Und als Freiligrath selbst im„Glaubensbekenntnis' den Umschwung vollzog und auf die biS dahin mißachtete Zinne der Parteitrat, tönte ihm die Kritik entgegen, nichts sei komischer als ein Poet,„der seine Gedichte herausgibt, wie man ein Examen ablegt".In dem Bruch einer innigen Jugendfreundschaft wird fürFreiligrath der Uebergang zw: politisch-revolutionären Dichtung zumtiefen persönlichen Erlebnis. Hier scheiden sich in den Wegen zweierMenschen zwei Kunstauffassungen.II.Sofern in den Bedenken gegen die politische Lyrik nicht bloßreaktionäres Söldnertum hinter ästhetischen Ausflüchten Deckungsucht, sind derlei Gründe ein Kulturgeständnis deutscher Eigen-art. Die Politik kann, wie alle Dinge der Welt, an sich Stoff derLyrik sein. Nicht um den Stoff handelt es sich, sondern um dieFrage, ob sich der Stoff so innig in die Empfindung des Künstlersauflösen läßt, daß er als persönliches Erlebnis in ihm wiedergeborenwird, ob das Allgemeine zur besonderen Angelegenheit werden kann,das Geschehnis für alle oder auch nur das Programmund die Forderungfür alle, zum Eigentum und Schicksal, zur innersten Notwendigkeit für denEinen zu werden vermag. Das Recht der politischen Lyrik bestreiten,heißt das Interesse an der Politik leugnen. Denn selbst wenn diewirkliche Politik so tief versunken und entartet ist, daß sie nurEkel erregt, erfüllt gerade die mögliche Politik das unvcrkrüppelteMenschentum mit gesteigerter Inbrunst. Nur der schließt die höchstenAngelegenheiten der Menschheit von der künstlerischen Verdichtungaus, dessen Seele so leer und stumpf ist, daß ihm die Sache desStaates und der Gesellschaft keine Gefühlsregung weckt und nie dieherrliche Leidenschaft der wollenden Vernunft entfesselt. Wer in derPolitik wahrhaft lebt, der wird unwiderstehlich zum politischen Lyriker,wenn er überhaupt ein Dichter ist. So entblößt der Kampfgegen die politische Lyrik die Unlebcndigkeit des politischen Jnter-rsses, dem es nur deshalb unmöglich ist, den gegebenen Stoff in deraufgewühlten Seele empfindend zu versenken und anschauend zugestalten.Für Freiligrath war die Politik großes Erleben, ungeheueresWagen, befreiende Weltbewegung. Sie brach jede Knechtschaft, nichtnur die Tyrannei der Fürsten und Reichen, der Junker und Pfaffen,sondern auch die Knechtschaft des Alltags, die Gebundenheit des ödenGetriebes, dieses Schleichen ohne Zorn und Haß, diese? Einerleieiner schlaffen und schläfrigen Ordnung. Indem er das Leben derPolitik in die Poesie aufnahm, wollte er die Poesie in das Leben derPolitik einfüllen. Er sehnte sich, die jämmerliche Zerrissenheit deskleinen Handlungsgehilfen Freiligrath und des nach großem Gestehenschmachtenden Dichters zur Einheit aufzulösen. Leben und Dichten,Begehren und Handeln, Schauen und Schaffen sollte Eins werden.Die erhitzten Phantasien seines jugendlichen Wüstenkönigtums warennur eine grelle MaSke für die Sehnsucht nach bewegtem Leben, dienoch ihr natürliches Antlitz nicht gefunden hatte: in dem Fieberunerhörter Traumbegcbenheitcn, die unter tropischer Phantasiesonneausgebrütet wurden, berauschte und verzehrte sich der Drang nacherhabenen Wirklichkeitc:i. So ward Freiligrath in demselbenAugenblick zum unsterblichen Poeten, als sein ferne Geheimnisse er-lauschendes Ohr die große Bewegung auf heimatlicher Erde heran-nahen hörte: seine Kunst wurde im Frührot der Märztage gebore,,,reiste in ihrer entfesselten Beloegung und starb in ihren. Zusammen-bruch. Und wenn im Alter spät und einsam der deutsch-französischeKrieg dem Dichter ein paar verlorene Töne entlockte, wieder war esnur die starke Bewegung, die auch in der feindseligen Verzerrungnoch ihn flüchtig reizte, bis