408 Spiele ist, da;e?gt sich die Stärke der Dichterin am eindringlichsten. Da wo das Venn, jenes rauhe, unwirtliche Gebirge dräuend lagert, mit seinem sengenden Sommer und eisigen Winter, dort schwingt da? Herz der Verfasserin am hörbarsten mit und ihre Erzählungen sind hier erfüllt von Sonne und Sturm, also auch rechte Freiluft- geschichtcn. Ein weitig an der Vicbig abgefärbt ist Richard Huld- s ch i n e r s ErzählungDie Nachtmahr"(Verlag A. Langen, München ). Dieser tiroler Bauernroman zeigt die Hauptgestalt, gleich der Viebig, in ihren Urinstinkte», mit den fordernden Sinnen, animalisch bis zur Bestialität und doch im Grunde nur sehnsüchtig nach Liebe mit gesunden Trieben. Anna Niedermoster ist die un- verstandene Frau auf dem Dorfe, das Leben trieb sie auS ihrer Bahn. Als Kulturgeschöpf wäre sie vielleicht eine Hedda Gabler geworden mit egoistischen Zerstörungstrieben, als Bäuerin ging sie dem ersten besten ins Garn, der ihr für ihren nüchternen Mann sexuellen Rausch bot, und wird so in der Verwirrung ihreS begehrenden Herzens in Schuld verstrickt. Ohne Halt, ohne Ausweg aus ihrer freudlosen Ehe, endete sie als Mörderin ihres Kindes, das nicht ihres Mannes Kind ist, eine Einsame, von ihrer Natur getriebene und Ueberrumpelte, eine jener unerlösten Frauen, die auf dem Lande und im niederen Stand so gut wie im Salon vom Leben und seiner Grausamkeit auf das tote Geleise geschoben werden. Als ein Lebensbuch ist Marie-Claire von Marguerite Eludoux zu bezeichnen(übersetzt von Olga Wohlbrück , Verlag Deutsches Verlagshaus, Bong u. Comp., Berlin ). Der Franzose Mirbeau hat die>er Jugendgeschichte einer armen Näherin eine be- geisterte Empfehlung mit auf den Weg gegeben, aber wohl auch ohne diese Lancierung würden die Aufzeichnungen einer Frau, die. um sich vor dem Erblinden durch feine Nadelstichelei zu retten, zur Feder griff, das Interesse auf sich gezogen haben. ES geht zwar durchaus nichts Ungewöhnliches vor: die ihrer Mutler beraubte kleine Proletarierin wird als Dienerin zu den Klosterfrauen geschickt, kommt von da als Schafhüterm auf das Land, wo ihr Geist romantisch befruchtet wird, und fährt endlich dein Ziel ihrer Phantasie entgegen: dem Moloch Paris , wo die Armut und der bittere Lebenskampf ihrer warten. Aber in der schlichten Weise, wie das alles geschildert ist, gleichsam eine Mosaik von Eindnicken, filtriert durch das Sieb einer unerhörten Hellsichtigkeit, wüßte ich nur ein Pendant an frischem Impressionismus. Das find die Bücher Hermann Bangs, der gleichfalls Eindruck an Eindruck hinsetzt und dabei doch mehr gibt, als viele ausführliche und umständliche Beschreibungsdichter. Marguerite Audoux hat die feine Empfänglich- keit einer Wachsplatte für die geringste Berührung, nichts geht ihrer Empfindung verloren und aus dem anfänglichen Bestaunen des Lebens mit seinen tausendfältigen Geheimnissen und Wunderlichkeiten, reift ein Erkennen hervor. Daneben steht ein großes Herz, ein großer Sinn. Reinheit und Ernst, so daß wir da in einem Leben lesen, als ob es sich bor uns abspielte und zugleich einem vortreff- lichen Menschen nahe kommen und mit ihm die Jahre durchleben, die reich an der Herzensnot, den Prüfungen und Entbehrungen find, die ein Mensch der Armut in unserer Welt der Gerechtigkeit zu durch- leiden hat. Schlichte Einfalt und natürlichesSchauen" haben ein tvarmdurchpulsteS Buch geschaffen, das Buch der Verlassenen, der die Arbeit die Augen zwar blind machte, aber das innerliche Auge sehend ließ._ J. V, Der Schneider von(Ilm. , r Sluch ein Fliegerjubiläum. " Dcho? werden manche