Jbie sittliche Verrott-ung einer kleinen Garnison gegeißelt, bor Ge-richt gezogen und bestraft wurde, war für die bürgerlichen Kreisemit dem Namen dieses unbedeutenden Schreibers das Schlagwortgegeben, unter dem sie von nun an alle Art„Modelldichtung" zu-'sammenfassen konnten. Bilse ward der Prototyp des literarischenEhrabschneiders, der in romanhafter Darstellung daS Privatlebenanderer der Oeffentlichkeit preisgibt, und mit ihm wurden vomStandpunkt der bürgerlichen Gesellungsmorak alle Schriftstelleridentifiziert, die erkennbar nach Modellen gearbeitet. Modell-Benutzung erscheint hier einfach als ein Zeichen ethisch minder-wertiger Gesinnung, und Thomas Mann, der eingestandenermaßensich stets an die Züge eines Urbildes hält, durfte es erleben, daßin einem Prozeß, der in der Stadt der„Buddenbrooks" spielt, woman die Urbilder seiner Romangestaiten kennt, sein Name dem.jenes Leutnants gleichgesetzt wurde. In einer Broschüre lehntMann diese Gemeinschaft, die man ihm zugemutet, ab, und er suchtvom Standpunkt des Künstlers aus den Beweis zu führen, wieamgerecht und unzulänglich die Betrachtung eines Kunstwerkes vondem einseitig morailischen Gesichtspunkt der bürgerlichen Ehren-frage ist.Bis zu einem gewissen Grade benutzt jeder Dichter Züge derWirklichkeit, der eine mehr, der andere weniger, und selbst derphantasiebegabteste kommt ohne ein Beobachtungsinaterial nichtau?, gleichviel auf welchem Wege es zu ihm gekommen. EinBoccaccio, ein Dante gehen so weit, daß sie Zeitgenossen offen mitNamen in ihre Dichtungen einführen. Goethe hat sich an realeErlebnisse gehalten. Flauberts Madame Bovarh existierte. Tur-genjcff und Ibsen brauchten Modelle. Und selbst der Gespenster-Soffmann suchte zu seinen grotesken Gestalten, wie zum KleinZaches, nach Vorlagen. Aber sind die Menschen im..Werther" etwaidentisch mit den wirklichen Menschen, unter denen Goethe jenesWerk erlebte? Der Dichter selbst verwahrt sich gegen solche Aus-deutung seiner Schöpfung. Er nennt das Publikum, das, anstattsich an den Geist des Werkes zu halten, die Aehnlichkeiten zwischender Lotte der Dichtung und der Charlotte Buff, zwischen Albertund Kestner festzustellen sucht,„eine Heerd Schwein". Ueberhauptist der Fall Werther durchaus beleuchtend für die ganze Modell-frage. Goethe hat die Liebesleiden seines Legationsjekretärs selberdurchlebt. Aber als sie sich ihm zum dichterischen Motiv aus-wuchsen, wurden sie ihm etwas ganz anderes als das persönlicheErlebnis. Werther ist Goethe und trägt Goethesche Züge. Aberer ist mehr(und weniger) als Goethe. Er ist dem Dichter einTypus geworden, ein Sinnbild des liebenden Empfindsamen über-Haupt. Die Wirklichkeit vertieft sich ihm, und er schafft sie indiesem Sinne um. Und auch die anderen Gestalten werden ihmim Ganzen der Idee zu anderen. Er gestaltet ein Stück Leben,wie er's gesehen; wie cr's erlebt. Nicht dieses Stückchen Einzel-leben, sondern das Leben, das er in dieser Gestalt und auch viel-leicht noch in anderen gesehen. Alles Dichten ist Umbilden, wennauch die Wirklichkeit scheinbar noch so genau festgehalten wird. Dieäußere Wirklichkeit hat für den Künstler keine selbständige, sondernnur eine übertragene Bedeutung. Ein geiziger Wucherer wirdeinem Balzac zum Phänomen. Es»st vielleicht ein kleiner,� unbedeutender Bursch Dem Dichter aber wird er zum Repräsen-tauten seiner Art, und er schafft aus ihm die Gestalt des der-brecherisch furchtbaren Gobseck. Gobseck ist nun für alle Welt derWucherer schlechthin; denn er ist zum Tvp, zum Vertreter derGattung geworden. Aber ist er nun