Ja, denn gehen wir," sagte£Iine;kommst Du bald nach Haus? Wir wollen den Kaffee für Dich bereit halten, gut und heiß." Ter Torwart ließ sie aus dem Portal des Krankenhauses heraus, und sie standen da draußen in der Brückeustraße, in der stechenden Sonne und dem Staub, der sich gleich auf sie und ihre schwarzen Kleider legte. Du, Albertine, ich glaub, ich kauf mir ein solch hübsches schwarzes Seidenfichu aus Paris . Du weißt wohl, was ich meine, das kann ich auch immer noch brauchen, wenn die Trauer vorbei is. Mutter muß ihren alten Schal schwarz färben lassen, dann wird er gewiß noch wieder ganz nett. Aber was willst Du tun, Tine? Mit diesen schwarzen Lumpen kannst Du doch nich gehen, und das meiste hast Du Dir ja außerdem noch geliehen, und Trauerzeug mußt Du doch haben. Ich will Dir was sagen, Tine, Du bist ein Schaf, wenn Du Dir nich von einem von den Herren, die Du kennst, ein schwarzes Kleid schenken läßt und einen schwarzen Sonnen- schirm und schwarze Handschuhe auf alle Fälle." Ich Hab nichts mit den Herren zu wn, ich kenne sie bloß." Oline lächelte. Gott , wie dumm Du bist, Tine!" Sie gingen in der Wärme die Straße hinab, und bei der Hirschapotheke begegneten sie dem Vater, dem Tränen in die Augen traten, als er hörte, daß Eduard so hübsch im Sarge liege, und dann taumelte er dahin. Es war am Tage daraus. Eduard war beerdigt, bei Kristiansens hatten sie zu Mittag gegessen, und Oline und ihr Mann und die kleine Tulla und Olsens und Madam Hansen hatten am Nachmittag Punsch getrunken. Albertine stand auf und nahm ihre neuen Handschuhe und den Schleier, den sie an? Hut befestigt hatte. Wo willst Dil hin, Tine?" Ich will bloß ein bißchen spazieren gehen. Ich bin ganz betrunken von dem kalten Punsch." Sie ging der Stadt zu, warum wußte sie eigentlich selbst nicht. Ein wenig wirr von dem Punsch im Kopf war sie übrigens, und dann hatte sie plötzlich eine so gräßliche Traurigkeit über alles befallen, sie mußte wieder an alles denken. Wenn er darum wußte? Ith! Herrgott, wie ich doch renne!" Warum beeilte sie sich eigentlich so? Ach ja, sie dachte wohl, daß sie Helgesen noch treffen würde, und jetzt mußte sie mit ihm reden, oder sie mußte ihn doch wenigstens sehen. Kortseymig folgt.) 9] Ftons und f)einz Kirch. Von Theodor Storm . -- Bald danach ging Hans Kirch die Straße hinauf nach seinein Speicher; er hatte die Hände über den Rücken gefaltet, der Kopf hing ihm noch tiefer als gewöhnlich auf die Brust. Auch Frau Lina hatte das Haus verlassen und war dem Vater nachgegangen; als sie in den unteren dämmerhellen Raum des Speichers trat, sah sie ihn in der Mitte desselben stehen, als müsse er sich erst besinnen, weshalb er denn hierher gegangen sei. Bei dem Geräusche des zdoru-Umschgufelns, das von den oberen Böden herabscholl, mochte er den Eintritt der Tochter überhört haben; denn er stieß sie fast zu- rück, als er sie jetzt so plötzlich vor sich sah:Du, Lina! Was hast Du hier zu sucben?" Die junge Frau zitterte und wischte sich das Gesicht mit ihrem Tuche.Nichts, Vater," sagte sie;aber Christian ist unten am Hafen, und da litt es mich nicht so allein zu Hause, mit ihm, mit dem fremden Menschen! Ich fürchte mich; o, es ist schrecklich, Bater!" Hans Kirch