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Günden. Und nicht einmal die Kehle fann man anfeuchten. Wenigstens noch einmal Tee trinken! A ach!" Der Arzt kommt; ich verabschiede mich; wir gehen auf die Straße, seben uns in den Schlitten und fahren in das fleine Nachbardorf, zum legten Krantenbesuch. Gestern hat man nach dem Arzt geschickt. Wir gehen zusammen in die Hütte. Eine kleine, aber saubere Stube; in der Mitte eine Wiege, die von einer Frau start geschaufelt wird. Am Tisch sikt ein Mädchen von acht Jahren, das uns erstaunt und erschreckt anblickt.
Wo ist er?" fragt der Arzt nach dem Kranken. Auf dem Ofen," sagt das Weib, immerfort die Wiege schaufelnd. Der Arzt steigt auf die Bank, stützt den Ellbogen auf den Ofen, beugt sich über den Kranken und nimmt etwas mit ihm vor.
Ich trete zum Arzt und frage ihn, wie es dem Kranten geht. Er antwortet nicht. Ich steige ebenfalls auf, schaue in die Dunkelheit und unterscheide allmählich den zottigen Kopf eines Menschen auf dem Ofen. Ein drückender, übler Geruch geht von dem Kranten aus. Er liegt auf dem Rücken; der Arzt fühlt seinen linken Puls.
Was macht er, geht es schlecht?" frage ich. Der Arzt antwortet nicht; wendet sich an die Wirtin. Zünd die Lampe an!" sagt er.
Die Frau ruft das kleine Mädchen, läßt sie die Wiege schaufeln, zündet selbst die Lampe an und reicht sie dem Arzt. Ich steige herunter, um ihn nicht zu stören. Er nimmt die Lampe und setzt seine Untersuchung am Kranten fort.
Das Mädchen schaut auf uns, schaukelt die Wiege nicht start genug, und das Kind fängt jämmerlich und durchdringend an zu schreien. Die Mutter stößt das Mädchen ärgerlich zurück und beginnt selbst wieder zu schaukeln.
Ich trete nochmals zum Arzt und frage wieder: Was macht der Krante?"
Der Arzt fagt mir, immer noch beschäftigt, ein Wort.
Ich habe nicht verstanden, was er gesagt, und frage noch einmal. Agonie," wiederholt er, flettert schweigend hinunter und stellt die Lampe auf den Tisch.
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Das Kind schreit ununterbrochen kläglich und eigensinnig. st wohl schon tot?" meint die Frau, als ob sie das Wort des Arztes verstanden habe.
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"
Noch nicht, aber es dauert nicht mehr lange." Muß ich wohl zum Popen schicken?" fragt sie unzufrieden und schaukelt dabei das schreiende Kind immer stärker. Wenn noch jemand zu Hause wäre; aber jetzt fahren alle Holz!" " Ich habe hier nichts mehr zu tun," sagt der Arzt, und wir gehen hinaus.
Später erfuhr ich, daß die Frau jemanden zum Bopen schickte und daß der Pope dem Sterbenden noch eben das Abendmahl reichen konnte.
Wir fuhren nach Hause und schwiegen. Ich glaube, wir hatten beide dieselben Gedanken.
" Was fehlte ihm?" frage ich.
" Lungenentzündung; ich hatte ein so schnelles Ende nicht erwartet; ein mächtiger Organismus, aber schwere Komplitationen. 40 Grad Fieber, draußen 5 Grad Kälte, da geht er und setzt sich hin." Wir schwiegen wieder und fahren schon ziemlich lange. " Ich habe weder Bett noch Kissen auf dem Ofen bemerkt," fage ich.
Gar nichts," erwidert der Arzt und fährt dann, meine Ges danten erratend, fort:
„ Gestern war ich in Kr. bei einer Wöchnerin. Zur Untersuchung mußte man sie ausgestreckt hinlegen. In der Hütte war tein Plaz dafür."
