Und so kam es. Lorensen haite sich zuerst eine der üb- ktchen Hermen gedacht, der die Muse, frei nach Tasso, den Lorbeerkranz aufs Haupt drückt. Kempen jedoch regte eine andre Idee an: eine durchaus realistische Büste, die den Ein- druck mache, als wenn der ganze Kerl aus einen: Blütenhain herauswüchse. Die Poesie sollte herantreten, die Leier bei- feite stellen, eine Rose vom Strauch brechen und sie lächelnd dem Dichter reichen, der darüber hinaus ins Wesenlose blickt. Beide stritten sich darum, denn Lorensen, der eine Ver- stiinniung bei dem Konntee befürchtete, fand das zu wild und gewagt. Kempen aber führte als letzten Grund sogar eins der wundersamen Gedichte des Landsmannes ins Gefecht, das er noch von der Schule her kannte. Zwar quetschte er die Verse nur hervor, so daß Klara, die als Vertraute dabei saß, heimlich lachte, aber er betonte richtig und fand zum Schluß den gehörigen Schwung der ihn beinahe mit fortriß. „Drück mir zuletzt die Rose an die Lippen, Zu der mein müdes Haupt sich oft geneigt. Ich sah die Falter sorglos an ihr nippen, Die mir im Leben Tarnen nur gezeigt." Es Ivar, als wenn er darin etwas von seinem eignen Dasein fände, das er besonders zum Ausdruck bringen müsse. Und er wurde redselig, sprach in einer Viertelstunde soviel wie in acht Tagen zusammen nicht, so daß Klara beinahe auf den Gedanken kam, es handelte sich diesmal bei ihm um etwas mehr als bloß um Geld, das aufs neue in den gemeinfamen Beutel fließen sollte. Schließlich wurde sie um Rat gefragt, und als sie ihrem„fein-fein" sogar ein„sehr fein" anhängte, was Lorcnsen mit einen: überlegenen Lächeln aufnahm, kamen beide schließlich übcrein, zwei verschiedene Entwürfe einzu- liefern, die sie denn auch zusammenkneteten, als ginge es auf Tod und Leben. Der Eifer des Künstlers hatte sie wieder gepackt, der alles um sich herum vergißt, sobald er nur sein gelobtes Land sieht. Rensdahl, der den Pegasus augenblicklich unbesetzt ge- funden zu haben schien, telegraphierte eines schönen Tages an Lorensen: „Die Rose hat das Richtige getroffen, Es dankt dein Gönner rasch dir hochbeglückt. Du darfst auch diesmal, junger Meister, hoffen, Das ganze Komitee ist laut entzückt." Lorensen ging herum wie im Trauni, wo man rufen möchte und nicht kann. Ein schwerer Alp lastete auf ihm, den er vergeblich abzuschütteln versuchte. Er hatte bestimmt gehofft, daß man Kempens Entwurf ablehnen würde, und sah sich nun getäuscht, nicht aus einem unedlen Grunde, sondern aus Aerger darüber, daß Klara darum wußte, dieses jugend- frische, lachende Geschöpf, das mit klugen Augen in die Welt blickte und sich um alles im Atelier bekümmerte, als bildeten alle drei eine Familie. Seine Eitelkeit war stark verletzt, und zun: ersten Male, seitdem die Kunst beide verwachsen gemacht hatte, schlich sich leise der Neid in die Achtung vor dem Können des andern. „Tarauf hätte ich fast gewettet, wollen Sie glauben?" sagte sie zu ihm, als sie zufällig allein waren und sie ihm zu einer neuen Skizze stand. Er hatte die Reise nach dem Norden hinter sich, mit der Bestellung neues Lob eingeheimst und sich zu einigen Aende- rungen verpflichten müssen, die mit der Ausführung in Bronze zusammenhingen.„Was Sie klug sind," erwiderte er unwirsch.«Das kann jeder sagen." „Der Zug geht doch jetzt ins Moderne," fuhr sie fort. „Das kommt aus Frankreich , wie ich gelesen habe. Dort suchen die Künstler schon lange nach der Natur. Stimmt's nicht so?" „Was Sie nicht alles wissen, Sie Suppenhühnchen I" grimmte Lorensen weiter.„Halten Sie denn Kenchen für modern?" „Sicher. Für moderner als Sie, wenn er auch sonst nicht nach der neuesten Mode ist. Aber wissen Sie, Herr Lorensen, darauf kommt's gar nicht an. Man darf nur nicht zopfig sein, nicht inimcr den alten Kohl aufwärmen. Neue Bahnen muß man gehen, auf das Sujet kommt's doch gar nicht an. Lachen Sie nur, ich weiß genau, was das ist. Bei uns wurde genug darüber gesprochen... Löwenkämpfer hat's schon früher ge- geben. Aber wie liegt das Biest, und wie steht der Kerl! Passen Sie auf, der macht Furore." „Wenn er nur erst einen Käufer hätte, das wäre die Hauptsache," wandte Lo.�nsen etwas hochmütig ein. „Das ist ja richtig, Sie haben mehr Glück," sagte sie wieder und beobachtete njn, wie er hastig den Ton schmierte, als wäre er über etwas in seinem Innern nicht einig.