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tragen hat. Aber der Bordellbefizer sorgt dafür, daß die Schuld| Fluß zu durchdringen, die trok der oft quälenden Längen und fro niemals abgetragen wird, solange der Leib noch Reize hat. Das des nicht zu bannenden Gefühles, daß es sich hier um eine durch das ift der gewöhnliche Weg in die Ebene des Glücks. Vom ersten Tage dramatische Prinzip erzwungene, aber nicht mehr um natürliche ihrer Einterferung hat die Arme feine andere Sehnsucht, als wieder Musik handele, doch noch überzeugend wirkt. Wagners gewaltiger heim zu kommen. Sie hofft und arbeitet, sie lächelt und verdient Wille ist immer erstaunlich. aber die Schuld verschwindet nicht. Bisweilen träumt sie bon einem reichen Gast, der sie freifauft; aber das kommt zumeist nur in Romanen und Theaterstücken vor, die Wirklichkeit weiß desto häufiger von Selbstmorden zu erzählen, die ein ebenso schimpflicher Vertragsbruch sind wie die Flucht oder- eine wirkliche Liebe; wie in alten deutschen Bordellordnungen, so gilt auch in den Sabungen bon Yoshivara die Liebe als Störung der berufsmäßig übernommenen Pflichten. Auch Mißbrauch der elterlichen Gewalt füllt die Ebene des Glüde. In Japan fann jeder ohne Schwierigkeit jeden adoptieren; so adoptieren die Kuppler häufig die Mädchen, die sie verhandeln wollen.
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So dämmern die holden Geschöpfe dahin, bis sie eines Tages der Fäulnis verfallen und in rettungslose Tiefen versinken. Ihr Hirn ist von allerlei religiösem Zauberglauben erfüllt; die erbar mungslose irdische Welt, die ihnen alles versagt, wird überrankt von einem bunten Gewimmel magischer Gewalten, deren Güte und Hilfe sich das verlassene und verlorene Herz anvertrauen möchte. Mit rührender Bartheit erträgt es auch die plumpen Gemeinheiten der fremden Barbaren und verbirgt allen Efel und Abscheu hinter dem rätselhaften japanischen Lächeln, deffen Sinn der Verfasser des genannten Werkes also zu deuten sucht:" Du bist zweifellos brutal und grob( so jagt das Lächeln zu dem Gaft), weil du die Formen der guten Erziehung unseres Landes, nicht kennst. Ich bin da, um dir zu gefallen, eine Sklavin deiner Wünsche. Du quälst mich, aber du darfst es nicht merken, da du mich nimmst, um glüdlich zu sein. Der Verdruß, den du mir bereitest, würde, wenn du ihn ahnen fönntest, unsern Abend zerstören. Und wenn du, sobald du fortgehst, nicht freigebig genug bist, um meine Schuld gegen meinen Herrn zu tilgen und es mir möglich zu machen, meinen Leib zurüdaufaufen, so werde ich mich ebenso freundlich dir zu Füßen werfen und werde noch im Augenblick des Abschieds lächeln. Mein Lächeln wird dir sagen: Ich will, daß du nicht den Gedanken mitnähmst, daß dein Mangel an Freigebigkeit die hat tränken können, die sich alle Mühe gab, dir zu gefallen. Du könntest einige Augenblicke mit Bedauern daran denken, daß, wenn du reicher wärest, du mir den unendlich großen Dienst erwiesen hättest, groß wie das Meer, nämlich mich meiner Familie zurückzugeben, und fönntest das schredliche Bewußtsein haben, mich hier zu lassen. Ich bitte dich, dente nicht daran, du siehst ja, ich lächle... ich lache fogar."
Was kann man komponieren?
Alles!
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Von Felig Weingartner.