er fühlte, daß diese Beloegung fremderMächte nicht zugleich die Bewegung seines eigenen Gemüts seinkonnte.So erklärt sich innerlich seine jähe Wandlung vom GegnerHerweghs zu seinem Gefährten. Die herannahende Revolution be-freite ihn von Hemmungen, die ihn zurückgehalten hatten: nunwurde er, was er immer gewesen. Das Lied der ringenden Mensch-heit blühte ihm auf. Und in der fröhlichsten Zeit seines Lebens,als er im Glück junger Liebe und im Glanz schnell erworbenenDichterruhms, ein freier Rheinstedler, nur veranlagt schien, den Gc-sättigten und Gutgesinnten durch bunte Märchen und weinfreudigeLieder die Zeit zu kürzen, trat er als glühender Kläger und wilderRichter Wider sie auf, bereit, ihnen den Kopf zu kürzen.Freiligrath war in jener Zeit der Wandlung am wenigsten einGrämling.' Aus den Briefen, die zwischen ihm und seinem der-trautesten westfälischen Jugendfreund, Levin Schücking, gewechseltwurden, wissen wir, wie der rüstige Wanderer zu jedem tollvergnügtenStreich aufgelegt war und auch den Abenteuern der Minne nicht ausdem Wege ging. Revolution ist Leben, und alle großen Revolu-tionäre und Revolutionen wußten zu lachen, zu singen und zutanzen, mit den, Dasein zu spielen, um es zu gewinnen. Kürzlichsind Briefe veröffentlich worden, die zeigen, wie der konservativeLevin Schiicking, der sich Aristokrat dünkte, den Uebergangdes Freundes ins Lager politisch-revolutionärer Richtung aufnahm;und wenn auch die Aeußerungen, die Schiicking in einem Brief anseine Braut schreibt, zuungunsten Freiligraths gefärbt sind, dem eraus privatem Anlaß damals gram sein durste, so zeigen doch geradediese Bemerkungen die ganze Acnßerlichkeit und Berständnislosigkeitdes sich erhaben und überlegen fühlenden Aestheten. Freiligrath hattedem Freunde seine Wandlung mit den Leistungen der reaktionärenSchreckensherrschaft Friedrich Wilhelms IV. begründet, mit dem Ber-bot demokratischer Zeitschriften, der Verbannung Herweghs, der Ab»setzung Hoffmanns.„Ich sehe daraus," schreibt Schücking seiner Brautam 21. Februar 1343,„daß man den guten Ferdinand, indem man ihnmit Gewalt in die Politik drängte und er so schwach war, sich dahindrängen zu lassen, unwahr gegen sich selber gemacht hat. Eigentlichkümmert ihn das Verbot jener Blätter gar nicht, und wenn erHerweghs Verbannung als etwas ihn Kümmernde? in die gleich«Reihe setzt, so ist daS Wind. Sie hat ihn gesteut, wie sie michamüsiert hat. War es für ihn ärgerlich, daß solch ein unreifer Bubeallen Ruhm wie für sich in Anspruch nimmt, Reden an die JenenserStudenten hält wie'n Alter, ihm grobe Briefe schreibt und er darüberseinen Ruhm zusammenschmelzen, in den Schatten drängensieht?— Das hat ihn gewurmt; ist ein ärgerliches,einer Poetenseele ganz natürliches Gereiztsein darüber ein Neid,so hat die„Rheinische Zeitung" recht, wenn sie ihn neidisch nennt,denn mit Behagen und nicht in verdüsterter Stimmung ist der„Brief"(das so überschriebene Gedicht gegen Herwegh) geschrieben.Ich kenne meinen lustigen, unbekümmerten Poeten; wenn seine Ge»dichte ziehen, wenn er seine lustigen Freunde um sich hat und derHimmel ihm voll Geigen hängt, dann kann seinetwegen„der Fort»schritt" hinschreiten, wohin er will. Das soll kein Tadel sein, denndem innerlichen Gemütsleben des Dichters liegt ein anderer Fortschritt amnächsten als dieser politische. Aber daß er sich und nun mir solcheDinge weiß machen will, des muß ich lachen.... Ihm war zuwohl in seinem Liebesstilleben, zwischen lauter Freunden, von Liebe,Bewunderung, Wohlwollen umgeben. Nun muß er einen solchenSchwabenstreich machen, um sich Aerger zu verschaffen I Aber ichglaube, es wird ihn aujstacheln, es wird ihm eine