Leute sagen, auch noch ein Schneider, Und dazu einer von Ulm , dessen man nach hundert Jahren ge- denken soll. Warum denn nicht? erwidere ich. Viel weniger wegen des auch außerhalb Schwabens bekannten Spotwerscs von dem Schneider von Ulm , der das Fliegen probiert hat und bei dieser Gelegenheit von dem Teufel direkt in die Donau geführt wurde, als vielmehr, weil es sich in dem Zeitalter der Luftfliegerei darum handelt, einem Manne wieder zu Ehren zu helfen, dessen Pläne und Gedanken durchaus nicht so lächerlich und phantastisch waren, wie man gemeinhin anzunehmen pflegt. In dem Jahre �811, an dessen 30. und 31. Mai Albrecht Ludwig Berblinger , �ehrsamer Schneidermeister und daneben Fabrikant künstlicher Glieder, seine unglücklichen Flugversuche unternahm, lag das Problem buchstäblich in der Luft. Nicht nur Goethe und Jean Paul und Kleist beschäftigten sich viel damit, auch aus Wien war die Kunde gekommen, daß der Mechaniker Vogen dort etliche Male schon in die Luft geflogen sei. Was Wunder, daß der Nlmer Schneider, der offenbar wie so manche seiner Zeitgenossen ein Grübler und Spintisiercr, daneben freilich auch, wie die bose Welt behauptete, dem Branntwein durchaus nicht abhold war, sich nun iin den Kopf setzte, es den Vögeln gleichtun zu wollen. Oft stand er hoch oben auf oem Kranze des Münsterturmes und starrte hinein in die Weite. Was kümmerten ihn da noch Nadel und Zwirn. Hatte nicht schon ein im April am Himmel stehender Komet pjophezeit, daß dieses Jahr große Ereignisse bringen werde, und stand er nicht selbst in dem glücklichen Schwabenalter von vierzig Jahren, wo der Mensch erst anfängt, gescheit zu werden? Seine Landsleute freilich spotteten seiner als eines Narren und wenn er, in halblautem Selbstgespräch, mit den langen Armen fuchtelnd, als gälte es. einen unsichtbaren Feind zw siaifest, durch die Gassen schritt, dann bekam er wohl manche ungute und höhnische Rede zu hören. Aber was kümmerte das unseren tapferen Schwaden? In stiller Werkstatt zimmerte und hämmerte er, und eines Tages stand zu lesen, daß es dem Ulmer Einwohner Berblinger nach vielem Aufwand an Zeit und Geld wie nach dem genaueren Studium der Mechanik gelungen fei, eine Flugmaschine herzustellen, die sich des einmütigen Beifalles der Kunstsachver» ständigen zu erfreuen habe und schon in einigen Tagen dem Publikum werde vorgeführt werden können. Aus diesen einigen Tagen wurden freilich Wochen, und erst als bekannt wurde, daß König Friedrich von Württemberg das eben erst wieder seinem Lande zugefallene Ulm besuchen werde, entschloß sich der Magistrat, dem Schneider die lang erbetene Erlaubnis zu einem Schauflug zu erteilen. Freilich, ein Flug vom Münsterturm herab, wie ihn Berb - linger tollkühn geplant hatte, wurde wegen Lebensgefahr für ihn und die Zuschauer nicht gestattet. Dagegen sollte der Schauflug am Abend des 30. Mai von der Adlerbastei auS stattfinden. Vier» zig Fuß hoch fällt diese in die Donau hinab, und zudem war auf ihr noch ein mehr als 24 Fuß hohes Gerüst erbaut, von dem auS der Schneider über den Fluß hinüber auf bayerisches Gebiet fliegen sollte. Hoch zu Roß, begleitet von Trommlern und Paukern, durchzog am Morgen des 30. Mai Berblinger in rot- weißem Anzug, wie ein 5hmstreiter. die Stadt, und verkündete den Einheimischen und Fremden, daß er seinen Schauflug am Abend unternehmen und damit der Stadt Ulm vor den Augen de? guten Königs" reichen Ruhm erwerben werde. Eine dichtgedrängte Menschenmenge harrte denn auch seiner. Droben auf der Plattform läßt sich Berblinger seine Flügel anschnallen, aber wie