licher Kleidung ouf. Ein Cellist begleitet sie, sein Instrument scheint größer<ils er selbst. Der schmächtige Knabe kann kaum 12. 13 Jahre zählen. Aber kühn und sicher führt er seinen Bogen. Und sein fein entwickeltes rWhmisches Gjeffühl teilt sich hen Tänzern mit, die wie von seinem Klang bezaubert hinschweben. Und der Knabe streicht und streicht, unermüdlich spielt er schwer- mutige Weisen, das Kind mit den großen Augen, um sich ein Nacht- löget zu erringen. Träumt er nicht vom Konzertsaal, von Gold und Ruhm und einstiger Größe? Haben nicht viele hiesige Künstler so angefangen, z. B. keine geringere alS die Geigen- virtuosin Mary Hall....? Ja, aber heute muß er doch auf der Straße spielen, mag sich die Zukunft noch so visionär eröffnen, die rauhe Gegenwart herrscht. Wahrhastig, dieses edle Cellospiel mit feinem Schmelz und seiner Seele beruhigt unsere Nerven wieder. Aber unsere Ruhe hält nicht lange an. Neioische Gesellen der- drängen den träumenden Knaben mit den großen Augen und dem tiefen, feuchten Blick. Auch sie wollen leben, wollen sich eine Lager- statte für die Nacht verdienen. Und sie fangen einen wüsten Reigen auf Holzsockcln an, und daran nicht genug, lassen sie ein Geklapper mit Eisenklöppeln los, als wollten sie Verstorbene aus ihren Gräbern locken. Wie im Sturme flattert der Haarwust der tanzenden Weiber. Die Pfifflignale, womit Cabs und Taxis ange- -rufen werden, schrillen in das Klöppelkonzert. Eine Drehorgel kommt dazu und leiert lärmend Gassenhauer ab. Ein wahrer Hexensäbbaih hat begonnen. Vom Hahniariet-Theater, dort, wo die orangeroten Gas- flammen aus den offenen Kandelabern zum Nachthimmel auf- lodern, dringen ähnliche Laute von Ausrufern. Hausievern, Bettlern, ßjalladensängern, Rezitatoren, Marterinstrumenten. Und in diese grausame Disharmonie, in das Geräusch der Eisenklöppel und Holz- sockeltänzer mengt sich das Tuten und Geflirre zahlloser Luxus- mrtoS. das schwere Gedröhne der Motoromnibusse, das schwirrende Sausen des Riesenverkehrs. Der Wind fächelt uns den Duft vom Fischladen gegenüber ins Gesicht, wo die einstigen Meeresbewohner nunmehr im ranzigen Oele schmoren. Wolken von Benzindampf fegen die Straße entlang. Schmutzige Papier schnitze! wirbeln einen bunten Reigen und treiben uns den Staub in Aug und Nase. Bon allen Seiten flammen die grün-gelb-roten Reklametransparente auf und ab, von rechts nach links und links nach rechts. Da prasselt auf einmal, ganz unerwartet, nach echt Londoner Art ein Platzregen nieder. Er peischt die Lüfte und säubert die Atmosphäre.„Es regnet Katzen und Hunde" schreien die Damen unter den Harrenden auf. Aus dem Boden wachsen im Nu tausend schwarze Pilze empor. In den schwarzen triefenden Dächern der Regenschirme spiegeln sich die grell-weißen elektrischen Lichter. Der Guß durchnäßt die armen Hausierer, Bettler, Blinden , Sänger, Rezitatoren, die Tänzer und Jnstrumentalisten bis auf die Haut. Sie schauern zusammen und schlagen die Rockkragen auf— wenn sie noch welche haben. Doch jetzt öftnet sich das Tor zum Musen- tempel. Die Stühlchen werden zusanimengeklappt. Die Riesen- schlänge von Wartenden setzt sich langsam in Bewegung, die See von Gesichtern und Hüten flutet zum schwarzen Loch hinein, und gar bald wird man im wirklichen Theater das Theater vor dem Tor vergegen haben. Die armen Teufel auf der Straßen-Schau- bühne zerstreuen sich jetzt in alle Windrichtungen und suchen Varietes auf, wo man inmitten der Vorstellung zum halben Preise (kalk price) Einlaß findet. Tort wiederholen sie ihre armen Kunstdarstelluirgen von A bis Z und finden ebenso geduldige