Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 27.

27]

Donnerstag den 8. Februar.

( Nachdruck berboten.)

Pelle der Eroberer.

Der große Kampf.

Roman von Martin Andersen Nerö. Der Weihnachtsabend war da. Die Männer kamen tor­felnd in ihrem schweren Trab, und die Fabrikarbeiterinnen famen gestürzt. Hier und da sickerte ihnen aus den langen Gängen ein schwaches Weinen entgegen, so daß die milch­gefüllten Brüste schmerzten. Die Kinder liefen ununterbrochen hin und her und holten die letzten Zutaten. Unten am Aus­gang zur Straße mußten sie sich an zwei Kerlen vorbeidrängen, die dastanden und in der Kälte schauderten. Sie sahen so ver­dächtig aus. Da unten stehen zwei, aber es sind keine richti­gen," meldete Karl. Sie sehen aus wie die aus dem Kasino." Lauf zu der alten Fransen hinüber und sag ihr das." Aber die Alte antwortete nur:" Gott sei Dank, dann haben sie ihn noch nicht gefaßt!"

Drüben bei Ohlsens war die Tochter Elvira nach Hause gekommen. Das Rouleaux war nicht herabgelassen, und sie stand am Fenster mit ihrem mächtigen Hut mit den Blumen und ließ sich bewundern. Marie kam herein gelaufen: Hast Du gesehen, wie fein sie ist, Belle?" sagte sie ganz benommen. ,, Und all das kriegt sie umsonst von den Herren, bloß, weil sie finden, daß sie so hübsch ist. Aber des Abends dann malt sie ihre Backen bloß an!"

Die Kinder trieben sich draußen auf dem Gang herum und warteten darauf, daß Belle fertig werden sollte. Sie wollten nicht ohne ihn Weihnachten feiern. Aber nun machte er auch Feierabend; er darf eine Jacke über, packte die Arbeit ein und lief davon.

Draußen auf der Plattform blieb er einen Augenblick stehen. Er konnte den Lichtschein aus der Stadt an dem tief mit Sternen übersäten Himmel aufblinzeln sehen. Die Nacht war so feierlich schön. Unter ihm hing das Holzwerk verlassen und seufzte im Frost; alle Türen waren geschlossen, um die Kälte draußen und die Freude drinnen zu halten. Hoch herab von dem grünen Baum," ertönte es von irgendwo her. Der Lichtschein fiel durch das Fenster und bahnte sich einen Weg die Kreuz und die Quer zwischen dem Balkenwert. Plötzlich dröhnte es schwer auf der Treppe. - Der Leichenwagenkutscher fam nach Hause geschwankt, einen Schinken unter jedem Arm. Dann wurde alles ruhig, so ruhig wie sonst niemals in der Arche", wo beständig etwas jammerte Tag und Nacht. Ein Kind kam still hinaus und wandte ein Paar fragende Augen empor, um nach dem Weihnachtsstern zu spähen! Bei Frau Fransen war Licht. Sie hatte heute ein weißes Tuch vor das Fenster gehängt und es stramm davorgezogen; die Lampe stand dicht neben der Gardine, so daß derjenige, der sich da drinnen bewegte, keinen Schatten darauf werfen konnte.

Das arme alte Wurm, dachte Pelle, während er lief, die Mühe fönnte sie sich gewiß sparen. Als er die Arbeit abge­liefert hatte, lief er in die Hobbergstraße hinüber, um Ellen ein fröhliches Fest zu wünschen.

In seiner Stube war festlich gedeckt, als er wieder nach Hause fam: Schweinskarbonade, Reisbrei und Weihnachts­bier. Marie glühte vor Stolz über ihr Werk; sie saß da und nötigte die anderen, aber selbst fast nichts.

,, Solch gutes Essen solltest Du jeden Tag machen, Deern!" sagte Karl und hieb ein. Du könntest, weiß Gott , in der föniglichen Küche angestellt werden!"

Warum ißt Du denn gar nicht von dem schönen Essen?" fragte Belle.

Ach nein, ich fann nicht," antwortete sie und griff sich an die Wangen; ihre Augen strahlten ihm entgegen.

Sie lachten und plauderten und stießen mit dem Weih­nachtsbier an. Karl kam mit den neuesten Wißen und letzten Gassenhauern; so etwas fammelte er auf seinen Streiffahrten durch die Stadt auf. Peter saß da und sah unerschütterlich bald den einen, bald den anderen an. Er lachte nie, aber von Zeit zu Zeit fam er mit einer trockenen Bemerkung, die da bon zeugte, daß er sich amüsierte. Sie sahen immer wieder nach dem Fenster der alten Fransen hinüber. Es war ein Jammer, daß sie nicht mit dabei sein konnte,

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1912

Jetzt brannten da drüben fünf Lichter, sie saßen offenbar auf einem kleinen Tannenbaum in einem Blumentopf. Sie bewegten sich wie ferne Sterne durch den weißen Vorhang, und Frau Fransens Stimme klang dünn und gesprungen: O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit!" Belle öffnete das Fenster und lauschte; es wunderte ihn, daß die arme Alte so fröhlich sein konnte.