hatte während dieser Worte wieder seinen Kopf gesenkt; jetzt hob er wie aus einem Abgrunde seine Augen zu denen seiner Tochter und blickte sie lange und unbeweglich an.Ja, ja, Lina," sagte er dann hastig;Gott Dank, daß es ein Fremder ist!" Hierauf wandte er sich rasch, und die Tocbtcr hörte, wie er die Treppen zu dem obersten Bodenraum hinaufstieg. Ein trüber Abend war auf diesen Tag gcsolgt, kein Stern war sichtbar; feuchte Dünste lagerten auf der See. Im Hafen war es ungewöhnlich voll von Schiffen, meist Jachten und Schoner; aber auch ein paar Vollschiffe waren dabei und außerdem der Dampfer, der wöchentlich hier anzulegen pflegte. Alles lag schon in tiefer Ruhe, und auch auf dem Hafenplatz am Bollwerk entlang schien- derte nur ein einzelner Mann, wie es den Anschein hatte, müßig und ohne eine bestimmte Absicht. Jetzt blieb er vor dem einen der beiden Barksckiffc stehen, auf dessen Deck ein Junge sich noch am Gangspill zu schaffen machte; er rief einenguten Abend" hinüber und fragte, wie halb gedankenlos, nach Namen und Ladung des Schiffes. Als erfterer genannt wurde, tauchte ein Kopf aus der Kajüte, schien eine Weile den am Ufer Stehenden zu mustern, spie dann toeit hinaus ins Wasser und tauchte wieder unter Teck. Schiff und Schiffer waren nicht von hier, der am Ufer schlenderte weiter; vom Warder drüben kam dann und wann ein Vogelschrei; von der ! Insel her drang nur ein schwacher Swein von den Leuchtfeuern durch den Nebel. Als er an die Stelle kam, wo die Häuserreihe näher an das Wasser tritt, schlug von daher ein Gewirr von Stim. men an sein Ohr und veranlasste ihn still zu stehen. Von einem der Häuser fiel ein roter Schein in die Nacht hinaus; er erkannte es wohl, wenngleich sein Fuß die Schwelle dort noch nicht über- schritten hatte; das Licht kam aus der Laterne der Hafcnschenke. Das Haus war nicht wohl beleumdet, nur fremde Matrosen und etwa die Söhne von Sctzschiffern veetohrten dort; er hatte das alles schon gehört. Und jetzt erhob das Lärmen sich von neuem, nur daß auch eine Frauenstimme nun dazwischen kreischte. Ein finsteres Lachen fuhr über das Antlitz des Mannes; beim Schein der roten Laterne und den wilden Lauten hinter den verhangenen Fenstern mochte allerlei in seiner Erinnerung aufwachen, was nicht gut tut, wenn es wiederkommt. Dennoch schritt er darauf zu, und als er eben von der Stadt her die Bürgerglocke läuten hörte, trat er in die niedrige, aber geräumige Schenkstube. An einem langen Tische saß eine Anzahl aller und junger Seeleute; ein Teil derselben zu denen sich der Wirt gesellt zu haben schien, spielte mit beschmutzten Karten; ein Frauenzimmer» über die Jugendblüte hinaus, mit blassem, vermachtem Antlitz, dem ein Zug des Leidens um den nocb immer hübschen Mund nicht fehlte, trat mit einer Anzahl dampfender Gläser herein und per- teilte sie schweigend an die Gäste. Als sie an den Platz eines Mannes kam, dessen kleine Augen begehrlich aus dem grobknochigen Angesicht hervorschielten, schob sie das Glas mit augenscheinlicher Hast vor ihn hin; aber der Mensch lachte und suchte sie an ihren Röcken festzuhalten:Run Ma'm tzabt Ihr Euch noch immer nicht besonnen? Ich bin ein höflicher Mann, versicbre Euch! Aber ich kenne die