noch der kleine Gurgel-schneider aus der Pariser Gasse? Mit gutem Recht kann das nie»mand sagen, wenn er ihm auch noch so ähnlich sieht. Er ist aus.feinen ursprünglichen Beziehungen herausgehoben und zu einemReuen in Beziehung getreten; der wirkliche Gobseck aber würdesich wahrscheinlich durch Balzacs Schöpfung kompromittiert fühlen,wie eS auch die Kestners beim Erscheinen des„Werther" taten,und zwar einerseits durch die äußere Aehnlichkeit und anderer-.seits durch die nicht verstandene, aber doch gefühlte Unähnlichkett,die das Resultat der inneren schöpferischen Umbildung ist. Gobseckwürde rasend sein, daß Balzac ihn zu solchem Scheusal gemachtvor aller Welt, wie der Gatte Lottes Goethe vorwerfen konnte, daßdieser ihn für die Leute zu einem anderen gemacht, als er sei; dennwas der Dichter zu dem Originalporträt„hinzugetan", ist es, wasin der Regel am meisten zur Erbitterung reizt, weil der Fern-stehende nun diese Züge auch im Urbild sucht.Nur wenn man ins Zentrum künstlerischen Erlebens undSchaffens hineingeht, kann man die Modellfrage richtig anschauen.Der ganze Wirrwarr, der hier herrscht und zu direkten Versündi-gungen der Unkünstlevischen an der Kunst führt, keimt lediglichaus dem unüberbrückbaren Gegensatz zwischen der bürgerlichen undder künstlerischen Auffassung der Wirklichkeit. Der Bürger siehtin Frau Awing nur Frau Alving;. der Dichter aber sieht in ihrdie Tragödie der Frau, der die Lebenslüge zum Schicksal wird.Der Bürger, der Frau Alving kennt, wird sich erregen, daß Ibsenihr Privatleben auf die Bühne bringt; der Dichter aber wird nurdas Ueberpersönliche, Schicksalhaste, das unS alle angeht, in dieserExistenz fühlen, und aus einem inneren Drange, ein Geheimnisdes Menschlichen sichtbar- zu machon, sie vor uns hinstellen. DasStück Wirklichkeit,'das er aufgreift, wird dem Künstler, indem eres gestaltet, zu etwas anderem, als es war; zum Sinnbild einerLebenserfahrung, eines Lebensgesetzes, zu dem es im Innern desSchöpferischen in Beziehung getreten und von wo aus es umge-bildet wird. Selbst dem Satiriker, wenn er'S im großen Sinne ist,ist der Fürst, den er verhöhnt, nur als Typus, nicht als Subjektinteressant und wertvoll, und er gibt das Subjekt nicht als solches,sondern als Typus. Die Modellsucherei ist deshalb dem echtenKunstwerk gegenüber eine ungehörige Verdrängung der künstle-rischen Betrachtungsweise durch kunstfeindliche Elemente. Gewißgibt eS Schlüsselromane, die aus der Lust an der Sensation oderaus sonstigen schlimmen Absichten heraus entstanden sind und be-wüßt mit Indiskretionen arbeiten. Hier kann man vom TypusBilse sprechen; aber die Kunst hat damit nichts zu tun. Die besteFeuerprobe für den Wert einer angeblichen Schlüsseldichtung ist,wie Otto Ludwig einmal feststellte, ihre Wirkung an Orten undzu Zeiten, da man von den„Modellen" nichts weiß. Ein echtesKunstwerk muß durch seine Eigenkraft zu dauern vermögen.?. H.kleines f euillctoii.Heilkunde.Untersuchungen über elektrische Unfälle. NachDr. Jellineck-Wien wird die Gefährlichkeit schwächerer elektrischerStröme gewöhnlick unterschätzt, die herkömmliche Gefahrgrenze(300 Volt für Wechselstrom und 600 Volt für konstanten Strom)»stzn hoch angesetzt, denn schon ein Strom von 100 Volt kann unterUmständen sofortigen Tod herbeiführen. andererseits wurdenschon Ströme von 20 000 Volt berührt ohne weiterenSchaden als örtliche Verbrennungen. Der stärkste Schutzgegen das Eintreten de? Stromes in den menschlichen Körperist, abgesehen von der Haut— die Kleidung, vor-ausgesetzt, daß sie gesund und trocken ist. Die