wickelt. Sich auf der Straße nach einem Herrn umdrehen, ist das Ordinärste, was man tun kann.„Gine, Tu liebliche Maid, komm her zu mir!" Sie war bis an' das Portal des Krankenhauses gelangt und blieb stehen und schellte und stand da und wartete. Ob er wohl noch da stand? Ja. denn jetzt war es etwas anderes, jetzt konnte sie sich gern umdrehen, jetzt war es etwas ganz Natürliches. Ja. da stand er. nicht weit entfernt, und sah ihr nach. Sie mußte ein klein wenig lächeln, als sie in das Portal hineinging.— Ach was!— Er lüftete den Hut ein wenig. Na ja.„Gine. Du liebliche Maid, konim her zu mir!" Sie hatte den Türwart gefragt, nur um etwas zu sagen, Wie es mit Eduard stünde, und er hatte geantwortet, es sei gut, daß sie gerade jetzt komme, denn er habe nicht mehr viele Stunden noch, und er frage so viel nach ihr. Sie blieb erst ein wenig stehen, als verstände sie es nicht, dann lief sie an die Treppe, die außerhalb des Hauses hinauf- führte, erstieg sie schnell, ging dann langsamer die Galerie entlang, vorbei an allen Türen, langsamer und langsamer, je mehr sie sich der Tür näherte, hinter der er. wie sie wußte, lag. Und sie war über Nacht ausgewesen und hatte Cham - pagner getrunken und Allotria getrieben! Aber war es nicht sonderbar, daß sie gerade heute hier herauskommen mußte, gerade heute?— Sie öffnete die Tür vorsichtig, Krankenstubengeruch strömte ihr entgegen. Und sie kannte die niedrige, alt- modische, holzgetäfelte, rosagestrichene Stube: die Gardine wehte ein wenig in der Zugluft, als sie die Tür öffnete, denn das Fenster stand offen, und sie sah den mattblauen, warmen, diesigen Himmel da draußen. In seinem grüngestrichenen Hospitalbett lag Eduard, das Gesicht ihr zugewandt, den Kopf in Mutter Kristiansens Arm, die neben ihm saß. Albertine hatte Hut und Handschuhe abgenommen und den Schirm an das Fußende des Bettes gestellt und löste nun Mutter Kristiansen ab, indem sie Eduard im Arm hielt. Dre Alte mußte nach Hause und sich nach Vater umsehen. „Ist heute draußen nicht wunderschönes Wetter. Tine?" „Ach, es ist zu warm!" „Das ist doch gut, daß es warm ist!— Mich friert," sagte Eduard mit schwacher, heiserer Stimme, und sie mußte sich herabbcugen, um sie zu hören. Er wandte den Kopf von ihr ab. der Wand zu. „Willst Du eine Weintraube haben, Eduard?� „Nein, ich danke." Sie nahm seinen Kopf und drehte ihn herum an ihre Brust. Der lag da mit seinem dunklen Haar, so bleich, ganz fest gegen die volle, weiche Nundung unter dem rosa Kattun. und sie sah nieder auf das kleine Antlitz, das noch kleiner ge- worden war. auf das ungekämmte Haar und die feste, ge- wölbte, kleine bleichgrüne Stirn mit den großen Schweiß» tropfen und den langen, dunklen Wimpern, die den ihren glichen, und auf die hohlen Wangen und die Nasenspitze, dre ganz schmal und scharf geworden war, und auf die Brust mit dem zerknitterten, groben Hemd, und auf die schmalen, kleinen Finger. Draußen kam eine Straßenbahn schnurrend vorüber. ..Du gehst in die Stadt," sagte Eduard.«Nein, wie fein Du bist, Tine— ja— ich Hab es ja immer gesagt, daß Du kommen würdest— wirklich eine feine Dame!" „Warum drehst Du den Kopf nach der Wand, Eduard?" „Ja, das will ich Dir sagen, Tine." antwortete er eifrig der Wand zugewendet,.Madain Larsen hier hat mir so viel erzählt, in diesen Nächten, wenn ich nich schlafen könnt, diese Brustkrankhest, die ich Hab, das is nichts weiter als lauter kleine Tiere. Ja, sie sind so klein, so klein, wie sie überhaupt nur werden können, die, sagt sie, sitzen in meiner Brust und fressen mich auf." Er hustete, sie stützte ihn ein wenig, er wandte den Kopf wieder der Wand zu. „Sie haben noch einen Namen, der schrecklich lang is, und sie sitzen also da drinnen, und jedesmal, wenn ich Atem hole, dann fliegen da mit dem Atem wenigstens ein paar Hundert heraus, verstehst Du, und dann fliegen sie in Dich rein, und dann kriegst Du auch die Schwindsucht, verstehst Du?" Und er hielt standhaft den Kopf der Wand zugewandt, so daß sie nur das uns. kämmte Haar auf ihren Arm