So ungefähr die Antwort eines berühmten Komponisten, die ich unlängst in einer Musikzeitung las. Ganz richtig! Wenn sichy's bloß ums Können handelte, so kann man gewiß alles tomponieren. Sogar zu den unmusikalischsten Worten fann man Mufit machen. Das Notenpapier ist geduldig und die Zuhörer sind es meistens auch. Mitunter scheint es allerdings, als ob man sogar zur Grammatif gute Musik machen könne. Cornelius schrieb ein Zerzett über die Säße:" Ich sterbe den Tod des Verräters, du stirbst den Tod des Verräters" usw., und erwies sich damit als Humorist ersten Ranges. Das war aber eine Ausnahme. Hier handelte es sich nicht um eine sinngemäße Bertomung der Worte, sondern um eine Parodie sinnlosen Gewäsches der ewigen Wiederholungen in älteren Opern, gegen die damals der musikdramatische Krieg geführt wurde, dem sich Cornelius nolens volens angeschlossen hatte. Dem Humor ist vieles gestattet, was sich der Ernst nicht erTauben darf. Sowohl in den Meistersingern " wie in den Ribelungen" find Dinge fomponiert, die zur Musik nur in einem äußere lichen Verhältnis stehen. In den Meistersingern" aber wärmen uns die goldigen Sonenstrahlen des Humors, die den frostigen Götternebel nicht durchdringen fönnen, und nötigen unser Gefühl zu einer Teilnahme, die Walhall gegenüber mehr und mehr erkaltet. Wagner war ein größerer, ein unendlich größerer Musiker als feine Nachfolger. Seine Lebensaufgabe war es, dem Drama in der Oper zu seinem Rechte zu verhelfen. Mit echt deutscher Gründlichfeit führte er seine Absichten bis zur letzten Konsequenz aus. Das fogenannte Durchkomponieren, das seine Vorgänger nur schüchtern bersuchten, erscheint bei ihm zum schärfften Prinzip ausgebildet. Um nur ja nie undeutlich zu erscheinen, gab er seinen Szenen eine dichterische Breite, die dem gesprochenen Drama angemessener wäre als dem musikalischen. Dadurch ergaben sich Partien, denen die Mufit mehr aufgezwungen werden mußte, als daß sie ihnen mit unbedingter Notwendigkeit entspringen fonnte. Gerade da aber, wo der Ausdrud unmittelbarer Empfindung, der die Musik herbeiatvingt, nicht zur Wirksamkeit kommt, setzt Wagners meisterhaftes Rönnen ein, und hilft mit großartigem Stilgefühl, das er sich selbst abrang, die Klippe umschiffen und selbst diese musikalisch unfruchtbaren Szenen durch die Kraft der Deklamation und die eigentümliche Charakterisierung seiner Orchestersprache mit einem tonalen
*) Dieser Auffah, der die Wagnernachäffung getreulich wider fpiegelt, erschien als Beitrag in dem eben herausgegebenen Konzerttaschenbuch des Konzertbureaus Emil Gutmann in München .
Gerade bei ihm sehen wir aber, daß die Inspiration den Vora tritt hat vor dem Können. Wie hoch erhebt er sich, wenn er als der große Musiker zu uns spricht, wenn die Musik, die er in sich trägt, voll und rein zum Durchbruch gelangen darf. Wie viel ergreifender ist es, wenn Wotan von seinem Lieblingsfinde Abschied nimmt, als wenn der unendliche Gott über sein Mißgeschick in der Weltregierung flagt. Wie weit überlegen sind die beiden Monologe Wie duftet doch der Flieder" und Bahn überall Wahn" des Hans Sachs seinen beiden langatmigen Reden auf der Festwiese. Wohl auch der rechtgläubigste Wagnerianer atmet erlöst auf, wenn Tristian und Isolde nach dem Theoretisieren über ihre Liebe den Zwiegesang Oh, fink hernieder, Nacht der Liebe" und damit bis zum Schluß dieser Szene das schönste dramatisch- symphonische Adagio anstimmen, das wir in neuerer Zeit befizen. Nicht durch seine Dichtungen, nicht durch sein scharfes Erkennen dessen, was der Oper tatsächlich nottat, ist Wagner unsterblich geworden. Diese und andere musikalische Höhepunkte sind es, die ihm seine Popularität gewonnen haben. Seine unbedingten Anhänger werden in diesen Worten ein Verfennen oder vielleicht sogar ein absichtliches Richtverstehen seiner gesamten Erscheinung herauslesen. Ich bin der Ansicht, daß die Tatsache, daß es schließlich diese tief ergreifenden Höhepunkte waren, die Wagners Weltruf begründeten, ein gewichtiges Zeugnis dafür ablege, daß die Musik sich nicht, selbst nicht so, wie Wagner es selbst wollte, Sklavenfesseln im Dienste einer anderen Kunst anlegen läßt. Wo sie ihr Haupt erhebt, ist sie Königin, too sie es nicht darf, eine niedrige Magd, an der man achtlos und bedauernd vorbeigeht. In Wagners Werken können wir den Abstand des absolut Komponierbaren vom absolut Unkomponierbaren bereits deutlich erkennen.
