Kleines Feuilleton.Keine Arbeit!Z Uhr nachmittags l Dumpf und schrill und brausend klingt dieSinfonie des Tages, da« Hohelied der Arbeit, der brntale Schreides Existenzkampfes Straß' auf, Straß' ab.8 Uhr l Durch die Reihen der Gestalten, die die Bänke aufdem Dönhoffplatz bevölkern, geht ein Ruck. Irgendeiner hat dieZeit angesagt. Nun recken sie sich auf, gewaltsam, müde, verdrossen.Noch lastet das dumpfe Brüten auf den Gemütern. Alle schlagendieselbe Richtung ein. Sie bleiben nicht die einzigen.AuS der endlosen Menschenkette lösen sich immer mehr Glieder,die herdenartig, wie einem Instinkt folgend, denselben Weg gehen.Und sie sind nicht die ersten. Schon harrt eine stattliche Reiheanderer vor der Zeitungsplantage, deren Riesenpalast sich protzig ausden übrigen Geschäfts- und Wohnhäusern hervorhebt.Arbeitslose! Du kennst sie aus tausend anderen heraus. Siefallen Dir auf, ganz unwillkürlich—„am Gang und Blick und Ge-wand".— Schatten gleich gleiten sie an der Häuserfront hin, undwenn sie die Straße überschreiten, blicken sie kaum um sich. WieVögel um das Futlerhäuschen sammeln sie sich um das Portal, vorden? ein Schutzmann steht— breit, massig, achtungheischend. Unddann kommen noch mehr Beamte und in den Klumpen Unglück tvirdRichtung gebracht, Richtung, Zucht und Ordnung.Dichter, geschlossener werden die Reihen, lautlos rücken dieVielen, Vielzuvielen heran, das Elend schleicht auf weichen Sohlen.Die Frauen warten gesondert im Hausflur. Sie warten undtuscheln, in Hut und Schürze, daS zierliche.Handtäschchen neben demplumpen.Henkelkorb, die Kontoristin neben dem„Mädchen für alles",der„Gelbstern" neben der Waschfrau, die Anfängerin neben der„ersten Kraft", sie harren und warten und blicken mit hungrigem,brennendem Magen in den Torweg hinein, alle, alle, die Frauen,wie die Männer, als müsse von dort lächelnd, strahlend, spende-bringend das Glück kommen.Sie stehen geduldig und warten und haben das Warten gelernt.Und bunt zusammengewürfelt sind sie auch, lvie vom Wirbelwindzusammengefegt. Eine Gallerie von Einzelschicksalen, � die aus-rangierten Rädchen der Wirtschaftsmaschinerie. Eine einzige Klaffe,aber verschiedene Stufen. Ganz ungleichartig in ihrer Zusammen-setzung. Besuche den Arbeitsnachweis irgend einer Berufsgruppe undDll siehst ein geschlossenes Bild, verspürst den Hauch derGeineinsamkeit. Hier ist es anders. Sieh Deinen Nach-bar an: rot. wetterhart, gedrungen, mit Knüpftuchund rauhledernen Schaftstiefeln. Das Fluidun, des Ostensunrgibt ihn, die niedere Stirn, der wulstige Mund verraten denSlawen, der stumpfe Blick den Analphabeten. Er kann nicht lesenund wartet auf das Jnseraienblatt. Irgendeiner wird ihm behilflichsein. Von irgendeinem Gut ist er entlassen oder davongelaufen,nun setzt er seine Karte auf Berlin. Ilnd neben ihm, im abgeschabtenaber peinlich sauberen Gehrock der Intellektuelle, mit feinen, durch-geistigten Zügen und schmalen, weißen Händen, lind hier einKutscher und da ein Bäcker und ein Hausdiener und ein Chauffeur.Und immer weiter so.„Rohrleger biste?" fragt ein dünner, langer Mensch denknochigen, starken Mann mit den ausgearbeiteten Händen neben ihm,„hm, Rohrleger, keen schlecktet Jeschäst, da melde Dir man beiKrupp, der kann Dir brauchen for unterirdische Jänge." DerStarke findet den Witz nicht übel, er lacht, die Umstehenden auch.Aber nur so nebenbei. Ihr Jntereffe konzentriert sich auf diekommenden„Stellen". Ein kleiner Bursche zieht ein trockenes StückKommisbrot hervor. Man sollte meinen, eS wäre eine Mannorsägenötig, um es zu zerkleinern. Aber der Besitzer nimmt die Tätigkeitmit Mut und Ausdauer aus. Seine Kinnbacken mahlen wie eiserneWalzen und scheinen auf solche Kost eingestellt zu sein.