Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 242.

Freitag, den 12. Dezember.

41 Helge Bendels Luftfchlöffer.

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1913

seiner Hand. Somm her zu mir, Bendell sagte er. Hab ich Dir nicht gesagt, Bendel: zum letzten Mal warne ich Dich! Der Lehrer glich dem Apostel Markus auf dem Dürerschen Ein Chikago- Roman von Henning Berger. Gemälde in München  , das Helge als Kupferstich auf der Aber noch wunderbarer war es mit H. Maitland Newberrybibliothek gesehen hatte. Aber es war ein grau­Wolsey Esqu. Auch er hatte ganz plößlich sein Amt nieder- blonder Markus, mit einem Pfeffer- und Salzbart. Dann gelegt und, wie es hieß, seine großen promotischen Interessen erwachte er und sab den Tag grauen, drehte sich um und bohrte einer andern Hemisphäre zugewandt. Es sab fast parodistisch den Kopf ins Kissen. Zuletzt kam der letzte Morgentraum, aus nach der Rolle, die er gespielt hatte. Aber dies beruhte der sich häufig an Bord eines Dzeandampfers abspielte; ob -wie auf die höflichste und undurchdringlichste Art, die nur dieser aber heimwärts fuhr oder fort von Hause, das wußte möglich war, erklärt wurde, darauf, daß die Tochter eines er nicht. Es war der Ozean- ein Ozean ohne Land, und er Millionärs, mit der er eine längst geplante Verbindung zum hörte das Nollen der Wogen. Es brillte, es rollte. Das Abschluß zu bringen sicher gehofft hatte, ganz unerwartet er- Tosen war so stark, daß er erwachte. klärte, sie wünsche ihre Wahl innerhalb ihrer eigenen Nation Die ersten Kabelwagen glitten gen Süden, und die Gongs au treffen. Dieser ziemlich seltene Patriotismus hatte ab- hallten wie verrückt. fühlend gewirkt auf Herrn Wolseys frühere Sympathien für Jetzt waren Griff und Hannover   zurückgekehrt. Hugo das Land des stolzen Adlers. Auch er hatte sein Entlassungs- war über Deutschland   gereist, um die Erinnerungen an feine gesuch eingereicht. Studienjahre aufzufrischen. Aber er hatte keinen von den

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Inzwischen betrachteten alle Herrn J. D. Roth als tat- früheren Kameraden getroffen. Und so war er eines Nachts fächlichen Parallelchef des Chikagokontors. Sämtliche einsam von der einen Bier- oder Weinstube zur andern ge­Bassagierdokumente wurden mit seinem Namen unterschrieben wandert, bis er betrunken war, und war dann wieder davon­und wurden ihm von Mr. Fay, als einer Art Minister, vor- gefahren. Von Schweden   redeten sie wenig und mit Zurück­gelegt. Auf sämtlichen Stempeln und Siegeln wurde nach haltung. Machten da und dort kleine Anmerkungen zugunsten feinem Namen ein W. A. Agent des Westens hinzu- Amerikas  , als wollten sie sich selber und Bendel überzeugen, daß es hier am besten für sie wäre. Aber nach einer Weile gefügt. Im übrigen war mehr als die Hälfte der Kontoristen saßen sie stumm und starrten in Gedanken versunken vor sich würdig und tüchtig befunden worden, zu bleiben. Diejenigen hin. Bis Maurit mit einem Fluch auf den Tisch schlug und dagegen, die Herr Ranch auf eigene Hand angestellt hatte, nach dem Aufwärter fchrie. wurden am ersten August unbarmherzig gestrichen. Ihre Bläge waren sofort durch nene befeßt worden; aber die meisten von ihnen waren aus New York   oder England, und Helge Enüpfte feine neuen Bekanntschaften an. Er selbst stand vor feinem eigenen Schicksal ebenso abwartend, wie irgend ein Bär oder Stier der Börse vor der Lage des Marktes.

Er hatte ganz offen mit Herrn Noth gesprochen. Erst hatte er eine Gehaltsaufbesserung gefordert. Die war ihm auch geworden; aber sie war lächerlich klein; eine Aufrundung feines Monatsgebalts, so, daß die Hauptziffer gleich blieb, nicht höher wurde. Also die Zulage bedeutete eigentlich nichts. Dann kam die Frage nach der zufünftigen Gestaltung seiner Aussichten. Darauf hatte der Agent ehrlich erwidert, daß er selber kaum so lange im Dienst der Gesellschaft zu bleiben gedächte. Alles deute auf Trusts, auf sämtlichen Gebieten des Geschäftslebens; in Amerika   herrsche bestimmt die Dezenimus­macht. Damit würde das neue Jahrhundert beginnen, und dann wolle er, Roth, nach dem Süden, von dem er übrigens auch gekommen sei. Das war flarer Bescheid. Und Helge bedankte sich. Jeßt, wußte er, hieß es warten und zusehen, was geschehen würde; und die ganze Lage erweckte in ihm den Gedanken, der sich bis zur Gewißheit steigerte: daß etwas geschehen müsse.

