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schließen, das fühlte ich. Ich wußte, daß die Beichte feines Lebens| daß er keine Stimme mehr hatte. Heiser und zerbrochen fam es sich ihm bald auf die Lippen drängen würde. Ein solcher Gang aus feinem Munde, wie Blech fiel es vor ihn hin. Angst froch durch die Nacht schafft Gemeinsamkeiten, denen eine weiche, ihm den Rüden hinauf, und vor Angst wollte er schreien. Aber empfindsame Seele fich nicht wohl entziehen kann. Bekenntnisse feine Stimme blieb ihm erstickt und tot in der Bruft liegen. Er steigen auf und wollen gesagt sein. Damit rechnete ich. wurde ohnmächtig, und man trug ihn ins Bett. Die Untersuchung bestätigte, daß die Krankheit ihm die Stimme zerstört habe.
Wir gingen die Seine entlang. Der Fluß trug sein schwarzes Wasser träge durch die Stadt. Wie schleichende Tiere, die mit gebogenem Rücken über dem Spiegel lagen und tranken, waren die dunkeln Körper der Brücken. Crainville schaute vor sich hin in die Nacht, deren Schwärze um die Laternen herum schmußiggelb zerschmolz. Eine Weile sprach er nichts; ich ließ ihn in Ruhe. Hilf los blickte er mir ins Gesicht, die Augen zitterten ihm vor Bewegung feines Gefühls. Er empfand das Schweigen zwischen sich und mir. Ich wartete. Aber da redete er auch plötzlich und sprach unvermittelt von seiner Jugend, sprach hastig und stockend, als bange er, daran zu erstiden, und sein aufgeregtes Herz zerklopfte ihm die Rede mit wilden Schlägen.
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Ihm blieb nichts übrig, als zu seinem Vater nach Paris heim zukehren. Aber kaum dort, benutte er alles Geld, das er auf treiben konnte, die Agenten, die die Engagements der Schauspieler vermitteln, zu bestechen, um so Gabriele Blichon nach Paris zu ziehen. Ihre Briefe eiferten ihn an und versprachen ihm viel. Und im nächsten Herbst schon war die Blichon am Theater am Boulevard de Strasbourg . Crainvilles Vater eine Mutter hatte er schon lange nicht mehr starb kurz darauf, und der junge Mann bekam das Geschäft, das er mit einem Gehilfen leitete. Crainville arbeitete im stillen unermüdlich an den Trümmern seiner Stimme. Er sprach stundenlang mit äußerfter Anstrengung Er war immer ein Einsamer gewesen, mit einer von Sehn- in der Hoffnung, den Ton zu stärken. Aber es gelang nicht. Sein süchten zerrissenen Jugend. Einer, der mit den Füßen durch den Hals schmerzte, und er bekam Hustenanfälle. Mit der Zeit gab er Tag ging und mit der Stirn an die Sterne stieß. Er wollte Schau- es erschöpft auf und brach die Hofnfungen aus seinem unglüd spieler werden. Es gab zu Hause darum Kämpfe. Sein Vater lichen Herzen. hatte eine fleine Buchhandlung. Ueber ftodiledigen Chroniken und Jeden Abend, wenn die Blichon spielte, war er im Theater, schweinsledernen Folianten war er für das Leben und die sehnsüch- Nachher stand er am Ausgang der Künstler und wartete auf fie. tige Kraft, für den stürmischen Willen der Jugend verständnislos Er drückte sich ins Dunkel und grüßte sie, oder er berührte ihr und unempfindlich geworden. Und er führte den Kampf mit dem Kleid. Manchmal durfte er sie bis an ihre Wohnung begleiten. starren Eigenfinn des Alters. Aber wenn der Knabe endlich auch Meistens aber hatte sie Verabredungen und konnte ihn nicht Eieger blieb, er hatte seine heimlichen Wunden davon mitbekommen brauchen. Oft stieg fie auch am Theater in einen Wagen, der sie erwartete. Crainville beteuerte mir: Sie müssen verstehen, dem fönnen sich Künstler nicht entziehen. Die weitgehenden Verbindun gen bringen immerfort Verpflichtungen mit; fie bedingen einen ausgedehnten Verkehr, von dem sich niemand ausschließen darf. Gabriele wäre oft lieber mit mir gegangen. Aber sie durfte doch nicht andres. Ich habe ihr oft zureden müssen, daß sie sich dem füge. Sie mußte doch ihre Stellung hier fichern. Sie war ja noch fo jung und so beneidet. Da muß man eben auf der Hut fein; allen liebenswürdig..." Und die Blichon war liebenswürdig, so wie ich sie gekannt habe; des kann ich euch versichern.
und blutete daran.