-„Herr Kempen kann eben persönlich aus sich nichts machen. Aber die Hälfte von Ihrem Glück trägt er doch." „Das lassen Sie ihn nur nicht hören, dann wird er süchtig," ivarf er leicht gestachelt ein, denn er empfand dept- lich, daß sie ihn reizen wollte. „Das sind eben alles Kleinigkeiten für ihn," sprach sie weiter,„er will viel höher hinaus." Nun fuhr Lorensen auf.„Kleinigkeit? Das nennen Sie Kleinigkeit? So ein Weib, wie ich es jetzt backen werde? Sie sind furchtbar echt." „Macht er im Handumdrehen," gab sie erhaben zurück. (Fortsetzung folgt.). (Nachdruck verdoleu.Z Steuern. Bon Leo N. T o I st e i. Deutsch von Adolf Heß« Berlin. *). Außer den gewöhnlichen Besuchern und Bittstellern kommen jetzt noch besondere zu uns: erstens ein kinderloser Baucrngreis, der sein Leben in großer Armut verbrocht hat; zweitens ein sehr armes Weib mit einem großen Hamen Kinder; drittens«in. so viel ich weiß, begüterter Bauer. Alle drei find aus unserem Dorf und kommen in ein und derselben Angelegenheit. Bor Neujabr werden die Steuern eingetrieben; da bat man bei dem Greis den Samowar, bei dem Weibe ein Schaf und bei dem wohlhabenden Bauern eine Kuh gepfändet. Alle bitten um Schutz oder Hilfe, oder um beides. Zuerst spricht der vermögende Bauer, ein großer, hübscher. alternder Mann. Er erzählt, der Dorfälteste sei gekommen, hätte die Kuh gepfändet und verlange 27 Rubel. Dabei handle eS sich um Verpflegungsgelder, die man nach Ansicht des Bauern jetzt nicht beitrciben könne. Ich verstehe davon nichts und sage, ich würde mich beim Gemeindevorsteher erkundigen und ihm dann sagen, ob es möglich wäre, von der Zahlung frei zu kommen oder nicht. Dann spricht der Alte, dem man den Samowar gepfändet hat. Ein kleines, mageres, schlecht gekleidetes Männchen, erzählt mit rührendem Kumnier und Unkenntnis, wie man seinen Samowar ge- nommen und 3 Rubel 70 Kopeken verlangte, die nirgends aufzu- treiben wären. Ich frage, für welche Steuern. „Wer weiß das I Irgendwelche Kronssteuern. Wo sollen ich und meine Alte das Geld hernehmen I Können so kaum leben! Was find das kür Zustände I Haben Sie doch wenigstens Mitleid mit unserem Alter und helfen Sie unS. Ich verspreche, mich zu erkundigen und zu tun, waS ich kann. Dann wende ich mich dem Weibe zu, einer mageren, abgehärmten Frau. Ich kenne fie und weiß, daß ihr Mann ein Trunkenbold ist und fünf Kinder da find. „Haben unser Schaf gepfändet." jammert fie.„Kommen und sagen: gib Geld! Ich sage: der Mann ist nicht zu Hauie; auf Arbeit. Geld her. heißt eS wieder. Woher soll ich es nehmen? Da pfänden sie unier einziges Schaf," bricht das Weib in Tränen aus. Ich verspreche, mich zu erkundigen rmd wenn ich kann, zu helfen und begebe mich vorerst zum Dorfältesten, um zu hören, was das für Steuern sind und warum fie so strenge eingetrieben werden. Auf der Straße halten mich noch zwei Bittstellerinnen an. Die Männer sind auf Arbeit. Eine bittet, ihr Leinen abzukaufen; sie gäbe eS für zwei Rubel her.„Man hat mir die Hühner ge- pfändet. Mit Mühe und Not hatte ich sie aufgezogen. Ernähre mich davon, daß ich Eier verkaufe. Nehmen Sie, ist gutes Leinen. Ich würde eS für drei Rubel nicht hergeben, wenn ich nicht in Not wäre." Diese Frau schicke ich nach Hause. Wenn ich zurückkomme. wollen wir sehen. Vielleicht kommt noch alles in Ordnung. Bevor ich zum Dorfältesten gelange, tritt mir noch eine frühere Schülerin, ein schwarzäugiges Weib, Olga, jetzt eine alte Frau, entgegen. Dasselbe Leiden: ihr hat man das Kalb gepfändet. Endlich gelange ich zum Dorfältesten, einem kräftigen Bauer mit grauem Bart und verständigem Gesicht. Er tritt zu mir auf die Straße hinaus. Ich frage, waS da für Steuern erhoben werden und warum man sie so strenge eintreibt. Der Aelteste sagt mir. daß ganz bestimmte Weisung ergangen sei, zu Neujahr alle Restanten beizulrciben. „Ist denn etwa befohlen, den Samowar und das Vieh zu pfänden?" „WaS soll man machen?" sagte der' Alte achselzuckend.„Es geht nicht ander?, die Leute bezahlen einfach nicht. So zum Bei- spiel Abakumow," nennt er den wohlhabenden Bauer, dem nian wegen irgend welcher Furage- oder Verpflegungsgelder eine Kuh geptändcr hat.„Ter Sohn fährt dreispännig zur Börse. Kann der etwa nickt bezahlen? Dabei drückt er sich doch darum." *) Diese bisher deutsch noch nicht veröffentlichte Arbeit deS ver- storbenen Dichters trägt als Datum der Niederschrift den Vermerk: Jasnaja Poljana , den 28. Januar IVIO.
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27 (24.11.1910) 229
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