bild Jean-Jacques ' in.Dichtung und Wahrheit" verpflichtet, denn ohne die von ihm so sehr bewunderten.Confessions" hätte er wohl seine Selbstbiographie nicht geschrieben. Trotz dieser starken Ein- Wirkung hat der Dichter doch früh eine kritische Stellung zu dem grasten Schwarmgeist eingenommen, imSatpros" seine Natur­anbetung verspottet und später selten und nie mit besonderer Wärme von ihm gesprochen. Montesquien und Voltaire drängten die dunkel chaotische Erscheinung des Kulturstürmers zurück, der sein Abgott nur imSturm und Drang " gewesen war. Diese ganze wichtige Literaturbewegung ist direkt durch Rousseau hervor- gerufen. Lenz will dem Genfer eine B-ildsäule der Shakespeares gegenübtr errichten und nennt dieNeue Heloise"das beste Buch, das jemals in französischen Lettern ist gedruckt worden"; Klin- gers Helden beten zum Bilde desheiligen Mannes" und sein Emile" ist ihnen der Führer durch das Labyrinth des Lebens,das erste Buch der neuen Zeit". L e i s e w i tz'Julius von Tarent" verdankt derNeuen Heloise" seine Entstehung, H e i n s e findet durch Rousseau den Weg zur ewigen Natürlichkeit des Griechen- tums. Auch den Helden von Schillers Juaenddramen hat der Riese Rousseau den beseelenden Promctheus-Funken eingehaucht; den in der Stuttgarter Militärakademie Gefesselten durchstürmen die Freiheitsträume des Philisophen; sie gewinnen Ausdruck in den schwärmerischen Phantasien Kar! Moors; eine Stelle aus dem Rousseau gibt' die Anregung zumFiesco ", und in einem langen Gedicht feiert er den Dulder als den wahren Christen, als zu gut für die Welt:Mag der Wahnwitz diese Erde gängeln? Geh Du heim zu Deinen Brüdern Engeln, denen Du entlaufen bist." Selbst der reife Schiller nimmt noch in seinen ästhetischen Schriften Rousseausche Gedanken auf; aber sie sind durch das Studium der Kantschen Philosophie geklärt und veredelt: nickt zurück zur Natur, nicht fort von aller Kultur führt das höchste Streben der Mensch- heit, sondern durch die weise Schule der Kultur hindurch zu einer vollkommenen Stufe, in der die vollendete geistige Bildung zu einer zweiten bewustten Natur wird. Rousseans wichtige Mission für das Geistesleben unserer klassischen Zeit ist in dieser höcksten Läuterung durch Schiller voll- bracht, aber nicht sein Wirken überhaupt. Es ist in Hölderlin , in Jean Paul , in den Romantikern mächtig; es entfaltet sich auf allen Gebieten unserer Kultur. Werfen wir noch kurz einen Blick auf diesen allgemeinen Einflutz Jean Jacques ', so mutz die ganze Empfindsamkeitsperiode auf ihn als eine der wichtigsten Quellen zurückgeführt werden, denn er hat vor allem Schwärmerei und Gefühlsüberschwang gepriesen, dann der F r e u n d s cha f t s k u l t u s, den er zuerst mit all seinen Ver- zückungen und Enttäuschungen durchlebte, und manch andere Frucht des neuen Seelenlebens, das er heranfführte. Er hat die Schön- heit des Hochgebirges in derNeuen Höloise" entdeckt und alle, die heute die Alpen bewundern, schauen mit seinen Augen; er hat dem Naturgefühl eine subjektive Innerlichkeit, eine enge Beziehung zu unserem Sein gegeben, die den spezifischen Grund- ton aller modernen Lyrik ausmacht. So erschloß er der Kunst neue, ungeahnte Reiche: der moderne Roman, das bürgerliche Trauer- spiet, das in Hebbel und Ibsen seine Klassiker fand, die Selbst- biographie und psychologische Analyse verehren in ihm ihren Schöpfer. Aber nicht nur in der Dichtung, auch in der Musik hatte sein Wirten �ungeahnte Folgen. Die Einheit von Musik, Poesie und spreche, die er verkündete, nahm Ideen voraus, die später Richard