„'n Hausdiener verlangt, der Klavierspielen kann", ruft ein vor-überfahrender Kutscher in die Kolonne. Antworten schwirrenhinter ihm her, grob und bissig, und gehen im Geknall der Peitscheund im Lärm der Straße unter.„Wie lange bummelste schon?"„In diesem Jahre schon vier Monate— ick finde ooch nischt mehrvor Weihnachten". Der das spricht, reckt den Hals höher, nach demPortal hin. Von der andern Zeitung kommen bereits welche. IhreAugen gleiten hungrig über den Druck. Die Kolonne wird unruhig.Einer schätzt den andern ab. ob er flinkere Beine hat, ob er nocheinen Groschen Fahrgeld besitzt— und die Glücklichen, die Fahr-räder mit sich führen, prüfen nervös die Gummireifen: bald beginntdie Jagd nach dem Glück.Jetzt. Einem Rudel hungriger Wölfe gleich, quetscht sich derStrom in dem Portal, die ersten kommen lesend und stolpernd be-reitS wieder auf der anderen Seite heraus, die Radfahrer springenin den Sattel und rasen davon, die anderen zu Fuß hinterher undnur die Stadtfremden ohne Lokalkenntniffe stehen rat- und hilflosumher.Im Hofe summen die ZeitungSmaschinen. die ersten bleichenLichtkitgeln flammen auf, während hoch oben vom Dachfirst derletzte Schimmer der Herbstsonne verglüht.Leer ist der Hof, leer der Bürgersteig, die bleichen, hungrigenGestalten sind verschwunden, untergetaucht im Großstadtgcwühl, dieSchutzleute tapsen schwer und gemächlich über den Asphalt hin.verantw. Redakteur: Alfred Wielepp, Neukölln.— Druck u. Verlag:Morgen findest Du wieder dasselbe Bild, morgen und über-morgen»lnd alle, alle Tag«, bis, ja bis der Wahnsinn de«Kapitalismus ausgetobt hat._ Emil U n g« r.Erziehung und Unterricht.Volkshochschulen in Finnland. Weit bekannt sind die dänischenVolkshochschulen, denen dieses Land neben dem Genoffenschaftswesenseine Wiederauferstehung verdankt. Auch von den schwedischen Volks-Hochschulen hörten wir schon. Daß auch Finnland, jenes Unglück«liche, unter dem zaristischen Terroriömus schmachtende und doch somutig um seine geistige und politische Befreiung kämpfende kleineKulturland im Norden seine hohen Schulen für arme Bauern undArbeiter hat, war bisher weniger bekannt. In den„Dokumrnten de«Fortschritts" finden wir eine Schilderung des Charakters und derseitherigen Erfolge der Bewegung, die uns Achtung abzwingt.Die erste finnische Volkshochschule wurde 1889 in der kleinenStadt Borga gegründet, der 1391 zwei weitere in ESbo und Kronobhfolgten. Gegenwärtig gibt es 41 Volkshochschulen in Finnland,darunter 14 mit schwedischer und 27 mit finnischer Sprache. In 4l)von diesen Schulen werden 1664 Schüler unterrichtet oder 41,6 proSchule. In den schwediichen Schulen haben 85 Proz. der Schülerhöhere Kenntniffe, in den finnischen 69 Proz. In den schwedischensind 69 Proz. Söhne und Töchter von Bauern, der Rest von nichtbefitzenden Kätnern oder Landarbeitern, in den finnischen 73 Proz.Im allgemeinen hat die finnische Volkshochschule ihre Anregungenau« Dänemark erhalten, von den Grundtvigschen Ideen, die vonLudwig Schröder und Paul la Com in der erweiterten