Mnterhaltungsblatt des Vorwärts Nr. 226. Mittwoch den 20. November l912 kRachdr>tS verdelen.) ii] Die Oberwälder, Von Alfred Bock . Dem Krämerskarl schoß das Blut in den Kopf. „Tausend Mark! Das ist zuviel!" � Bisping machte eine Handbewegung.' „Herr Rendant. ich kann rechnen. Warten Sie's ab, wie sich das Werk entwickelt, und wie ich über Sie verfüge." Der Krämerskarl wippte auf seinem Stuhl hin und her. Tausend Mark! Bomben und Granaten! Sein Glücksrad drehte sich auf einmal so schnell, daß ihm blümerant vor den Augen wurde. Stät, stät! Gewiß, er erlebte goldene Zeiten. Aber das war nicht zum kleinsten Teil sein Verdienst. Er hatte die Kenntnisse, er hatte den Blick. Wenn der Herr Bisping ihn mit der Oberaufsicht über das Basaltwerk be- traute, Wußte er ganz genau, warum. Jeder Arbeiter war seines Lohnes wert. Tausend Mark! Da war kein Bedenken. Er erhob sich und sagte mit Selbstgefühl:„Abgemacht!" Der Bauunternehmer holte eine Brieftasche hervor. „Herr Rendant, Sie sind wahrscheinlich der einzige im Ort, der in kaufmännischen Dingen mitreden kann. Ver> trauen gegen Vertrauen! Fünfzigtausend Mark will ich m den Steinbruch stecken. Ich Hab mein Vermögen größtenteils in guten Hypotheken angelegt. Die werd ich natürlich nicht verkaufen. Man beleiht sie mir überall. Ich sage mir aber, was brauche ich weit zu gehen, wenn ich's in der Nähe haben kann. Ich habe Ihnen da eine Schätzungsurkunde mitgebracht. Es handelt sich um ein Haus in der Baroper Straße in Dorr- mund. Das ist ein neues Viertel, das große Zukunft hat. Die Grundwerte steigen rapid. Sie waren lange genug im Kohlenrevier und kennen die Verhältnisse. Das Haus wird auf zweimalhunderttausend Mark tariert. An erster Stelle ist es mit hundertzwanzig Mille belastet. Die zweite Hypothek gehört mir. Die würde ich hinterlegen. Sie lautet auf .tünfzigtauscnd Mark. Will die Spar- und Darlehnskasse nur die geben, soll mir's recht sein. Daß sie mehr wie sicher geht, ist klar. Ich zahle übrigens höchstens fünf Prozent." Der Krämerskarl schaute voll Bewunderung zu dem Bau- Unternehmer hinauf, der mit Glücksgütern gesegnet war, für den als kühlen Rechner große Summen wenig oder gar nichts bedeuteten. Die Kasse konnte sich's zur Ehre anrechnen, mit solch einem Mann Geschäfte zu machen. „Lassen Sie mir die Urkunde da," bat er,„Sonntag kommen wir sowieso zusammen. Ich glaub, daß die Sache keinen Anstand hat." Bisping übergab ihm das Dokument und sagte:„Paßt's den Herren, ist's gut, paßt's nicht, schadet's auch nichts. Ich wiederhole: ich kann das Geld überall bekommen." Er sah nach der Uhr. t „Ich muß machen, daß ich nach Hause komme. Meine Frau fühlt sich wieder sehr elend." „Sie hat wohl mehrsteuteils mit den Nerven zu tun?" fragte der Krämcrskarl. Bisping hob die Schultern. „Gott weiß, was es ist. Wir waren drei Jahre verhei- ratet. Meine Frau war munter wie ein Maikätzckien. Sie kennen den„Fredenbaum " bei Dortmund . Da saßen wir eines Tages nnt Bekannten zusammen. Auf einiual kriegt meine Frau eine Ohnmacht. Sic erholte sich rasch. Aber seit der Zeit klagt sie über Schwindel und Druck auf dem Kopfe. Ich Hab schon ein Vermögen für Aerzte ausgegeben. ss kann ihr keiner helfen." „Meinem Nachbar Moll seine Frau," erzählte der Krämerskarl,„hat ganz schrecklich an Kopfweh gelitten. Der Doktor stand wie ein Ochs am Berg. Nun ist da ein Mann in Brauerschwend. Der schreibt sich Geißler. Der kam und drückt der Mollin dreimal kreuzweis den Kopf. Und macht eich Spruch herunter. Im Augenblick war der Schmerz weg." „Meine Frau hat's in Dortmund schon mit einem Mag- netiseur versucht," sagte Bisping.