den dürren Arm der Madre Fumasolk und schleppt die ihr Ver-brechen kaum Begreifende, vor Schrecken und vor Scham fastSinnlose zum Fricdhofstor hinaus, hinaus auf die menschenvolleStrahe, hinüber zu der Polizeiwache, die wie«ine Fallgrube amWege lauert.*.'..Gestohlen? Nun also! Paragraph so und so des Strafgesetzbuches kommt hier in Anwendung, und fertig. Nichts einfacherals das." Die Madre Fumasoli ward wegen Beraubung einesGrabes zu acht Tagen Gefängnis verurteilt.Das elegante Mailand, das schöne italienisch)« Paris, ist ganzin froher Aufregung. Es feiert den Frühling mit einem Blumen-korso. Die Spiegelscheiben der Auslagen glitzern noch einmal soblank, aus den Fenstern sind bunte Teppiche gehängt, Fahnenund Fähnchen, Stangen mit Fichtengrün umwunden, an denenfarbige Bänder flattern. Quer über die breiten Straßen ziehensich Girlanden mit Inschriften, mit Versen, mit buntenschaukelnden Ballons. Der ganze Weg, den der prächtige, duftendeZug nehmen wird, ist dekoriert, bis zu den öffentlichen Gärten,wo man seit Tagen schon grast, hackt, säubert, um die Spurendes Winters zu vertilgen.Blendend flimmert die scharfe Märzsonne auf dem weihenMarmordom, schneidend pfeift die Bise durch den Korso Garibaldiherunter von den Bergen— Frühling soll sein!Wie sie sich drängen auf den Plätzen und Straßen, wie dieHahnenfedern der Bersaglieri, die beordert sind, die Straßenmittefreizuhalten, um die Wette flattern mit den weißen Schleiernund schwarzen Mantillen der Frauen— Frühling ist dal Essoll Frühling sein.Evviva, der Herold!Evviva, der Sonnenstrahl als Herold!Irgendein junger schöner Mann in goldglänzendcr Seidesprengt heran. Er eröffnet den Zug. Sein Rappe trägt vergoldeteZäume, vergoldete Hufe sogar die Mähne ist mit Goldstaub bc-streut. Ein kurzer Strahlenmantel umfliegt des Herolds Schultern,ein langes schmales goldgelbes Seidcnfähnlein schwenkt er ohn'Unterlaß. Und sein schönes schwarzäugiges Gesicht lächelt so stolzund siegreich nach allen Seiten, als war' er wirklich der Sonnengott.Und hinter ihm quillt und schwillt es von blumenüberschüttctcn,in Blumen gehüllten eleganten Wagen.Eine wahre Blumenorgie, eine Blumenflut, eine duftende,quellende, blühende Vergeudung des übermütigen Reichtums!Da wo sich die Wagen ani dichtesten drängten, wo dieBlumen wie ein Regen heruntersielen zwischen die Räder undzwischen die Füße, ward gerade die Alte hinübergeführt inL Ge-sängnis, die Madre Fumasoli. Solch ein Anblick für die Festlichenalle! So ungeschickt ist diese Polizei! Zum Glück sahen sie nurwenige, und schnell kehrten sie sich ab. Die gebeugte Greisin, diein Ehren alt gewordene, und nun, im fiebenundsechzigsten Jahrenoch zur Diebin entartete Madre Fumasoli!Und auch sie sah nichts von der sinnlosen Orgie jenerFeiernden, die über zertretenen Blumen und zertretenen Herzenihren Tanz aufführt.Vor ihren Augen war das Bild ihres Giuseppe, der bei sechzehn-stündiger Arbeit täglich— Hungers gestorben.Was kümmerten sie jene Wagen? Was jene fremden, inSeide und Gold gekleideten Leute?Welcher Zusammenhang war zwischen jener Welt und derihren?Da fiel plötzlich etwas zu ihren Füßen nieder. Eine roteGeranicnblütc, aus einem Wagen geworfen und abgelenkt vomZiel.Die Madre Fumasoli zuckte zurück, strauchelte, sah ängstlichzur Seite nach dem sie führenden Polizisten und setzte dann sorg-fältig ihren Fuß daneben, so daß er den Zweig nicht berührte. Siebekreuzte sich wie vor einem höllischen Blendwerk— wollte derTeufel sie hier zum zweiten Male versuchen.Und gebeugt und wankenden Trittes folgte sie dem Polizistenin das Gefängnis, das die Leute des guten Gewissens für dieSünder aufgebaut haben.fdix JNIenddsrobn-ßartbolcty.