Marie machte sich am Webstuhl zu schaffen, um Vesser lauschen zu können; Kjestens Blick glitt unruhig von Jürgen zu Anders und von Anders zu Jürgen. Doch Anders saß unbeweglich und flocht eifrig an seinen Halmen. Seht, was so in unserem Innern lebt, das ist Dichtung. Und wenn wir daher lesen oder singen, was die Dichter geschrieben haben, dann ist es, als mache sich etwas frei, als löse sich etwas in unserer Brust. Scheint Dir nicht, Anders, daß Dichtung und Poesie sowohl etwas Wahres wie etwas Feines sind?" Jaa, es ist sogar so fein, daß man Mühe hat, es überhaupt zu sehen. Pteuh!" Eine Weile sprach niemand. Ja, wenn wir nun aber zum Beispiel einmal Dich selber nehmen, Anders..." Mich selber!" Er blickte hastig und verwundert empor. Ja, wenn Du nun rings um Dein eigenes Haus herum die Erde siehst und Deine eigenen grünen und gelben Felder, dann ist es doch gerade, als wäre das Ganze ein kunstvolles Gemälde in einem heidebraunen Rahmen. Ist es nicht so, Anders?" Der Alte ließ einen Augenblick die Arbeit sinken. Und das ist ein Bild, das Du im Grunde selbst gemacht hast." Ja, ja in gewisser Weise!" Anders kaute seinen Tabak. »In gewisser Weise!" wiederholte er und kraute sich im Nacken. Und solch ein Bild ist auch Poesie und im.Grunde ist es das Feinste und Schönste im Leben." Der alte Häusler versank in Nachdenken. Aber plötzlich er­wachte er und sah, daß sowohl Webstuhl als Spinnrad stille standen. Da warf er sich wieder mit voller Wucht auf seine Strohhalme und bemerkte zum Schwiegersohn gewandt:Ich muß Dir ein für alle- mal sagen, Jürgen, w i r haben keine Zeit für derlei Dinge." Hast Du nicht Zeit, mit Deinen Augen zu sehen!" ''Das laß nur meine Sache sein," eiferte Anders. Jetzt war er böse. Zur Frau sagte er spöttisch:Du kannst wohl nicht mehr, wie es scheint." Da ließ sie das Spinnrad sausen. Nun kannte sie Anders wieder. Und Marie sandte er einen Blick zu, der zur Folge hatte, daß sie sofort wieder zu weben begann. Nun mochte Jürgen sich mit seinerVolkszeitung" beschäftigen, wenn er Lust hatte. Anders selber aber saß so steif wie möglich da, ohne eine Miene zu verziehen. Nur die Hände bewegten sich. Dann wird bis zur Bettzeit kein Wort mehr gesprochen. Jeder saß wie vorher über seine Arbeit gebückt. Die beiden Alten im Halbdunkel, Marie unter dem Talglicht und Jürgen beim Schein der neuen Petroleumlampe. Jürgen blickte aus sein Weib, das mit niedergeschlagenen Augen dasaß und eifrig die Fäden ineinander schlang, und auf seine Schwiegermutter, die alte Frau, die dasaß und in fieberhafter Eile den Faden spann mit ihren gekrümmten Fingern, und dann dachte er, daß Anders dort in seinem dunklen Winkel saß gleich einem harten Riesen der Vorzeit. Aber er war ja der Mann im Hause, und er, Jürgen, war nur hier eingezogen. Aber das mußte ein Ende haben. Seinen eigenen Boden mußte er unter den Füßen haben, sein eigenes Heim; unter den eigenen Tisch mutzte man die Füße stecken... Zur gewohnten Zeit erhob sich Anders und begann sich auszu- kleiden. Seine Frau folgte seinem Beispiel, ohne ein Wort zu sagen. Aber Jürgen blieb absichtlich sitzen, als sei es ihm gleich- gültig, was die anderen täten. Auch Marie setzte ihre Arbeit fort. aber nur kurze Zeit. Dann beschäftigte sie sich bald mit diesem, bald mit jenem und spähte ängstlich hinüber nach Jürgen, der indessen nur auf seine Bücher hinunterstarrte. Nach eirwr Weile begann sie langsam ihre Kleidertaille aufzuhaken. Anders schritt in seinen gelblichen, selbstgewebten Unterkosen