Er kam weit fort ins Land, in die Provinz, an ein kleines Theater. Wie war da alles anders, flein, schmählich, nüchtern. Und die Einsamkeit schloß sich wieder auf an neuen Hoffnungen: es würde beffer werden, vielleicht bald. Und er ergab sich der Arbeit; er arbeitete an sich, studierte das Instrument seines Körpers aus, erprobte es.
Den nächsten Winter fam er an eine bessere Bühne in einer Stadt Südfrankreichs . Er konnte zufrieden sein; aber er blieb gleich unermüdlich in seinem Eifer. Er spielte viel, aber er brauchte das auch. Seine Seele erlebte sich nur in fremden Gestalten, in erdichteten Schicksalen, und in diesem vielfältigen, gewaltsamen Dasein zehrte sie sich auf wie ein Wachslicht, heftig und brennend und fladernd.
Mit den Kollegen hatte Crainville immer nur wenig Gemeinschaft gehabt. Es war das Anderssein seines Wesens, das ihn von jenen natürlich abschloß. Sie mochten auch wohl fühlen, daß er sie um des Leichtsinns ihrer Gefühle willen verachtete. An der selben Bühne war eine junge Schauspielerin, Gabriele Blichon. Crainville bewunderte sie. Er fühlte sich durch ihre Kunst entzückt. Cie schien ihm die Erfüllung dessen, was er erstreble. Seine eigenen Fähigkeiten erschienen ihm hilflos und flein neben diejer Kunst, die feine Seele zwang und fnechtete. Er glaubte an fie. Mehr noch, sie blendete ihn, und er glaubte auch an den Menschen in ihr. Er dichtete hinter diese Kunst einen edeln, schönen Menschen, eine starke, erhabene Seele. Und er trug eine Sehnsucht nach diesem Menschen, nach seiner Größe, nach seiner Schönheit. Er verlor ganz das Gefühl, daß nur in seiner Einbildung dieser Mensch groß, schön und erhaben war. Die Grenzen verwischten fich. Was Traum war, erlebte er als wirklich. Er liebte die Schauspielerin und sehnte sich unbewußt nach der Frau in ihr. Er suchte ihre Nähe, ihre Freundschaft. Seine Einsamkeit wollte er um fie preisgeben. Aber er täuschte sich, seine Einsamkeit ließ ihn nicht los; fie lag ihm hart und herb ums Herz und schattete auch über seinem Lächeln. Er nicht, aber die anderen fühlten sie. O, die Blichon gönnte ihm gern ihre Freundschaft. Sie bedurfte der Menschen wie der Spiegel um sich. Crainville wurde glücklich, er durfte da sein, und sie beachtete ihn zuweilen. Aber was er liebte, war im Grunde doch nur der Mensch, den sein Geist sich zur Anbetung geschaffen und dem die Blichon ihre Gestalt lieh.
Dann war Crainville plöblich auf einen neuen Gedanken gekommen. Es genügte ihm nicht mehr, sie von seinem fernen Blaz aus abends still ansehen zu dürfen. Er sehnte fich nach ihrer Nähe, danach, gleichsam unter ihrem Atem leben zu dürfen, wie früher neben ihr zu stehen unter den tausend heißen Augen einer Menge. Er war ein Schauspieler ohne Stimme, aber er hatte doch noch das stumm- beredte Instrument, auf dem er Leidenschaften zu spielen verstand: seinen Körper. Jezi verehrte er ihn mehr als ehedem; und er ging hin und wurde Statist, Statist an dem Theater, wo die Blichon war.
Das war die Kette der Geschehnisse, die seine Worte schlossen, das waren die äußersten Umstände seiner Eriftens, deren halbdunkle Hintergründe ich durch seine Rede hindurch offen fah. Und er verheimlichte mir nichts als das ewige, tiefe Leiden um diese Frau, diese Schauspielerin. Ein Leiden, aus dem er selbst vielleicht nur eine schmerzliche Süße zog; die Qual des im Innersten zur Ein samkeit Bestimmten. Sie betrog ihn, aber er wußte nichts davon, obschon sie daraus kaum eine Heimlichkeit machte. Er blieb mir unbegreiflich. Er hatte den unerschütterlich starren Glauben der Bekenner, den Fanatismus der Liebe. Es gab für ihn über dieses Weib hinaus feine Welt, und er litt nur daran, daß er selbst nicht immerfort in diefer Welt sein durfte.
