Zlnterhaltungsblatt des vorwärts Nr. 239. Dienstag� den 10. Dezember. 1912 KNachdru» vervoien.) 6] Hlbertinc. Roman von Christian Krohg  . Vtt. wie schrecklich unanständig und liederlich gerade dies tugendhafte Aussehen war so ehrbar, wie sie da stand, aber mit diesem Lächeln und die feine, elegante Nickelschere in der Hand hielt ja. Oline war das Schicksal, das hinter ihr drein war, lächelnd, die Brennschere in der Hand, um nach ihr zu fassen und sie durch die Glastür da oben zu schieben. Sie sah sich im Spiegel an. Ja, sie glich Oline entsetz. lich, nein so, wie sie damals vor der Glastür gestanden hatte. -- Nein, nein, nein! Sie wollte ihr Haar nicht brennen lassen, sie wandte sich ab. Kein Ueberreden half-- nein, nein! Lieber wollte sie gar nicht zur Musik gehen wenn sie nachdachte, hatte sie auch gar keine Zeit und dann hatte sie Kopfschmerzen.   Nein, heute nicht! Sie wollte wieder nach Hause gehen sie hatte keine Lust. Zum Teufel auch, warum konnten sie sie denn nicht in Ruhe lassen! Pfui, wie abscheulich Du bist. Jossa! Nein, der Regenmantel ist viel zu fein für mich ich weiß recht gut, was Valeria sagt, wenn sie den sieht." Brenn Du nur lieber Jossa, Oline, ihre Locken sind schon ganz ausgefallen--". Ja, Jossa wollte gern gebrannt werden, und Oline machte ihr vier steife, regelmäßige Locken nebeneinander aus dem gelblich-grünen Haarwust, der bis in Jossas kleine Schweinsaugen herabhing. Albertine wollte nach Hause, und bald saß sie wie ge- wohnlich hinter der Halbgardine, eifrig bei ihrer Arbeit, und ließ die Nadel mit rasender Eile prickeln. Aber bleicher und bleicher wurde sie mit jedem Tage, und die hohe Bogenlinie des Busens wurde flacher und flacher, und es war. als senkten sich die kräftigen und geraden Schultern vornüber, und wenn Madam Christiansen den Rücken ansah, war es ihr, als spanne sich die graue Kleider- taille runder und runder darüber, und sie war nicht mehr so lustig und auch nicht mehr so fleißig wie sonst, und plauderte fast gar nicht mehr, während sie dasaß und nähte. Und das Lachen hatte sie ganz verlernt. Und es reihten sich dabei so viele Gedanken aneinander, die sicher sündhaft waren und wenn sie so ein Hase war, wie Oline sagte, so daß sie in der Hochzeitsnackt ihrem Mann weglaufen würde, warum dachte sie dann unausgesetzt daran? Denn das tat sie ja immer und ewig, beständig ver» folgte es sie. und das war gewiß auch sündhaft. In der Hochzeitsnacht weglaufen ja, das würde sie gewiß tun. War das denn, weil sie ein Hase war? Sie fand, es müßte so schrecklich genierlich sein, und sie fand auch, daß es sündhaft lein müsse, obwohl Gott   die Ehe eingesetzt hatte und die Ehe war ja auch ein Gesetz, und war von der Obrig- keit gestattet aber nein! Sie begriff nicht, wie man das tun konnte sie wußte nur, daß es häßlich und ekelhaft war, und sie sah zu der Alten hinüber und fand es sonderbar, daß die es hatte tun können ihre eigene Mutter! War sie selbst denn anders bcjckiaffen als andere Menschen? Ja. das mußte sie wohl sein aber daß sie daran denken mußte. das war häßlich und gewiß unrecht ein Glück, daß niemand wußte, daß sie fortwährend so was dachte. Und als Mutter Christiansen sie in der Bibel lesen sah, ersann sie eine List, um sie hinaus zu bringen. Sie fragte, ob sie am Sonntag mit ihr in die Kirche gehen wolle. Nein, sie hatte anfänglich keine weitere Lust dazu, aber schließlich ging sie denn doch darauf ciu, und.