fallend tragen diese dickleibigen Geschichten wie die vielbändigen Bücher aus der Zeit der Romantiker auch durchgehends roman- tischen Charakter. Karl Hauptmanns Buch hat ganz das Gepräge der träumerischen Unklarheit eines verworrenen Romantizismus. Daneben freilich auch eine irrige Originalitätssucht, die nach einer Besonderheit des Stoffes girrt und dabei fich ins Konfuse verliert. Einhart, die Frucht eines gestreng-bürgerlichen Geheimrats und einer Zigeunerin, starrt mit lächelnden Augen in die wunderliche Welt. Er läuft von Hause fort, um das Leben einzu- saugen, oder die ferne Prinzessin zu finden. Jedoch in Hauptmanns Behandlung ist dieser lächelnde Einhart durchaus kein sonniges Sonntagskind, im Gegenteil, manch- mal sogar ein ganz unleidlicher Geselle. Wo Hauptmann ihm Tiefe geben will, gibt er ihm Schrullen. Kein Wunder, daß er fich wund reibt auf seiner Lebensfahrt. Trotz alledem kommt immer neu das Glück zu ihm geflogen in Gestalt von süßen Mädchen und leiden- schastlichen Frauen. Aber Einhart ist auch in der Liebe ein Träumer und Lächler, d. h. ein Sonderling. So bleibt er am Ende der ein- same Greis, Hieronymus im Gehäuse. Aber ein Meister wurde er, ein Maler von GotteS Gnaden.... Ja, in den Romanen geht das so leicht I In diesem Lebenslaufbuche offenbart sich die literarische Physiognomie Karl Hauptmanns am prägnantesten. Seitenlang läßt er den Leser versinken in eine poetische Gedanken- und Empfindungs- Welt, und alles strömt über im impulsiven Rausch. Dann wieder schrumpft das natürliche Gefühl zusammen, und er zermartert sein Hirn nach Tieffinnigkeiten, die, in eine einfache Sprache aufgelöst, platt oder verrenkt wirken. So taumelt er auch im Sprachlichen, in der Sucht, originell zu sein, hin und her. Dichterisches steht neben Wortschwulst, manchmal glaubt man, es spreche die feminine Dekadenz. Wie schade, daß Karl Haupt- mann, den ich für eine innerlich viel reichere Natur halte, als Gerhart Hauptmann , fich immer wieder in Geschraubtheiten, in eine ungesunde Psychologie und verschnörkelte Linie verliert. Er spricht von MännerngattungSgebunden, unpersönlich in verfrühten Süchten*, von einer Frau sagt er,sie hing an ihm und an dem Erdigwahr- haftigen seiner ganzen Erschauung*. So fließen immerfort barocke Gewaltsamkeiten in die lyrischen Schönheiten vieler Seiten hinein. Die Geschichte von den Lehr- und Wanderjahren Einharts ist eigentlich nur ein Wandelpanorama von Bildern, jedes Kapitel eine Fabel für fich. Der große einheitliche Zug fehlt, wenn auch tausend kleine Züge Karl Hauptmannssaugende*(um ein Lieblingswort von ihn: zu gebrauchen) Dichterseele zeigen. Man könnte von einer dichterischen Hysterie sprechen. Oft entzückt ein feines Schauen, eine innerliche, stille Fabulierkunst, dann wieder kommt die Vergeistigungs- sucht, und wie Frost legt fich die kalte Unnatur der Worte über die Geschichte. Mit einem nassen, einem heiteren Auge legt man darum das Buch aus der Hand. BaleriuS Brjussoff: Die Republik des Süd- kreuz es. Novellen.(Verlegt bei HanS v. Weber, München .) Hat die Geschichte Hauptmanns ein wächsernes Angesicht, so zeigen die Skizzen dieses Russen so etwas wie hektische Flecke. Auch hier überwiegt die Genialitätssucht. Man sagt, in Rußland , da unter der jüngeren genialischen Dichtergeneration Balmont an der Spitze stand, sei Brjuffoff jetzt auf den Thron gestiegen. Anomale Welt- und Seelenzustände zu schildern mit einer Wollust der Grausamkeit, mit einer zerfleischenden und entblößenden Ekstase, ist seine Spezialität. Alle diese Novellen lesen sich wie mit der Morphium- spritze inspiriert. In einer Art Vernichtungswut singt er der Welt ihren Untergang. Die Republik des Südkrcuzes