Märe, in der launenhafte Mächte Krieg führten, gerade über ihren Köpfen. Jetzt war Jungfer Koller schon im zweiten Jahr auf dem IHof, trotz aller üblen Prophezeiungen; es hatte sich im Gegen- teil so gestaltet, daß ein jeder seine Gedanken zurücknehmen mußte. Sie zeigte eine immer größere Vorliebe mit Kongs- trup in die Stadt zu fahren als daheim zu bleiben und Frau Dongstrup in ihrer Verlassenheit aufzuheitern so ist die Jugend nun einmal. Im übrigen führte sie sich höchst an- ständig und es war eine bekannte Tatsache, daß der Gutsbesitzer wieder feiner alten Hotellieberei in der Stadt verfallen war. Frau Kongstrup selbst hegte denn auch kein Mißtrauen gegen ihre junge Verwandte falls sie es überhaupt jemals getan hatte. Sie hatte ihre ganze Liebe auf das junge Mädchen ge- warfen, ganz als wäre sie ihre Tochter gewesen; und sehr oft veranlaßte sie selbst Jungfer Köller, mit auf den Wagen zu steigen, um acht auf ihn zu geben. Im übrigen vergingen die Tage!vie gewöhnlich. Frau Kongstrup unterlag häufig ihrer Trunksucht und ihrem »ummer. Wenn das Böse in ihr aufkam, weinte sie über ihr vergeudetes Leben; und wenn er dann zu Hause war, verfolgte sie ihn von einem Zimmer in das andere mit ihrer Anklage, bis er anspannen ließ und die Flucht ergriff mitten in der Nacht. Die Wände waren so getränkt von ihrer Stimme, daß sie sich durch alles hindnrchfraß, wie ein trübseliges Geräusch. Wer des Nachts zufällig auf war, um bei dem Vieh zu wachen »der aus ähnlichen Gründen, konnte ihre schwere Zunge bis ins endlose da oben lallen hören, selbst wenn sie ganz allein war. Aber da fing Jungfer Köller an, Vorbereitungen zu ihrer Abreise zu treffen; sie verfiel recht plötzlich darauf, daß sie nach der Hauptstadt wolle, um etwas zu lernen, damit sie sich selbst versorgen könne. Das erschien recht sonderbar, da sie doch alle Aussicht hatte, Kongstrups einmal zu beerben. Frau Kongs- trup wurde ganz elend bei dem Gedanken, sie verlieren zu sollen. Sie vergaß ihre anderen Sorgen ganz und redete be­ständig auf sie ein. Selbst nachdem alles klipp und klar war, als sie zusammen mit den Mägden in der Stallkammer standen und Jungfer Kollers Wäsche zur Reise in Ordnung brachten, fuhr sie mit ihrem Drängen fort ohne jeglichen Nutzen. Es war ja so ihre Art, daß sie nicht wieder loslassen konnte, wo sie einmal eingehakt hatte so wie alle Sten- gardener! Es war etwas Eigentümliches, diese Beharrlichkeit von Jungfer Köller; es war ihr nicht einmal klar, was sie in der Stadt anfangen wollte.Sie will woll hin und kochen lernen?" sagte diese oder jene mit einem verblümten Lächeln. Die Tagelöhnerfrauen machten sich ein Gewerbe auf dem Hof mit dem Milcheimer, um sich bei den Mädchen nach Jungfer Kollers Wäsche zu erkundigen: da waren Zeichen hier und Zeichen da! Frau Kongstrup selbst hegte keinen Verdacht. Sie, die sonst stets, zur Zeit wie zur Unzeit, von Mißtrauen, erfüllt war, schien hier mit Blindheit geschlagen zu sein. Es kam wohl daher, daß sie sich so felsenfest auf ihre Vertraute verließ und so viel in ihr sah! Sie hatte nicht einmal Zeit, zu seufzen, so beschäftigt war sie. alles instand zu setzen. Das war auch groß nötig; Jungfer Köller hatte offenbar den Kopf voll von anderen Dingen gehabt, in einer solchen Verfassung waren ihre Sachen. (Fortsetzung folgt.)) Die Ghcm des Glücks. Vor Toiio dehnt sich eine Stadt der duftenden Blüten und der leuchtenden Fenster. Ein Graben trennt sie von der