Pavel ErllSte lormlich aus:„Petit, Itetnl Nimm die Weinen, behalt sie: ich schenk sie Dir. Nur geh nicht mehr mit dem Peter... Versprich's l" Er faßte sie an den Achseln und schüttelte sie, daß ihr Hören und Sehen verging:„Per- sprich's, verspricht!" „Sei ruhig— ich verspreche es," antwortete Vinska, doch war der Ton, in dem sie es sagte, so wenig überzeugend, und es flog ein so seltsamer Ausdruck über ihr Gesicht, daß Pavel die Faust ballend drohte: „Nimm Dich in acht!" 6. Tie nächste Woche brachte viel Regentage, und an jedem trüben Morgen packte Pavel seine Schulsachen zusammen und ging zum Gelächter aller, die ihm auf dem Wege dahin be- gegneten, in die Schule. Tort saß er, der einzige seines Alters, unter lauter Kindern und immer auf demselben Play, dem letzten auf der letzten Bank. Anfangs tat der Lehrer, als ob er ihn nicht bemerke: erst nach längerer Zeit begann er wieder, sich mit ihm zu beschäftigen. Einmal, als die Stunde beendet war, die Stube sich geleert hatte, Pavel aber fortzugehen zögerte, fragte ihn der Lehrer: „Was willst Du eigentlich? In Deinem Beruf kannst Du Dich bei mir nicht ausbilden." Pavel machte verwunderte Augen, und der Lehrer fuhr fort:„Hast Du mir nicht gesagt, daß Du ein Dieb werden willst? Nun, Unglücksbub— Unterricht im Stehlen geb ich nicht." Dem Pavel schwebte schon die Antwort auf der Zunge: „Darum ist mir's auch nicht zu tun, versteh's ohnehin." Aber er bezwang sich und sagte nur:„Lesen und schreiben möcht ich lernen." „Zur Not kannst Du's ja." „Just zur Not kann ich's nicht." „Mußt Dir halt Müh geben." „Geb mir Müh, kann's doch nicht." „Bring Dein Buch her." (Fortsetzung folgt.x Die Crcle ift weich» Von Werner Peter Larsen. Nun brechen schon allerorten die Knospen durch: auS dem Flieder vor meinem Fenster steigt es wie Recken und Dehnen, die Amseln pfeifen... tlll— tülü... und vor wenigen Tagen hat mir jemand einen Karton geschickt, irgend jemand, den ich nicht kenne—„Es will Frühling iverden", stand darauf, und darin lag ein später Strauß Schneeglöckchen. Sie trugen noch etwas an sich von dem Land da draußen, von diesem Land, das nun wieder erwacht, einen herben kühlen Dust von stillen Gärten und den großen Weiten, von dampfenden Schollen, von Tau und Wind; ich betrachtete abwechsend sie und die Schrift, — eS war die Schrift einer jungen Frau, und mir schien, die Buch- staben tanzten. Nun will eS Frühling werden, da ist kein Zweifel, denn die jungen Frauen wissen das genau; und die Luft schmeckt auch so ganz anders, so richtig prickelnd und würzig, und die Narzissen unten im Garten beginnen mählich zu keimen,— ich habe also zu Heinrich gesagt, nun sei es an der Zeit, nun wollten wir uns einen Hund kaufen. „Einen Hund?' fragte er ganz beglückt,„einen jungen—V Und ich nickte und sagte, gewiß, nur einen jungen, einen mit noch weichem Maul, von sechs oder acht Wochen. Ich habe mir ge- dacht, es solle ein Rassehund sein, nicht irgend so ein Bastard von Hund und Ratte, sondern ein edles Tier, eine Dogge oder ein Dal- „ratiner, von dem auch das Auge was hat. „Wir wollen ihn Perro nennen," sage ich,„wie denkst Du? DaS heißt auf Spanisch— Hund und klingt recht gut." „Hund?" sagt Heinrich.„Gewiß, das ist ein guter Name." Nun liegt also dem Heinrich der Hund im Sinn— der Perro — und er fragt mich zehnmal täglich, wie er aussehen wird— silber- grau? oder mehr schiefergrau? oder weiß mit schwarzen Tupfen? und wie groß? so etwa? oder nur so—? ja, und, bitte— wenn endlich wird er nun kommen? „Nun," sage ich.„auf den Tag läßt sich das nicht bestimmen: «in wenig mußt Du Dich schon gedulden— ich will mich umsehen— ober ich denke doch, so etwa in einer Woche." „In einer Woche," sagt Heinrich.„O, eine Woche ist lang..." Nun liegt er inzwischen, die Arme verschränkt, und blickt mit sehnsüchtigen Augen zum Fenster, hinter dem der Frühling beginnt. Ach, es ist bislang nur ein Zipfelchen vom Frühling, das habe ich «ine Weile bedacht und begonnen, das Beet umzugraben. Das war kein leichtes Stück Arbeit, denn die Erde ist immer tlvch verschlossen und zähe, und es ist noch etwas in ihr von Winter- licher Härte; bisweilen ächzte und knarrte der Spaten bedenklich; zu guter Letzt aber schaffte ich es doch. Ich sah absichtlich nicht zum Fenster hinüber, die ganze Zeit nicht, denn ich hätte dem Blick nicht standhalten können aus Heinrichs Augen— jetzt nicht—, aber später, als ich bei ihm eintrat, da sah ich ihn voll an, und da lächelte er... „Du gräbst ja schon," sagte er, und etwaS zuckte in seinem armen Vogelgesicht. „Gewiß," sagte ich,„es wird doch nun Zeit. Die Erde ist schon so wunderbar weich—." „Ja." sagte er und seufzt plötzlich auf.