Wir schweigen wieder und haben wahrscheinlich dieselben Gedanken. Schweigend fahren wir nach Hause. An der Treppe hält ein prächtiger Zweierzug vor einem Teppichschlitten. Stattlicher Kutscher in Pelz und Pelzmüze. Da ist mein Sohn von seinem Gut gekommen.
Dann fißen wir am Mittagstisch mit zehn Gedecken. Ein Platz ist leer. Das ist der der Enkelin. Sie ist heute nicht ganz wohl und ist bei der Wärterin. Für sie ist ein besonders kräftiges Essen bereitet: Bouillon mit Sago .
Beim Essen- vier Gänge mit zwei Sorten Wein, zwei Diener, Blumen auf dem Tisch wird eine lebhafte Unterhaltung geführt. Woher sind die herrlichen Rosen?" fragt mein Sohn. Meine Frau erzählt, die Blumen seien aus Petersburg von einer Dame anonym gesandt.
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Solche Rosen kosten 1½ Rubel das Stüd," sagt mein Sohn, und erzählt, wie man bei einem Konzert oder einer Borstellung die ganze Bühne mit solchen Blumen überschüttet habe. Das Gespräch geht auf Musik und einen bedeutenden Kunstkenner und Mäcen
über.
Was macht denn seine Gesundheit?" " Immer nicht gut, fährt wieder nach Italien . Erstaunlich, wie er sich dort jeden Winter erholt."
" Die Reise ist aber doch recht lang und anstrengend." Wieso? Mit dem Expreß 39 Stunden."
„ Doch lang."
"
Wart nur, jekt fliegen wir bald..."
Martini.
Die Bedeutung, die heute Weihnachten im deutschen Volksleben genießt, hatte bis zum 14. Jahrhundert die Martinifeier besessen. Während Weihnachten dem deutschen Volke von der Kirche nur müh felig aufgedrängt werden konnte, gehen die Wurzeln der Martini feier bis in die graue Vorzeit zurück. Anfang bis Mitte November, je nach den klimatischen Verhältnissen, fiel in Europa mit Beendigung der Ernte auch von jeher das Ende des Wirtschaftsjahres. Daher ist dieser Zeitpunkt bei allen europäischen Völkern mit ent sprechenden Feierlichkeiten, sowohl materieller als religiöser Art, berknüpft gewefen. Die Griechen feierten z. B. die Bindemiae zunächst als Kultfeier zu Ehren Aeskulaps, in materieller Hinsicht war es die herbstliche Winzerfeier zu Ehren des neuen Weines, der an diesen Festen als neuer Most zum ersten Male probiert wurde. Bei den Römern gestalteten sich die Herbstfeste auch in fultureller Beziehung immer mehr zu Winzerfeften, der Bacchusdienst verdrängte den Herkuleskult. Im Jahre 281 n. Chr. führte Kaiser Probus jenen offiziell ein, nach bartem Kampfe mit den Herkulespriestern, die z. B. den Kaiser Domitian veranlaßt hatten, den Bacchusdienst zu verbieten und alle Weinreben zu vernichten.