lieben dem rosaroten Busen sah. Er hatte lange still dagelegen von Zeit zu Zeit hörte sie seinen schweren Äteinzug. Es war Abend geworden. Mutter Kristiansens war mitgekommen, und der Vater war auch da, er begrüßte Albertine nicht und war ein wenig bezecht, sie spürte, daß er nach Branntwein roch, als er an das Bett herankam. Dann setzte er sich so weit wie möglich von dem Bett ent- fernt an die Tür. Eduard holte tief Atem und hatte hinterher einen hohlen Hustenanfall. Es war jetzt viel mehr Sonne im Zimmer — Abendsonne. Spät am Abend winkte Albertine der Mutter und Kristiansen. Geräuschlos traten sie an das Bett und standen lange regungslos da. Schließlich aber schmerzte Albertine der Arm, der eingeschlafen war, und sie legte Eduard auf das Kissen. Dailn faltete Mutter Kristiansen seine Hände über dem Gesangbuch und drückte ihm die Augen zu. Die Tür ging auf. die Krankenwärterin kam herein, die Gardine flatterte lang über den Fußboden im Zugwind. * „Ja, hier steht es: Bekanntmachungen— Todesfälle, es steht ganz vorn an—" „Daß unser geliebter Sohn Eduard im Glauben an seinen Erlöser, Dienstag, den 15. Juli abends, nach längerer Krank - hcit zu seinem Gott heimging, machen wir hierdurch abwesen- den Verwandten und Freunden bekannt. Maren Kristiansen. Olaves Kristiansen, Maschinist. Statt jeder besonderen Mitteilung." Albertine hatte es aus dem„Tag" vorgelesen: sie lehnte sich gegen den schwarzen Sargdeckel, der an der Wand stand, und im Sarge, mitten in der Stube, lag Eduard, fein und geputzt, das dunkle Haar an der Seite gescheitelt, die Augen geschlossen, mitten auf der Brust einen dunkelgrünen Myrthen- kränz, der auf den Falten des reinen Hemdes schwebte: die bleichen Hände waren steif über dem schwarzen Gesangbuch gefaltet, das goldene Kreuz darauf schimmerte unter den Fingern hindurch. Albertine wie auch Oline und die Mutter waren in Schwarz gekleidet. Oline legte den Kamm neben den Myrthenkranz und ging zu Albertine hinüber. „Zeig mal, steht es da?" „Ja, hier steht es." Sie las es noch einmal halblaut vor, während sie sich über Albertine beugte, die die Zeitung nicht aus den Händen lassen wollte. „Das klingt wirklich ganz fein, nicht wahr?" sagte Albertine. Sie ließ die Zeitung sinken und sah sich in der kahlen Leichenstube mit den unebenen, gekalkten Wänden um. „Wenn er das liest, dann denkt er wieder an mich, wenn er mich auch ganz vergessen hat: ach nein, vergessen hat er mich wohl nicht. Aber vielleicht bekommt er es nicht einmal zu sehen. Ach, ach, wenn es doch auch in den feinen Zeitungen angezeigt wäre!" War es wirklich erst einen Monat her? Es war ihr, als müßten wenigstens zehn Jahre vergangen sein. Ja, es hatte sich viel seitdem zugetragen. Ein Glück, daß er es nicht wußte, und nie, nie im Leben sollte er es erfahren.— Und nun sollte es auch ein Ende haben, hatte sie sich vorgenommen, nun wollte sie wieder nach Hause ziehen, zu der Mutter: die blieb sonst fo allein, und dann wollte sie immer zu Haufe sitzen und nähen. Denn sie hatte die Herren und all ihren Trall satt; das war gar nicht amüsant, nur häßlich. Sie war gewiß anders geschaffen als andere Menschen.— Ja, es hatte sich viel zugetragen!— Na, so schlimm war es übrigens doch nicht: zwei, drei Nächte, die sie nicht zu Hause gewesen war. Was war das gegen Valeria und Jossa und die andern—? Ach, wenn sie doch an Eduards Stelle da läge! Das würde sie gern tun. Mutter Kristiansen klemmte Eduards Hände fester zu- sammen, glättete das glatte Haar ein wenig und zupfte an den kleinen, dunkelgrünen Blättern des Myrthenkranzes herum. „Ja. nu is er so nett, nu es er so nett. Nu wolln wir man zu Hause gehn," sagte Oline. „Vater sagte, er wollte kommen un�ihn sich ansehen," sagte Mutter Kristiansen,„ich glaub, ichwleib so lange hier sitzen: da is doch immer noch irgend was zu pusseln." Sie trat an den Sarg und schob die eine Ecke des Kopf- kissens zurecht.
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29 (25.12.1912) 250
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