-- Am Abend, als der Doktor kam, da lag er im Fieber, und eS war ein häßlicher Spott der Farben, wie er aus dem Weiß der Kissen vortrat: aschfahl— gespenstisch fahl— mit riesigen Augenhöhlen und prächtigen roten Blumen auf den Wangen. „Nun wird die Erde schon weich," sagte er,„hören Sie, Doltor? — Die Erde wird weich--." Und dann kamen sie auf ihr Lieblingsthema— auf die Tropen — und als ich wieder eintrat, lag über Heinrichs Gesicht ein sonniges Leuchten. Der Doktor saß im Sesiel und sprach von Bolivien . Von La Paz. La Paz — ja, das ist eine merkwürdige Stadt; sie ist wohl die höchste der Welt— dreitausendsiebenhundert Meter über dein Meere— und eine Luft, ein Klima ist dort, wie nirgends sonst. Die Alpen ? Die Riviera? Aegypten ? Nein, mein Lieber, da können Sie einen Kranken wohl hinhalten, aber nicht heilen. Das aber tut La Paz.— Uebrigens, komisch ist das, denken Sie mal, da kommen Sie von den Bergen, aus der Kühle, in Wollzeug womöglich, kommen ganz ahnungslos und steigen hinab— puh, mitten hinein in die Glut der Tropen... Der Doktor spricht; er kann bisweilen stundenlang so sitzen und sprechen, vergleichen und Schlüsse ziehen; er ist ein tiefer Mensch. Er hat die Welt durchwandert nach allen Windrichtungen; er hat nichts besesien und ein Vermögen erworben, zwanzig Jahre lang erworben und in einer Stunde verloren beim Krach einer New Dorker Bank. Aber Was will das sagen? Er zuckt die Achseln und lächelt... Samoa — da hat er drei Jahre gelebt, da hatte er Weib und Kind. Ein prächtiges Volk, diese Samoaner, edel bis in die kleinste Gebärde I Noch heute zuckt es um seine Lippen, wenn er von seinem braunen Weibe spricht und dem zappelnden Kind. Das Weib ist nun längst schon tot, und das Kind— das nahm der King im Busch— der Stamm—, denn er hat Blutsfreundschaft mit ihnen geschlossen, und sie leben in Kommunismus... Samoa. — Und der Kongo ? Den Kongo färbt das Blut der. Schwarzen. — Ketten klirren, Sklaven seufzen,— Foltern, Wahnsinn, Barbarei.— Und China ?— Und die indischen Fakire... Der Doktor sitzt und spricht, und aus jedem seiner Worte schwingt das Heimweh nach den Tropen, nach der Einsamkeit der Steppen, wo nur Wind und Halme sind, und weite durchsonnte Himmel,— nach den schimmernden Städten des Orients... O, und er geht auch gewiß wieder fort— bald, sehr bald,— fort aus all dieser schnöden Maskerade und Scheinkultur, dieser zusammen- gebettclten, zusammengcstohlenen Kultnr, die nun überfließt von Dünkel und Ueberhebung—„Europa I"— und ihm doch so kindisch, so lächerlich borniert erscheint--. Aber nun wird es wohl Zeit zn gehen, denn eS ist sieben, und Heinrich soll ruhen. Der Doktor nimmt Hut und Stock, er nickt verbindlich, dann klappt die Tür, und er ist fort. Es wird still. „Wenn ich doch fort könnte," sagt Heinrich plötzlich, fort. fort..." Ich starre ihn schweigend an— die riesigen Augenhöhlen, die lohenden Wangen, und plötzlich durchranscht nnch ein halb ver- schollener Akkord: so blutrot hatten in meiner Kindheit am Friedhof die Rosen geglüht--- �# / Nun aber geschieht das Merkwürdige, da? Wunder— mit Heinrich geht eS bergauf. Die Stiche sind fort, und auch der Druck ist fort, dieser böse Druck, der die Brust zusammenkrampft und lähmt, ja sogar die Stimme ist teilweise wiedergekommen— das alles in wenigen Tagen— ich fasse mich an den Kopf und mag eS nicht glauben. ?5ch habe den Doktor beglückwünscht, er aber sah mich nur an chüttelte den Kopf. Da habe ich mich diese? Flackern? erinnert, und plötzlich sah ich sie wieder vor mir, all die Gebrochenen und Gezeichneten— in den dumpfen Höhlen Ost-LondonS, in den Arbeitervierteln Berlins . Nun geht eS also mit Heinrich bergauf und er ist guter Dinge; eS ist nun auch nicht mehr das schmerzliche Grübeln in ihm. sondern mehr ein feines, leichtes, sonniges' Sinnen; seit einigen Tagen hat er sogar seine Broschüre hervorgeholt, diese kleine Broschüre, die ihm besonders am Herzen liegt; es ist eine Studie über Arbeiter- Wohnungen und darüber steht:„Baut kleine Häuser!" Baut kleine Häuser I Die Ueberschrist gefällt mir und mich will bedünken, er hat sie fein gewählt, denn eS lugen dickleibige Werke und ein bitterer Hohn aus ihr. Kleine Häuser. Wie Heinrich sie gesehen hat. als er in England auf Wanderschaft war— bei den großen Industriezentren—; er macht sich durchaus keine Illusionen, behüte! aber er hat doch immerhin Stellen gesehen, wo
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28 (11.4.1911) 71
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