Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 18.
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Mittwoch den 26 Januar
( Nachdruck berboten.)
Im Namen des Gesetzes.
Am langen, blizblank gescheuerten Tisch saßen bis jetzt fünf Mitglieder des Klubs im besten Geplauder, die sich umblickten, und denen man ohne weiteres die Ueberraschung an sah, als der Vater mit dem Sohne hereintrat.
Der Buchbindermeister hatte sich für eine scherzhafte Auffassung der ganzen Anlegenheit entschieden, mit welcher er aber wenig Anklang fand bei seinen Klubgenossen. Denn als er sagte:„ Na, da is a' wieda, mein Jeorrich!... Ik wollte' n Eich doch mal vorstellen, det a' heil wieda rausjekommen is, aus Tejell...", da machten die sämtlichen vorhandenen Mitglieder der Qualmtute" ein so ausgesprochen dummes Gesicht, daß Vater und Sohn Hellwig sich am liebsten hundert Meilen weit weg gewünscht hätten.
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1910
Der war mit Georg schon an der Tür. Er hörte noch, I wie der stotternde Schlossermeister zu seinen Gunsten sprechen wollte und überschrieen wurde. Dem Jungen war's einen Augenblick, als sollte er zurückstürzen und einen von den Kerls mit dem andern um die langen Ohren hauen. Aber der Vater hielt ihn am Arm:
,, Du kommst, Georg!"
Und der Knopfdrücker, dem früher jede Autorität verhaßt war, ließ sich gern leiten in dieser Stunde, wo der Vater so mit allem, woran er am meisten hing, für ihn eingetreten war.
Doch nach Hause gingen sie darum nicht.
Erst spät stiegen sie, beide berauscht und gewaltig schimpfend, ihre vier Treppen hinauf.
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Den Nachtwächter, der ihnen öffnen mußte, hatte der alte Hellwig umarmt und fast weinend gerufen:„ Es ist eine Schande und eine Sünde! Man erzieht seine Kinder doch nicht fürs Gefängnis!" 11.
Nur der lange Ebert, ein Schlossermeister, der stets etwas, jetzt aber vor Verlegenheit ganz fürchterlich stotterte, reichte dem jungen Manne die Hand und meinte: „ Na- d- d- d- die Hauptsache-i- i- iFaust wie eine Feder ab und zu flog. δ is,- det Se wieder- d- d- d- d- da find, junger
hinter seinem Balancier, dessen schwere Wurfstange in seiner Schon zwei Tage später stand Georg Hellwig wieder
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Mann! S- S Sie Sie haben woll" Und nun bemühte er sich, zu sagen, was Georg wohl hätte, aber ehe ihm das gelang, nahm der Tischler Martens das Wort und fing von den nächsten Reichstagswahlen zu sprechen an. Er wandte sich dabei an alle anderen, an den beiden Hellwigs sprach er geflissentlich vorbei. Und als sei das ein Signal für die übrigen, so ließen sie sämtlich in ihrem Gespräch die beiden Hellwigs links liegen.
Bald kamen die übrigen Mitglieder des Vereins, dann wurde ein bißchen getuschelt und, wenn vielleicht im Anfang noch einer von den neuen Ankömmlingen das Wort an den alten Hellwig gerichtet hatte, nach fünf Minuten begriff auch der neue, worum es sich handelte, und schloß sich dem allgemeinen Boykott an.
Der Buchbinder blieb aus Troß, obwohl ihm sein Sohn mehrfach zugeraunt hatte, sie beide oder wenigstens er wollte gehen. Schließlich wurde es dem Alten aber auch zu viel, er erhob sich von seinem Platz und sagte:
d mechte mal' n paa' Wochte reden, wenn a' villeicht zubeeren wollt, ja?!...
Darauf flopfte der Vorsitzende, eben jener Tischler Martens, mit dem Hausschlüssel an sein Weißbierglas und sagte sehr förmlich:.
,, Unsa Vaeinsmitglied, Herr Hellwig, hat's Wocht!" " Ja, janz recht!" sagte der, also, wat id sagen wollte! Jd bin heite A'md hierherjekommen, in de Voraussegung, det des hier freie, uffietlärte Männa und keene zimperlichen ollen Sumpfern find, mit die ick hier seit ville Jahre zu samm'jesessen habe!"
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Sein Sohn zog ihn am Rod, weil er die Nutzlosigkeit des väterlichen Beginnens voraussah. Aber der Alte wurde nur böse.