Hauptstadt Japans   und ein Gitter umschirmt sie. Auf dem Tor aber, durch das alles Volk passieren muß, steht in goldenen Schrift>eichen der lockende Spruch:Es ist ein Frühlingstraum, wenn die Straßen voll Blüten find:«in Herbstabendtraum, wenn überall auf den Straßen La- terncn aufflammen." Diese Stadt von mehr als lb 000 Einwoh­nern treibt nur eine Industrie: den stundenweisen Verkauf junger Frauenleiber. Aus dieser Industrie hat sich eine vollständige Stadt- organisation gebildet mit Beamten und Polizisten, Dirnen und Tänzerinnen, Kausieuten und Kupplern, Acrztcn und Priestern, Gauklern und Bettlern. Aus dem Golde, daO die rastlos taumelnde Brunst strömen ließ, stiegen Zauberpaläste geheimnisvoller Lüfte auf, wuchsen Tempel auf und Spitäler. Heute führt eine elek- irische Straßenbahn den unruhigen Fremden und den gemessenen Japaner schnell zu dem Tor der Träume, und grelle elektrische Kugellampen stören das zarte Seibenlicht der bunten japanischen Laternen. Alle Wett besucht diese Stadt, w e man eine Weltaus- stellung besucht. Geschäftige Agenten und Rellanien sorgen für den nie stockenden Massenstrom der Besucher. Das ist Joshivara, dieEbene des Glücks". So nennt die Stadt die mächtige, reiche und angesehene, höchst ehrenwerte Gilde der Bordellwirte. Die Frauen aber, deren Selbstausopferung diese In- dustrie fristet, reden von der Ebene(oder auch von dem Sumpf) des Glücks cus demSchlünde grausigen Elends". Das Leben dieser Stadt spiegelt sich in der dichterisch zarten nnd anschaulichen Bc- nennung: DieStadt ohne Nacht", denn hier erlischt niemals das Licht in den Fenstern der mehr als 100 Teehäuser und 200 Bordelle. Die Statistik der ärztlichen Untersuchung leuchtet noch tiefer in den Sumpf des Glücks. Sie verzeichnet 11 309 Fälle geschlechtlicher Ansteckung in einem Jahre bei 1270 435 Besuchern; cnif eine Dirne entfallen ungefähr 450 Gäste. Ungezählte namenlose Tragödien der Frauenqual haben sich in der Ebene des Glücks abgespielt, seit jenem Jahre 1017, da diese größte Bordellstadt der Welt begründet und organisiert wurde. Seit drei Jahrhunderten wird auf diesem Stück Erde nichts anderes getrieben, als armes gelbes Menschcnfleisch zerstörti Seit drei Jahrhunderten gehen Millionen kleiner junger Oiran, Dirnen, die der Japaner mit melancholischem Zartsinnverwehte Blüten des gefüllten Kirschbaums" heißt, anmutig fächelnd, stumm, mit einen» letzten Seufzer der Hoffnung aus Freiheit zugrunde. Seit drei Jahrhunderten werden hier die Schmerzen sanft hingebender Frauen in Berge von Gold gemünzt. Seit drei Jahrhunderten über- tönt hier der Lärm entfesselter Lüste die bang zwitschernden Secl- chen frommer Heldinnen sozialer Aufopferung. Erst hat die fratzcnschneidende Lüge grotesker Operetten, dann die sentimentale Lüge tragischer Romane und Opern dem Abend- länder die Ebene des Glücks vorgegaukelt. Man zeigte uns aber nur das Teehaus, das eine Art Tingeltangel, kein Bordell ist, und die Geisha, die nur Tänzerin ist und allenfalls der freien Prosti- tution ergeben ist. nicht die gefesselte Kurtisane in dem vergoldeten Käfig der Blüten und Laternen. Ein französischer Arzt, Tresmin- Tremolieres, hat ein wissenschaftliches Buch über Doshivara ge- schrieben, das neuerdings auch in einer deutschen llebersehung der von Iwan Bloch   herausgegebenen sexual-psychologischen Bibliothek vorliegt. Nur mit tiefer Erschütterung kann man dieses, auch durch bedeutende literarische Kunst der