es ans Fliegen geht bekommt er es mit der Angst, oder ist's wahr, was er nun verkündigt, daß an seinem Apparat etwas zerbrochen worden sei kurz seine Botschaft, daß er bestimmt am folgenden Tage fliegen werde, wird mit Spott und Schelten aufgenommen, und unser Schneiderlein flüchtet rasch in seine Behausung. Der König reiste folgenden Tages ab, nachdem er Berb- linger noch hatte zwanzig Louisdor zukommen lassen, weil er der Meinung war,daß jede Erfindung zu weiteren Fortschritten auf» gemuntert werden müsse, wenn sie auch gleich im Entstehen den Erwartungen nicht entspricht." Während er die ganze Sache offenbar mehr von der spaßhaften Seite nahm, und deswegen auch sofort einem Gerücht, als habe er den Schneider zu einem zweiten Flug gezwungen, mit einem energischen Dementi ent» gegentreten ließ, war eS Herzog Heinrich, der auf einen zweiten Flug bestand. Wieder durchzog Berblinger am 31. Mai die Straßen, wieder stand er, schon mit seinen Flügeln bewaffnet, aber dieseSmal zitternd wie ein armer Sünder vor dem Galgen, auf der Plattform des Gerüstes. Höhnische Zurufe klangen zu ihm herauf er hebt die Schwingen, will vorwärts, schließt die Augen und hat er von einemguten Freund" einen Stoß erhalten, ist er freiwillig gesprungen? So rasch giengS in den Fluß hinein, Als wär Herr Berblinger ein Stein" heißt es in einem der Spottgedichte auf ihn, während eine Chronik aus jener Zeit berichtet:DaS ist die ganze Kunst des Schneiders geweft. Dann die Schiffmann sind schon mit ihren Schiffen in Paratschaft gestanden, die haben ihn herausgezogen. Die Flug» Maschine ist verschwunden." Vor der Wut der Menge, die sich und ihre Stadt vor den Augen des Hofes nun doppelt blamiert sah, flüchtete sich Berblinger in eine kleine Seitengasse, und fand es für geraten, mehrere Fahre sich seiner Baterstadt fernzuhalten. In diese zurückgekehrt starb er in bitterer Armut dort im Jahre 1829. lind seine Flugmaschine, deren rotwcißer Taffctstoff später einem findigen Schirmmacher zur Verarbeitung in die Hände fiel? Berblinger hatte seiner Maschine die Prinzipien des Vogel» fluges zugrunde gelegt und deshalb dem Apparat die Flügel» anordnung gegeben. Zwei je sieben Fuß lange Flügel, im Grund- riß von gedrungener Form und je aus einem durch Eisenstänge und Schnüre in schirmförmiger Wölbung gehaltenem Stoff be- stehend, stießen in der Mitte auf vier Fuß Breite zusammen. waren aber nur zur Hälfte dieser Ausdehnung beweglich vcr- bunden. Die vordere Hälfte war freigelassen zum Durchstecken de? Kopfes. Diese Flügel mußten an die Arme der Versuchs- Person festgeschnallt werden, dabei' waren die Abmessungen so gewählt, daß die Hände genau an die Vereinigungsftellen der Versteifungsstäbe des Flügelstoffes zu liegen kamen und so im« stände waren, die Flügel wie einen Schirm zu öffnen und zu schließen. Die Versuchsperson sollte also den Flügelschlag der Vögel durch Auf- und AbwärtLbewcgcn der Arme nachahmen und beim jedesmaligen Hochheben der Flügel zur Verminderung eine» hohen Luftwiderstandes wie einen Schirm schließen. Die heutige Flugtechnik sieht mitleidig auf die Maschine des Schneiders von Ulm herab. Aber der Spott, der ihm von seinen Zeitgenossen entgegengebracht wurde, erscheint denen, die sein Wollen ernst- hast prüfen, heute unangebracht, und wenn ihn Max Ehth irr seinem bekannten Roman einenzweihundert Jahre zu früh Ge» borenen" nennt, so gibt auch er eiuen Fingerzeig für den Werf der Erfindung. _ Kergntwortl. Redakteur: Albert Wachs, Berlin. Krück g. Verlag: vorwärtsBuchdruckereip.VerlagSanstalt Paul SingeräCo., Berlins� .