ist eine grausig- lebendige Schilderung einer utopischen Republik, deren Bewohner an demBazillus des Widerspruchs' erkrankten, der sie irrsinnig und tobsüchtig machte. Die Kultur fällt von ihnen ab und das Tierische bleibt. Eine grandiose Menschen- und Kulturverachtung geht durch alle diese Skizzen. Mit überhitzter Sensationslust betäubt er den Leser mit Ungeheuerlichkeiten. Ver- ruchtheiten, romanhaften Auswüchsen einer unglaublich hektischen Phantasie. Dabei erzählt er das Scheußliche, wie imUnter- irdischen Kerker*, die wahnsinnstolle Sinnesgier, wie in dendrei Schwestern', die grausigen Verzückungen, wie in denletzten Märtyrern' mit einer verblüffenden kühlen Sachlichkeit, um gerade durch diesen künstlerischen Grad der Wahrscheinlichkeit die Nerven des Lehrers um so mehr zu packen. Dem nüchternen Leser allerdings wird trotz der künstlerischen Beherrschung des Stoffs das Jnteressantscinwollen des Autors um jeden Preis nicht entgehen. Noch mehr als in den Greuel-Novellen tritt das in den Traum- Novellen zutage. Hier schildert Brjuffoff das Jneinanderrinnen von Traum und Leben, bewunderungswürdig in der Analyse solcher halbwacher Seelenzustände, aber auch durchtränkt von einem gewissen Kokettieren mit jener Spürsamkeit, die für die einen geheimnisvolle Seelenkunde, für die anderen nur experimentierende Spielerei bedeutet. Die Signatur des Brjusioffschcn Geistes ist gleichfalls Hysterie und ein Zug zum Mystischen hin. Er ist ein geistiger Flagellant. Ein großer Unzufriedener, der sein Fieber in Rutenstreichen austobt, die er der Kultur und dem traditionellen Sinn des Lebens erteilt.. So verzerrt er die Gesichte in krankhafter Ekstase. Vielleicht ist dies die nächste Etappe unserer Literatur ein Bacchanal von tollwütiger Nervenfolter I George Meredith : Die tragischenKomödianten- Roman.(Verlag von S. Fischer, Berlin .) MeredithS Romane haben alle die Kühle der Schriftsteller» Poesie. Er ist ein Beobachter und Zergliederer, er umwebt Ding« und Menschen, Natur und Leben nicht mit dem goldenen Gespinst der Dichtkunst, er hüllt fie in den grauen Mantel der Wiffenschast ein. Sein Stil hat etwas Dozierendes und für den ersten Blick auch etwas Aeltliches. Der Leser hat gewiffermaßen einen Kamps zu bestehen mit dieser altmodischen Starrheit, dieser breiten Umständ» lichkcit, diesem bedächtigen Ausschöpfen einer Situation, eines Ge- dankens, einer philosophischen Folgerung. Und diese Langsamkeit und Monotonie der Schreibart Merediths ist es wohl auch gewesen, die ihn in seinem englischen Vaterlande und auch bei uns in Deuffchland bis ins hohe Alter hinein so gut wie unbekannt bleiben ließ. Er mußte fast 80 Jahre alt werden, ehe die Welt auf ihn aufmerksam wurde und hinter seiner zähen Gründlichkeit den scharfen Analytiker erkannte. Auch hinter den altväterischen Aus- führungen, Weisheitsschlüssen und Abstraktionen entpuppt sich, sofern man nur das Geduldspiel aufnimmt und mit Energie zu Ende führt, ein junger Geist. Ein lebendiger Zuschauer deS Lebens und seiner Ereignisse. In dentragischen Komödianten* behandelt er Ferdinand Laffalles Verhältnis zu Helene v. Dönniges in beinahe allzu großer Gebundenheit an historische Daten von seinem Entstehen an bis zu seinem tragischen Ende. Schon der Titel verrät an sich eine geistvolle Etikette, wie er den Liebeskampf dieser beiden Opfer einer unsinnigen Welt» ordnung ansieht. Er dröselt das Handeln und die Gefühle der beiden auf wie einen Strickstrumpf und wickelt in den Knäuel seine eigenen kommentierenden Betrachtungen ein. Aus dieser trockenen, oft auch wieder mit phaniastischem Aufputz geschmückten Analyse gehen die Charakterbilder Laffalles und der Dönniges in ziemlich schiefer