Zu- ihörerscharen... K. W. Kleines f euilleton» Literarisches. Georg Büchner : Dramatische Werke. Mit Er- klärungen herausgegeben von Rudolf Franz. München , bei G. Birk u. Ko. Preis 1 M. Der Dichter Georg Büchner , der vor 75 Jahren starb und dessen 100. Geburtstag das nächste Jahr bringen wird, gilt beute mehr als je. Seine revolutionäre Bedeutung wurde nie vergessen, und sein literarhistorischer Wert steigt im Kurse. Auf der Basis der dauernd guten ersten kritischen Geiamtausgabe der Werke BücknerS. die Karl Emil Franzos 187g veröffentlichte, und die leider vergriffen ist, er- wuchs vor drei Jahren eine neue Gesamtausgabe(von Paul Landau bearbeitet, in Paul Casfierers Verlags, die daraus ausgeht, BüchnerS dichterisches Schaffen als ein Glied der Literaturbcwegung der dreißiger Jahre deutlicher sichtbar zu machen. In der Zeit, die der Romantik den Garaus macht, steht dieser Jüngling als ein wuchtiges Stück abstoßender und neu- bauender Kampfenergie da, die das Feld ihrer Lebens« betätigung mächtig zu weiten sucht. Die Londausche Ausgabe hat Mängel, und sie wird sicher bald überholt werden. Sie verschließt sich dem Arbeiterleser durch die Art ihrer Einleitungen, die vor allem den Lilerarurforscher befriedigen möchten. So ist die Bahn für weitere Büchner-Ausgaben frei. Aus diesem Grunde schon darf man die in allein Aeußeren angenehm wirkende Ausgabe der drama- tischen Werke Büchners, die Rudolf Franz gibt, dankbar begrüßen. Sie hat eine Reihe Vorzüge. Vorweg dem daß sie nicht nur die Szenen„DantonS Tod ", sondern auch daS in den letzten Jahren mehrfach auf der Bühne erprobte Sustspiel„Leonce und Lena ' und das Fragment der aus zyklopischer Urkrast hingewuchteten naturalistischen Tragödie„Wozzeck " bietet, an die man bis» her nur in den Gesamtausgaben herankam. Dann aber stellt die Ausgabe von Franz eine wichtige Textrevision dar, die scharsfinnig und glücklich eine Anzahl Satzfehler, die sich durch alle Ausgaben hin wiederholten, aufdeckte. Und weiter hat Franz eine reiche Fülle Erklärungen beigegeben, die an das Bedürfnis des Arbeiterlesers anknüpfen und besonders das Geschichtliche der Danton - Szenen durchwandern. Natürlich hat hier Bunows grundlegendes Werk über die Zeitungen der französischen Revolution tüchtig ge- Holsen; aber Franz steht auch mit eigenem Wissen über dem Stoff. Eins freilich, waS auch ein Vorzug gewesen wäre, hat Franz leider ganz beiseite gelasien. Er hat auf alles Biographische verzichtet. Er sagt: seine Ausgabe wünsche nur den Dramatiker neu zu beleben. Aber wäre nicht der Dra- matiker nur um so mehr lebendig erstanden, wenn er die innige Verbindung gezeichnet hätte, in der die Danton -Szenen— diese vor allem— mit Büchners stürmischen Lebenstagen in der hessischen Heimat verknüpft waren? Weshalb verfiel der junge Dichter aus diesen Stoff? Was trieb ihn zu Danton ? In Dantons Schicksal, wie er es darstellt, buchte er sein eigenes unmittelbares revolutio- näreS Erleben. Umstellt von den Schergen brutaler Gewalt, schleuderte er die Szenen aufs Papier. Franz sollte wenigstens daS bei einem späteren Druck seines Buches nachholen; es gehört vorn auf die ersten Blätter. Auch deshalb, weil es zeigen würde, wie in dieser jungen, zum ersten Flügelschlagen ausholenden Dichterkrast Elemente deutscher Dichtung sich regen, die ein halb Jahrhundert später recht eigentlich erst ihre Zeit m voller Kraft erleben sollten. Eine Einleitung solcher Art gäbe Franz auch Gelegenheit, an daS, was er den Wesenskern von Büchners Drama nennt, noch einige näher begründende Auslassungen zu knüpfen und zu prüfen, ob seine