Bei seinen Nachfolgern wird dieser Abstand noch größer; das Unkomponierbare hat ein unverhältnismäßig breiteres Feld ge
wonnen.
Schlagen wir moderne Opern auf! Seitenlang finden wir da Dialoge und Abhandlungen, bei denen wir uns vergeblich fragen, was denn all das, was uns da im Sprechgesangton mit leitmotivischen Begleitung illustrationen vorgetragen wird, eigentlich mit der Musik zu tun hat. Oft drängt sich an solchen Stellen der Ruf auf die Lippen:" Sei doch endlich einmal stille, da unten im Orchefter! Jch möchte verstehen, was die oben auf der Bühne fagen!" Auf das Wort ist alles gestellt. Stücke, die lediglich für scharf und pointiert sprechende Schauspieler berechnet sind, so z. B. Liebelei" bon Schnitzler, werden ohne Veränderung in Musik gesetzt. Der Sinn, die Farbe, der Tonfall und Stimmungsgehalt der Phrase sollen uns in begrifflicher Deutlichkeit aus dem mystischen Abgrund des Orchesters entgegenklingen und dadurch in ihrer Eindrudsfähigkeit gehoben werden. Gerade das Wort aber versteht man nicht. Es geht hier wie bei Bäumen, die von Schmarokerpflanzen überfallen find: Eine Efeuranke, die den Stamm umwindet, erhöht seine Schönheit, überwuchern aber die Ranken den ganzen Baum, so fressen fie ihn auf. So hat unser modernes illustrierendes Or chefter allmählich das Wort aufgefressen, zu dessen Hebung es tonstruiert wurde und den Gesang dazu. Denn von Gesang ist bei diesen unnatürlich geführten, unmelodischen, rein deklamatorisch in den Orchesterpart hineingezwängten Singstimmen, wenn man sie noch so nennen darf, nicht mehr die Rede.
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Auf diese Art mit fortlaufendem, gleichsam symphonischen Orchester, mit hinein punktierten menschlichen Gurgellauten, die man auch beliebig ändern fann, ohne daß eine wesentliche Vera schiebung entsteht, läßt sich freilich alles" komponieren, auch philosophische Abhandlungen, Gespräche über alltägliche Dinge, Frivolitäten; warum schließlich nicht auch politische Leitortifel oder Kunstfritiken? Wenn man ähnliche Experimente nicht etwa als„ Präs gung neuer Werte" ansehen will, was bei der Verwirrung, die heute in musikalischen Dingen herrscht, gar nicht verwunderlich wäre, so wird man vieles, was heute komponiert wird, als absolut unkomponierbar bezeichnen müssen. Sollte es aber vielleicht gea rade darauf abgesehen sein, zu zeigen, daß man komponieren kann, was man nicht fomponieren fann? In einer so antimusikalischen Zeit wie der unferigen wäre auch das nicht verwunderlich. Die Grenzen des tatsächlich Komponierbaren wird man nicht absolut, sondern nur individuell ziehen können. Ich nehme z. B. eine Sammlung von Gedichten in die Hand. Manche feffeln mich, manche nicht. Bei einem aber flingt etwas in mir, ein unbestimmtes Etwas, ein kaum hörborer Ton einer feinen Saite, ein Hauch. Es hat mit Gefallen oder Nichtgefallen nichts zu tun, nichts mit größerem oder geringerem Werte des Gedichtes es flingt und das ist das Entscheidende. Ich merke mir das Gedicht und weiß ficher, daß es sich früher oder später zum Lied gestalten wird. Ein anderer Komponist nimmt dasselbe Buch zur Hand und erlebt einen ähnlichen Vorgang wie ich, nur wahrscheinlich bei anderen Ge dichten. Treffen wir uns bei denselben, denn es gibt Gedichte, die wirklich nach Musik schreien", so wird er die Stimmung anders zum Ausdruck bringen, die Worte in anderem Lichte sehen wie ich, so wie er eben überhaupt anders sieht und empfindet wie ich. Die Qualität, die Feinheit, die Stärke des Sehens und der Empfindung entscheiden dann später den Wert. Auch an einem dramatischen Stoff tann der eine achtlos vorbeigehen, während der andere ihn
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