Bei den Germanen war die in den November fallende Ernte- und Dankfeier die wichtigste im ganzen Volksleben. In den alten Zeiten der Weidewirtschaft unterschieden die Germanen nur zwei Jahreszeiten, den Frühling und den Winter als Anfangs- und Endpunkte des Weideganges. März und November sind denn auch immer die Zeitpunkte der großen altgermanischen Stammesfeste gewefen und geblieben. Und welcher Zeitabschnitt des damaligen Wirtschaftslebens hätte sich wohl auch besser zur Stammesfeier ge eignet als Anfang und Ende einer neuen Arbeits- und Wirtschaftsperiode? In der einen verkörperte sich die Hoffnung, in der anderen die Freude über das Gelingen all der aufgewendeten Mühe und Arbeit. Der lettere gab auch der altgermanischen November feier den so nötigen materiellen Hintergrund. Denn das Ende des Weideganges war auch die Zeit des großen allgemeinen Schlachtens. Bevor die Germanen seßhaft geworden, fehlte es ihnen ebenso sehr an Winterställen als an Winterfutter, um die vermehrten Viehbestände durch die knappe Jahreszeit bringen zu können. Dies galt vor allem für das Hauptnußungstier der alten Germanen, das Schwein. Im September wurden damals die Schweineherden, wie dies auch noch bis zum 16./17. Jahrhundert der Fall war, in die Wälder zur Eicheln- und Bucheckernmast getrieben, und war diese Anfang November vorbei, wurde ganz gewaltig unter ihnen aufgeräumt. Gegen Ende des Monats kam dann das Großvieb, Rind und Roß, sowie die bis dahin aufgesparten Zuchteber an die Schlachtreihe. So war bei den Germanen der November neben der eingetretenen Wirtschaftsruhe die Zeit des quellenden Ueberflusses, kein Wunder, daß unsere Vorfahren gerade jene Zeit benugten, um nach Kräften lustig und fröhlich zu sein, ehe der harte, lange Winter sie in ihre Hütten bannte und zu schmaler Kost verurteilte. Che Wege und Stege gänzlich unwegsam wurden, traten die Stammesgenossen dann auch noch einmal zur Regelung der Stammes- und Markengeschäfte zufammen und einten sich zu einer letteren größeren gemein famen Kultfeier.
Der Uebergang zum Ackerbau und zum Christentum raubte der Novemberfeier nichts von ihrer Bedeutung im germanischen Festleben. Wohl schob sich, als die Seßhaftigkeit die Errichtung ausreichenderer Stallung und Beschaffung von Winterfutter ermög lichte, die Schlachtzeit für einen Teil des Großbiehes bis in den Dezember, ja Jannar hinaus. Aber auch für die Feldwirtschaft blieben Fastnacht und Martini die zwei wichtigsten Etappen im landwirtschaftlichen Betriebsleben. Zu Martini zog der Bauer seinen Pflug in den Hof, zum Zeichen, daß nunmehr alle Feldarbeiten be endet, um ihn erst zu Fastnacht wieder hinauszuziehen. Die Ernte rubte in den Scheuern und der Landmann fand nunmehr reichlich Beit und Muße, sich nach soviel Mühe und Plage der Früchte seiner Arbeit und feines Fleißes zu freuen. In diese Zeit der Ruhe und des Feierns fiel dann auch im Mittelalter, wie vordem in der altgermanischen Vergangenheit, die Erledigung fast aller für den Bauern wichtigen Geschäfte. Im November war der Termin der gegenseitigen Abrechnungen, die Ablieferung der Zinsen und Beden, besonders die an lebendem Vieh; daher die Martinsrinder, die Martinshühner und Gänse. In den Gemeinden wurde die Gemeinderechnung abgelegt, die Gemeinde- und Flurbeamten neu gewählt, die„ Hegemahlzeiten" gehalten. Die herbstlichen Gerichtstage der Hof- und Markgenoffen schaft fanden statt und das Gesinde wurde abgelohnt oder neu an
genommen.
Die Kirche hatte sich inzwischen den vorgefundenen Verhältnissen insoweit anbequemt, als sie der altgermanischen Novemberfeier in der Person des heiligen Martin einen christlichen Sultheiligen aufgedrängt
hatte. Damit wurde der 11. November zum Mittel- und Zentralbem ursprünglichen Zwecke der Feier, dem Herbstdankfeste und seinem punkt der bisher zeitlich nicht genau figierten Feierlichkeiten. An materiellen Hintergrunde änderte natürlich auch das Christentum nichts. Nach wie vor blieb Martini dem Volle ein Freuden- und Genußfest, an dem Essen und Trinken im Vordergrunde der ganzen Handlung stand. Daher wetterte denn auch die Kirche, so im sechsten Jahrhundert die Synode von Augerre, gegen die heidnischen Schmäuse und Gelage, gegen das ganze heid nische Wesen, Wesen, das überall bei der Feier ganz unders hült zutage trat. Trotz aller Unterdrückungsversuche der