Plötzlich ertönte eine warnende Stimme von unten hinauf: Frau Fransen, es kommt Besuch!"

Rings umher auf den Galerien flogen Türen und Fenster auf, Gestalten stürzten aus den Türen, ein Stück Butterbrot in der Hand und lehnten sich über das Geländer. Wer wagt es, den Weihnachtsfrieden zu stören?" fragte drohend eine tiefe Stimme.

,, Die Vertreter des Gesetzes", wurde von da unten aus der Dunkelheit geantwortet. Berhaltet Euch alle ruhig, im Namen des Gesetzes!" Drüben an Frau Fransens Seite wurden zwei Gestalten sichtbar, die lautlos auf allen Vieren hinaufliefen. Dort oben geschah nichts, sie hatten offenbar den Kopf verloren. Ferdi­nand, Ferdinand!" gellte eine Mädchenstimme wild. Nu kommen fie!"

Im selben Augenblick flog die Tür auf, mit einem Sprung stand Ferdinand auf der Plattform. Er schleuderte einen Stuhl zu den Verfolgern hinunter und rüttelte rasend an dem Taugeländer, um sie von der Treppe herunter zu stoßen. Dann faßte er nach der Dachrinne und schwang sich hinauf. Adieu, Mutter!" rief er von da oben her; sein Sprung schallte in die Finsternis hinaus. Adieu, Mutter, und fröhliches Weihnachtsfest!" Hohl, wie das Brillen eines franken Tieres stieg der Nuf weit hinaus in die Nacht und man hörte die strauchelnde Jagd der Schußleute über die Dächer. Und dann wurde alles still.

Sie fehrten unverrichteter Sache zurück. Na, den haben sie ja nicht gekriegt," rief Olsen überlegen von seinem Fenster hinaus.

,, Nein, glaubt Ihr, daß wir uns um seinetwillen den Hals brechen wollen?" erwiderten die Schußleute und krab­belten hinunter. Spendiert feiner ein Glas Weihnachts­bier?" Als keine Antwort erfolgte, gingen sie.

"

Die alte Fransen ging in ihre Stube hinein und schloß ab; sie war müde und sorgenvoll und wollte zu Bett gehen. Aber nach einer Weile kam sie über den langen Gang gelatscht. Pelle," flüsterte sie, er liegt in meiner Stube! Während sie auf den Dächern herumkrabbelten, hat er sich ganz leise über den Boden heruntergeschlichen und sich in mein Bett gelegt. Großer Gott, seit vier Monaten hat er in feinem Bett ge legen, er schnarcht schon!" Und dann schlich sie wieder hinaus.

Ja, das war eine böse Unterbrechung! Niemand hatte Lust von neuem wieder anzufangen außer Karl, und den rechnete Marie nicht mit, denn der war immer hungrig. So deckte sie denn ab und plauderte, während sie aus und ein ging; fie mochte es nicht, daß Belle ernsthaft war.

Aber das Geheimnis," rief sie plöglich ganz überrascht aus. Die Jungen liefen zu ihr hinein; dann kamen sie wieder, dicht nebeneinander und Marie hinter ihnen mit etwas unter der Schürze. Die beiden Jungen warfen sich über Pelle und hielten ihm die Augen zu, während Marie ihm etwas in den Mund steckte. Rat mal," riefen sie ,,, rat mal!" Es war eine Porzellanpfeife mit grünem, seidenem Quast. Auf dem Pfeifenkopf war ein Zehnkronenschein abgebildet, Ellens Weih­nachtsgeschenk für ihn. Die Kinder hatten eine Tüte Tabak hinzugefügt. Nun kannst Du ordentlich rauchen," sagte Marie und klemmte seinen Mund um die Pfeifenspitze zu­sammen, Du bist ja schon im voraus so flug."

Die Kinder hatten Gäste zum Weihnachtsbaum einge­laden: Die Nähterin, den alten Nachtwächter unten vom Hof, die Fabrikarbeiterin mit ihrem fleinen Jungen, alle, die zu Hause saßen und das Weihnachtsfest allein feierten. Sie wußten selbst nicht, wie viele! Hanne und ihre Mutter waren auch eingeladen, waren aber früh zu Bert gegangen. Sie waren nicht zu Geselligkeit aufgelegt. Nun famen sie einer nach dem anderen angezogen mit munteren Gefichtern.

Marie löschte die Lampe aus und ging hinein, um den Weihnachtsbaum anzuzünder