neue Verve geben,seiner Poesie einen neuen Schwung."So stemd ist diesem Freunde das Gefühl politischer Teilnahme,daß er den Umschwung des guten Ferdinand nur aus verletzterSchriftstellereitelkeit und gierigem Schriftstcllerneid zu erklären ver»mag. Aber eine dunkle Empfindung hat er doch wieder, daßEreiligraths Kunst unter diesem Anprall heftiger Erregungen neuerast gewinnen möchte. In Wahrheit ist Freiligrath erst alsKämpfer des Lebens der große Dichter geworden.Von dem Tage an, da er mit dem„Glaubensbekenntnis" denHerrschenden und seiner eigenen Vergangenheit den Krieg erklärte»wuchs mit dem Nahen der Revolution seine Gestaltungskraft. SeineVerse wollen nicht Papier bleiben, sie wollen wirken, verwirklichen.Auch äußerlich zeigt sich, wie mehr und mehr Leben und Dichtenzusammenwächst. Im Vormärz gibt er seine revolutionären Gedicht-sammlungen heraus, als der Verbannte dann aber nach dem Aus-bruch der Revolution aus England heimkehrt, wählt er an der Seitevon Karl Marx die Tageszeitung zur Tribüne seiner Kunst, undendlich, indem er sein gewaltigstes Gedicht schuf, las er es in derVolksversammlung vor und ließ es als fliegendes Blatt im Einzel-druck unmittelbar unter die Massen flattern, in ihre Herzen undFäuste wirken— Aug in Aug mit den Gerichten des Polizcistaats,die vor dem Erwecker der Toten die Lebenden bewahren wollten.Freiligrath hat keine sangbaren politischen Lieder gedichtet.Schwer und mächtig, in gewitterhast zuckendem Blitzleuchten gestalteter die Ereignisse, die zugleich vor unserem Auge noch einmal wirklichwerden und ihre heißen Lippen zu beredter Lehre, anklagend.zürnend, weckend und befeuernd öffnen. Diese Gedichte des politischenund sozialen Freiheitskampfes, in denen zuerst und am leiden»schaftlichsten die Mission des Proletariats gekündet wird, reimenkeine Schlagworte, erfinden nicht Programme und Resolutionen, eSsind die zusammengedrängten Dramen der Zeit,deren Handlung ein Cho'ruS begleitet. Alles ist in ungestümes Ge»schehen, blmvolle Körperlichkeit, farbige Anschauung, tiefste Empfin-dung aufgelöst, und die Stimme des Agitators wächst natürlich ausden Dingen, aus dem lebendigen Bilde heraus. Die politischenPropagandawerke sind nur wie der Atem der sinnlich lebendigenHandlung. Schon im ersten Gedicht des„Glaubensbekenntnisses"fand Freiligrath die große Form:Der Platz ist leer, daS Volk hat sich verlaufen,Der Dampf verflog, die Schüsse sind verhallt.So hebt„Aus Spanien" an, so beginnen auch die„Toten andie Lebenden":Die Kugel mitten in der Brust, die Stirne breit gespalten.In den Gedichten von 1843 und 1849 verschwindet überhauptjede Vorstellung, daß sie einen Verfasser haben, der sich zu Hausean den Schreibtisch setzt und geduldig seine Gedichte und Gefühle zuPapier bringt. Diese Gedichte scheinen im Getümmel des Kampfesselbst erwachsen, sie sind selbst Naturereignisse der Revolution, WesenvonFleischundBlut; dieseVerse haben auf der Barrikade gefochten, habengejauchzt im Uebermaß des Glücks siegender Freiheit, sind blutend nieder-gesunken, haben geklagt, gefordert, verflucht, gebetet und geschrien.In Freiligraths Gedichten der Revolution ist die Revolutiö» selbstunsterblich geblieben, und jedes Wort, das wir heute aufblättern,sprengt verwitterte Särge und erweckt verjährte Leidenschaft. DurchFreiligrath reden die Toten des 13. März in alle Zeiten lebendigzu denen, die in ihrem Gedächtnis wirken. Und so treibt der Dichterder Politik unvergänglich, ein Jahrhundert nach seiner Geburt, nochimmer wirkliche Politik.Kurt EiSner.Verantw. Redakteur: Richard Barth, Berlin.— Druck u. Verlag: Vorwärts Buchdruckcre, u.Bertag»anjtaltMauiSl»ger LrEo..BerUnL�i.