Psychologie hervor. Die Charaktere der großen Masse gehören nach Meredith der einfachen Ordnung des Komischan an. Die Charaktere Lassalles und Helene v. Dönniges verlangen für ihn«ine'Verbindung beider Musen, der tragischen und der komischen. Denn Laffalle war zwar eineifriger Arbeiter*, aber seineletzte Unmäßigkeit trieb ihn ins Verderben*,er war kein Wahnfinniger, aber auch kein Mann zum Anbeten', sonderneine überidialisierte Gestalt". Noch schlechter kommt Helene weg, am besten die Gräfin Hatzfeld. Trotz» alledem flicht sich durch die Geschichte ein Gerank bedeuffamer nach- denklicher Sätze, wenn sie auch den Geist dieses Bundes verzerrt widerspiegelt. Ellen Key : Drei Frauenschicksale.(Verlag von S.. Fischer. Berlin .) Für Meredith find die Personen, von denen sein Buch handelt, in erster Linie ein Disknssionsthema. Ihr Schicksal eininter- essanter Fall*. Wie ein Anatom stellt er Untersuchungen an. Ellen Key läßt fich von ihrem flammenden Herzen vom Boden der nüchternen Tatsachen forttragen und wird Dichterin. Diedrei Frauenschicksale' find ihr ein dramatischer Stoff. Biographisches ist geschmückt mit der jugendlich glühenden Poesie ihrer begeisterungS- fähigen Seele. Aus Aufsätzen frühester literarischer Arbeit ist daS Buch zusammengestellt, aber eS liest sich wie aus einem Guß. Vor Jahren hat schon einmal die schwedische Schriftstellerin Laura Marholm in ihremBuch der Frauen* die Lebensumrisse der drei hier geschilderten Frauen gegeben. Die Mathematikerin Sonja Kowalewska , die Dichterin Anna Charlotte Edgren-Leffler und Ernst Ahlgren (Viktoria Benedicts on) waren für sie ein lebendiger Beweis für ihre These, daß des WeibeS letzte und höchste Bestimmung die Liebe ist. Und sie sezierte diese drei Intelligenzen als Geschlechtswesen und bewunderte vor allem ihre leidenschaftliche Erotik. Sie suchte zu beweisen, daß im Kampfe um das Glück nicht die Wissenschaft und nicht die Kunst, sondern der Mann die Tragik ihres Lehens be» deutete. Ellen Key bestreitet zwar nicht, daß die Liebe die Zentrale des Lebens dieser Frauen gewesen, die alle drei im Mittag ihre? Lebens von, Tode zerbrochen wurden. Aber sie versucht auch zu zeigen, daß sie nicht nur das Genie zur Liebe allein hatten, und zeichnet ein Bild von ihrer geistigen Individualität. Sonja Kowa- lewska, die Russin, die es bis zu einem Lehrstuhl an der Universität brachte, ist wohl die Bedeutendste unter ihnen und an ihrem Schicksal hat die Kulturmenschheit ein Interesse. Laura Marholm gab gewisser- maßen einen seelischen Extrakt, Ellen Key mehr Anekdotisches. So lesen sich die Essays wie eine Novelle. Agot Gjems-Selmer: Damals.(Verlag von Etzold u. Co., München .) Mit gutem Grunde kann man diese Aufzeichnungen der nordischen Jugcndschriftstellerin den beiden vorherbesprochenen Schicksalsbüchern anreihen. Auch hier ist ein inhaltreiches Leben biographisch gefaßt und ein Frauenschicksal aufgezeichnet. Frau Gjems-Selmer, die mit ihren prächtigen Kinderbüchern:Die Doktorsfamilie im hohen Norden* undAls Mutter klein war* sich eine große Anhängerschar erworben, bringt diesmal eine Gabe für die Großen. Für die Mütter und solche, die es werden wollen. Sie erzählt von ihrem Leben als junge Doktorsfrau hoch oben in der Einsamkeit der Nord- landswelt, wie sie oft verzweifeln wollte in dieser Ocde von Eis und Meer. Und wie sie sich doch stets wieder aufrichtete an der Natur, die so schrecklich, aber auch so unendlich groß sich offenbaren konnte, daß sie überwältigt von Glück und Freude vor ihrer Herr- lichkeit die Arme ausbreitete. Humorvoll sind die Szenen in Küche und Haus geschildert, die Unerfahrenheit der jungen Frau, die fich tn der ersten Zeit ihrer Ehe mit den Objekten