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Als er schwieg, gingen wir beide eine Weile stumm nebeneinander her. Wir waren weit hinausgekommen, in Stadtteile, die mir fremd schienen. Ich bat ihn umzufehren und lud ihn in eine Weinstube, die ich kannte. Aber er schlug mir's ab. Er möge feinen Wein trinken, und es sei toohl fehr spät geworden. Wir gingen zurück, sprachen fast nichts. Jch möge ihn, wenn ich Zeit und Luft habe, in seinem Geschäft besuchen, bat er. Unter seinen Büchern würden sich wohl Stüde finden, die es zu sehen lohne. Er Ich weiß nicht, zu welchem Ende das hätte fommen sollen, aber habe wundervolle alte Drude, und er möchte es von mir als Gunft Grainville erwartete jedenfalls das Beste. Er war bereits Februar ausbitten, mir einen alten Stich schenken zu dürfen, als Dant geworden. Die Blichon und Crainville hatten verabredet, ein- für diese Nacht und als Erinnerung an ihn. Ich würde kommen, ander zu treffen, um einen freien Abend zusammen zu verbringen. fagte ich. Wir waren so weit zurüdgegangen, daß ich mich selbst Crainville war zeitig zur Stelle. Ich nehme an, daß er eine zurechtfinden konnte, und ich verabschiedete mich von Crainville. Stunde vor der Zeit bereits da war. Aber sie ließ ihn warten. Es Als ich mich umwandte, trollte er schmächtig und hüftelnd durch war talt und regnete. Crainville stand traurig bis tief in die Nacht. die Nacht. Er hatte sich nicht entschließen fönnen, fortzugehen, weil er dachte, Auf den Proben sprach ich noch hier und da ein paar Worte mit sie möchte im selben Augenblick den Blas betreten, während er ihm. Aber er wurde nicht mehr gesprächig. Was hatte er mir wohl ihn zur anderen Seite verließ. Durchnäßt und erfroren fam er auch noch zu sagen? Hatte ich doch die Beichte seines ganzen Lebens nach Hause und warf fich aufs Bett. Er blieb schlaflos. Die Brust empfangen. schmerzte ihn, der Frost riß ihn, daß ihm die Zähne schlugen. Am andern Morgen mußte er ins Hospital. Die Blichon besuchte ihn: fie erinnerte fich nicht, daß sie sich hätten draußen treffen wollen; fie habe zu Hause vergebens auf ihn gewartet." Die Gute", fagte Crainville, fie machte sich Vorwürfe und schalt sich, und sie hatte doch keine Schuld daran. Gewiß hatte ich mißverstanden, und die Arme wachte meinetwegen umsonst Crainville hatte dann die Besinnung verloren und erwachte nach vier Tagen erft wieder. Aber er wurde langsam gesund. Er wartete ungeduldig auf den Augenblick, wo er wieder hinausdurfte. Aber der wurde fein Glück für ihn. Er ging, sorgsam geschützt, durch den schönen alten Park des Krankenhauses in der Mittagsonne und schlug in einem ruhigen Winkel sein Buch auf, um sich laut lesend des Sprechens wieder zu gewöhnen. Da wußte er mit einem Male,
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Eines Abends, nach der Vorstellung, ich hatte mich noch bei Herren der Preffe aufgehalten, sah ich am Bühnenausgang Crainville stehen. Er schaute mir erwartend entgegen. Ich ging zu ihm und gab ihm die Hand; er ging neben mir her. Ich habe auf Sie gewartet und dachte schon, Sie feien fortgegangen", sagte er. Ge wartet?" fragte ich verwundert, und er bestätigte:" Ja, gewartet; denn ich habe Ihnen etwas zu erzählen. Ich darf es keinem außer Ihnen fagen. Die andern...( und er tat eine verächtliche Handbewegung), und dann dürfen auch Sie es nur wiffen, weil sie nicht darüber sprechen werden. Gabriele hat mir das Versprechen abgenommen, keinem Menschen davon zu sagen. Ich tue ihr ja unrecht, aber zu einem muß ich doch sprechen. Gabriele hat den Ring angenommen von mir. Eie hat ihn heute abend getragen..." Das Herz flopfte dem Armen in den Hals und feine Stimme ging
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