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Die Tradition ist heilig und das Weib muß der Welt Sünde staubigen Eden und Löchern. Aber es ist eine vornehme Armut. tragen Arme Anna Katharine.

4.

Heute habe ich lange, lange auf Frau Anna Katharine nieder­gefehen. Ich fonnte nicht mehr sehen als das runde Kinn. Neben ihr saß der Hofbauer und auf der anderen Seite faßen ihre drei Söhne. Sie sind schon groß, beinahe erwachsen. Wie die Zeit herumgeht!

Anna Katharine ist dick geworden. Sie ist schon lange nicht mehr schön.

Man muntelt allerlei, als ob auch der Hofbauer anfange, den Geldfad und seine Frau zu vernachlässigen. Er ist ein Lebemann. Db ich Frau Anna Katharine noch einmal lieben könnte? Jm Traume ja! In Wirklichkeit- nein!

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Die hat's schön!" sagen die Dorffrauen. Es scheint so.

5.

Auf der H... bank in der dunklen Ecke sitzt wieder eine. Eine junge und feine! Hab' sie in der Schule gehabt, hatte meine Freude an dem wufeligen, aufgewedten Ding. Schade, dachte ich oft, daß das nicht in einem reichen Haus groß wird. Müßte ein Wunder von einem Weib geben!

Hat sich auch so gemacht. Ist groß und schön geworden. Selbst mir altem Knaben lachte das Herz hn Leibe, wenn ich sie leichtfüßig dahinspringen fah. Gott bewahre dich, schöne Mag­dalene!

Sie ist beim Hofbauer gewesen und jetzt sigt sie auf dieser Bant.

Eine geknickte Blume, die fein Gärtner mehr aufrichten kann! Denn die raue Faust der Tradition und der scheinheiligen Sitt lichkeit lastet auf ihr. Sie werden sie so mürbe machen, daß sie selbst den Wunsch verlernt, schön und froh sein zu wollen.

Armes Ding, du dauerst mich! Bist in die falsche Wiege gelegt

worden.

Du seist eine Sünderin, sagen fie.

Ich sage Dir: Nicht du hast gesündigt, sondern das Schicksal hat gesündigt an dir!

Warte nur, wenn wir wieder auf die Welt kommen, dann wollen wir vorsichtiger sein!

Ju die verkehrte Wiege lassen wir uns nicht mehr legen; lieber bleiben wir draußen! Für uns ist hier ja doch nichts zu holen. Hart müssen wir sein, schlau müssen wir sein, aber warme Herzen haben dürfen wir nicht. Liebe ist Sünde!

Laß die Orgel rauschen, Schulmeister. Singe mit den Choral! Schlage um Gotteswillen nicht noch in deinen alten Tagen ein Seitenpfädchen ein, wo Sünder und Sonderlinge gehen...

6.

Wenn ich mich umsehen will in der Kirche, muß ich eine Brille auf die Nase sezen. Bin furzsichtig geworden.

An schönen Sommertagen fliegen zuweilen zwitschernde Schwälb lein durch die Kirche. Manchmal tommt auch ein Rotschwänzchen herein und setzt sich, mir nichts, dir nichts, auf das dornengekrönte Haupt des Heilandes.

Der Pfarrer hat das nicht gern, und doch sollte er den Vögelein dankbar sein. Es hält ihm die ganze Gemeinde munter.

Jit nicht mehr so besucht die Kirche wie früher. Es sind viele leere Bänke da! Die Zeiten haben sich geändert. Ein neuer Geist ist ins Land gezogen. Der Pfarrer zürnt darüber, ich aber lächle manchmal vergnügt in mich hinein, denn es ist mir, als sei das ein guter Geist, der alte Traditionen, die nie was getaugt haben, um wirft und dem inneren und äußeren Menschen mehr Raum macht zur Entwickelung.

Die Jungen begraben lachend eine alte Zeit, und wir, die wir ein Stüd dieser alten Zeit sind, stehen trog alledem mit dem Gefühl der Wehmut dabei. Wie Rost   hängen die alten Gewohnheiten und Anschauungen an uns.

Gott   sei dant, daß er heruntergefegt wird! sage ich. Aber es ist doch eine schmerzliche Reinigung. Soll ich mich nicht freuen, daß der.... stuhl schier aus der Mode gekommen ist? Mädchen, die heißer und früher liebten, als ihnen gut war, gibt's noch. Aber sie werden nicht mehr ver­achtet; auf den abscheulichen Stuhl in der dunklen Ecke jetzt sich feine mehr.

Recht so!

Aber es setzt sich auch sonst niemand auf den Stuhl; lieber würden sie sich auf die falten Fliesen feßen, als dort Playz nehmen. Die Erinnerung an die Schmach lebt noch.

7.

Frau Anna Katharine, du hast kein Glück gehabt mit deinem Geldsack und deinem Hofbauer! Der Hofbauer hat den Geldsad klein gemacht und dann ist er gestorben.

Gerade noch früh genug, um dir die Möglichkeit zu lassen, weiter zu wohnen in dem Sandsteinhaus, das vor langer Zeit ein Schloß gewesen sein soll.

Das Tor hängt schief in den Angeln und an der Kette liegt ein magerer Köter.

Stille ist's auf dem Hof. Keine Kuh raffelt, kein Pferd wiebert wehr. Und die Krippen find leer. Die Armut gudt aus tausend

Du bist alt geworden, bist noch kleiner geworden, Segest eine Brille auf das Näschen, wie ich, wenn du dein Gesangbuch vor dir liegen haft. Und ich kann dir ins Gesicht sehen; feine Bänder und Gedern   versperren mir den Weg. Faltige Wänglein sehe ich und rotgeränderte Augen. Es ist nichts übrig geblieben von der Schön­heit als der fleine Mund. Doch mich dünkt, als drücke auch er sich schämig zurück.