Wagner zum Siege führte, be- fruchtcie auch die Sprachforschung, besonders Jakob Grimm . Ebenso haben Rousseaus geschichts-philosophische Gc- danien auf lange hin die Nachwelt beschäftigt. Sein Buch über den Gesellschastsvertrag wurde gleichiam das Gesetzbuch der fron - zösischen Revolution; Goethe zeigt sich von ihm beeinflußt. Die Früh-Romantiker, wie Friedrich Schlegel , haben es zwar bekämpft, aber die mystische Auffassung der romantischen Geschickns- schreibung vom Volkstum und der Vollsseele geht doch letzten Endes auf Rousseau zurück. Am umfassendsten und dauerndsten aber war der Einfluß desEmile" auf das deutsche Er- ziehungswesen. Auf ihn gestützt unternahmen die Philaw- lhropinisten ihre Reform, schufen Basedsw und Salzmann ihre Institute; derEunle" war Pestalozzis pädagogiscke Bibel und gab Fröbel die Anregung zum Kindergarten. Alle die modernen Schulfragen, die Pflege des Sports, die Arbeitsschule usw., sie sind schon von Rousseau aufgeworfen, und so steht er noch heute mitten unter uns als Mitftretter und Mitarbeiter in allen Geisteskämpfen der Gegenwart, weil sein Werk eins der wichtigsten Fermente und Grundlagen der Kultur ist. Dr. Paul Landau . SeclanKen Rousseaus, Die Bekenntnisse. Ich beginne mit einein Iknternehmen, für das eS nie ein Bei- spiel gab, und dessen Ausführung keine Nachahmer finden wird. Ich will meinen Mitbrüdcrn einen Menschen in seiner ganzen Naturwahrheit zeige», und dieser Mensch werde ich selbst sein. Ich allein. Ich erkenne mein Herz, und ich kenne die Menschen. Ich bin nicht geschaffen wie irgendeiner von denen, die ich gesehen, habe; ich wage sogar zu glauben, daß ich anders geschaffen bin, als irgend jemand auf der Welt. Wenn ich auch nicht mehr»ocrt bin, so bin ich wenigstens anders. Ob die Natur gut oder schlecht daran getan, als sie die Form zerbrach, in die sie mich gegossen, darüber kann man erst urteilen, wenn man mich gelesen, hat. Mag die Posaune des jüngsten Gerichts erschallen wann sie will, ich werde mit diesem Buch in der Hand vor den ollerhöchsten Richter treten. Frei heraus werde ich sagen: Dies habe ich getan. dies habe ich gedacht, und dies>var ich. Ich habe das Gute und das Schlechte mit gleicher Offenheit gesagt. Ich habe nichts Schlechtes verschwiegen und nichts Gutes hinzugefügt; und wenn es mir begegnet ist, einen gleichgültigen Redefchmuck anzuwenden, so geschah es nur, um eine durch mein schlechtes Gedächtnis ent» sdandene Lücke auszufüllen. Ich habe vielleicht manches für wahr gehalten, von dem ich nur wußte, daß es so sein konnte, aber nie- mals etwas, das ich als falsch erkannte. Ich habe mich ganz so gezeigt, wie ich bin; verächtlich und gemein, wenn ich es war, gut, großnrütig und erhaben, wenn ich es war; ick habe mein Innerstes so entschleiert, wie du es selbst gesehen hast, ewiger Gott. Ver- sammle um mich die unzählige Schar meiner Mitmenschen, daß sie meine Bekenntnisse hören, über nieine Schändlichkeiten seufzen und über meine Erbärmlichkeiien erröten? Möge jeder von, ihnen seinerseits zu Füßen deines Thrones sein Herz mit derselben Auf- richtigkeit offenbaren; und möge ein einziger dir sagen, wenn er es wagt:Ich war besser als dieser Mensch hier!" Schrift st ellerberu f. Ich näherte mich meinem vierzigsten Jahre und hatte anstatt eines Vermögens, das ich immer verachtet habe, und anstatt eines Namens, den man mich so teuer hat bezahlen lassen» Ruhe und Freunde, die beiden einzigen Güter, nach denen mein Herz be- gehrte. Eine elende akademische Streitfrage, die meinen Geist gegen meinen Willen erregte, stürzte