„Das schließt nicht aus, daß ich ihr den Mann aus Brauerschwend einmal schicke. Not sucht Rat." Er verabschiedete sich. Der Krämerskarl begleitete ihn bis an die Ladentür und kehrte dann zu: seiner Arbeit zurück. Er nahm das Kontobuch für Darlehn vor, begann etwas ein- zutragen, legte aber die Feder wieder beiseite und simulierte vor sich hin. Wie wunderlich ging's in der Welt doch zu! Der Bisping saß an der vollen Schüssel und wurde seines Lebens nicht froh. Ewig die kränkliche, lamentierende Frau. Das mußte den Geduldigsten zwatzelich machen. Daß der Mann sein Kreuz schwerer nahm, als es in Wirklichkeit war, danach sah er nicht aus. Ganz gegen Westfälingerart war er zutraulich und mitteilsam. Darum konnte er, der Krämerskarl, ihn be- neiden. Ihm war's nicht gegeben, sich aufzudecken. Was ihn zu tief quälte, verschloß er in sich. Auf dem„Fredenbaum " bei Dortmund , wo die Bispings eingekehrt waren, hatte er seine Frau kennen gelernt. Seibigmal war draußen Konzert. Die Düsseldorfer Fülisiere spielten. Der Garten war schwarz von Menschen. Er hatte mit vieler Mühe einen Platz gefun- den. Es war nur ein kleiner Tisch. An dem saßen ein Post- beamter und zwei Mädchen. Die eine war die Klara Pott- gießer aus Belecke, die andere ihre Freundin, die Herwine Kuhlmann aus Iserlohn . Beide dienten in der Stadt. Die Hermine guckte ihn an. und er kam ins Gespräch mit ihr. Ihre Herrschaft wohnte in der Viktoriastraße. Alle vierzehn Tage hatte sie ihren Ausgang. Letzt war sie mit ihrer Freundin in Königsborn gewesen. Da hatte es ihr gut gefallen. Der Rauch in Dortmund und der Schmutz, das war ihr gräßlich. In ihrer Heimat, in Iserlohn , war's schöner. Da ging man Sonntags auf die Berge- und konnte Luft schnappen nach Herzenslust. Pfingsten war sie bei ihrer Tante in Werdohl gewesen. Die hatte in der Lotterie gewonnen. Und hatte Wäsche wie eine Baronin! Und ließ bei einer Schneiderin in Hagen arbeiten. Und führte ein Leben wie unser Herr- gott in Frankreich . Das sprudelte sie heraus. Und noch viel mehr. Ihre Stimme klang wie eine Glocke. Er hätte ihr stundenlang zuhören können. Am anderen Tage traf er sie auf dem Westenhellweg und ging mit ihr. Ihre Herrschaft, erzählte sie. wühle nur so im Geld. Aber es war kein rechtes Glück dabei. Die Frau war eiskalt und behandelte ihren Mann schlecht. Es hieß, er habe einmal unsaubere Geschäfte gemacht. Das war schon lange her. In die Gesellschaften kamen die feinsten Leute. Und immer gab's Champagner. Neulich bei einem Abendessen von achtzehn Personen hatte der Diener nur fünf Flaschen eingeschenkt. Wahrscheinlich auf höheren Befehl. Wo so viel Reichtum herrschte, kam einein die Sparsamkeit lächerlich vor. Ihm war's, als spüre er den feinen Duft des Weins. Oder war's das Mädchen? Er war wie benommen. Vor dem prachtvollen Hanse in der Viktoria- straße schwätzte er noch eine Weile mit ihr. Daß Geld den Meister spiele in der Welt, gestand er ihr, das wisse er auch. Er habe selbst einen guten Verdienst und habe ein hübsches Sümmchen zurückgelegt. Das hörte sie gern, ja man merkte es ihr an, sie hatte Respekt vor ihm. Nun sahen sie sich öfter. Er brannte lichterloh. Einmal begegnete ihm die Klara Pottgießer aus Belecke auf dem Markte und sagte, ihre Freundin, die Hermine, habe Verehrer und Begehrer in Menge. Wenn er's ernst mit ihr meine, solle er sich beeilen. Er erschrak, daß ihm die Beine zitterten. Das Mädchen hätte er keinem anderen gegönnt. Und er hielt um sie an. Zwei Monate später waren sie Mann und Frau. Staat konnten sie mit ihren zwei Stäbchen in der Enscheder Straße nicht machen. Aber gemütlich war's. Und das Kochen verstand die Hermine aus dem ff. Zuweilen empfing sie ihn mittags mit ihrem Platt:„Hüt kriegste wat Gaut's tau freien!" Dann durfte er immer auf ein Leckeressen rechnen. Die Sache hatte nur einen Haken: das Geld glitt ihr aus den Händen, sie wußte nicht wie. Sie putzte sich auch gern und stand vick vor dem Spiegel. Er war. so vernättert in sie, daß er nichts abschlagen mochte. Wie sein Beutel nun leerer und leerer wurde, kam der Krach. Das Schlaraffenleben hatte ein Ende. Im geheimen raffte sie ibre Habe zusammen und entwich. Er lief herum wie vom Blitz getroffen. Sein Kollege, der dicke Brüggemann, hatte noch seinen Uz mit ihm und sagte: „Wenn die hübschen Weiber fort sind, steigen die alten im Preise. Die Kampmannsche drüben nimmt dich gleich." Er hätte dem Kerl ins Gesicht spucken mögen. Er hatte an der
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29 (20.11.1912) 226
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