Aber noch sitzt die Annekett auf ihrer Bank. Allein fizt sie da, Sonntag für Sonntag und niemand wagt es, fich neben fie au setzen. Hier respektiert das Volk noch das Herkommen; noch scheut es sich vor der Befißergreifung der Herrenbank.

Anna Katharin, die du heute noch auf deiner Bank fizest wie ein Käuzchen, vor dem sich das übrige sonnen- und lebensfrohe Ges vögel fürchtet, Anna Katharin, wenn du nicht mehr bist, dann wird die Herrenbank eine Zeitlang verwaist stehen, aber dann wird das unge Volt sich darauf niederlassen und es werden vor dem Herrgott nicht mehr zweierlei Menichen sein. Dann möchte ich noch einmal auf die Welt kommen! H. Diefenbach.

Nordifche Erzähler.

Die Beobachtungen und Feststellungen, die hier über das gleiche Thema vor Jahresfrist angestellt wurden, lassen sich nur wieder holen und in verstärktem Maße betonen. Die an und für sich viel­leicht gar nicht so unberechtigte und unerfreuliche literarische Ueber­produktion der skandinavischen Länder wird durch die an der Ver­deutschung interessierten Uebersetzer und Verleger in einer Weise gefördert, die für die Produktion af dem deutschen Büchermarkt feineswegs mehr als berechtigt und erfreulich erscheint. Die Möglich­feit zu dieser Konkurrenz ist leicht erklärt. Jeder neu gebackene Autor der nordischen Länder, deren Gesamteinwohnerzahl nicht die von London   er reicht, hält sich ohne weiteres für befugt, seinen Lejerkreis auf das Aus­land, das heißt fast immer Deutschland  , und nur dieses, auszu dehnen. Die relativ geringe Zahl der einheimischen Leier berechtigt, feine, den deutschen Originalautst unterbietenden Honoraransprüche befähigen ihn dazu. Gerade der in fleinen Verhältnissen heimische Schriftsteller läßt sich ganz anders als der Engländer oder Franzose mit einem unbedeutenden Bruchteil dessen zufriedenstellen, was bei einem Bolle von 80 Millionen als Minimalentlohnung literarischer Arbeit angesehen wird.

In diesen für das geistige Leben schon nicht ganz gefunden Konkurrenztampf bringt das behörige Unternehmertum neuerdings ein Moment hinein, das die ganze Ent cheidung über diese Frage des literarischen Marktes immer mehr von einer Machtprobe zwischen ikandinavischen und deutschen Verlegern abhängig machen dürfte. Nämlich: fast die gesamte skandinavische Literatur ist mit ganz une erheblichen Ausnahmen in zwei großen Verlagsunternehmungen monopolifiert, für Dänemark   Norwegen   in dem Gyldendalschen zu Kopenhagen  , für Schweden   in dem Stockholmer von Albert Bonnier  . Dieser lettere hat nun soeben in Leipzig   eine deutiche Filiale feines Verlages errichtet mit der Hauptabficht, die deutschen   leberjeßungen derjenigen seiner Autoren, die er dazu für( geschäftlich) würdig er achtet, selbst herauszugeben. Auch bei dem Gyldendalschen Verlag ist dieselbe Möglichkeit bereits erörtert worden.

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All diese Feststellungen berühren gewiß den inneren Wert der zahlreichen übertragenen Werte nicht; aber die zugrunde liegenden wirtschaftlichen Faktoren ermöglichen immerhin, diesen Wert nicht über Gebühr zu erhöhen. So gewinnt die standinavische Literatur für uns eine Bedeutung, auf Grund deren man sich bereits für berechtigt hält, ihre für das Ursprungsland, doch keineswegs für die Weltliteratur flaffischen Werke neu herauszugehen. Meir Aaron Goldschmidts Roman Ein Jude"( verlegt bei Arel Junder, Berlin   W. 15, Preis 4 Mart broschiert) ist solch ein Buch. Der Name Goldschmidt   ist manchem wohl noch aus der Lebens­geschichte des jüngeren bien erinnerlih, und unsere Philologen, die den norwegischen Dramatiter auf das allmählich wankende Bosta ment erhoben haben, wußten nach ihrer selbstgenügsamen Methode zwischen ihm und dem dänischen Bublizisten irgendwelche Gedanken­fäden aufrührerischer Färbung zu fnüpfen. M. A. Goldschmidt  , der 1819 in einer jüdischen Familie auf Seeland   geboren wurde, diente der bürgerlichen Oppofition des Bormärz mit seinem Wigblatte Der Korjar" in den Jahren 1840-46, während er sich in der Folgezeit langsam, aber stetig in das konservative Lager hinüber­mauserte. Aus den letzten Korsaren"-Jahren stammt nun diese halb fämpferisch- bekennende, halb romantisierende Lebensgefchichte, bie bor 60 Jahren bereits einmal berdeutscht worden ist, zu einer Beit mithin, als man der aufwuchernden Reaktion bei uns damit eine Forderung bürgerlicher Gleichberechtigung entgegenhalten fonnte. Heute gilt uns seine Tendenz selbstverständlich al? überholt durch das weit um­faffendere Programm des ökonomischer. Ausgleichs. M. A. Goldschmidt  mag die Prüfungen seines Helden Jakob Bendiren bis zu einem Grade am eigenen Leibe erfahren haben; denn es ist der typische Durchgangskonflikt des fich emanzipierenden Juden, der über den Handels- und Ritusgeist der Tradition hinausstrebend denn noch nicht voll von der christlichen Gemeinschaft aufgenommen werden will. Hier macht ein Ehepaar die Unvereinbarkeit

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