Weibergeographie: Schwarz oder Weiß, ist alles eine Sorte!" Laßt mich," sagte das Weib;bezahlt Euer Glas und laßt mich gehen!" Aber der andere war nicht ihrer Meinung; er ergriff sie und zog sie jäh zu sich heran, daß das vor ihm stehende Glas umstürzte und der Inhalt sie beide überströmte.Sieh nur, schöne Missis!" rief er, ohne darauf zu achten, und winkte mit seinem rothaarigen Kopfe nach einem ihm gegenüberfitzenden Burschen, dessen flachs- blondes Haar auf ein bleiches von, Trünke gedunsenes Antlitz herabfiel;sieh nur, der Jocbum mit seinem greisen Kalbsgesicht hat nichts dagegen einzuwenden! Trink aus, Jochum, ich zahle Dir ein neues!" Der Mensch, zu dem er gesprochen hatte, goß mit blödem Schmunzeln sein Glas auf einen Zug hinunter und schob es dann zum neuen Füllen vor sich hin. Einen Augenblick ruhten die Hände des Weibes, mit denen sie sich aus der gewaltsamen Umarmung zu lösen versucht hatte; ihre Blicke fielen auf den bleichen Trunkenbold, und es war, als wenn Abscheu und Verachtung sie eine Weile alles andere vergessen ließen. Aber ihr Peiniger zog sie nur fester an sich:Siehst Du, schöne Frau! Ich dächte doch, der Tausch wäre nicht so übel! Aber, der ist's am Ende gar nicht! Nimm Dich in ackt, daß ich nicht aus der Schule schivatze!" Und da sie wiederum sich sträubte, nickte er einem hübschen, braunlockigen Jungen zu, der am unteren Ende des Tisches saß.He, Du Gründling." rief er,meinst Du, ich weiß nicht, wer gestern zwei Stunden nach uns aus der roten Laterne unter Deck gekrochen ist?" Die hellen Flammen schlugen dem armen Weibe ins Gesicht; sie wehrte sich nicht mehr, sie sah nur hilfesuchend um sich. Aber es rührte sich keine Hand; der junge hübsche Bursche schmunzelte nur und sah vor sich in sein Glas. Aus einer unbesetzten Ecke des Zimmers hatte bisher der zuletzt erschienene Gast dem allen mit gleichgültigen Augen zugesehen; und wenn er jetzt die Faust erhob und dröhnend vor sich auf die Tischplatte schlug, so schien auch dieses nur mehr wie aus früherer Gewohnheit, bei solchem Anlaß nicht den bloßen Zuschauer abzu- geben.Auch mir ein Glas!" rief er. und es klang fast, als ob er Händel suche. Drüben war alles von den Sitzen aufgesprungen.Wer ist das? Der will wohl unser Bowiemesser schmecken? Werft ihn hinaus! Godckom, was will der Kerl?" Nur auch ein Glas!" sagte der andere ruhig.Laßt Euch nicht stören! Haben, denk ich, hier wohl alle Platz!" Die drüben waren endlich doch auch dieser Meinung und blieben an ihrem Tische; aber das Frauenzimmer hatte dabei Gelegenheit gesunden, sich zu befreien, und trat jetzt an den Tisch des neuen ©astes.Was soll es sein?" fragte sie höflich; aber als er ihr Be- scheid gab, schien sie es kaum zu bören; er sah verwundert, wie ihre Augen starr und doch wie abwesend auf ihn gerichtet waren, und wie sie noch immer vor ihm stehen blieb. Keiiiien Sie mich?" fragte er und warf mit rascher Bewegung seinen Kopf zurück, so daß der«schein der Deckenlampe auf sein Antlitz fiel. Das Weib tat einen tiefen Atemzug, und die Gläser, die sie in der Hand hielt, schlugen hörbar aneinander:Verzeihen Sie." sagte sie ängstlich,Sie sollen gleich bedient werden." Er blickte ihr nach, wie sie durch eine Seitentür hinausging;