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Sie saßen schweigend und erwartungsvoll da. Der Schein Es ist bald so weit," sagte Woronzow , zog seine kunstvoll aus dem Ofen fladerte launenvoll im Zimmer hin und her, gearbeitete Breguetsche Taschenuhr hervor und brüdte an einer beleuchtete ein Gesicht mit gesenkten Augenlidern und ge- Feder. Das Uhrwerk schlug drei Viertel auf fünf. Chadschi- Murat gehörte mit Staunen die feinen, flingenden Töne er bat, die spannten Zügen und sprang mit einem kleinen Knall davon. Uhr genauer betrachten und das Schlagwerk noch einmal vernehmen Der fleine Junge der Fabrikarbeiterin war der einzige, der zu dürfen. schwatte; er hatte Zuflucht auf Belles Knie gesucht und fühlte sich ganz wohlig in der Dunkelheit; die Kinderstimme flang To wunderbar licht in dieser Beleuchtung. Paul muß ganz hübsch still sein," wiederholte die Mutter ermahnend. Darf Paul gar nicht pechen?" fragte der Junge und fühlte nach Belles Gesicht.

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" Ja, heut abend darf Paul alles, was er will," ant­wortete Belle. Dann plauderte der Junge weiter und stieß mit den kleinen Beinen nach der Dunkelheit.

Jekt dürft Ihr kommen!" rief Marie und machte die Tür nach dem Gang auf. Drinnen im Zimmer der Kinder war ausgeräumt. Der Tannenbaum stand in der Mitte an der Erde und strahlte. Nein, wie prächtig er war und wie groß! Nun fonnte man die Augen ordentlich aufsperren. Die Lichter blizten darin und in den Fensterscheiben, in dem alten Mahagonispiegel und in dem Glas der Schillingsbilder, so daß man plößlich zwischen Myriaden von Sternen sich be­wegte und alles Elend vergaß. Es war, als wäre man fort­gerückt von allen Sorgen und Kümmernissen, geradeswegs hinein in die Herrlichkeit; und auf einmal ertönte eine feine, flare Stimme, zitternd vor Verlegenheit sang sie:

Willkommen aufs neu, ihr Engelein Klein,

Vom hohen Himmelsjaal,

Mit schönen Kleidern aus Sonnenschein, Im Erdenschattental!"

Es flang wie ein Gruß aus den Wolfen. Sie schlossen die Augen und wanderten Hand in Hand um den Baum herum. Dann schwieg die Nähterin errötend. Ihr singt ja gar nicht mit!" rief sie aus.

Jetzt wollen wir ein Weihnachtslied singen, das wir alle fennen," sagte Pelle.

Hoch herab von dem grünen Baum" schlug Karl vor. Ja, dann sang man das. Es paßte ausgezeichnet hierher, selbst der Name Beter paste! Und es war amüsant mit all den Geschenken, die in dem Lied aufmarschiert kamen; jeder einzelne war bedacht! Das mit dem Geldbeutel am Ende war nur allzu wahr. Man konnte noch viel mehr über dies Lied sagen. Aber plötzlich sezten die Knaben den Ringeltanz in Bewegung, fie trampelten wie ein paar Soldaten, und das Ganze wirbelte dann in wilder Fahrt, ein wahrer Herentanz.

Hei, dicke dumm,

Mein Mann fiel um!

Es war am Weihnachtsabend.

Ich nahm einen Stock,

Klopft ihm den Rock!

Es war am Weihnachtsabend."

" Das scheint mir ein passendes Gegengeschenk für ihn, gib ihm die Uhr," sagte die Fürstin auf französisch zu ihrem Gatten. freuzte die Arme über seiner Brust und nahm die Uhr entgegen. Woronzow bot die Uhr sogleich Chadschi- Murat an. Dieser Er setzte das Schlagwerk noch einige Male in Bewegung, lauschte auf den Klang der Uhr und nickte beifällig mit dem Kopfe. Nach dem Mittagessen wurde dem Fürsten der Adjutant des Generals Meller- Sakomelstij gemeldet. Der Adjutant hatte dem Fürsten auszurichten, daß der General, der inzwischen von der Ankunft Chadschi- Murats gehört hatte, höchst ungehalten darüber sei, daß ihm davon keine Meldung gemacht geworden. Er verlange nun, daß Chadschi- Murat ihm sogleich übergeben würde. Woronzow entgegnete, der Befehl des Generals werde erfüllt werden; er ließ Chadschi- Murat durch den Dolmetscher den Wunsch des Generals übermitteln und bat ihn, mit ihm zusammen zu Meller zu gehen. Als die Fürstin hörte, weshalb der Adjutant gekommen sei, begriff fie sogleich, daß zwischen ihrem Gatten und dem General leicht Mighelligkeiten entstehen könnten, und so beschloß sie, trob aller Einwendungen des Fürsten , mit ihm und Chadschi- Murat zusammen zum General zu gehen.

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Es ist besser, Du bleibst hier die Sache geht mich ganz allein an," meinte Woronzow .

" Du kannst mich nicht hindern, der Frau Generalin einen Besuch abzustatten," gab sie zur Antwort.

" Dazu ist jede andere Zeit ebensogut geeignet." Und ich will gerade jezt hingehen."