Volkshoch-schule in Askow entwickelt wurden. Man beschäftigt sich in diesenSchulen viel mit Literatur. Es ist selbstverständlich, daß bei einemnational unterdrückten Volke das nationale Problem eine großeRolle spielt. Aber auch Naturwissenschaften werden getrieben,Mathematik, Phhfik. Daneben wird das in der Volksschule Ge-lernte: Schreiben, Lesen repetiert. Endlich werden den Schülernauch praktische Kenntniffe übermittelt, in der Buchführung, dem Auf«setzen von Kontrakten, in der Tischlerei, für Möschen im Weben,Nähen und Kochen usw. Seit einigen Jahren wird Wert darausgelegt, den Schsjlern etwas landwirtschaftlich-theoretische Ausbildungzu geben.Ein Kursus dauert sechs Monate: vom 1. November bis 1. Mai.Die Schüler haben ein Durchschnittsalter von 18—20 Jahren. Fastalle Schulen sind Internate d. h. die Scküler wohnen und effen ge-meiniam mit den Lehrern im Institute. Bis vor einiger Zeitwurden die Schulen durch die Opferwilligkeit einzelner Mitbürgerund Landgemeinden erhalten. Schon oft hatte der Landtag dieRegierung um Bereitstellung finnffcher Staatsgelder für die Schulenersucht. Es wurde aber stets nur ganz wenig bewilligt und erst seitdem großen Systemwcchsel im Jahre 1905 wurde ein Staatszuschußgewährt, der die Existenz der Schulen sichert. Es ist aber.sehrzweifelhaft, ob er auf die Dauer wird erhalten bleiben.Medizinisches.Aus der Apotheke des Mittelalters. Das siebzehnte Jahrhundert rechnet der Historiker zwar nicht zum Mittel-alter; in bezug auf einzelne Zweige der Heilkunde und die ver-ordneten Arzneien gehört es doch dazu, und zwar zum finsterenMittelalter. Die„Barietas" hat ein paar Rezepte ausgegraben.die einem die Haare zu Berge stehen lassen. Im Jahre 1685verordneten die Acrzte dem Marschall Lorge sogenannte„englischeTropfen", deren Hauptbestandtteilc getrocknete Vipern und dergetrocknete Schädel eines Gehenkten waren! Kardinal Mazarinerhielt gegen die Gicht zunächst einen Aderlaß und darauf wurdeihm das geschwollene Bein in— Pfcrdemist eingepackt. KardinalRichelieu sollte gar nach ärztlicher Vorschrift mit einem widerlichenGebräu den Mund ausspülen, das aus Pserdemist und Wein her-gestellt war. Wohl bekommst Die schweren Seuchen, wie diePest, bekämpfte man nach der genannten Quelle mit Arzneien, dieaus der Apotheke des Aberglaubens stammten. Eine sehr beliebteVorschrift lautete: Man fängt bei abnehmendem Mond im Juni,Juli oder August eine recht große Kröte, bindet ihr einen Fadenans Bein und hängt sie so am Kamin aus, daß sie frei schwebt undgerade von der Wärine erreicht wird. Weiter muß man ein sauft-großes Stück Wachs weich iverdcn lassen und unter der Kröte soanbringen, daß es alles auffängt, was aus dieser herauskommt;hierunter ist eine Majolikaplerttc anzubringen. Nun zündet nmneine Wachskerze an und hält der Kröte die Flamme inehrmalsan den Bauch und den Rücken. Dann gibt sie ihr Gift von sich.das mit dem Wachs aufgefangen werden soll. Dieses„Kröten-opfer" ist fortzusetzen, bis die Kröte stirbt: be! manchen Krötentritt dies erst am dritten Tage ein. Sobald die Kröte tot ist,öffnet man ihren Leib, nimmt die Eingeweide heraus und bringtsie auf das Wachs. Alles zusammen wird dann im Freien an derSonne getrocknet und schließlich in eine Holzkapsel getan, die manmit drei Fäden am Arm des Kranken befestigt!Vorwärts Buchdruckerei u.Verlag SanftaltPanl Singer Sc Co., Berk in 8 W.