(1809— 1847.)Am 3. Februar 1809 wird es einhundert Jahre sein, daß zuHamburg ein jüdischer Bankierssohn geboren wurde, der in einemkurzen reichen Leben rasch zu der Höhe der musikalischen Großenaufstieg. Lieber, als am Gedenktage selbst, an welchem ja die all-gemeinen Erinnerungen eigentlich schon zu spät kommen, weisen wirbereits jetzt auf die Bedeutung des Tages hin.Mancherlei Aufführungen und sonstige Bemühungen werden dasGedächmis Mendelssohns wieder erwecken, obfchon die meistenMusiker andere Jubelfeiern steudiger veranstalten dürften als geradedie jetzige. Unter anderem werden am 29. Januar(mit General-probe am 28.) in der Singakademie das Oratorium„Elias" und am3. Februar in der Kaiser-Wilhelm-GedächtniSkirche das Oratorium.Paulus' aufgeführt werden. Wir Heven diese zwei Gelegenhcite»,besonders deshalb hervor, weil beide Oratorien als des Meister?vielbeliebte und vielwiederholte Hauptwerke gelten. Sie kennzeichnenjedenfalls gut sein innerstes Streben.Das wohlgepflegte Wunderkind aus einem noch jetzt musikalischreichbcwegien Haus verlebte seine Jugend in einer Zeit, derenliterarischen und künstlerischen Geist wir kurz als„Romantik" be-zeichnen: und als der Virtuose der Romantiker steht Felix wohl fürimmer in der Geschichte der Musik sowie der Kunst überhaupt da.Doch gibt eS kaum einen Großen, gegen desicn Beliebtheit undschier endlose Nachbildung ein solcher Ruckschlag eingetreten ist wiebei Mendelssohn. Süßlich- sentimentales Melodienspicl, Unechtheitund Oberfläche— so hört man über Mendelssohns Musik sprechen.Und von ihr selbst hörte man seit langem außer einigen großen Un-entbehrlichkeiten kaum noch etwas, am wenigsten seine jedenfallsdankbaren feinen Kabinettstücke.„Oberfläche": das stimmt zum Teil am ehesten. Weit undbreit gibt eS nicht bald einen Schaffenden, der so sehr wieMendelssohn seine Leistungen mit Leichtigkeit fix und fertig hin-gestellt hat. Zwar mühte er sich redlich. Dinge zu erreichen, für dieihm das eigentliche Organ fehlte. Abgesehen davon aber gehörteer keineswegs zu denjenigen Idealisten, die jeden Gegenstand solauge drehen und wenden, bis sie feine rauheste, aufgabenreichsteSeite sich zugewendet haben, die sich bis in daS Innerste hineinabquälen und deren Leistungen noch die Spuren des arbeitendenRingens tragen. Mit Eleganz drüber weg: so soll Mendelssohndirigiert haben, und so muten auch seine Kompositionen an.Er war ein vollendetes Ganzes in feiner Art. Aber er wolltemit von der Partie der musikalischen Klassiker sein und zwar geradeder älteren, wie Händel und Bach. Von dem, was er in dieserRichtung geleistet hat. kann mag kurzweg sagen, daß man derartigesdoch noch lieber bei den Aelteren sucht und hört als bei demEpigonen. Seine Leistungen darin find teils minderwertig, teilshinterlassen sie ein Gefühl des nicht ganz Wahren. StctS aberüberraschen sie durch die großartige, geradezu verblüffende Kunstdes