Nachts lag er wach und grübelte darüber nach, ob er denn daheim nicht einen einzigen Menschen hätte, an den er schreiben konnte. Wenn er schlief, träumte er oft, er sei daheim, ward im Traum von Entseßen gepackt über all das Ungewisse, das ihm dort bevorstand. Wenn er erwachte, fon­statierte er mit Erleichterung, daß es bloß ein Traum gewefen ivar. Aber wenn er träumte, er reise nach Amerifa, jo er füllten ihn Angst und Qual vor dem, was ihn da erwartete. Und wachte er nach einem derartigen Traum auf, so ge­währte ihm das keine Zufriedenheit, sondern brachte nur eine brennende Sehnsucht nach Schweden  .

-Die haben natürlich Erinnerungen an Verwandte und Eltern, Geschwister... dachte Helge.

Abends hockten sie bei Kugel und tranken Weißbier mit einem Schuß Kümmel   drin. Ein Viertel nach Zehn kam Martell. Klein und fein, ernsthaft, mit scharfem Gesicht und furzem Schnurrbart, der wie ein Schnitt über die Lippe strich, ergänzte er Griff durch seine Energie. Aber beide waren gleich verschloffen und diskret.

Die Site hielt an. Die Nachtluft hing gleich einem schwarzblauen Vorhang vor den geöffneten Züren. Sie zogen die Röcke aus, legten die Beine auf die Stühle und drehten die Auerbrenner ab. Die Glut aus den Pfeifen beleuchtete dann und wann ein Gesicht. So fomiten sie stundenweise fiten, in einfilbigem Gespräch.

Eines Abends sagte Griff:

gedeutet.

Die Bank hat mir so leise meine Entlassung an­

Bendel fuhr zusammen, und alle nahmen schweigend die Pfeife aus dem Mund. Dann rief Hannover  :

Na

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zum Teufel...? Hugo zuckte die Achseln.

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Zia.

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- Tja tja! Was soll denn dies weichliche Getue! eiferte Mauris.

Helge aber fragte mit vor Eifer zitternder Stimme: Na, Hugo, fährst Du dann heim, nach Schweden  ? Nein, sagte Griff. Dort hab ich nichts zu schaffen. ch geb nach dem Süden nach New Orleans   hinunter; bou dort hab ich ein gutes Anerbieten.

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Das stimmt, sagte der Doktor. Auch Martell nickte Beifall.

Helge stellte sich im Geist die Stadt vor, Fieber aller Art, eine Hike über jede Beschreibung, Neger, Baumwolle, Alligatoren und Schlangen. Aber jedenfalls neues Leben, Interesse, Nachfrage, Züchtigkeit, Zukunft.

Ich reise auch bald.

Manchmal träumte er, er sei noch klein und doch schon groß und gehe in die alte Elementarschule. Das war Marter und Tortur. Er war siten geblieben, und aus den unteren Später, als der kleine, dicke Böhmjake Kugel eine neue Selassen tamen fleine Jungens in Seniehöschen, die mehr Auflage großer, cisgefühlter Gläser aus dem größeren Bar­wußten als er, troßdem er in Amerika   gewesen und lang auf- raum gebracht hatte, sagte Martell: geschossen und erfahren war. Der verabscheute Lehrer, Doktori Stöller, trat mit seiner frommen Heuchlermiene ein und sprach über Naturkunde und Englisch  . Und Helges englische Sprach- in fenntnisse waren wie weggeblasen; er fonnte nicht einmal das Der nidte lächelnd: Hilfszeitwort to do fonjugieren. Aber ich bin doch zehn Jahre in Amerika   gewesen! dachte er verzweifelt und ängstigte sich ab im Traum. Und Stöllers Miene war heuchle- Und er berichtete, daß er, seitdem er in Gemeinschaft mit risch streng; er klopfte mit zwei Fingern auf die Innenfläche ein paar andern gebildeten Europäern die neuen Samm­

Diesmal drehte der Masseur die Auerflamme auf. Und den weißgrünen Licht starrten alle den Bibliothekar an.

Jawohl, ich hab' auch einen Wink bekommen, daß ich überflüssig bin.