Unterhaltungsölatt des Horwärts Nr. 250. Mittwoch den 25. Dezember. 1912 Erlöse dichl Von Emst Preczang. Erlöse dicht Kein andrer trägt dein Kreuz als du allein. Was wirfst du deine Stirne in den Staub? Warum zerreibst du die Knie jammernd auf dem kalten Stein? Es hört dich niemand. 5)öre du dich selber. Wir waren Kinder. lind wenn Kinder schrei'n, droh'n Wort und Rute, und süße Wiegenlieder schläfern ein das Kind, das gute. Du sollst nicht ewig Kind und Schläfer sein! Zerbrich den Droheftock. Sing' eigne Lieder. Erlöse dich! In unfern Adern treibt der Vorzeit Blut: Der langen Väterreihe dunkle Spur und Müttererbe umfesseln deine bangende Natur. Du aber werbe um deinen Sinn. Zerbrich die Äast. Denn deine Zeit gebiert die eig'nen Tage. Dein ist der Wille und dein ist die Kraft. Dein ist die Pein. Kein andrer trägt dein Kreuz als du allein. Erlöse dich!_ lKachdrua v«rl>olen.) 17] Hlbertinc. Roman von Christian Kroha. Eduard Vater Kristiansen war am Donnerstag darauf aus dem nordlichen Eismeer nach Hause gekommen und hatte sich jeden Tag betrunken und war rasend gewesen über die Frühlings- jacke und den Hut und alle die Sachen, namentlich aber über die Trikottaille mit dem Schnurbesah. Er bedrohte Albertine mit Prügel, wenn sie spät am Abend nach Hause kam. und eines Tages, als sie trotz seines Ver- botes die Trikottaille anzog, stand er vom Tisch auf, wo er bei der Branntweinflasche saß und gab ihr eine gehörige Ohr- feige. Dann ging sie fort und suchte einen ganzen Nachmittag nach Helgeseu. um ihn zu fragen, was sie tun sollte. Sie wollte gar nicht wieder nach Hause gehen, und so blieb sie denn des Nachts bei Winther, der ihr anbot, sie auszuhalten und ihr zwei hübsche Zimmer z» mieten. Nein, das wollte sie nicht, sie mietete sich selbst eine Stube in der Königinnen- straße. Es war mitten im Julj und schrecklich warm. Sic hatte heute gefaulenzt, gestern war sie bei Winther in Gesellschaft gewesen, mit vcrMliedenen anderen, bis tief in die Nacht hinein, und nun hatte sie keine Lust zum Arbeiten. Schrecklich warm war es und nicht mehr als fünf oder sechs Menschen, die auf der Straße auf und nieder jchlender- ten, wahrend die gewöhnliche Gruppe von Arbeitern und Leuten vom Lande rings um den Musikpavillon standen. Auf den Bänken saßen ein paar alte Herren und Kinder- mädchen, die langsanr die Kinderwagen hin und her stießen-. Erfrischend fuhr ein grüner Wasserwagen die Straß« entlang, aber das Wasser verdampfte gleich wieder. Die Musik da drinnen zog die Pause so sehr in die Länge. wie nur irgend möglich. Endlich sing sie wieder an, es war einer von Teilmanns Festmärschen. Albertine schlenderte auf und nieder mit ihrem großen. hellgelben Sonnenschirm, mit den weißen Zwirnhandschuhcn und dem rosa Sommerkleid. Sie war nicht mehr ganz so blaß und sah ein wenig frisch aus. Aber es war langweilig, allein zu gehen, lind sie sehnte sich beinahe nach Jossa . Wenn es nur erst Abend wäre, dann konnte sie ins Tivoli gehen. Ja, jetzt wußte sie, was sie tun wollte, sie wollte hingehen und sich nach Eduard umsehen. Es mußte jetzt wohl sehr schlecht mit ihm stehen. Essen? Nein, sie wollte vorher nicht mehr essen, es war zu warm und zu langweilig, wenn sie allein war. Ja, sie konnte ja gern noch eine Nummer anhören, sie hatte ja nichts zu versäumen. Und wieder schlenderte sie auf und nieder. Nun war auch die Nummer zu Ende gespielt, und sie sah auf: Da waren nicht mehr viele Leute auf der Straße. Nein. mit der Straßenbahn wollte sie nicht fahren, sie hatte nur noch achtzig Oere, die wollte sie lieber benutzen, um ein paar Weintrauben bei Magnus zu kaufen, wo sie im Fenster lagen und quer über die Straße lockten. Von Magnus ging sie langsam zur Stadt hinaus, in der glühenden Sonne dahmschlendernd. Es war im Grunde gestern bei Winther amüsant ge- Wesen. Aver wenn sie nicht dagewesen wäre, so hätte es ge- wiß noch mehr Trall gegeben. Sie konnte es nicht ausstehen. daß sie fortwährend die ganze Stube auf den Kopf stellen wollten, sie begriff nicht, daß das amüsant sein konnte. Sie konnte sich übrigens eines Lachens nicht enthalten, wenn sie daran dachte, wie verliebt Winther gewesen war, er war ja beinahe über den Fußboden gekrochen, damit sie nur dableiben sollte, und sie hatte nicht gleich nein gesagt, denn sie fand, es war so amüsant, ihn sich so anstellen zu sehen, ihn, vor dem sie so schrecklich bange gewesen war. Nein, sie mußts wirklich über sich selbst lachen, wenn sie daran dachte, wie schrecklich bange sie immer vor der Polizei gewesen war. Un- sinn! Das einzige könnte noch der Doktor da oben sein und das, was Jossa erzählt hatte. Uh! Sie war auch so fruchtbar dumm in allen diesen Sachcit gewesen, aber jetzt war sie nicht mehr so dumm: wenn man nur ein wenig vernünftig war, konnte man alle Männer ver- rückt machen und sie zu allem bringen, was man wollte, nur ein bißchen vernünftig und ein bißchen hübsch und das war sie ja, jetzt wußte sie es. Nein, sie wollte schon durch- kommen. Sie sah nach der Seite. Nein, da waren keine Fenster hier in der elenden Brostraße, in denen man sich spiegeln konnte, nur ganz gewöhnliche Läden. Hier draußen machte es nichts, wenn man im Gehen Weintrauben, und sie nahm den Beutel und fort- während. Eine Straßenbahn rasselte in der Hitze vorüber, dumm, daß sie nicht fünfzehn Oere zurückbehalten hatte. Na ja. jetzt war es auch nicht mehr weit der schmale Gang die Lakke- straße ob sie hinaufgehen und sich nach der Mutter um- sehen und ihr ein paar Trauben geben sollte? Sic nahm eine Traube aus der Tüte und summteGine. Du liebliche Maid, komm her zu mir!" Sie schloß die Tüte schnell wieder und richtete sich ein wenig auf. Da kam gerade vor ihr ein feiner, flotter Herr. der einzige, dem sie auf dem ganzen Wege begegnet war. Er­ging langsam, als sie sich einander näherten, er sah ihr fest in die Augen, während er vorüber ging. Ruhig sah sie ihn wieder an, denn sie war nicht mehr so verlegen wie früher. Er blieb stehen: sie hörte e-?.-- Nein, mein Herr, wenn Sie glauben, daß ich mich umdrehe, so sind Sie schief ge-