen der Pappeln und Weide» schülteln sich in rechter Frühlingsfreude. Mit vollen Backen bläst nun der Märztvind die Langschläfer und Träumer an und ein warmer Sonnenstrahl putzt auch den letzten verschlafenen Knospen in Wald und Feld die Aeuglein ans. Bäume und Sträucher werfen die braunen Kapuzen ab, die Knospen weiten sich, schwellen von Stunde zu Stunde, und endlich brechen die monatelang ein» gekerkert gewesenen Laubtriebe durch— durch zum Lichte l Die Stachelbeerstöcke sind die ersten, die ihr zartgrünes Frühlings- kleid anziehen; ihnen folgen die Johannisbeersträucher, die ja zur selben Sippe gehören. Flieder und Ahlkirsche kommen zaghaft nach. Da erwacht auch der Holunder und gewahrt, daß er verschlafen hat. Wie weit sind seine Nachbarn schon voran I Aber doppelr energisch läßt er seine jungen Lebenssäfte durch die Zelladern pulsieren, daß man bald Laub und Leben sieht, und ehe man es sich versieht, hat er seine Toilette fertig und hat obendrein noch die Frühaussteher alle überholt I Hagedorn und Eberesche schließen den Steigen, in- dessen der Rüster und die Esche wie die verschiedenen Ahornarten schon ihren herrlicheren Blütenschleicr entfalten. Rur Linde und Eiche, Robimi und Plantane trauen dem Wetter noch nicht reckt. Bei unserer alten knorrigen Eiche möchte diese Vorsicht verwunderlich erscheinen. Aber wer einmal gesehen hat, wie gerade ihre überaus empfindlichen, zarten Jungtriebe nach einer einzigen kalten Mainacht noch zu- sammenschrumpften und erfroren, der begreift das Zögern. Auf der anderen Seite muß die Eiche ihr junges Laub sogar auch vor der Sonne schützen. Sie bringt unter der Blattoberfläche einen rötlich schimmernden Farbschleier(Anthokyan) au, und dieser hindert die Sonnenstrahlen, die jungzarten Zellen mit der vollen Lichtintensität zu treffen, da andernfalls das grelle Licht das noch allzuempfind« liche Chlorophyll(Blattgrün) zerstören würde. So kommt es, daß wir nicht mir im bunten Herbst, sondern auch im Frühjahr prächtiges Eichenrotlaub finden. Nun steigt die Sonne höher und höher, und je wärmer ihre Strahlen, um so schöner und farbenftoher werden die Blumen und Blüten, mit denen sich die Pflanze» schmücken. Die Obstbaum- blute beginnt. Mandel-, Pfirsich- nud Bprikosenbaum machen den Ansang; Kirschen. Zwesschen, Pflaumen und Birnen folgen, bis schließlich der Apfelbaum in rosafarbener Pracht abblüht. Nun flackern die Kerzen der Kastanien auf, in den Fliederbüschen leuchtet und blitzt eS, und die Ebereschen, deren rote Beeren im Winter wie Feuergarben aus dem Gczweige flammten, gleißen nun in weißem Blütenschnee— ein herrlicher Kontrast I Die Beete im Garten gleichen bald buntgewebten Teppichen mit kostbaren Stickereien. Die farbensatten duslstarken Hyazinthen, weiß wie Alabaster, blau wie das Firmament, gUitigrol wie Purpur, wetteifern im Kolorit mit den edlen Tulpen in ihrer Psanenpracht; die poetische Narzisse richtet sich auf, die stolze Schwertlilie stellt ihre anmutige Schönheit zur Schau, der Berberizenstranch überschüttet sich mir Blunrcn mch die Zyttsusarten gießen ihren Goldregen zur Erde. Wohin man Charit; neue Farben, neue Formen. Das Herz weitet sich und sein Hammer pocht mächttger. So läßt sich Ludwig U h l a n d s„Frühlingsglaube" verstehen/ in dem er mit innigem Wohllaute fingt: Die Welt wird schöner mit jedem Tag. Man weiß nicht, was noch werden mag. Das Blühen will nicht enden. Es blüht das fernste, tiefste Tal. Nim, armes Herz, vergiß die Quak! Run muß sich alles, alles wenden... Gemach erreicht der Frühling seinen Höhepunkt. Wenn der Jasminstrauch seinen köstlichen beranichenden Dust ausströmt, dieses einzigartige Lethcröl,' das von allen Blumendüften allein noch der künstlichen Herstellung trotzt, wenn die Holunderhecken, die beinahe den jungen Tag verschlafen hätten, ihren schneeigen Blütenschleicr über sich breiten mid die nordamerikanischen Akazien(die in Berlin meist fälschlich als Mimosen angesprochcu werden) ihre weißen und gelb- lichen Blütchen zwischen dem zartfiederigcu Laube entfallen, dann kommt die Zeit, wo die Blnmenlönigi» Rose ihren Einzug hält. Damit schließt der Blütenfrühling, und eine neue Zeit, die der feuer- farbenen brennenden Sommerblumen hebt an.
Ausgabe
25 (1.4.1908) 65
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