,, Nee, laß mir!... Idk will reden!... Also dadrum bin id herjekomm'! Un weil id dachte, Ihr seid meine Freinde un nehmt Anteil an mir! Nich, det Ihr mir un meine Familje noch tiefer stoßen wollt, wie sie schon is!..." Er atmete tief auf und pausierte, als hoffe er immer noch, einen Anhänger und Verteidiger unter diesen Leuten zu finden. Dann fuhr er fort:
hr wollt also nich?!... Ihr seid sone Pharisäer. wo jeder bloß Steine werfen kann, uff sein' Nächsten! Na, meinswejen!... Denn erkläre idk hiermit, daß id mit'n heitijen A'md aus' n Vaein austrete! Mit sone Leite, wie Ihr seid, will ick nischt mehr zu tun haben!"
Er erhob sich.
Ein kleiner, buckliger Schneider, so gewissermaßen der Harlekin des Vereins, der stand auch auf und sagte, sich spöttisch vor seinem früheren Kollegen verbeugend:
Bravo !... Bravissimo!.. Wir bedanken uns für Die Ehre!... Vielleicht treten Sie jetzt in den Verein zur ung entlaffener Strafgefangener ein, Herr Hellwig!"
Arbeiter und etwa die doppelte Anzahl von Arbeiterinnen Es war eine kleinere Fabrik, die mit ihm nur sechs beschäftigte. Aber der junge Knopforüder, der jetzt Leben und Freiheit mit viel dakbareren Augen ansah, fühlte sich wohl dort. Er arbeitet in Afford und ging des Sonnabends mit einem schönen Bazen Geld nach Hause, von dem er, wie einst in jüngeren Jahren, dem Vater einen Teil gab, damit der's auf die Sparkasse trüge. Die Mutter bekam ihr Kostgeld, und wenn sie, wie das bei den Frauen vorkommt, in Verlegenheit geriet und dem Vater nichs sagen wolle, so wandte sie sich an ihren Aeltesten, der immer noch eine Mark übrig hatte.
Ein paar Mal in der Woche ging Georg des Abends weg und fam erst beim Morgengrauen heim. Der Vater hatte daran auszusehen, aber Mutter Hellwig bat ihn, doch ja nichts zu sagen!... So ist doch einmal die Jugend! Und er selbst wird's wohl auch nicht anders gemacht haben, früher! Das bestritt der Vater natürlich, brummte am nächsten Abend, wie der Sohn fam, ein bißchen, sezte sich aber doch mit seinem Jungen zu einer Partie Sechsundsechzig oder Schafskopp. Manchmal gingen sie auch gemeinsam kneipen.
Früher war der Ale beinah' jeden Abend allein ausgegangen. Das fam nun beinah' gar nicht mehr vor. Mit den ehemaligen Freunden hatte er infolge der unangenehmen Geschichte gebrochen, und nachzugeben, dazu war er der Mann nicht!
dritt des Abends bei der kleinen Rüchenlampe um den Jett lebte er ganz seiner Familie, und wenn sie so zu warmen Herd saßen, die Mutter Strümpfe stopfte oder dann fam man nach manchem Hinundher zuletzt doch immer Wäsche ausbesserte und die Männer rauchten und plauderten, wieder bei der armen Ella an, um die sich alle drei sorgten, und deren Verschwinden der Mutter besonders das bißchen Schlaf raubte, das die jetzt oft hüftelnde Frau sonst noch gehabt hatte.
Georg war bei Mieze Blankenstein gewesen, ohne sie felbft anzutreffen. Vom Hauswirt erfuhr er, sie sei eines schönen Morgens fortgegangen und nicht wiedergekommen. Aber nachher wäre die Kriminalpolizei dagewesen, um Hausfuchung bei ihr zu halten, und da hätte der eine von den Beamten gesagt, das Fräulein fäße in Untersuchung.
Nun wär's das einfachste gewesen, sich hinauszubegeben nach Moabit , und den Untersuchungsrichter, der die Sache bearbeitete, um eine Unterredung mit dem Mädchen zu bitten. Aber davor scheute sich Georg, der dos früher ohne weiteres und sogar mit einem gewissen Interesse getan haben würde, jetzt über alle Maßen. Die da draußen hätten ihn ja wiedererkennen fönnen!... Schon der bloße Gedanke, mit einem Polizisten zusammenzutreffen, schreckte ihn jetzt!... Oft lag er abends im Bett und konnte nicht einschlafen, weil er sich erst in Wut und Empörung über die erlittene Schmach