zur Tischschieblade und schnitt sich ein frisches Stück Kautabak ab. Dann griff er nach seiner Taschenuhr, die an dem Balken zwischen den beiden Betten hing, wo Jürgen saß. Während er sie aufzog, sagte er:Willst Du hier die ganze Nacht sitzen bleiben?" Hm, ich weiß nicht!" antwortete Jürgen gleichgültig, und schraubte die Lampe etwas höher. Anders aber streckte sich im Bett, daß es in allen Fugen krachte. l Fortsetzung folgt.) Manciervögel an Leuchtfeuern. Zur Zeit der großen Wanderzügc der Vögel entfaltet sich häufig in dunklen, stillen sind regnerischen Nächten an den Leuchttürme» und Leuchtschiffe», die an den großen Zugstraßen liegen, ein wunderbares Vogelleben, das an ergreifenden Momenten reich ist. Zahllose Scharen unserer gefiederten Freunde gehen alljährlich zugrunde, in- dem sie auf ihrem nächtlichen Fluge von den verführerischen Leucht- feuern angelockt werden und sich an den Scheiben der Lampen Kopfe und Flügel zerschmettern. Während einer einzigen Herbstnacht wurden am Helgoländer Leuchtturm, wie Gutke in seinem Buche Die Vogelwarte Helgoland" berichtet, nicht weniger als lölKX) Lerchen gefangen. Der Beobachter schildert das nächtliche Leben an jenem Orte folgendermaßen:Das landschaslliche Bild, das einer so reichen Entfaltung des Tierlebens zum Hintergrunde dient, ist an sich schon ein ganz außer« ordentlich anziehendes: eine ebenmäßige stille, schwarze Nacht, ohne Mond, ohne Stern, begleitet von ganz schwachen, südöstlichen Luft- zuge, find Bedingungen für möglichst großartige Entfaltung solcher Wanderflüge; ist gleichzeitig die Atmosphäre sehr stark von Feuchtig- keit erfüllt, so trägt dies zur Steigerung der Erscheinung außer- ordentlich bei. Die gleichmäßig tiefe Finsternis, inmitten welcher der große helle Lichtkörper des FeuerturmS zu schweben scheint, die breite» Strahlen, welche nach allen Richtungen von seinem Lichte ausgehen und sich in der trüben Luft bis ins Unendliche zu erstrecken scheinen, das Bewußtsein des großen umgebenden Meeres und die vollständige Lautlosigkeit der ganzen Ratur bilden ein ganzes von ernstester, nahezu großartiger Stimmung... Das ganze Firmament ist jetzt erfüllt von einem Chaos von Hunderttausenden nah und fern erschallender Stimmen und nähert man sich nun dem Leuchtturm, so bietet sich dem Auge ein Bild dar, das dem durch das Ohr empfangenen mehr wie ebenbürtig sich anreiht: die das Leuchtfeuer in ab- und zunehn, ender Dichtigkeit umflutenden Lerche», Stare und Drosseln erscheinen in der so inten- siven Beleuchtung wie helle Funken, die den Beobachter gleich einem großflockigen Schneegestöber uinwirbeln, stets verschwindend und stets durch neue Scharen ersetzt Goldregenpfeifer, Kiebitze, Austernfischer, Brachvögel und Strandläufer in großer Zahl mischen sich dazwischen: hin und wieder wird eine Waldschnepfe sichtbar und mit langsamem Flügelschlage taucht aus der Finsternis eine Eule in dem Lichtkreise auf, bald wieder verschwindend, begleitet von den Klagetöuen einer Singdrossel, die sie ergriffen hat." Besonders den schwächeren unter den Wandervögel» erweisen sich ans ihren weiten Flügen Falken. Geier und Eulen als gefährliche Feinde. Größere Falken folgen z. B. Enten auf gewaltige Entfernungen und lassen keine Gelegenheit vorübergehen, um sich auf hilflose Wanderer zu stürzen. Kleinere Geier verschiedener Art suchen sich Blaukehlchen, Drosseln, Finken und andere Zugvögel zur Beute aus. Auf Inseln, die an den Wanderstraßen liegen, lassen sich Geier zu längerem Be- such