Stärke der Wirkungdes Stromes hängt größtenteils davon ab, ob er erwartet wird.Wer absichtlich einen Leitungsdraht berührt, kann 100, ja 300 Voltstarke Ströme ungestraft aushalten, aber derselbe Mann wird ge«tötet, wenn ihn der Strom unerwartet trifft. Die Verbrennungendurch elektrische Ströme sehen sehr übel aus, haben aber meist auf-fallend rasch und gute Heilung mit weichen Narben. Früher wurdenmanche Amputationen unnötigerweise wegen einer solche» Brand-wunde ausgeführt. Elekirische Wunden sind schmerzlos und nervöseStörungen nach elektrischen Beschädigungen kommen nicht vor.Die erste Hilfe bei Verletzungen durch den elektrischen Strombesteht in künstlicher Atmung, die eventuell stundenlang fortgesetztwerden muß und auch, wenn der Verletzte schon Stunden für tot da-gelegen hat, noch Erfolg verspricht, doch ist es wichtig, sie möglichstbald einzuleiten. Vorher muß natürlich der Verletzte aus dem Bereichdes Stromes entfernt werden, wobei der Helfer sich durch eintrockenes Brett, einem Teppich oder dergleichen vom Boden zuisolieren und seine Hände in Ermangelung von Gummihandschuhenund isolierten Zangen mit seinen Nockärmeln zu schützen hat. Haut-reize können bei der Wiederbelebung nebenbei verwendet werden,doch darf die künstliche Atmimg ihretwegen keinen Augenblick aus-gesetzt werden.Technisches.Die ideale Dunkelkammer. Um einen Raum hin-reichend zu verdunkeln, damit er zur EntWickelung photographischerPlatten oder Films benutzt werden kann, wird oft viel Muhe ohnevölligen Erfolg aufgewandt. Wenn nicht jeder Strahl weißen Lichtsausgeschaltet wird, fühlt sich der Amateur unsicher, und er hat auchrecht mit feinem Argwohn, zumal wenn er außerdem eine undichteoder sonst ungeeignete„Sicherheitslampe" benutzt. Allzu ängstlichwürde er nicht sein dürfen, wenn er nur seinen Arbeitsplatz vordirekten Lichtstrahlen schützt. Selbst wenn er einen fenster-losen Raum zur Verfügung hat, werden ihm die Türritzenoft Ungelegenheit bereiten. Die obere und seitliche Ritze der-schließt man am besten mit dem gewöhnlichen Material, daS zurDichtung der Türen und Fenster gegen den Zug verkauft wird undan der Tür selbst festgenagelt werden kann. Die Spalte an denTürangeln wird zweckmäßig mit flachen Lederftreifen gedeckt, dochkann man dazu auch einen anderen undurchsichtigen biegsamen Stoffbenutzen. Am sorgfältigsten muß die untere Türspalte behandeltwerden, durch die häufig eine wahre Flut von Licht eindringt. Hierhilft man sich dadurch, daß man einen Holzstreifen unmittelbar außer-halb der Tür auf die Schwelle nagelt. Damit man nicht darüberfällt, kann er an den oberen Rändern abgerundet werden. Um eingutes Ergebnis zu erzielen, muß die Tür geschlossen und dasHolz mit einem Rande so darunter geschoben werden, daß eS wieein Keil in die Spalte eintritt. Zuweilen macht auch ein Ofen oderKamin Schwierigkeiten, der durch den Schornstein Licht durchläßt.Dagegen kann ein undurchsichtiges Gewebe gebraucht werden, dasauf einem einfachen Schirm aufgezogen ist. Meist wird ein der-artiger Schirm auch zur Abwehr de? Lichts genügen, das von einembrennenden Ofen ausgeht, ob dieser nun mit Kohle oder mit Gasgeheizt wird. Da die von einem solchen Feuer ausgehenden Licht-strahlen längst nicht so wirksam sind Ivie die des Tageslichts, sobraucht man nur dafür zu sorgen, daß man von den Plätzen aus,wo die Platten ausgepackt und gehandhabt werdesi, das Feuer nichtzu sehen vermag.Vercttitw. Redakteikr: Alfred Wiclepp, Neukölln. Druck u, Verlag: Vorwärts Buchdruckern u.VeriagSanstalt Paul Äuugcr LiCo., Berlin L1V.