Unterhaltungsblatl des vorwärts Nr. 7. Mittwoch den 11. Januar. 1911 (Nachdruck verdolMU 7] pelle der Eroberer. Roman von Martin Andersen Nexö . „Ich will mal sehen, ob ich Zeit Hab'," sagte das große Frauenziinmer höllisch zahm.„Aber ich Hab' heut Roch' mittag so wie so alle Arbeit allein auf'n Hals, all die Andern woll'n aus!" „Ja, ich seh', daß sich Bodil schon wäscht," er spie einen Etrahl Kautabak nach dem Fenster des Brauhauses hinüber. „Sie soll woll zur Aushebung, sie macht es ja so gründlich." Karna setzte eine mürrische Miene auf: „Sie hat sich freigebeten, weil sie nach der Kirche wollt'— die und nach der Kirche gehen! Da bral mir einer'n Storch! Ne, die will nach Schneiders in' Dorf: da trifft sie sich mit Malmberg— die sind ans einer Stadt. Daß sie sich nich zu gut hält, sich mit'n verheirateten Mann einzulassen." „Meinetwegen kann sie sich einlassen, mit wem sie will," entgegnete Gustav und stieß das letzte Rad mit dem Fuß an seinen Platz: die große Karna stand da und sah ihn freund- lich an. Aber da entdeckte sie ein Gesicht oben hinter den Gardinen und lief schleunigst mit ihren Eimern davon. Gustav spie verächtlich zwischen den Zähnen hinter ihr drein— sie war doch zu alt für seine siebzehn Jahre: vierzig mußte sie doch wohl wenigstens sein. Er warf noch einen langen Blick zu Bodil hinüber nnd ging dann mit Schmierdose und Schlüssel nach dem Wagentor hinüber. Das hohe, weiße Wohnhaus, das das obere Ende des Hofes abschloß, war nicht mit den übrigen Gebäuden zu- sammengebaut, sondern hielt sich vornehm zurück, ein paar Enden Bretterzaun besorgten die Verbindung. Es hatte eine Mansarde nach beiden Seiten und ein hohes Kellergeschoß, in dem sich Gesindestube, Mägdestube, Braustube, Mangel- sttche und die großen Vorratsräume befanden: an der Man- sarde nach deni Hof hinaus saß eine Uhr, die nicht ging. Pelle nannte das Gebäude Schloß und war nicht wenig stolz darauf, daß er Erlaubnis hatte, den Keller zu betreten. Die anderen Leute auf dem Hof hatten keine so schöne Bezeichnung dafür. Er war der einzige, dessen Ehrfurcht vor dem Haupt- gebäude mit keinem finsteren Zusatz vermischt war. auf die anderen wirkte es wie eine feindliche Schanze. Jeder, der über das Pflaster des oberen Hofes ging, schielte unwill- kürlich zu den hoben verschleierten Fenstern hinauf, hinter denen man verstohlen alles hier draußen beobachten konnte. Es war ungefähr so, als wenn man eine Reihe Kanonenmün- düngen passierte— es machte unsicher in den Beinen: und nieniand ging über das reine Pflaster hin, ohne dazu ge- zwungen zu sein. Dahingegen bewegten sie sich frei auf dem anderen Teil des Hofes, der vom Wohnhause ebenso leicht zu übersehen war. Dort unten liefen ein paar von den jiingeren Knechten und spielten. Der eine hatte die Mütze des anderen erobert und lief damit, und es ging in wildester Jagd aus der einen Scheunentür heraus und zu der anderen hinein, den ganzen Hof herum, unter Keuchen und ausgelassenem Gelächter und abgebrochenen Ausrufen. Der Kettenhund kläffte vor Wonne und wälzte sich sinnverwirrt an seiner Kette herum, er wollte mitspielen. Aben am Staket wurde der Räuber eingeholt und zur Erde geworfen, aber es gelang ihm, die Mütze in die Luft zu schleudern, sie fiel gerade vor der hohen steinernen Treppe des Wohnhauses nieder. „O, Du hinterlistige Kreatur!" rief der Besitzer mit einer Stimme, die wie ein verzweifelter Vorwurf klang, indem er den anderen, mit seinen Stiefelschnauzen bearbeitete,„o, Du schändlicher Bengell" Er hielt plötzlich inne und maß abschätzend die Entfernung.„Spendierst D»l'n Pejcl, wenn ich hingeh und die Mütze hol?" fragte er flüsternd. Der an- dere nickte und richtete sich schnell auf, um zu sehen, wie die Sache ablaufen würde.