Tarstellung ausgezeichnete Werk lesen. In dem ewigen grausigen Weltdrama der Prostitution bildet die Ebene des Glücks ein um so ergreifenderes Einzelbild, als sich dies Leben auf dem Grunde einer feinen und sicheren Kultur aus- wirkt, als hier die Vergeudung menschlichen Glücks fast zu der ästhetischen Technik einer Kunst erhoben scheint. lleberall und in allen Zeiten, wo kasernierte und abgeschlossene Prostitution wuchert, zeigt ihr Wesen verwandte Züge. Immer wird die Schuldhörigkeit der Frau industriell ausgebeutet. Es ist kein erheblicher Unterschied zwischen deutschen Bordellordnungen des 10. Jahrhunderts(deren Geist auch ins zwanzigste eingedrungen ist) und den heutigen japanischen Polizciverfügungen für die Ebene des Glücks. Nur in einem unterscheidet sich die Zivilisation des fernen Ostens sehr zu ihrem Gunsten von der christlich-abendländi- schen. Zu dem Abgrund schamlos heuchlerischen Aberwitzes ist der Japaner nicht entartet wie der deutsche Kulturchrist, daß er die Frauen, die ihm ihren Leib schenken, noch beschmutzt, beschimpft und verachtet. Der Japaner kennt kein entehrendes Gefühl und wagt keine rohe Acußerung oder Geberde gegen die verwehten Blüten des gefüllten Kirschbaums. Sie ist ihm eine Frau, wie seine Mutter oder seine Schwester. In diesem Volk ohne Monogamie, mit lockerer Ehe die Zahl der Ehescheidungen beträgt jährlich mehr wie ein Drittel der Eheschließungen wird auch in der Prostituierten der Mensch geachtet. Deswegen verbirgt sich die Prostitution nicht in schmutzigen, stinkenden Winkeln, und die Bor- delle sind nicht öde Höhlen, in denen der billigste Plunder frech und grell nur auf den einen Zweck zusammengedrängt ist. Doshivara ist eine helle Stadt fröhlicher und prächtiger Häuser, die im Früh- ling unter rosa Kirschblüten halb verdeckt sind, die ihren natürlichen Blumenschmuck mit den Jahreszeiten wandeln bis zu den Chrysan- thcmen des Herbstes: und selbst im Winter grünt überall Tannen- schmuck. Aller Hausrat stammt aus edelster japanischer Kunst: oft find es Stücke von großem Wert. Es gibt keine feineren Matten und keine prächtigeren Gewänder, als in dieser Bordellstadt. Frei- lich, auch die Ebene des Glücks kennt Klassenunterschiede: die großen Lustschlösser an der Hauptstraße, in denen die jüngsten und sckönsten Mädchen zu hohen Preisen feilgeboten werden, bis zu den Hütten an den entfernteren blassen, in denen sich die schon verfallenden Mädchen für wenige Pfennige hingeben müssen. Ucbrigcns ist alles streng kaufmännisch geregelt, man hält auf feste Preise und solide Gepflogenheiten. Auch der Kaufmann, der mit Menschensleisch handelt, hat den Ehrgeiz, den Ruf der Reellität zu verdienen. Am schönsten ist es in Doshivara an den großen Festtagen; dann ist die Ebene des Glücks der Schauplatz der Freude eines ganzen Volkes. Aber durch diese Stadt der Liebe und Tänze, der berauschen- den Getränke und der duftschwangeren Winde gleitet unsichtbar ein tiefer und breiter Strom der Tränen, und jede Stunde speist ihn aufs neue. Es sind wahre Sklavinnen, die in den lustigen Käfigen sitzen. Der Hunger und die Kindesliebe die Religion des ja- panischen Volkes füllt das Frauenlager von Doshivara. Das junge Mädchen will seinen armen, alten, hungernden Eltern Geld verschaffen. Der Kuppler gewährt einen Vorschuß. Zwischen dem Wirt und dem Mädchen wird ein Bertrag geschlossen, nach dem es so lan'e in seinem Hause zu bleiben hat, bis es die Schuld abge-