mich in einen Beruf, für den ich durchaus nicht geschaffen war; ein unerwarteter Erfolg zeigte mir Reize, die mich verführten. Scharen von Gegnern griffen mich, ohne auf nrich zu hören, mit einer Leichtfertigkeit an, die mich verstimmte, und mit einem Hochmut, der mir vielleicht welchen einflößte. Ich verteidigte mich, und von Streit zu Streit fühlte ich mich in die Karriere hineingezogen, fast ohne daran gedacht zu haben. Ich war sozusagen Schriftsteller in einem Alter geworden, wo man aushört es, zu sein, und Literat gerade durch meine Ver- achtung dieses Standes. Von da an war ich etwas für das Publi- krun; aber auch meine Ruhe und meine Freunde entschwanden. Die Souveränität, ist unveräußerlich. Ich sage daher, daß die Souveränität, da fie nichts ist als die Ausübung des allgemeinen Willens, niemals veräußert werden kann, und daß der Souverän, der nichts anderes als ein Koellektiv- wesen ist, nur durch sich selbst repräsentiert werden kann; die Macht kann wohl übertragen werden, aber nicht der Wille. Wenn es in der Tat nicht möglich ist, daß ein Sonderwille in manchem Punkt mit dem allgemeinen Willen übereinstimmt, so ist es wenigstens unmöglich, daß eine solche Uebereinstimmung dauerhaft und beständig sei; denn der Sonderwille strebt, von Natur nach Auszeichnungen, und der allgemeine Wille nach Gleichheit. Es ist noch unmöglicher, eine Bürgschaft für diese Uebereinstimmung zu haben, wenn sie auch immer bestehen sollte; dies wäre nicht der Geschicklichkeit zu verdauien, sondern dem Zufall. Der Sou- verän kann wohl sagen: Ich will jetzt das, was dieser Mann da will, oder wenigstens was er zu wollen behauptet; aber er kann nicht sagen: Was dieser Mann morgen will, werde ich auch wollen; da es albern wäre, wenn der Wille sich Ketten für die Zukunft anlegte, und da es von keinem Willen abhängt, zu irgend etwas zuzustimmen, was dem Wohle des wollenden Wesens entgegen wäre. Wenn daber das Volk einfach zu gehorchen verspricht, so löst es sich durch diese Handlung auf, es verliert seine Eigenschaft als Volk; im Augenblick, wo es einen Herrn gibt, gibt es keinen Souverän mehr, und von da an ist der Staatskörper zerstört. Die Quellen des Uebels. Die erste Quelle des Unheils ist die Ungleichheit; anv der Ungleichheit find die Reichtümer entstanden; denn die Worte arm und reich sind relativ, und überall, wo die Menschen gleich sind, wird es weder Reiche noch Arme geben. Aus den Reichtümern find der Luxus und der Müßiggang entstanden; aus dem Luxus sind die schönen Künste und aus dem Müßiggang die Wissenschaften gekommen. Gewalt und Recht. Der Mensch ist frei geboren, und er befindet sich überall in Ketten und Banden. Mancher hält sich für den Herrn der anderen und ist doch mehr Sklave als sie. Wie hat sich dieser Wechsel voll- zogen? Ich weiß es nicht. Was kann ihn berechtigt erscheinen lassen? Ich glaube, diese Frage lösen zu können. Wenn ich nur die Kraft betrachtete und die daraus entstehende Wirkung, würde ich sagen: Solange ein Volk gezwungen ist zu gehorchen, und es gehorcht, so tut es gut; sobald es sein Joch ab- schütteln kann, und es abschüttelt, tut es noch besser. Denn indem es seine Freiheit durch dasselbe Recht wieder erlangt, durch das sie ibm geraubt wurde, ist es entweder berechtigt, sie sich wieder- zunehmen, oder man war nicht berechtigt, sie ihm zu entziehen. Freiheit und Gleichheit. Wenn man untersucht, worin eigentlich das größte aller Güter besteht, das das Hauptziel jedes Systems einer Gesetzgebung sein muß. dann wird es sich auf die beiden Hauptdinge Freiheit und