„Schwörst Du es mir zu? Drückst Tu Dich auch hinterher nich'?". Er erhob die Hand bc- schwörend. Der Kamerad machte eine feierliche Betvegung über die Kehle hin. als wolle er sie durchschneiden, der Schwur war abgelegt. Der, der die Mütze verloren hatte, zog die Hosen in die Höhe und blieb eine Weile stehen und raffte sich zusammen, seine ganze Gestalt wurde straff vor Entschlossen- heit. Er legte die Hände auf das Staket und sprang hinüber, ging gesenkten Kopfes und festen Schrittes über den Hof— er glich jemand, der alles auf eine Karte gesetzt hat. Als er die Mütze gefaßt hatte und den Rücken dem Hauptgebäude zuwandte, schnitt er seinem Kameraden auf dem unteren Hofplatz eine schreckliche Grimasse zu. Da kam Bodil in ihrem feinsten Sonntagsstaat, ein schwarzseidcncs Tuch unl den Kopf und ein Gesangbuch in der Hand, aus den Keller heraus. Herr du meines Lebens, wie war sie hübsch! Und tapfer— sie ging an dem Wohnhaus in seiner ganzen Länge vorüber und hinaus. Aber sie konnte wohl auch von.dem Gutsbesitzer selbst geliebkost werden, sobald sie nur wollte. Um den eigentlichen Hof herum lagen die vielen kleinen und großen Wirtschaftsgebäude: Kälber- und Schwcinehaus, Gerätschaftsschuppen, Wagenremise, eine Schmiede, die nicht mehr benutzt wurde. Sic lagen da wie eine Menge Mysterien mit Luken, die zu pechschwarzen unterirdischen Rüben- und Kartoffelkellern führten, von wo aus man natürlich auf geheimen Gängen zu den sonderbarsten Stellen unter der Erde gelangen konnte— und mit anderen Luken, die zu dunklen Bodenräumen hinaufführten, wo die wunderbarsten Schätze in Form von altem Gerümpel aufbewahrt wurden. Aber Pelle hatte leider nicht viel Zeit, dies alles zu durchforschen. Jeden Tag mußte er dem Vater bei der Pflege des Viehes helfen, und die Arbeit mit dem großen Bestand war nahe daran, ihre Kräfte zu übersteigen. Sobald er sich ein wenig verschnaufen wollte, waren die anderen gleich hinter ihm her. Er mußte Wasser für die Braumädchen tragen, dem Wirtschaftselcven die Stiefel schmieren und für die Knechte zum Kaufmann laufen, um Branntwein zu holen, oder Tabak, den sie in den Mund steckten. Da war genug, womit er hätte spielen können, aber niemand konnte es er- tragen, ihn spielen zu sehen: immer pfiffen sie nach ihm, wie nach einem Hund. Er suchte sich Ersatz, indem er die Arbeit selbst zum Spiel umgestaltete, und das ließ sich in vielen Fällen machen. Die Kühe zu tränken, ivar zum Beispiel ergötzlicher als irgendein wirkliches Spiel, wenn der Vater draußen auf dem Hofe stand und pumpte und der Junge das Messer nur von einer Krippe in die andere zu leiten brauchte. Er kam sich bei dieser Arbeit immer vor wie ein großer Ingenieur. Aber viele andere Arbeit war dafür auch wieder zu schwer, um amüsant zu sein. In diesem Augenblick schlenderte der Junge draußen bei den Wirtschaftsgebäuden umher, wo niemand war, der ihn hätte hetzen können. Die Tür zum Kuhstall stand offen, und er konnte das anhaltende Kauen dort hören, das hin und wieder von einem gemütlichen Schnaufen unterbrochen wurde oder von dem regelmäßigen Auf- und Niedersdheuen? der Kette,«kenn sich eine Kuh den Hals an dem Pfahl scheuerte. Die Holzschuhe des Vaters klappen beruhigend aus und ein drinnen im Futtcrgang. Aus den geöffneten Halbtüren der kleinen Ställe stieg ein warmer Dampf, der angenehm nach Kälbern und Schwei - neu roch. Bei den Schweinen herrschte ein unendlicher Fleiß: den ganzen langen Steig entlang war ein Knappern und Schmatzen, hin und wieder schlürfte eine Sau das Nasse mit den Mundwinkeln auf, oder blies bubbelnd mit dem Rüssel am Boden des Troges entlang, um die verfaulten Kartoffeln unter der Flüssigkeit zu finden. Hier und da zankten sich ein Paar um den Trog und entsandten gellende Schreie. Aber die Kälber steckten ihre sabbelnden Mäuler durch die Tür- öffnungen, glotzten in das schöne Wetter hinein und brüllten warm. Einer von den kleinen Kerlen sog die Luft drüben von, Kuhstall her auf eigene, umständliche Weise ein und verzerrte dann das Maul über das ganze Gesicht in einem törichten Grinsen— das war ein Sticrkalb. Es legte das Kinn auf die Halbtür und versuchte hinüberzuspringen. Pelle jagte es wieder hinunter. Dann schlug es hinten aus. sah ihn von der Seite an und stand mit krummem Rücken da und stampfte auf den Boden wie ein Schaukelpferd. Die Sonne hatte es wirr gemacht.
Ausgabe
28 (11.1.1911) 7
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