�un Sonnabend ging Mutter Christiansen auf eigene Faust zu Oline und lieh Regenmantel und Pelzmütze und ein Paar Handschuhe von ibr. Es war im Laufe der Woche trübes Wetter mit etwas Regen gewesen, aber am Sonntag war es schön und klar mit leichten, sommerlichen Wolken, und das Ganze war frühlings» mäßiger und frischer geworden. Sie gingen in die Erlöserkirche. Wie reich und fein war es da drinnen mit einer so hohen. hohen Wölbung und Säulen und Teppichen und den breiten Treppen und der feierlichsten Stillt und den geputzten Menschen mit feinen Gesangbüchern und in den stramm» behandschuhten Händen, mit feinen Damen und feinen Kindern, und selbst die alten Frauen sahen so feingekleidek aus, als wenn alles nur gut und schön sei. Mutter Christiansen wurde bange. Sollte sie auch die Schwindsucht bekommen? Sollte sie auch die Tochter elender und elender werden sehen? Mußte sie auch dies Kind an das Krankenhaus abgeben, von woher sie nur hin und wieder auf Besuch nach Hause kam, bis sie schließlich ganz wegblieb? Ach nein, es lvar wohl nur Mangel an frischer Luft? Und sie bettelte und bat sie. hinauszugehen. Ich will Dir auch gern mein Umschlagetuch schenken, wenn Du es haben willst." ja. sie konnte es sich ja ihret» wegen färben lassen, wenn sie nicht so damit gehen wollte. Aber Albertine lächelte nur. Was aber die Alte am meisten besorgt machte, war, daß sie so gut und fügsam geworden war. sie hatte angefangen, im Neuen Testament zu lesen, was sie sonst niemals tat. Sie las alles von Maria Magdalena  , was sie nur finden konnte, vielleicht würde sie da Aufklärung über das finden können, über das alles, was sie nicht verstand, wis Oline dazu kommen konnte, so etwas zu tun, und warum es nun war, als habe sie nichts getan, nur weil ein alter Mann von sechzig Jahren sie geheiratet hatte und dann stand da, daß niemand eine? Stein auf sie werfen solle, aber sie fand, daß alle sie mit Steinen bewarfen und sie fand auch, daß sie sie mit Steinen bewerfen sollten und dann hielten sie auf einmal auf, weil ein alter Kerl sie ganz für sich ollein haben wollte! Stein, sie verstand keinen Muck von dem Ganzen und dann las sie im Alten Testament, was da über diese Dinge stand, aber auch dort fand sie keine ordentliche Erklärung sie fand, daß das Ganze häßlich und ekelhaft war. Wenn sie es nur lassen könnte, immer und ewig hierüber zu grübeln und daran zu denken aber es kam immer wieder, und Olinens Lächeln war beständig im Gefolge dieser Gedanken das verliebte, häßliche Lächeln draußen vor der Glastür, das ihre hübschen, gut gepflegten Zähne mitten in dem anständigen, ehrenhaften Gesicht mit dem glatten Scheitel ohne Stirnlöckchen blicken ließ. Sie wollte nicht mehr daran denken, was ging es s i e an? Und die Leute waren so sanft und freundlich gegen- einander, sie ließen ihre Nachbarn aus ihren Gesangbüchern singen, wenn sie sich auch gar nicht kannten, und der Pfarrer war so fein und sah so milde aus. Sie fühlte sich wohl in dieser ordentlichen, feinen Gesell- schaft im Anfang hörte sie nur danach, ob nicht etwas von Maria Magdalena   kam aber sie fand, es war so be- haglich, den Laut von der Stimme des Geistlichen in das Ohr hineingehen zu lassen es war ein so angenehmer, wohl- tuender Tonfall bald au«, bald nieder regelmäßig, dies war wohl der Friede, von dem sie gehört hatte, daß man ihn in der Kirche fand sie hatte das bisher niemals ver- standen, aber nun verstand sie es, und sie freute sich darüber. ja, es war wirklich Friede, der sich auf sie herabgesenkt hatte was ging all das Häßliche sie auch an? Sie hatte ja nichts Unrechtes getan und wollte es auch nickt tun, nein, nie im Leben. WaS machte es, daß die Leute sagten, sie habe unter Kontrolle gestanden und im Krankenhaus gelegen und die Glastür da oben was brauchte sie daran zn denken? Sie atmete tief ans man konnte so gut atmen hier in diesem hohen, stillen Raum nein, es war wohl alles nur Unsinn und törichtes Zeug, das, woran sie beständig dachte man brauchte wohl nicht alles zu verstehen aber der Friede, von dem sie redetci,, den fühlte sie deutlich in sich, namentlich wenn die Orgel zn brause» begann das war so herrlich es war. als werde es licht in ihr das war der Friede sie konnte sehr gut an etwas anderes als an