nieder, damit sie von hier ans ihren Opfern auflauern können. In den Gegenden der arktischen Zone kommt der Wanderfalk zu- gleich mit der Ente an. Aber weit größere Scharen als diesen Raubvögeln fallen eben der verhängnisvollen Anziehungskraft zum Opfer, die die Lichter von Leuchttürmen und Leuchtschiffen auf die Zugvögel ausüben. Wenn man bedenkt, daß ein solcher Strom von Zugvögeln eine ganz lange Hcrbstnacht hindurch andauern und sich unter besonders günstigen Umständen sogar während mehrerer aufeinander folgenden Nächte wiederholen kann, dann wird man es gewiß nicht ganz über- trieben finden, wenn Gutke von einemMillionenfluge" spricht. An einer anderen Stelle seines Buches schreibt er von der unbegreiflichen Massenhastigkeit, von den Myriaden Einzelwesen, nämlich Feld- lerchen, die nicht nur im Bereiche des Leuchtfeuers, sondern auch meilenweit in See nördlich und südlich der Insel vor seinem erstaunten Auge vorbeizogen. Und über einen von ihm im Jahre 1882 beobachteten Herbstzug des gelbköpfigen Gold- Hähnchens äußert er, jeder Versuch, die Zahl der Wanderer durch eine Ziffer auch nur annähernd auszudrücken, müsse vergeblich er­scheinen. Von zehn Uhr abends bis zum Tagesanbruch zogen diese Tierchen in wenig wechselnder Dichtigkeit stetig von Ost nach West am Leuchtfeuer vorbei. Bei Tagesanbruch war die ganze Insel buchstäblich mit diesen Vögelchen bedeckt. In demselben Jahre wurde auch ein beispiellos starker, wiederholt sich zu gleichen Massen steigernder Zug von allen Stationen der britischen Ostküste, von Guernsey aufwärts bis Bressay in der Mitte der Shetlandgruppe, berichtet. Der englische Ornitholog lVogelkenner) Dixon teilt in seinem Buche über den WanderflugTbs migrafcion of birds" Beobachtungen mit, die an englischen Leuchttürmen und Leuchtschiffen gemacht wurden. Der Wächter des in einer Entfernung von zehn deutschen Meilen von der Themse stationierten Leuchtschiffes sah wiederholt in Herbst- nachten Tausende von Zugvögeln mit ihren weißen Brüsten, einem heftigen Schneegestöber gleich, die Laternen und das Takelwerk stuudcnlaug umschwärmen. Viele rannten sich die Köpfe ein und fielen ins Meer. In einer Herbstnacht des Jahres 1833 sammelte der Wächter des Hasbro- Leuchtschiffes Hunderte von Singvögeln von Bord ans, die durch den Anflug an die Scheiben der Laternen gelötet waren. In einer einzigen Nacht wurden auf dem Tuskar- Leuchtturnr auf der Höhe von Wexford 1200 auf gleiche Weise umgekommene Vögel gezählt, während außerdem eine große Anzahl über Bord gefallen war. Und auch zur Kenn- Zeichnung der rasenden Geschwindigkeit, mit der die Vögel ins Verderben fliegen, wenn sie sich in dunklen Nächten aus ihren hohen Wanderbahnen von den weitlenchtenden Strahlen der Leucht- feuer niederwärts ablenken lassen, führt der englische Ornithologe einige bemerkenswerte Beispiele an. So jagte in einer Frühlings» nacht des JahreS 1888 ein kleiner Vogel nnt solcher Gewalt gegen die Laternen des HaSbro-Leuckitschiffes an der Nordfolkküste, daß er vollständig in zwei Teile zerrissen ivurde. Der Wächter des Long- stonc-LeuchtturmeS berichtete aus einer Novembernacht 1883, eine große Schnepfe sei mit so rasender Schnelligkeit gegen die Laterne geflogen, daß sie förnilich in Stücke zer- schmettert sei. Scheiben von drei Zoll Dicke sind von Verhältnis« mäßig kleinen Zugvögeln, besonders Schnepfen, beim Anflug zertrümmert ein Beweis von der ungeheuren Fluggeschwindigkeit solcher Wanderflüge. Ans dem Farör-Leuchtturm hörte der Wächter