Behauptung in diesem Falle nicht eine Linie zu viel wagt. Fd. Medizinisches. Woran der Mensch nach einer Operation stirbt. Da auch die Chirurgie trotz ihrer großen Triumphe nicht immer Erfolge haben kann, zumal auch fie dauernd lernen muß, so wird sie mit einer gewissen Anzahl von Fehlschlägen zu rechnen haben. Besonders ungünstig wirken die Nebenumstände, die der Chirurg vor der Operation gar nicht oder nicht vollständig genug abschätzen kann. Sie richten oft trotz aller Vorsicht die gute Absicht des Arztes zu- gründe. Im Publikum hat man auf solche Fälle die Redensart gemünzt:„Die Operatton war gelungen, aber der Pattent starb." Dieser Satz enthält in der überwiegende» Mehrzahl der Fälle eine Wahrheit, da nicht die Geschicklichkeit des Chirurgen versagte, sondern entweder die örtliche Erkrankung schon zu weit vor- geschritten war oder ungünstige Komplikationen eintraten, die sich nicht voraussogen ließen. Dr. Gustav Petren hat in der„Allgemeinen Schwedischen Aerztezeitung" eine neue und sehr sorgfältige Untersuchung über die Ursache de? Todes noch Operationen veröffentlicht. Er hat zu diesem Zweck alle Fälle in den Krankenhäusern der schwedischen Univerfitätsstadt Lund während eines vollen Jahrzehntes benutzt. Bon 1433 Bruchoperationen verliefen nur S tödlich, davon 2 wegen Lungenverstopfung, 2 wegen Lungenentzündung und 1 wegen Eintritt einer akuten Luitröhrcnentzündung. Bon 496 Operationen wegen chronischer Blinddarmentzündung waren gar nur 2 tödlich, und zwar wiederum wegen Eintritt von Lungenverstopfung. Auf 233 Gallen- operanonen, bei denen die Gallenblase wegen Steinbildung heraus- genommen werden mußte, kamen 2 Todesfälle au? der genannten Ursache, 3 durch Lungenentzündung, 1 durch akute Magen- erweiterung. Daraus ergibt sich eine Sterblichkeit für die Bruch- operattonen von nur 0,3, für Blinddarmentzündung von 0,4 und für Ausschneidung der Galle von 3 Proz. Während der letzten fünf Jahre wurden in den Krankenhäusern von Lund im ganzen 8440 Operationen ausgeführt, von denen 304 tödlich ausgingen, was eine Sterblichkeit von 3.6 Proz. ergibt. Von dieser Zahl wiederum ent- fielen 162 auf die Folgen der eigentlichen Krankheit, wegen der die Operation erfolgte. 26 auf Komplikationen wie Lungenschwindsucht. Zuckerkrankheit oder Altersschwäche. Lungenentzündung und schwere Luströhrenentzündung waren 44 mal Anlaß des Todes. 24 Fälle kamen auf Blutvergiftung, 15 auf Lungenverstopfung und nur 12 auf technische Fehler während der Operatton. Ach: Pattenten starben unmittelbar nach dem Eingriff, 10 nach besonderen Komplikattonen wie Darmverstopfungen. Nicht alle 162 Todesfälle, die auf die eigentliche Krankheit zurückzuführen waren, wurden durch die Operatton beschleunigt, sondern in vielen Fällen im Gegenteil verzögert, so daß also von einem gewissen Erfolg gesprochen werden konnte. Von allen übrigen Fällen muß etwa die Hälfte aus Erkrankungen der Lunge geschoben werden, die andere Hälfte zum Teil auf die herabgesetzte Lebenskraft oder auf Konstitutionskrankheiten, teils auch Blutvergiftung oder andere Mißgriffe. Eine Verminderung der Todesfälle nach Operationen erwartet Dr. Vetren hauplsächlich von der möglichst frübzeittgen Erkennung der Krankheit und emer eiligen Einlieferung in die Krankenhäuser. damit die Entscheidung für oder gegen die Operation schon in eine»» frühen Stadium der Krankheit geichehen kann. Berantw. Redakteur: Alfred Wielepp, Neukölln.--»Druck u. Verlag: vorwärtsBuchdruckereiu.Verlagsanstalt Paul SingertCo., Berlin LW.
Ausgabe
29 (4.10.1912) 193
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