Hineinlebcns. DaS alles möchten wir sogar von den eingangsgenannten Oratorien trotz ihrer rührenden Schönheiten sagen. Sieenthalten eine merkwürdige Verbindung von der großen Wehnmtalttestameutlicher Tradition einerseits, von deutscher Meisterschaftund deutscher Herzensiunigkeit andererseits, mit dem Ergebnisse, daßdoch nirgends eine rechte Befriedigung zustande kommt.Roch mehr gilt das Gesagte von mehreren anderen Werken, diein kirchlichein Geist gedacht sind, also von den Orgelsonaten u. dgl.Sodani» scheint eS uns auch von den Streichquartelten zu gelten.obwohl unter diesen immer ein oder das andere seinen entzückte»Liebhaber findet.Sobald aber Mendelssohn über den klassischen GrundthpuShinausgeht; sobald wir seine unglaublich flott hinreißende Kammer»musik sür Klavier und Streicher hören, zumal die Klaviertrios; undgar erst wenn sein Streichoktett erklingt, dies üppig reiche lieblichheitere Werk, das allerdings des sorgkältigen Zusammenspieles vonacht gewiegtesten Streichkünstlcrn bedarf: dann beginnt der echteMendelssohn.Seine Höhe erreicht er in der Form des graziösen Scherzo?,die den älteren Menuett ersetzt, und die ihm fast völlig zu eigengehört; sondern namentlich in allem, was Elsenmufil u. dergl. ist.Hier reicht schwerlich ein anderer Komponist an ihn heran. DieZauberklänge seiner Ouvertüre zum„SommernachtStraum" entzückenimmer wieder auch den, der Mendelssohns„Hochzeitsmarsch" zudem bekannten Shakespeareschen Stücke für eine Grobheit hält.Aber nicht nur die genannte Ouvertüre, sondern so gut wieall« seine sogenannten Konzertouverturcn zeigen Mendelssohn«Eigenart auf ihrer besten Höhe. Auch die Sinfonien kommen ihnennahe. Die„Resormationssinfonie" nimmt geradezu manches vonRichard Wagner vorweg— nur darf man dies nicht sagen. Die«lavierstücke, einst sozusagen verhimmelt, gipfeln in den„Liedernohne Worte", die allerdings wohl mehr Vorläufer haben, alS mangewöhnlich beachtet, aber für immer eine Eigenleistung bleiben. UnddaS Violinkonzert verliert feinen mächtigen Eindruck wohl nur da»durch, daß es ein Alleriveltsleierstück geworden ist.Von den Vokalwerken Mendelssohns kennen wir die„Walpurgis-nacht" durch den Berliner Volischor, dagegen die wertvollen Männer»cköre und die Soloaesöuge wohl noch zu wenig. Die eigentlichenLieder mag ein„Moderner" nicht. Einst ließen sich unsere Groß-eltern mit' Entzücken„auf Flügeln des Gesanges"„bis an die Uferdes Ganges" tragen; heute bleibt man dagegen etwas kühl. Alleinman muß einseitig geworden sein, wenn man beim Durchblätternder MendelSsohnschen Lieder nichts verspürt von ihrem innigenFühlen, selbst von ihrer Geschicklichkeit, das Musikalische der Naturdarzustellen und ihr ganz besonders die FrühlingSkläuge ab»zulauschen.Doch die Entivickeluug der Liedkomposition ist zwar nicht übersolche Kunst, wohl aber über manche Kunstwidrigkeit hinaus-gegangen. Ein Beispiel I Mendelssohn komponiert unter anderenTexten von Heinrich Heine auch das Reiselied„Der Herbstwindrüttelt die Bäume"<op 34, Nr. 6). Darin steht auch der VerS:„Die Hunde bellen, die Diener erscheinen mit Kerzengeslirr". DerKomponist folgt hier nicht dem Satzgefüge, sondern dem Versgefügeund macht seinen Einschnitt hinter„Diener". Man hört also:„DieHunde bellen die Diener", und dann nachher:„Erscheinen mitKerzcngeflirr".