Er mußte sie gewähren lassen, und so begaben sie sich zu dreien nach der Wohnung des Generals.

halb ehrerbietig nach dem Zimmer seiner Frau, während er Als sie dort ankamen, geleitete Meller die Fürstin halb mürrisch, Chadschi- Murat durch den Adjutanten nach dem Empfangszimmer führen ließ, das er bis auf weiteres nicht verlassen sollte.

" Ich bitte," sagte er, nachdem er die Damen zusammengebracht, zu Boronzow und öffnete die Tür seines Kabinetts, in das er mit dem Fürsten eintrat.

Ohne den Fürsten zum Sitzen einzuladen, trat er mit finsterer Miene vor ihn hin und begann:

" Ich führe hier das Kommanda und habe daher alle Unter­handlungen mit dem Feinde zu führen. Warum haben Sie mic die Ankunft Chadschi- Murats nicht gemeldet?" Chadschi- Murat sandte einen Boten zu mir, mit der An­fündigung, daß er sich mir persönlich ergeben wolle," antwortete Woronzow , ganz bleich vor Erregung. Er war auf einen heftigen Ausfall des ergrimmten Generals gefaßt, dessen zornige Erregung in ihm das gleiche Gefühl wachrief.

" Ich frage, warum Sie mir teine Meldung erstattet haben?" " Ich hatte die Absicht, es zu tun, Baron, indes

" Ich bin für Sie nicht der Baron, sondern die Exzellenz," platte der General heraus, und sein ganzer, lange zurückgehaltener Merger fam alsbald zum Durchbruch. Alle Unzufriedenheit, die sich in seiner Seele angesammelt hatte, drang mit Gewalt an die Oberfläche. Habe ich meinem Kaiser," fuhr er fort, bielleicht

Wie heiß all das Licht machte und wie es zu Kopf stieg! darum siebenundzwanzig Jahre lang treu gedient, daß mir nun Die Tür nach dem Gang mußte geöffnet werden.

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( Fortsegung folgt.)

( Nachdruck berboten.)

Chadfchi- Murat.

Von Leo Tolstoi .

Er fragte Eldar, der ihn aufsuchte, wo die Muriden unter­gebracht seien, wo sich die Pferde befänden, und ob man ihnen die Waffen abgenommen habe.

Eldar antwortete, die Pferde ständen im fürstlichen Marstall, und die Leute befänden sich in einem Schuppen; die Waffen habe man ihnen belassen, und für ihre Lewirtung mit Speise und Trank habe der Dolmetscher Sorge getragen.

Chadschi- Murat schüttelte, während er seine Vorbereitungen zum Gebet traf, verwundert den Kopf. Nachdem er gebetet hatte, ließ er sich einen silbernen Dolch bringen, fleidete sich an, umgürtete sich und hockte in Erwartung der Dinge, die da kommen würden, auf dem niedrigen Diwan, der sich in dem Zimmer befind, nieder. Es war in der fünften Stunde, als er zur Tafel beim Fürsten gerufen wurde.

Beim Mittagessen nahm Chadschi- Murat nur etwas von einer Reisspeise, und zwar genau an derselben Stelle, an der auch die Fürstin sich bedient hatte.

Er fürchtet, daß wir ihn vergiften fönnten," sagte die Fürstin zu ihrem Gatten. Er hat von derselben Stelle genommen wie ich." Nach Tisch ließ sie Chadschi- Murat durch den Dolmetscher fragen, wann er wieder beten würde. Chadschi- Murat hob fünf Finger in die Höhe und zeigte nach der Sonne.

junge Leute von gestern, die sich auf ihre verwandtschaftlichen Be­ziehungen etwas zugute tun, in meine Dienstangelegenheiten hinein­pfuschen?"

" Exzellenz, ich bitte Sie, solche ungerechten Anschuldigungen zu unterlassen," unterbrach ihn Woronzow .

Es ist nur die Wahrheit, was ich sage, und ich lasse mir das nicht länger gefallen," versetzte der General, der immer er regter wurde.

In diesem Augenblick rauschte Maria Wassiljewna ins Zimmer, und hinter ihr her kam eine ältliche Dame von kleinem Wuchse und bescheidenem Aussehen herein es war die Gattin Meller­Sakomelstijs.

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" Run, laffen Sie schon gut sein, Baron Simon hat nicht einen Augenblick daran gedacht, Ihnen irgendwelche Unannehm lichkeiten zu bereiten," sagte Maria Wassiljewna.

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Das habe ich auch nicht behauptet, Fürstin. .Seien wir friedlich, General! Sie wissen: besser ein magerer Friede als ein fetter Streit. Das ist wenigstens meine Meinung," verseßte fie lächelnd.

Der ergrimmte Krieger vermochte dem bezaubernden Lächeln der schönen Frau nicht zu widerstehen. Unter seinem mächtigen Schnurrbart zudte gleichfalls ein Lächeln.

" Ich gebe zu, daß ich nicht richtig gehandelt habe," ſagte Woronzow , indes

Na, und ich habe mich hinreißen lassen," verfekte Meller und reichte dem Fürsten die Hand.

Der Friede war wieder hergestellt, und es ward beschlossen, daß Chadschi- Murat einige Zeit unter Mellers Obhut bleiben und dann dem Befehlshaber des linken Flügels, General Koslowskij, übergeben werden sollte. Chadschi- Murat hatte, während die beiden Offiziere miteinander stritten, im anstoßenden Empfangszimmer geseffen, und wenn er auch nicht verstand, was gesprochen wurde, so begriff er doch so viel, daß der Streit sich um seine Person